Reichsstrafgesetzbuch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Basisdaten
Titel: Strafgesetzbuch
Abkürzung: RStGB
Art: Reichsgesetz
Geltungsbereich: Deutsches Reich
Beachte auch §§ 3–7 StGB für Auslandstaaten
Rechtsmaterie: Strafrecht
Ursprüngliche Fassung vom: 15. Mai 1871 (RGBl. S. 127)
Inkrafttreten am: 1. Januar 1872
Neubekanntmachung vom: 26. Februar 1876 (RGBl. S. 39)
Außerkrafttreten: Gilt als Strafgesetzbuch in der
Bundesrepublik Deutschland fort
Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten.

Das Reichsstrafgesetzbuch (RStGB, Langform Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich) ist die Bezeichnung für die Fassung des deutschen Strafgesetzbuches in der Zeit bis zur Neubekanntmachung durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. 1953 I S. 735 ff.). Seine Verkündung erfolgte im Deutschen Kaiserreich am 15. Mai 1871 (RGBl. 1871 S. 127), trat am 1. Januar 1872 in Kraft und gilt im Wesentlichen bis heute als Strafgesetzbuch (StGB) in der Bundesrepublik fort.

Das RStGB unterteilte die Straftaten in drei Klassen: Verbrechen, Vergehen und Übertretung. In der DDR entfiel der Deliktstyp der Übertretung zum 1. Juli 1968 durch Einführung des Strafgesetzbuchs der DDR. In der Bundesrepublik wurde er durch die 1969 beschlossene Große Strafrechtsreform zum 1. Januar 1975 abgelöst durch Unterteilung der Bagatelldelikte in strafbare Vergehen beziehungsweise Ordnungswidrigkeiten. Die Sanktionen für Verbrechen bestanden in den Rechtsfolgen Todesstrafe, Zuchthaus und Festungshaft. Für Vergehen drohte Gefängnis und für Übertretungen in der Regel Geldstrafe beziehungsweise kurzzeitige Haft.

Geschichte

Strafgesetzbuch von 1914
Warnschild mit Verweis auf §368 im Reichsstrafgesetzbuch

Heinrich von Friedberg hatte ab 1868 ein Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund erarbeitet. Nachdem Bundesrat und Reichstag zugestimmt hatten und es am 31. Mai 1870 in Kraft getreten war, verkündete König Wilhelm I. als Inhaber des Bundespräsidiums die Kodifikation am 8. Juni des Jahres. Durch die Verfassung des Deutschen Bundes (Art. 80) vom 1. Januar 1871 galt es auch im Deutschen Reich fort. Durch das Gesetz betreffend die Redaktion des Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund als Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871[1] erhielt es zum 1. Januar 1872 den Titel Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich und gleichzeitig eine formell völlig neue Textfassung.

Vorgängerregelungen des Staates Preußen waren:

Das RStGB wurde ab 1923 durch die Einführung des Jugendgerichtsgesetzes, die Geldstrafenverordnung von 1924 und die Bestimmungen zur Zweispurigkeit des Strafrechts sowie über die Maßregeln von 1933[2] umfassend reformiert.

In der Bundesrepublik Deutschland gilt das RStGB nach umfassenden Änderungen bis heute fort. In der DDR hingegen wurde mit Wirkung zum 1. Juli 1968 das RStGB, das bereits 1958 durch das Strafrechtsergänzungsgesetz wesentlich reformiert worden war, durch das Strafgesetzbuch der DDR ersetzt.

Aufbau

Das Strafgesetzbuch ist in zwei Hauptabschnitte unterteilt:

Allgemeiner Teil Hier ist Grundsätzliches geregelt, wie zum Beispiel:

Besonderer Teil Dieser enthält die einzelnen Straftatbestände, geordnet nach geschützten Rechtsinteressen (sogenannte Rechtsgüter):

Obwohl in zeitlich nachgehenden Reformen teilweise weitreichende Änderungen vorgenommen wurden und zahlreiche Vorschriften ersatzlos entfielen (s. u.), gilt das RStGB – nunmehr als StGB – besonders im Bereich der Straftaten gegen Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der Eigentumsdelikte in der obigen, 1871 verkündeten Form weitgehend fort.

Nach 1945

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Untergang des NS-Staats wurde das Strafgesetzbuch mehrfach novelliert. Insbesondere der Alliierte Kontrollrat bemühte sich um eine Revision von Vorschriften, die zwischen 1933 und 1945 ergangen und vom Nationalsozialismus geprägt waren. Hierzu ergingen etwa das Kontrollratsgesetz Nr. 11 vom 30. Januar 1946 und das Kontrollratsgesetz Nr. 55 vom 20. Juni 1947, sowie von bundesdeutscher Seite das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951.[3]

Zahlreiche weitere Novellierungen folgten, die teils neue, durch veränderte Lebens- und Wirtschaftsbedingungen erforderlich gewordene Straftatbestände einfügten (beispielsweise Computerbetrug gemäß § 263a StGB); viele Vorschriften des RStGB verloren jedoch umgekehrt ihre Geltung, hauptsächlich aus dem XIII. Abschnitt, wodurch der Gesetzgeber sich wandelnden Moralvorstellungen in der Gesellschaft Rechnung trug und Strafen enger an die Verletzung von Rechtsgütern knüpfte. Zu den prominentesten Vorschriften des allgemeinen Teiles sowie den Strafzumessungsregeln des StGB, die nach 1945 abgeschafft wurden, gehören überdies die Abschaffung der Todesstrafe (bedingt bereits durch Art. 102 GG) sowie die Abschaffung der Zuchthausstrafe[4] als verschärfter Form der Gefängnishaft.

Anwendung in der DDR

Eine eigene Entwicklung nahm das Reichsstrafgesetzbuch in der DDR. 1968 wurde es neu gefasst und nach mehrfachen Änderungen lag es den Verhandlungen im Rahmen des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 18. Mai 1990 zugrunde. In diesem wurde festgelegt, dass das Strafgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik durch Aufhebung […] der §§ 90, 99, 105, 106, 108, 213, 219, 249 geändert wird. Dadurch konnten eine Reihe politischer Handlungen und Verhaltensweisen nicht länger als Straftaten verfolgt werden. Das übrige Strafgesetzbuch in seiner Gesetzesfassung erledigte sich mit der Wiedervereinigung, wobei das bundesdeutsche Strafgesetzbuch als deren Weiterentwicklung des Reichsstrafgesetzbuches in einigen Paragraphen (z. B. Abschnitte über die Sicherungsverwahrung und die §§ 175, 182, 218 bis 219 d, 236) nach Anlage I Kapitel III Sachgebiet C Abschnitt III Nr. 1 (BGBl. II Nr. 35, 885, 957) nicht auf das Beitrittsgebiet, also die ehemalige DDR erstreckt wurden, womit z. B. in der DDR vorgenommene Handlungen, die nach dem damaligen Strafrecht der Bundesrepublik (auch rückwirkend) strafbar gewesen wären, von der Rechtsanwendung ausgenommen wurden.

Hauptdiskussionen in der Bundesrepublik (1949–1990)

Todesstrafe

Die Todesstrafe war als Strafe für vollendeten Mord gemäß § 211 RStGB, für Mordversuch an Kaiser oder Landesherren gemäß § 80 RStGB, sowie für einige Staatsschutzdelikte wie Hochverrat und Landesverrat im Kriege (Kriegsverrat) vorgesehen. Als Hinrichtungsmethode wurde gemäß § 13 RStGB Enthauptung festgelegt. Durch Artikel 102 Grundgesetz wurde die Todesstrafe 1949 abgeschafft.

Entfallene Straftatbestände des XIII. Abschnittes (Auszug)

§ 175 RStGB (Unzucht zwischen Männern)

Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden. (Fassung von 1871)[5]

Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft. Bei einem Beteiligten, der zu Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen. (Fassung von 1935)[6]

Diese Vorschrift wurde zunächst 1969 auf Handlungen zwischen Männern, die in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, auf Männer über 18 Jahren, die Handlungen mit Männern unter 21 Jahren begehen und auf die gewerbsmäßige Begehung beschränkt; 1973 auf Handlungen eines Mannes über 18 Jahren mit einem Minderjährigen enger gefasst; und 1994 ganz aufgehoben.

§ 180 RStGB (Vorschubleisten der Unzucht; sogenannte Kuppelei)

Wer gewohnheitsmäßig oder aus Eigennutz durch seine Vermittlung oder durch Gewährung oder Verschaffung von Gelegenheit der Unzucht Vorschub leistet, wird wegen Kuppelei mit Gefängniß bestraft; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. (Fassung von 1871)

§ 181 RStGB (Schwere Kuppelei)

Die Kuppelei ist, selbst wenn sie weder gewohnheitsmäßig noch aus Eigennutz betrieben wird, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wenn

1. um der Unzucht Vorschub zu leisten, hinterlistige Kunstgriffe angewendet werden, oder

2. der Schuldige zu den Personen, mit welchen die Unzucht getrieben worden ist, in dem Verhältnis von Eltern zu Kindern, von Vormündern zu Pflegebefohlenen, von Geistlichen, Lehrern oder Erziehern zu den von ihnen zu unterrichtenden oder zu erziehenden Personen steht.

(2) Neben der Zuchthausstrafe ist der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auszusprechen; auch kann auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. (Fassung von 1871)

Seit 1973 ist im § 180 (neue Fassung) nur noch die Kuppelei mit unter 16-Jährigen als Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger unter Strafe gestellt und mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht. Sorgeberechtigte machen sich nur strafbar, wenn sie dadurch gleichzeitig ihre Erziehungspflicht gröblich verletzen. Die Kuppelei mit unter 18-Jährigen wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, wenn es sich um entgeltliche sexuelle Handlungen handelt oder der Jugendliche unter Ausnutzung einer mit einem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit zu sexuellen Handlungen bestimmt wird.

§ 184 RStGB (Verbreitung pornographischer Schriften; auch bekannt als „Lex Heinze“)

Mit Gefängniß bis zu Einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer

  1. Unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, vertheilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorräthig hält, ankündigt oder anpreist;
  2. Unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet;
  3. Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist;
  4. Öffentliche Ankündigungen erläßt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen.

Neben der Gefängnisstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte sowie auf Zulässigkeit von Polizeiaufsicht erkannt werden. (Fassung von 1900)

Diese Vorschrift (seit 2008 § 184 bis § 184d StGB) wurde 1975 enger gefasst.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. RGBl. 1871, 127
  2. Herbert Tröndle: Strafgesetzbuch, S. 1.
  3. Gesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit vom 15. Juli 1951, BGBl. 1951 I S. 448; Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951, BGBl. 1951 I S. 739.
  4. BGBl. I S. 645
  5. s:Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (1871)#§. 175.
  6. § 175 StGB