Nationale Macht
Nationale Macht ist definiert als die Summe aller Ressourcen, die einem Staat bei der Verfolgung seiner nationalen Interessen zur Verfügung stehen. Was dabei die jeweiligen nationalen Interessen sind, werden jeweils von der strategischen Führung eines Staates definiert. Der Begriff der nationalen Macht ist mehrdimensional und vielschichtig, da diese sich aus verschiedenen Elementen wie wirtschaftliche Macht, diplomatische Macht, militärische Macht usw. konstituiert. Eine objektive und einheitliche Messung nationaler Macht ist deshalb kaum möglich, da schwer klassifiziert werden kann, wie die einzelnen Elemente nationaler Macht zusammenwirken, auch wenn bereits versucht wurde, nationale Macht anhand der Auswertung kombinierter statistischer Indikatoren zu messen.
Häufig wird in Theorien der internationalen Beziehungen von einem Mächtegleichgewicht gesprochen, wenn schwächere Staaten sich mit stärkeren verbünden, um ein Gleichgewicht der Kräfte zu erreichen. Dabei soll ein System kollektiver Sicherheit erreicht werden, welches den Frieden erhält. Die Machtressourcen von Staaten entwickeln sich dynamisch und werden von politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Entwicklungen beeinflusst. Schnelle Änderung der Machtbalance zwischen den Akteuren können sich potenziell destabilisierend auf Staaten- und Bündnissysteme auswirken. Derartige Konzepte reichen bis in die Antike zurück (Siehe: Thukydides und Thukydides-Falle).
Elemente nationaler Macht
Die nationale Macht ergibt sich aus verschiedenen Elementen, die auch als Instrumente, Faktoren oder Attribute bezeichnet werden. Die nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten erwähnt die vier Elemente diplomatische, informationelle, militärische und wirtschaftliche Macht in ihrem Bericht von 2017. Diplomatische Macht bezieht sich auf die Rolle des Staates in internationalen Institutionen und die Beziehungen zu anderen Staaten. Informationelle Macht beruht auf dem Zugang zu Informationen und die Kontrolle über Informationssysteme wie Medien oder dem Internet. Für das Ausmaß der militärischen Macht ist die Größe und die Schlagkraft der nationalen Streitkräfte entscheidend, wobei auch die Zusammenarbeit mit Bündnispartnern und die Kontrolle über strategische Gebiete und Militärbasen eine Rolle spielt. Wirtschaftliche Macht bezieht sich auf die wirtschaftliche Bedeutung eines Staates, z. B. Größe des Bruttoinlandsprodukts, Innovationskraft, Anteil am Welthandel oder Kontrolle über strategische Industrien. Bei der Macht von Staaten sind meistens absolute Größen (z. B. Wirtschaftsleistung) gegenüber relativen Größen (z. B. Wirtschaftsleistung pro Kopf) von größerer Aussagekraft. Während militärische Macht häufig als Ultima Ratio der nationalen Macht gilt, ist militärische Macht allein häufig nicht ausreichend, um strategische Ziele zu erreichen.[1] Wirtschaftliche Macht dagegen ist häufig ein vorlaufender Indikator staatlicher Macht, da ein Staat mit wachsender Wirtschaft auch mehr Ressourcen für den Aufbau seiner zukünftigen militärischen und diplomatischen Kapazitäten aufwenden kann.[2]
Daneben können noch viele weitere Faktoren das Mächtegleichgewicht beeinflussen. Diese können nach ihrer Anwendbarkeit und ihrem Ursprung in zwei Gruppen eingeteilt werden: "natürliche" und "soziale" Faktoren. Zu den natürlichen Faktoren gehören die Größe der Bevölkerung, die geografische Lage und die Kontrolle über natürliche Ressourcen. Zu den sozialen Faktoren zählen die bereits erwähnten diplomatischen, informationellen, militärischen und wirtschaftlichen Elemente nationaler Macht. Daneben können auch psychologische Faktoren als sozialer Faktor die Machtbalance beeinflussen, zu denen Moral und nationale Einigkeit und Entschlossenheit gehören kann. So konnten bereits strategische Akteure mit unterlegenen Ressourcen, ihnen wirtschaftlich und militärisch deutlich überlegene Gegner besiegen, was mit Faktoren der höheren Moral und Entschlossenheit erklärt werden kann.[3] Auch wissenschaftliche und technologische Kapazität und die Kontrolle über Kommunikationsnetzwerke sind zunehmend bedeutende Faktoren im geopolitischen Wettbewerb.[4]
Im 21. Jahrhundert gewann das Konzept der Soft Power an Bedeutung, welches von dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Joseph Nye geprägt wurde. Demzufolge verlieren sogenannte "harte" ökonomische oder militärische Faktoren gegenüber "weichen" Faktoren wie dem Einfluss auf die globalen Medien oder die Kultur in der internationalen Politik an Bedeutung. Auch wurde von einigen Beobachtern die steigende Bedeutung von nicht staatlichen Akteuren wie Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen ausgemacht. Allerdings ist auch im 21. Jahrhundert wieder ein verstärkter Wettbewerb zwischen Großmächten auszumachen, in dem klassische machtpolitische Faktoren eine herausragende Rolle spielen. Dieser ist besonders durch den Machtzuwachs der Volksrepublik China und den zunehmenden Wettbewerb Chinas mit den Vereinigten Staaten gekennzeichnet.[5][6]
Versuche der Messung
Je nach dem Zusammenwirken der einzelnen Elemente nationaler Macht können Versuche unternehmen werden, Staaten zu klassifizieren und ihnen einen Status in der internationalen Staatenordnung zuzuteilen. Global gestaltende Staaten mit dominanten Positionen in allen oder fast allen Elementen nationaler Macht werden als Supermächte bezeichnet. Dieser Begriff wurde auf die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten während des Kalten Kriegs angewandt. Im 21. Jahrhundert wird er auch zunehmend auf die Volksrepublik China angewandt. Weitere Begriffe der Statusklassifikation für Staaten sind in abfallender Hierarchie Weltmächte, Großmächte, Regionalmächte, Mittelmächte und kleine Mächte (small Powers). Für Staaten oder Bündnisse mit nahezu absoluter Macht wird der Begriff Hypermacht benutzt.
Trotz der Schwierigkeit der Aufgabe und der mehrdimensionalen Macht sind mehrere Versuche unternommen worden, die Macht von Staaten in objektiven Rankings und Indexen auszudrücken, welche sich auf statistische Indikatoren stützten.
Composite Index of National Capability
Der Composite Index of National Capability (CINC) wurde erstmals 1963 von J. David Singer konzipiert. Er schließt die sechs Faktoren Gesamtbevölkerung, Stadtbevölkerung, Eisen- und Stahlproduktion, Primärenergieverbrauch, Militärausgaben und Anzahl an Soldaten ein und errechnet aus ihnen einen Index. Seine Methodologie gilt allerdings als veraltet, da er lediglich Faktoren der "harten" Macht berücksichtigt und Indikatoren wie Stahlproduktion inzwischen nicht mehr dieselbe Bedeutung wie im frühen 20. Jahrhundert besitzen.
Rang | Land |
---|---|
1 | Volksrepublik China |
2 | Vereinigte Staaten |
3 | Indien |
4 | Japan |
5 | Russland |
6 | Südkorea |
7 | Deutschland |
8 | Brasilien |
9 | Vereinigtes Königreich |
10 | Frankreich |
National Power Ranking of Countries
Das National Power Ranking of Countries wurde in einem Bericht von Forschern der Universität Warschau und der Universität Breslau veröffentlicht. Er teilt Länder in den Kategorien wirtschaftlicher, militärischer und geopolitischer Macht ein, welche sich aus statistischen Indikatoren ergibt. Der Bericht analysiert zudem die Entwicklung der Machtverteilung auf der Welt, seit dem Jahre 1992 und macht eine Prognose für das Jahr 2050. Er stellt dabei eine zunehmende Machtverschiebung von der westlichen Welt hin in den Raum Asien-Pazifik fest.
Wirtschaftliche Macht | Militärische Macht | Geopolitische Macht | |||
---|---|---|---|---|---|
Rang | Land | Rang | Land | Rang | Land |
1 | Volksrepublik China | 1 | Vereinigte Staaten | 1 | Vereinigte Staaten |
2 | Vereinigte Staaten | 2 | Volksrepublik China | 2 | Volksrepublik China |
3 | Indien | 3 | Indien | 3 | Indien |
4 | Japan | 4 | Russland | 4 | Russland |
5 | Brasilien | 5 | Saudi-Arabien | 5 | Saudi-Arabien |
6 | Deutschland | 6 | Frankreich | 6 | Japan |
7 | Russland | 7 | Brasilien | 7 | Brasilien |
8 | Frankreich | 8 | Japan | 8 | Frankreich |
9 | Vereinigtes Königreich | 9 | Vereinigtes Königreich | 9 | Deutschland |
10 | Kanada | 10 | Südkorea | 10 | Vereinigtes Königreich |
State Power Index
Der State Power Index wurde von Piotr Arak und Grzegorz Lewicki entwickelt und berücksichtigt die Faktoren Wirtschaft, Militär, Fläche, Bevölkerung, Kultur, natürliche Ressourcen und Diplomatie, die zu einem Gesamtindex zusammengeführt werden.
Rang | Land |
---|---|
1 | Vereinigte Staaten |
2 | Volksrepublik China |
3 | Russland |
4 | Indien |
5 | Deutschland |
6 | Vereinigtes Königreich |
7 | Frankreich |
8 | Japan |
9 | Brasilien |
10 | Kanada |
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Instruments of National Power. In: The Lightning Press SMARTbooks. 20. September 2014, abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ a b Łukasz Kiczma, Mirosław Sułek: National Power Ranking of Countries. In: Universität Breslau, Universität Warschau. Abgerufen am 16. April 2022.
- ↑ David Jablonsky: NATIONAL POWER. In: Strategic Studies Institute, US Army War College. Abgerufen am 16. April 2022.
- ↑ Steve Andriole: The US-China Technology Arms Race. It’s Not A Two-Country Race Anymore. Abgerufen am 16. April 2022 (englisch).
- ↑ Eric Li: The Rise and Fall of Soft Power. In: Foreign Policy. Abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ The Growing Rivalry Between America and China and the Future of Globalization. 4. Januar 2022, abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Composite Index of National Capability. 20. Juli 2011, abgerufen am 16. April 2022.
- ↑ State Power Index. Abgerufen am 16. April 2022 (amerikanisches Englisch).