Martin Speer (Aktivist)

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Martin Speer auf dem ZEIT Online Festival (2016)

Martin Speer (* 14. September 1986 in Leipzig) ist ein deutscher Aktivist, Wirtschaftswissenschaftler und politischer Kommunikator.

Mit Veröffentlichungen und Kampagnen engagiert er sich für eine Reihe von gesellschaftlichen und politischen Fragen. Bekanntheit erlangte er als Teil des Autoren- und Aktivistenteams Herr & Speer mit der FreeInterrail Initiative, dem offenen Brief #EsIstZeit und dem Einsatz für Generationengerechtigkeit.[1][2][3] Schwerpunkte seiner Arbeit liegen im Bereich der Europäische Integration, Generationen- sowie Geschlechtergerechtigkeit.

Speer ist Feminist und einer von sechs deutschen Botschaftern der UN-Kampagne #HeForShe.[4]

Politische Positionen

Generationengerechtigkeit

Speer setzt sich für eine generationengerechtere Gesellschaft und eine stärkere Sichtbarkeit der jungen Generation im politischen Raum ein. Er plädiert für eine Jugendquote bei der Listenaufstellung in Parteien[5], fordert eine Absenkung des Wahlalters und verlangt von seiner Generation ein verstärktes politisches Engagement und eine höhere Wahlbeteiligung.[6] Er bewertet die Rente mit 63 als „ein[en] Schritt zurück in einer älter werdenden Gesellschaft“.[7] In der Talkshow Maybrit Illner kritisiert er zur Bundestagswahl 2013 die politische Realitätsverweigerung im Umgang mit dem demographischen Wandel und nannte Deutschland eine „Republik der Zukunftsatheisten“.[8] Die FAZ bezeichnet ihn als „Rentner-Schreck“.[9]

Gemeinsam mit einer Gruppe von Aktivisten reichte er Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht und ficht die Bundestagswahl 2013 an, weil keine Menschen unter 18 Jahren mitwählen durften. 13 Millionen Minderjährigen sei damit das Wahlrecht vorenthalten worden. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts lehnte die Wahlprüfungsbeschwerde 2016 ab.[10][11][12]

Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung

Speer engagiert sich als HeForShe-Botschafter für UN Women Deutschland und setzt sich dafür ein, dass sich mehr Männer dem Einsatz für eine geschlechtergerechte Gesellschaft anschließen. In reflektierterem Verhalten von Männern sieht er einen wichtigen Baustein um Sexismus und strukturelle Benachteiligung von Frauen abzubauen.[13]

Speer engagiert sich für den Abbau der Diskriminierung gegenüber sexuellen Minderheiten. 2013 veröffentlichte er den offenen Brief Stellt gleich, was gleich ist und fordert die vollständige Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Der Brief wurde von Intellektuellen wie Martin Walser, Günter Grass, Angelika Taschen, Roger Willemsen mitunterzeichnet.[14] Spiegel Online nennt es ein „bemerkenswertes Schreiben“.[15] Rechtskonservative Kreise kritisierten Speer für den Text scharf und werfen ihm vor „die Ehe zu zerstören.“[16]

Im Juli 2015 wendete sich Speer mit Vincent-Immanuel Herr in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Unter dem Hashtag #EsIstZeit fordern die Aktivisten eine Abstimmung zur Öffnung der Ehe ohne Fraktionszwang.[17] Spitzenpolitiker von SPD, B90/Die Grünen, Die Linke und FDP unterzeichneten den Brief, ebenso über 100 deutsche Prominente aus Kunst, Kultur, Wissenschaft und Medien, darunter Nena, Udo Lindenberg, Til Schweiger, Die Ärzte, Jan-Josef Liefers, Claudius Seidl, Maren Kroymann, Thomas Hitzlsperger.[18] Rund 58.000 Menschen schlossen sich auf der Petitionsplattform change.org dem Vorhaben an.[19]

Europäische Integration

Mit verschiedenen Initiativen setzt sich Speer für eine Stärkung des europäischen Zusammenhaltes ein.

In der europäischen Zivilgesellschaft sieht er den „Motor eines neuen, bürgernahen und demokratischen Europas“.[20]

#EuropeLovesUK

Im Jahr 2016 wandte er sich mit dem offenen Brief #EuropeLovesUK gemeinsam mit Vincent-Immanuel Herr an die britische Bevölkerung und warb für einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union. 57.000 Menschen unterschrieben den Brief online.[21] Hunderte Menschen beteiligten sich in den sozialen Netzwerken an der Aktion, darunter die Bestsellerautorin J.K.Rowling.[22]

#FreeInterrail

Gemeinsam mit Vincent-Immanuel Herr entwickelte Speer im Jahr 2014 auf einer Europa-Forschungsreise die Idee, jedem EU-Bürger zum 18. Geburtstag ein kostenloses Interrailticket zu schenken und somit allen jungen Menschen die Möglichkeit zu geben – unabhängig vom sozialen, finanziellen oder nationalen Hintergrund – Europa kennen und schätzen zu lernen.[23][24] Der Vorschlag, auch bekannt als #FreeInterrail, wurde europaweit medial und politisch breit diskutiert und überwiegend positiv aufgenommen.[25][26] Eine Umfrage des ZDF Politbarometer im September 2016 zeigt, dass eine Mehrheit der Deutschen diesen Vorschlag für sinnvoll erachtet.[27] Weiterhin wurde der Vorschlag im Europäischen Parlament aufgegriffen und wird dort von MdEP der Fraktionen der EVP, ALDE, Grüne/EFA und S&D unterstützt. Die Europäische Kommission nennt es eine „exzellente“ Idee, zögert aber noch mit der vollständigen Umsetzung.[28][29]

Nach einem Pilotprojekt 2018 mit 15.000 kostenlosen Interrail-Tickets,[30] plant die EU-Kommission im Zeitraum 2021 bis 2027 bis zu 700 Millionen Euro für #DiscoverEU bereitzustellen, wie die auf FreeInterrail basierende Initiative der EU genannt wird.[31]

Young European Collective

Speer ist Mitgründer des europäischen Autoren- und Aktivistenteams The Young European Collective. Die Gruppe besteht aus 18 Mitgliedern aus 14 verschiedenen europäischen Ländern.[32] Das Kollektiv veröffentlichte im Herbst 2015 einen gemeinsam verfassten Generationen- und Europaessay unter dem Titel „Who, If Not Us?“, finanzierte den Druck per Crowdfunding und verteilte 6.000 Exemplare an junge Menschen in mehreren Ländern Europas.[33] Die Gruppe wurde auch von der Stiftung Mercator gefördert.[34] Im Juni 2017 erschien das Buch in der deutschen Übersetzung im Verlag Droemer Knaur.[35]

Leben

Nach der Flucht seiner Eltern über die Prager Botschaft wuchs Martin Speer in Heroldsberg (Mittelfranken) auf.[36] Vor seinem gesellschaftspolitischen Wirken baute Speer ein Getränkeunternehmen auf.[37][38] Er studierte Wirtschaftswissenschaften in den Vereinigten Staaten und Deutschland.[39] 2015 – 2016 war Speer Pressesprecher der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot.[40] 2016 – 2018 Pressesprecher und -leiter des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen.[41]

Er lebt mit seinem Partner in Berlin und Frankfurt.

Auszeichnungen

  • „Junge Elite: 40 unter 40“, Ranking der 40 Toptalente im Bereich Staat und Gesellschaft, Capital[42]
  • “Leader of Tomorrow” – Knowledge Pool St. Gallen Symposium 2015 und 2016[43]
  • Top 4 des „Europäischen Jugendkarlspreises“ 2017[44]
  • Bayreuther Vorbildpreis der bayreuther dialoge 2017 dem Zukunftsforum für Ökonomie, Philosophie und Gesellschaft[45][46]
  • Politikaward 2017 (#FreeInterrail)[47]
  • „Blauer Bär“, Europapreis der Stadt Berlin 2018[48]
  • Jean Monnet Prize for European Integration (#FreeInterrail), 2018[49]
  • Innovation in Politics Award 2018[50]
  • European Railway Award (Special Accolade), FreeInterrail, 2021[51]

Bücher

  • #TunWirWas – Wie unsere Generation die Politik erobert. Droemer Knaur, München, 2018, ISBN 978-3-426-30178-4
  • Wer, wenn nicht wir? Vier Dinge, die wir jetzt für Europa tun können. Droemer Knaur, München 2017, ISBN 978-3-426-78946-9.
  • Europe For Future – 95 Thesen, die Europa retten. Droemer Knaur, München, 2021, ISBN 978-3-426-30268-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Till Schwarze: Interrail: Reisen gegen den Europa-Frust. Zeit Online, 27. September 2016; abgerufen 18. Juli 2017
  2. Offener Brief an Merkel: Prominente fordern Gleichstellung der Homo-Ehe. In: Spiegel Online. Abgerufen am 18. Juli 2017.
  3. Appell: Prominente werfen der Politik Mutlosigkeit vor. In: Welt Online. Abgerufen am 18. Juli 2017.
  4. Botschafter*innen HeForShe Deutschland. Abgerufen am 13. Mai 2021.
  5. Vincent-Immanuel Herr, Martin Speer: Quote: Jugend wagen. In: Die Zeit. 12. April 2015, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  6. Hannes Schrader: Bundestagswahl: Versagen die Jungen an der Demokratie? | ZEIT Campus. In: Die Zeit. 21. September 2017, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  7. Generationengerechtigkeit – „Ein Schritt zurück“. In: Deutschlandfunk Kultur. (deutschlandfunkkultur.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  8. „Maybrit Illner“: Rente in der „Republik der Zukunftsatheisten“. In: Welt Online. Abgerufen am 18. Juli 2017.
  9. Überalterung: Deutschland wird zur Rentnerdemokratie. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. (faz.net [abgerufen am 20. Juli 2017]).
  10. Badische Zeitung: Bundesverfassungsgericht: Kein Wahlrecht unter 18 – Deutschland – Badische Zeitung. (badische-zeitung.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  11. Prof. Dr. Quaas: Einspruchschrift gemäß §2 WahlPrüfG. Hrsg.: Quaas und Partner. 19. November 2013, S. 1.
  12. Deutsche Welle (www.dw.com): Kinder klagen gegen Mindestalter beim Wahlrecht | Deutschland | DW | 15.07.2014. Abgerufen am 16. Oktober 2017.
  13. Wir brauchen feministische Männer. Abgerufen am 13. Mai 2021.
  14. Barbara Galaktionow: Prominente fordern Gleichsetzung der Homo-Ehe. In: sueddeutsche.de. 2013, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  15. Offener Brief an den Bundestag: Prominente fordern volle Rechte für Homo-Paare. In: Spiegel Online. 13. Mai 2013 (spiegel.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  16. Bernhard Lassahn: Die Ehe stirbt an vergiftetem Obstsalat, und die Kinder bringt der Klapperstorch. Manuscriptum, Waltrop und Leipzig 2013, ISBN 978-3-937801-90-2, S. 1.
  17. Offener Brief an Merkel: Prominente fordern Gleichstellung der Homo-Ehe. In: Spiegel Online. 1. Juni 2015 (spiegel.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  18. Offener Brief zur Homo-Ehe: Liste der MitunterzeichnerInnen. In: Spiegel Online. 1. Juni 2015 (spiegel.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  19. Sign the Petition. Abgerufen am 16. Oktober 2017.
  20. Vincent-Immanuel Herr, Martin Speer: Europa: Echt schön hier. In: Die Zeit. 19. Mai 2016, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  21. Sign the Petition. Abgerufen am 16. Oktober 2017 (britisches Englisch).
  22. Liebesbriefe nach London: 50.000 Menschen wollen Briten zum Bleiben überreden. Abgerufen am 16. Oktober 2017 (amerikanisches Englisch).
  23. Tanja Wieser: Interrail-Gratistickets für mehr EU-Begeisterung. In: Europäische Union aktuell – Wiener Zeitung Online. (wienerzeitung.at [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  24. Till Schwarze: Interrail: Reisen gegen den Europa-Frust | ZEIT Campus. In: Die Zeit. 27. September 2016, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  25. Jon Henley European affairs correspondent: EU plan to counter Brexit: give teenagers free InterRail tickets. In: The Guardian. 5. Oktober 2016, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  26. Straßburg: Europa-Skepsis: Gratis-Interrail-Ticket soll Jugend für EU gewinnen. In: DIE WELT. 18. September 2016 (welt.de [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  27. Forschungsgruppe Wahlen > Umfragen > Politbarometer > Archiv > Politbarometer 2016 > September 2016. Abgerufen am 16. Oktober 2017.
  28. MEPs want to give free rail passes to young Europeans | News | European Parliament. (europa.eu [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  29. Parliament’s free Interrail plan replaced by smaller €2.5 million travel fund for teenagers. Abgerufen am 19. Oktober 2017 (britisches Englisch).
  30. Möchtest du diesen Sommer Europa entdecken? In: Europäisches Jugendportal. 30. April 2018, abgerufen am 26. Februar 2019.
  31. ZEIT ONLINE: Free Interrail: EU plant 700 Millionen Euro für kostenlose Interrail-Tickets. In: Die Zeit. 2. Mai 2018, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 26. Februar 2019]).
  32. The Young European Collective. In: Who, If Not Us? (whoifnotus.eu [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  33. The Book (English). In: Who, If Not Us? (whoifnotus.eu [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  34. Support Us. In: Who, If Not Us? (whoifnotus.eu [abgerufen am 16. Oktober 2017]).
  35. Wer, wenn nicht wir? – Buch von Droemer Knaur. Abgerufen am 16. Oktober 2017.
  36. 25 Jahre Mauerfall – Die Generation Freiheit hat Angst vor Veränderung. In: Cicero Online. (cicero.de [abgerufen am 18. Juli 2017]).
  37. Rexam and Pure Product GmbH sweep 3 Beverage Innovation Awards for OCÓO Beauty Drink – New Food Magazine. Abgerufen am 18. Juli 2017 (englisch).
  38. Beauty in a bottle: drink yourself healthy. In: The National. (thenational.ae [abgerufen am 18. Juli 2017]).
  39. HWR Semester Journal: Es liegt an uns. Hrsg.: Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Nr. 1/14. Berlin 2014, S. 8.
  40. Speer neuer Pressesprecher beim BVDS. In: Magazin pressesprecher. 13. September 2016 (pressesprecher.com [abgerufen am 6. September 2017]).
  41. Speer neuer Pressesprecher beim BVDS. In: Politik & Kommunikation. (politik-kommunikation.de [abgerufen am 18. Juli 2017]).
  42. Top 40 unter 40 – Staat und Gesellschaft. Abgerufen am 18. Juli 2017.
  43. [Magazine] 46th St. Gallen Symposium: Debate Growth. In: tonilane.com. Abgerufen am 18. Juli 2017 (englisch).
  44. Europäischer Jugendkarlspreis 2017 – Vorstellung der Projekte. Abgerufen am 18. Juli 2017.
  45. Verleihung des Vorbildpreises | Bayreuther Dialoge 2017. In: Bayreuther Dialoge 2017. (online [abgerufen am 16. Oktober 2017]). Verleihung des Vorbildpreises | Bayreuther Dialoge 2017 (Memento vom 17. Oktober 2017 im Internet Archive)
  46. Bayreuther Vorbildpreis. (Nicht mehr online verfügbar.) In: bayreuther dialoge 2019. Archiviert vom Original am 20. August 2019; abgerufen am 20. August 2019 (amerikanisches Englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/bayreuther-dialoge.de
  47. Dreyer, Ziemiak und Ströbele mit Politikaward ausgezeichnet. In: Politik & Kommunikation. (politik-kommunikation.de [abgerufen am 18. Mai 2018]).
  48. Berliner Europapreis Blauer Bär. 15. Mai 2018, abgerufen am 18. Mai 2018.
  49. Winner of the 2018 Jean Monnet Prize: #FreeInterrail campaign. In: EuropeanConstitution.eu. (europeanconstitution.eu [abgerufen am 13. November 2018]).
  50. The Innovation In Politics Awards. (innovationinpolitics.eu [abgerufen am 20. November 2018]).
  51. Programme 2021: discover our special Year of Rail edition - European Railway Award. Abgerufen am 13. Mai 2021.