Marktpsychologie

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Die Marktpsychologie (oder Konsumentenpsychologie) versucht menschliches Verhalten auf Märkten zu erklären und zu prognostizieren. Damit zählt die Marktpsychologie zur Wirtschaftspsychologie und somit zur Angewandten und Praktischen Psychologie. Das zeigt sich vor allem darin, dass die entwickelten Konzepte und Theorien einen hohen Anwendungsnutzen besitzen. Ein Beispiel hierfür sind die vor allem in der Betriebswirtschaftslehre häufig verwendeten Positionierungsmodelle. Eine Subdisziplin der Marktpsychologie ist zum Beispiel die Werbepsychologie.

Allgemeines

Die Marktpsychologie ist als angewandte Wissenschaft „die Analyse, die über die reine Verhaltensschilderung hinaus zur Erklärung von Ursachen und zur Aufdeckung von nur teilweise bewussten Wünschen, Vorstellungen und Bedürfnissen führt.“[1] Hierbei geriert der Kunde oftmals die ambivalent entzerrte Struktur des Produkts, woraus eine rezeptive Käufer-Kauf-Wechselwirkung resultiert.[2] Hierauf fußt auch das Verständnis von der Akzeptanz des Kaufmodells.

Aufgabenstellungen der Marktpsychologie

  • Verhaltenserklärung, warum also zum Beispiel ein Konsument genau dieses Produkt kauft oder nicht.
  • Analyse von Motiven und Bedürfnissen, wobei auch Bedürfnislücken nachgewiesen werden können, die die Entwicklung neuer Produkte nahelegen (Marktnischen).
  • Analyse von subjektiven Meinungen, Vorstellungen und Stereotypen, die sich vor allem auf Imagestrategien auswirken können.
  • Herausarbeiten von Verbrauchertypen bzw. Zielgruppen-Segmenten.
  • Vorhersagen von Reaktionen des Verbrauchers, zum Beispiel Kaufverhalten.

Hier zeigt sich schon eine enge Verbindung der psychologischen Marktforschung mit der Motivforschung. Denn die Marktpsychologie versucht besonders tieferliegende, nicht offen artikulierte Motiv- und Bedürfnisstrukturen aufzudecken, die sich auf das Verhalten des Konsumenten auswirken. Bei Wiswede (1995) ist Marktpsychologie dementsprechend auch ein Teil der Wirtschaftspsychologie. Zur Marktpsychologie im weiten Sinne zählen auch die Verkaufspsychologie, Handelspsychologie, Konsumpsychologie, Werbepsychologie und Marktforschung.[3]

Kurt Lewin hat den hohen Praxisbezug der Marktpsychologie 1944 treffend beschrieben: »Many psychologists working today in an applied field are keenly aware of the need for close cooperation between theoretical and applied psychology. This can be accomplished in psychology, as it has been accomplished in physics, if the theorist does not look toward applied problems with high eyebrow aversion or with a fear of social problems, and if the applied psychologist realizes that there is nothing so practical as a good theory.«

Die Geschichte der Marktpsychologie

Eine richtige Geschichte der Marktpsychologie, also einen echten Entwicklungsprozess kann man kaum feststellen. Vielmehr kann man von einem Zeitpunkt ausgehen, an dem die Marktpsychologie als begrifflich definiert Einzug erhielt. Was hinter dem Begriff der „Marktpsychologie“ steckt, hat 1956 Bernt Spiegel mit folgendem Leitsatz geprägt: „Nicht die objektive Beschaffenheit eines Produkts ist die Realität in der Marktpsychologie, sondern einzig die Verbrauchervorstellung und das Verbrauchererlebnis“. Schon 1949 gründete er in Mannheim das Institut für Werbepsychologische Untersuchungsmethoden, das erste psychologisch orientierte Marktforschungsinstitut in Deutschland, wie der Brancheninformationsdienst Context schreibt. Dort entstand 1961 zum Beispiel auch das psychologische Marktmodell mit der inzwischen vielfach angewendeten Nischentheorie (Marktnische).

Die Nischentheorie und die Forschungen im Rahmen der „Struktur der Meinungsverteilung im sozialen Feld“ von Bernt Spiegel begeisterten das damalige BMW-Vorstandsmitglied Paul G. Hahnemann, so dass sie bei BMW zur praktischen Anwendung kamen. Es entstand der sportlichen Mittelklassewagen BMW 1600/1800 – auch „neue Klasse“ genannt. Mit diesem Erfolg für BMW hatte Paul G. Hahnemann einen neuen Spitznamen: Nischen-Paule. Aus dem damaligen Institut für Werbepsychologische Untersuchungsmethoden gingen das Spiegel Institut Mannheim, das IFM MANNHEIM (heute IFM Mannheim Institut für Marktpsychologie Dr. Gert Gutjahr GmbH) und Sinus Sociovision hervor, die noch heute im Großraum Mannheim ihren Firmensitz haben.

Weitere Entwicklungen und Erkenntnisse ab den 1960er Jahren waren:

  • Analyse von Produkten, Marken, Herstellern und Werbung als Meinungsgegenstände im sozialen Feld
  • Differenzierung und Positionierung von gruppenspezifischen Verbrauchervorstellungen und Images
  • Wandel von angewandter Allgemein-Psychologie zur theoretisch selbständigen, praktischen Marktpsychologie
  • Fragen nach psychologischen Faktoren, die Erleben und Verhalten des Verbrauchers bestimmen
  • Fragen nach Image-Positionen konkurrierender Angebote
  • Untersuchen von Motiven, Images und Marktsituationen

Methoden der Marktpsychologie

Eine wichtige Unterscheidung der Methoden der Marktpsychologie ist die Gegenüberstellung der „Befragung“ und der „Beobachtung“ (Salcher, 1995).

Befragung

Bei der Befragung versucht man, Aussagen von Personen über bestimmte Sachverhalte zu erhalten, vor allem über nicht beobachtbare Sachverhalte. Die Person gibt dabei Auskunft über unterschiedliche Inhalte, zum Beispiel:

  • Einstellungen und Meinungen,
  • Wissen und Erfahrungen,
  • konkrete Verhaltensweisen,
  • Motive für bestimmte Verhaltensweisen,
  • Wünsche,
  • Ängste,
  • Planungen.

Während konkrete Verhaltensweisen relativ einfach zu erfassen sind, können die anderen Angaben durch nicht erwünschte, hohe Subjektivität des Befragten oder durch Rationalisierung (Vorschieben durchaus zutreffender Argumente bei Verschweigen des oder der eigentlichen Motivation(en)) verzerrt sein.

Beobachtung

Vor allem in Bereichen, in denen die Befragung an ihre Grenzen stößt, ist die Beobachtung in der Marktpsychologie die Methode der Wahl. Bei der Beobachtung werden Sachverhalte erfasst, die sowohl mit menschlichen Sinnen als auch mit technischen Sensoren wahrzunehmen sind, und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem sie passieren. Hierbei besteht der große Vorteil, dass Dinge erfasst werden können, die der Person selbst nicht bewusst sind. Hierzu zählen habitualisierte Handlungsmuster oder Handlungen, wie zum Beispiel das verinnerlichte Autofahren, bei dem beispielsweise nicht mehr aktiv über Ein- und Auskuppeln nachgedacht wird. Die Beobachtung kann sowohl mit dem Wissen der Person durchgeführt werden als auch ohne.

Bei allen Vorgehensweisen werden sowohl quantitative als auch qualitative Daten erhoben und entsprechend der Fragestellung aufbereitet. Interessanterweise gilt momentan, dass die Primärdaten der Marktforschung in Deutschland zu über 90 % aus quantitativen und zu knapp 10 % aus qualitativen Untersuchungen stammen, es ist also ein deutlicher Fokus auf quantitative Daten hin zu sehen. Allerdings sollten qualitative Daten in ihrer Bedeutung und Nützlichkeit für die Praxis nicht unterschätzt werden. Das von vielen bewussten und unbewussten Einflüssen geprägte Verhalten und Erleben eines Menschen als Konsument ist am besten durch die Durchführung von Fokusgruppen, qualitativen Usability-Studien oder tiefenpsychologischen Interviews möglich. Solche Methoden helfen bei der Entwicklung kreativer und neuer Ideen, da Einstellungen und Erwartungen von Personen erfasst werden können, mit denen man das (psychologisch) komplexe Verhalten der Menschen besser verstehen kann.

Die Marktpsychologie innerhalb der Betriebswirtschaftslehre

Schon 1958 definierte Bernt Spiegel die Marktpsychologie als „psychologische Gesetzlichkeiten der Nachfrage und des Angebots und deren Verhältnis zueinander“. Die Marktpsychologie interessiert sich somit vor allem für das Verhalten und Erleben eines Menschen als Konsument in der Situation von Angebot und Nachfrage, weniger für sein Verhalten und Erleben an sich. Lutz von Rosenstiel und Guntram Ewald definierten: „Gegenstand der Marktpsychologie (ist) das Erleben und das Verhalten der Menschen im Markt, d.h. in ihrer Rolle als Anbieter und Nachfrager.“[4]

Die heutige Betriebswirtschaftslehre greift bei einigen Fragestellungen durchaus auf Theorien und Methoden der Marktpsychologie zurück. Da psychologische Strategien und Taktiken besonders an der Nahtstelle von gewerblicher Wirtschaft und privatem Konsum (Schenk), also im Einzelhandel, eine Rolle spielen, befasst sich besonders die Handelspsychologie als Zweiglehre der Handelsbetriebslehre mit dem Verhalten und Erleben der Anbieter und Nachfrager im Handel und mit ihren Beweggründen. Auch versteht sich erfolgreiches Marketing als ein Zusammenspiel des „Marketing-Mix“ (Product, Price, Place und Promotion), für das Erkenntnisse der Marktpsychologie hilfreich sein können.

Beispiele
  • „Price“: Ergründung der Zahlungsbereitschaft von Kunden, zum Beispiel durch die Methode von Van Westendorp → Hinweise zur Gestaltung des Preises.
  • „Promotion“: Werbewirkungstests → Erkenntnisse über die Wirkung von Werbemaßnahmen auf den Kunden können die Gestaltung der Werbemaßnahmen beeinflussen.
  • „Place“: Point-of-Sale (POS)-Studien → Beobachten von Kunden beim Kauf am Regal bringt Erkenntnisse über die beste Position eines Produkts im Regal.

Literatur

  • Georg Felser: Werbe- und Konsumentenpsychologie. 3. Auflage. Spektrum – Akademischer Verlag, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-8274-1782-4.
  • Klaus Moser: Markt- und Werbepsychologie. Ein Lehrbuch. Hogrefe, Göttingen u. a. 2002, ISBN 3-8017-0799-7.
  • Gabriele Naderer, Eva Balzer (Hrsg.): Qualitative Marktforschung in Theorie und Praxis. Grundlagen, Methoden und Anwendungen. Gabler, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-8349-0244-3.
  • Gerhard Raab, Fritz Unger: Marktpsychologie. Grundlagen und Anwendung. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Gabler, Wiesbaden 2005, ISBN 3-409-21596-4.
  • Lutz von Rosenstiel, Peter Neumann: Einführung in die Markt- und Werbepsychologie. 2., unveränderte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1991, ISBN 3-534-08310-5.
  • Ernst F. Salcher: Psychologische Marktforschung (= Marketing-Management. 4). 2., neu bearbeitete Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 1995, ISBN 3-11-012563-3.
  • Hans-Otto Schenk: Psychologie im Handel. Entscheidungsgrundlagen für das Handelsmarketing. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Oldenbourg, München u. a. 2007, ISBN 978-3-486-58379-3.
  • Bernt Spiegel: Werbepsychologische Untersuchungsmethoden. Experimentelle Forschungs- und Prüfverfahren. Duncker & Humblot, Berlin 1958.
  • Bernt Spiegel: Die Struktur der Meinungsverteilung im sozialen Feld. Das psychologische Marktmodell (= Enzyklopädie der Psychologie in Einzeldarstellungen. 6). Huber, Bern u. a. 1961.
  • Günter Wiswede: Einführung in die Wirtschaftspsychologie (= UTB. 8090) 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Reinhardt, München u. a. 2007, ISBN 978-3-8252-8090-1.

Einzelnachweise

  1. Ernst F. Salcher, Psychologische Marktforschung, 1995, S. 6
  2. Edward Feigenbaum, Artificial Intelligence: Themes in the Second Decade, in: Stanford Artificial Intelligence Project (Hrsg.), 1968, S. 39 ff.
  3. Georg Felser: Werbe- und Konsumentenpsychologie. 2. Auflage. Spektrum – Akademischer Verlag u. a., Heidelberg u. a. 2001, ISBN 3-8274-1105-X.
  4. Lutz von Rosenstiel/Guntram Ewald, Konsumverhalten und Kaufentscheidung, 1979, S. 52