Missingsch
Missingsch (auch Messingsch[1]) ist eine Mischsprache, die im Zuge eines umfangreichen, weite Bereiche der Gesellschaft erfassenden Sprachwechsels entstanden ist, als niederdeutsche Muttersprachler Standarddeutsch (Hochdeutsch) zu sprechen begannen. Missingsch ist daher von den niederdeutschen Dialekten abzugrenzen und stellt eher eine regiolektale Variante des Hochdeutschen dar, auf dem es ganz überwiegend beruht. Typische Merkmale sind die Beibehaltung des niederdeutschen Satzbaus und volkstümliche Lehnübersetzungen niederdeutscher Wendungen ins Hochdeutsche.
Angenommen wird vielfach, dass die Bezeichnung Missingsch vom Begriff Meißnisch, der Meißner Kanzleisprache, herrühre. Eine andere Theorie leitet sie von Messing her, einer Verbindung (Legierung) aus Zink und Kupfer, da im Missingsch zwei Sprachen miteinander verschmolzen sind.[2]
Grammatik und Aussprache
Die Grammatik des Missingsch ist niederdeutsch geprägt, das Vokabular eine Mischung von standarddeutschen und niederdeutschen Ausdrücken. Einige Beispiele:
Missingsch | Plattdeutsch | Standardhochdeutsch |
---|---|---|
Lang mich mal die Kanne Milch. | Lang mi mal de Melkkann. | Reich mir mal die Milchkanne. |
Sitzen gehen schallst du erst, wenn de Vadder da is | Sitten gahn schallst du ierst, wenn de Vadder dor is. | Hinsetzen sollst du dich erst, wenn der Vater da ist. |
Das Bild is für ihr. | Dat Bild is för ehr. | Das Bild ist für sie. |
Der ist tot geblieben. | He is dootbleven. | Er ist gestorben (wörtlicher: tot zurückgeblieben). |
Bei die aufe Tür kommp all so’n Viechzeug rein. | Bi de oppe Döör kümmt all so’n Krimmeltüüg rin. | Bei offener Tür kommt alles mögliche Viehzeug herein. |
Ich tu dich blots ankucken, denn wirst du klar kriegen, was die Klock geslagen hat. | Ik do di blots ankieken, denn schallst du klorkregen, wat de Klock slahn hett. | Ich sehe dich nur an, dann wirst du verstehen (soll dir klar werden), was die Stunde geschlagen hat. |
Am letzten Beispiel lässt sich erkennen, dass Missingsch nicht Niederdeutsch ist: Es wird hochdeutsch was statt niederdeutsch wat und ich anstatt ik gesagt. An Wendungen wie lang mich und für ihr wird zudem die Schwierigkeit des Umstiegs vom bloßen Objektkasus des Niederdeutschen, in dem Dativ und Akkusativ zusammenfallen, zur hochdeutschen Opposition der beiden Kasus erkennbar.
Typisch für Missingsch ist außerdem die prägnant norddeutsche Intonation, die sich ins Schriftliche nicht übertragen lässt.
Literatur und Theater
Eine unbeantwortete Frage in der Erforschung des literarischen Missingsch ist, inwieweit es sich dabei um die Nachbildung von real gesprochener Sprache oder eine weitgehend bewusst gestaltete literarische Ausdrucksform handelt. Literarische Missingsch-Texte (wie etwa Jochen Steffens „Kuddl Schnööfs achtersinnige Gedankens und Meinungens von die sozeale Revolutschon und annere wichtige Sachens“) weisen überdurchschnittlich viele typische Merkmale des Missingsch auf, sodass davon auszugehen ist, dass die Autoren in ihren Werken eine Idealform von Missingsch schaffen wollen. Auch kann festgestellt werden, dass in literarischen Missingsch-Texten formale Einheitlichkeit vorherrscht, also entweder konsequent eine niederdeutsche Form eines Wortes (z. B. dat) oder beständig die hochdeutsche Form des Wortes (hier: das) verwendet wird, während im gesprochenen Missingsch häufige Wechsel zwischen eher hochdeutschen und eher niederdeutschen Formen der Wörter zu beobachten sind.
Das Hamburger Missingsch ist besonders durch Aufführungen des Ohnsorg-Theaters bekannt. Die niederdeutsche Bühne hat für Fernsehaufzeichnungen viele Stücke in Missingsch adaptiert, da dieses deutschlandweit eher verstanden wird als Plattdeutsch.
Auch in Kurt Tucholskys Buch Schloß Gripsholm wird wiederholt Missingsch gesprochen.
Beispiele für Missingsch-Autoren sind:
- Ada Halenza (Bremer Missingsch)
- Dirks Paulun (Hamburger Missingsch)
- Beate von Sobbe (ostwestfälisches Missingsch)
- Jochen Steffen (Kieler Missingsch)
Missingsch als typisches Beispiel einer lokalen Mischsprache im deutschsprachigen Raum
Viele der oben genannten Charakteristika des Missingsch gelten in ähnlicher Form für Mischsprachen aus Hochdeutsch und anderen, auch außerhalb des niederdeutschen Sprachraumes verankerten lokalen Mundarten, etwa für den heute oft als Kölsch, in früherer Zeit zuweilen als Patrizierkölsch bezeichneten rheinischen Regiolekt, der sich in den gehobenen Gesellschaftsklassen mit deren Übergang von der kölnischen zur hochdeutschen Umgangssprache bereits im 19. Jahrhundert herausbildete und seit dem 20. Jahrhundert insbesondere auf der Bühne (Millowitsch-Theater und andere Volkstheater) und in den Medien (TV-Übertragungen von Karnevalssitzungen etc.) verwendet wird, wenn volkstümlich-lokalsprachliches Kölner Kolorit dargestellt werden soll. Durch die Vermittlung der Medien wirken diese Sprachformen inzwischen auch zurück auf Hochdeutschsprechende, die sich mischsprachlicher Formen bedienen, um ihre lokale Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen (vgl. etwa Berlinerisch im gentrifizierten Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg).
Siehe auch
- Hamburger Dialekt
- Bremer Dialekt
- Berlinerisch
- Ruhrdeutsch
- Pidgin-Sprachen
- Familienkölsch
- Honoratiorenschwäbisch
- Klein Erna
Literatur
- Helmut Glück (Hrsg.), unter Mitarbeit von Friederike Schmöe: Metzler Lexikon Sprache. 3., neu bearbeitete Auflage. Metzler, Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3-476-02056-8 (Stichwort: „Missingsch“).
Weblinks
- wittmunk (Memento vom 16. Juni 2010 im Internet Archive), Missingsch – Textbeispiele.
Einzelnachweise
- ↑ Jochen Bär, Marcus Müller: Geschichte der Sprache - Sprache der Geschichte: Probleme und Perspektiven der historischen Sprachwissenschaft des Deutschen. de Gruyter, Berlin/New York 2012, Nils Langer, S. 580. ISBN 3-05-005111-6.
- ↑ Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearbeitet von Elmar Seebold. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin/New York 2002, Stichwörter: „messing(i)sch, missingsch“. ISBN 3-11-017472-3.