Medizin der Renaissance

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Datei:The babe in the womb; Leonardo da Vinci (1511).JPG
Studie des Fetus im Mutterleib, Leonardo da Vinci

Medizin der Renaissance (auch Renaissancemedizin) bezeichnet die weiterhin auf der Rezeption der antiken Medizin beruhende, jedoch stärker hinterfragende Heilkunde zwischen der mittelalterlichen Medizin (u. a. Klostermedizin) und der Medizin der Neuzeit von etwa 1450 bis 1600,[1] als humanistische Medizin ausgehend von Italien in der Mitte des 14. Jahrhunderts[2] und endend im späten 17. Jahrhundert mit dem Übergang des Späthumanismus in die Frühaufklärung.[3][4]

Renaissance und Medizin

Mit dem Aufkommen des Renaissance-Humanismus wurde der theologische Einfluss auf die Medizin schwächer. Der Humanismus als Bildungsbewegung forderte ein Studium der antiken Literatur und der alten Sprachen. Mit der Entwicklung der Druckpresse wurde wiedergefundenes antikes Wissen vielen Gebildeten leicht zugänglich. Humanisten wie Lorenzo Lorenzano (Professor von 1479 bis zu seinem Suizid 1502 in Pisa) orientierten sich eher an antiken Autoritäten (vor allem Hippokrates) als an arabischen oder arabisch beeinflussten (wie Galenos) bzw. arabisch publizierenden wie vor allem auch Avicenna, deren Dominanz an den Universitäten sie zu verdrängen suchten.[5] Lorenzano, Niccolo Leoniceno und Johann Winter von Andernach begründeten die neue philologische Methode.[2] Die Astrologie erlebte in der Zeit der Renaissance eine Blütezeit und damit wurde auch die Anwendung der Astrologie auf die Medizin wichtig genommen.[6] Auch der Glaube an Hexen war selbst unter Gelehrten weit verbreitet.[7]

Botanik

Die Väter der Botanik (Otto Brunfels, Hieronymus Bock, Leonhard Fuchs) sowie Charles de l’Écluse, Caspar Bauhin und Andrea Cesalpino bearbeiteten, korrigierten und erweiterten das botanische Wissen der Antike und erneuerten die Nomenklatur.[2] Brunfels, Bock und Fuchs lehnten die arabisch-lateinische Tradition griechischer Werke ab. Brunfels forderte zudem, dass die Composita aus maximal vier oder fünf möglichst einheimischen Einzelsubstanzen zusammengesetzt sein sollten. Auch medizinisch nicht genutzte Pflanzen kamen nun langsam in den Blickwinkel der Autoren.[8]

Anatomie

Zunächst versuchte man, die bisherigen Erkenntnisse mit den Schriften Galens in Einklang zu bringen, erst danach maß man Galen mit den tatsächlichen Beobachtungen.[2] Mondino dei Luzzi, ein Professor in Bologna, veröffentlichte sein Werk Anathomia, die erste moderne Arbeit zu diesem Thema. Leonardo da Vinci schuf eine Vielzahl anatomischer Zeichnungen in großer Detailtreue, die zum Teil auf selbst durchgeführten Sektionen basierten.[9][10] Die anatomischen Zeichnungen da Vincis wurden später im Codex Windsor zusammengefasst; zu seinen Lebzeiten wurde jedoch keine seiner medizinischen Studien veröffentlicht.

Das Werk De Humani Corporis Fabrica des Autors Andreas Vesalius, entstanden 1543, war ein Meilenstein im Fortschritt der Medizin, da es weitgehend korrekt die Lage der Organe im Bauch, die Struktur des Gehirns, die Innervation der Muskeln und den Verlauf der Blutgefäße beschrieb. Gabriele Falloppio beschrieb das Innenohr, die Aufgaben der Knochen und Muskeln und die Sexualorgane[11]. Bartolomeo Eustachi untersuchte den Kopf und die Nieren, beschrieb die Anatomie der Zähne und erkannte die Verbindung zwischen Rachen und Mittelohr.

1546[12] beschrieb Michael Servetus (1511–1553) dasselbe Phänomen wie Ibn an-Nafis, den Lungenkreislauf, was durch Realdo Colombo bewiesen wurde. Doch auch diese Ergebnisse wurden von der Allgemeinheit nicht anerkannt.[13] Andrea Cesalpino, bekannt für seine botanischen Werke, beschrieb beide Kreisläufe des Herz-Kreislauf-Systems. Unglücklicherweise ging auch diese Arbeit verloren.

Chirurgie

In Kriegen gemachte Erfahrungen bereicherten das Wissen der Chirurgen. Die meisten Verwundeten starben an Infektionen. Um die Wunden vor Entzündungen zu schützen, wurde heißes Öl verwendet. Der Chirurg und Barbier Ambroise Paré (1510–1590) war der erste, der Blutgefäße abband, um Amputationen komplikationsärmer durchführen zu können.[2]

Seit dem 15. Jahrhundert (erstmals urkundlich erwähnt 1476)[14] standen zumindest wohlhabenden Schichten funktionale, bewegliche Hand- und Arm­prothesen zur Verfügung, die Eisernen Hände.

Innere Medizin

Grundsätzlich wurde am Konzept der Humoralpathologie festgehalten, jedoch kam erste Kritik auf. Jean François Fernel versuchte, die Klassifikation der Krankheiten zu erweitern und konzentrierte sich auf pathogenetische Aspekte.[8]

Paracelsus führte die Chymiatrie bzw. Iatrochemie ein und begründete damit die chemische Medizin, Girolamo Fracastoro führte in der Kontagienlehre Krankheiten auf Keime zurück.[2]

Siehe auch

Literatur

  • Gerhard Baader: Die Antikerezeption in der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft während der Renaissance. In: Deutsche Forschungsgemeinschaft: Humanismus und Medizin. Hrsg. von Rudolf Schmitz und Gundolf Keil, Acta humaniora der Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1984 (= Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 51–66.
  • Axel W. Bauer: Die Medizin im Renaissance-Humanismus auf dem Weg von der mittelalterlichen Personalautorität zur neuzeitlichen Sachautorität am Beispiel von Botanik, Anatomie und Chirurgie. In: Dominik Groß und Monika Reiniger (Hrsg.): Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie. Festschrift für Gundolf Keil. Königshausen & Neumann, Würzburg 2003, ISBN 3-8260-2176-2, S. 11–25.
  • August Buck: Die Medizin im Verständnis des Renaissancehumanismus. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Weinheim an der Bergstraße 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 181–198.
  • Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. Springer, Berlin und Heidelberg 1994. ISBN 978-3-540-57678-5. S. 107–133.
  • Wolfgang U. Eckart: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Springer-Verlag, 2013. ISBN 978-3-642-34972-0. S. 73 ff.
  • Arnd Krüger: Geschichte der Bewegungstherapie. In: Präventivmedizin. Springer Loseblatt Sammlung, Heidelberg 1999, 07.06, S. 1–22.
  • Charles Lichtenthaeler: „Moderne“ Periodisierungsversuche für die Medizin nach 1500 und Kritik dieser Versuche. In: Charles Lichtenthaeler: Geschichte der Medizin. Die Reihenfolge ihrer Epochen-Bilder und die treibende Kraft ihrer Entwicklung. Köln 1975, Band 2, S. 424–431.
  • László András Magyar (Hrsg.): Medicina renata. Renaszánz orvostörténeti szöveggyüjtemény. Budapest 2009.
  • Wolf-Dieter Müller-Jahncke: Zum Magie-Begriff in der Renaissance-Medizin und -Pharmazie. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 99–116.
  • Charles Nicholl: Leonardo da Vinci – Die Biographie. S. Fischer, Frankfurt am Main 2006, ISBN 978-3-10-052405-8.
  • Christoph Schweikardt: Renaissancemedizin. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4. S. 1233–1238.
  • Michael Stolberg: Gelehrte Medizin und ärztlicher Alltag in der Renaissance. De Gruyter Oldenbourg, 2021. ISBN 978-3-11-070732-8.
  • Richard Toellner: Zum Begriff der Autorität in der Medizin der Renaissance. In: Deutsche Forschungsgemeinschaft: Humanismus und Medizin, S. 159–179.
  • Ralf Vollmuth: Renaissance: Ein neuer Blick auf den Menschen. In: Medizin im Mittelalter. Zwischen Erfahrungswissen, Magie und Religion (= Spektrum der Wissenschaften. Spezial: Archäologie Geschichte Kultur. Band 2.19), 2019, S. 76–81.

Einzelnachweise

  1. Claudia Eberhard-Metzger, Anne-Lies Ihme: Geschichte der Medizin. Tessloff, 1980. ISBN 978-3-7886-0406-6. S. 20
  2. a b c d e f Wolfgang U. Eckart: Die Medizin der Renaissance. In: Wolfgang U. Eckart: Geschichte der Medizin. Springer, Berlin/Heidelberg 1994, ISBN 978-3-540-57678-5. S. 107–133.
  3. Allen G. Debus: Man and Nature in the Renaissance. Cambridge/ London/ New York/ Melbourne 1978, S. 140.
  4. Richard Toellner: Zum Begriff der Autorität in der Medizin der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11). Acta humaniora, Weinheim a. d. Bergstraße/ Bonn-Bad Godesberg 1984, ISBN 3-527-17011-1, S. 159–180, hier: S. 160 f.
  5. Vgl. auch Gerhard Baader: Die Antikerezeption in der Entwicklung der medizinischen Wissenschaft während der Renaissance. In: Rudolf Schmitz, Gundolf Keil (Hrsg.): Humanismus und Medizin. Acta humaniora, Weinheim 1984 (= Deutsche Forschungsgemeinschaft: Mitteilungen der Kommission für Humanismusforschung. Band 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 51–66, hier: S. 58 f.
  6. z. B. im Werk „Artificium de applicatione Astrologiae ad Medicinam“ (1531) von Georg Tannstetter.
  7. Axel W. Bauer: Die Medizin im Renaissance-Humanismus. In: Dominik Groß, Monika Reininger: Medizin in Geschichte, Philologie und Ethnologie: Festschrift für Gundolf Keil. Königshausen & Neumann, 2003. ISBN 978-3-8260-2176-3. S. S. 12
  8. a b Wolfgang U. Eckart: Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin. Springer-Verlag, 2013. ISBN 978-3-642-34972-0. S. 73ff.
  9. Dieter Wessinghage: Leonardo da Vinci – Künstler und Anatom. In: Ludwig Zichner (Hrsg.): Erst- und Frühbeschreibungen orthopädischer Krankheitsbilder. Steinkopff-Verlag, Darmstadt 2003, S. 9–21, ISBN 3-7985-1409-7.
  10. Sigrid Braunfels-Esche: Leonardo als Begründer der wissenschaftlichen Demonstrationszeichnung. In: Deutsche Forschungsgemeinschaft: Humanismus und Medizin. Hrsg. von Rudolf Schmitz und Gundolf Keil, Acta humaniora der Verlag Chemie GmbH, Weinheim 1984 (= Mitteilung der Kommission für Humanismusforschung 11), ISBN 3-527-17011-1, S. 23–50
  11. Falloppio Lexikon der Neurowissenschaft. Spektrum.de. Abgerufen am 17. März 2015.
  12. Michael Servetus Research Manuskript von Paris, ein Entwurf für Christianismi Wiedereinsetzung
  13. Im Jahre 1546 war es nur ein Manuskript. Miguel veröffentlicht diese im Jahre 1553, in Chiristianismi Wiedereinsetzung, aber alle seine Bücher wurden verbrannt. Nur drei Exemplare haben überlebt.
  14. Raoul Blanchard: Ulrich Wagner: eiserne Kunsthand (1476). Blätter des MKGF, 2000-2, Freiburg i. Üe. 2000.