Natura non facit saltus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Natura non facit saltus“ (lateinisch für „Die Natur macht keine Sprünge“) ist eine Grundannahme der antiken Philosophie und Naturwissenschaft seit Aristoteles (bzw. schon seit den Eleaten: altgr.

Ἡ φύσις οὐδὲν ποιεῖ ἅλματα.

). In dieser Form stammt das Axiom von Carl von Linné[1] (1707–1778). Der Gedanke wurde später im biologischen und geologischen Gradualismus aufgegriffen.

Mit dem Satz wird ausgedrückt, dass sich Prozesse bzw. Veränderungen in der Natur nicht sprunghaft und plötzlich – diskontinuierlich – vollziehen, sondern prinzipiell kontinuierlich bzw. stetig.

Bedeutung in der Neuzeit

Das Axiom wirkt auch in der abendländischen Naturwissenschaft weiterhin fort. Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)[2] und Sir Isaac Newton (1643–1727; Mechanik), beide Entdecker und Entwickler der Infinitesimalrechnung, haben diesen Satz in ihre Betrachtungen eingeschlossen, ebenso Immanuel Kant (1724–1804; Philosophie). Im Discours véritable de la vie, mort et des os du géant Theutobocus des Jacques Tissot (Lyon 1613) ist ein ähnlicher Gedanke zu finden:

“Natura in operationibus suis non facit saltum.”

„Die Natur macht in ihren Abläufen keinen Sprung.“

Johann Amos Comenius (1592–1671) formulierte in seinem Werk De sermonis Latini studio (1638):

“Natura et Ars nusquam saltum faciunt, nusquam fecerunt.”

„Natur und Kunst machen nirgendwo einen Sprung, haben ihn nirgends gemacht.“

Auch für die neoklassische Ökonomie spielt dieses Axiom eine Rolle. So hat Alfred Marshall das Zitat seinen Principles of Economics (1890) als Motto vorangestellt.

Erkenntnis in der Moderne

Biologisch diskontinuierliche Veränderungen (Mutationen), insbesondere nach der Theorie des Punktualismus, und das Phänomen des Quantensprungs in der modernen Quantenphysik stellen dieses, im phyletischen Gradualismus zum Ausdruck gebrachte Prinzip in Frage. Da bei beiden Phänomenen die „Sprünge“ im subatomaren und submolekularen Bereich stattfinden, ließe sich unter Ausschluss solcher kleinster Veränderungen der Satz durchaus aufrechterhalten. Allerdings gibt es auch eine Gegenmeinung des Nobelpreisträgers Manfred Eigen:

„Der Zufall hat seinen Ursprung in der Unbestimmtheit dieser Elementarereignisse. […] Unter speziellen Bedingungen kann es aber auch zu einem Aufschaukeln der elementaren Vorgänge und damit zu einer makroskopischen Abbildung der Unbestimmtheit des mikroskopischen Würfelspiels kommen.“[3]

Ohne Quantensprünge, das heißt kleinstmögliche, diskrete Übergänge zwischen Zuständen, gäbe es beispielsweise kein Licht.

Grammatik

Das lateinische Wort für „Sprung“, saltus, -ūs (langes, unbetontes „ū“ im Gen. Singular sowie im Nominativ und Akkusativ Plural), ist ein Substantiv der u-Deklination und in diesem Axiom ein korrekter Akkusativ Plural. Deshalb sind Formen wie salti (falscher Fall: Nominativ Plural; und falsche Deklination: o-Deklination) oder saltos (falsche Deklination) hinsichtlich Grammatik und Formenlehre inkorrekt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Carl von Linné: Philosophia Botanica. Stockholm 1751.
  2. In der Form: Natura non saltum facit. – „Die Natur macht keinen Sprung“; Gottfried Wilhelm Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand
  3. Manfred Eigen: Das Spiel. Naturgesetze steuern den Zufall. München 1978, S. 35.