Urophilie

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Frau uriniert Mann in den weit geöffneten Mund

Urophilie, auch Undinismus genannt, ist eine sexuelle Vorliebe für Urin. Dabei wird der Prozess des Urinierens oder der Urin selbst als erotisch und sexuell stimulierend erlebt. Auch Urophagie, der Lustgewinn durch orale Aufnahme von Urin (sogenanntem „Natursekt“), kann damit verbunden sein. Eine seltener auftretende Variante ist die Abgabe des Urins in die Vagina oder Anus des empfangenden Partners.

Umgangssprachlich wird oft auch die Vorliebe, Urin in sexuelle Spiele einzubauen, als Urophilie bezeichnet. In der entsprechenden Szene sind auch die Bezeichnungen Natursekt[1] (oftmals auch mit „ns“ abgekürzt), Watersports, Pissing, Peeing, Golden Shower, Golden-Waterfalls und Wet-Games verbreitet.[2]

Urophilie als Sexualpraktik

Klassifikation nach ICD-10
F65.9 Nicht näher bezeichnete Störungen der Sexualpräferenz
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Nach der medizinisch-psychologischen Definition kann die Urophilie als Störung der Sexualpräferenz (Paraphilie) in der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) unter der Schlüsselnummer F65.9, den Nicht näher bezeichneten Störungen der Sexualpräferenz,[3] eingruppiert werden.[4]

Im Rahmen der sexualmedizinischen Diagnostik werden solche Störungen aber erst dann als pathologisch und behandlungsbedürftig verstanden, wenn der Fetisch als vollständiger Ersatz für die partnerschaftliche Sexualität dient, die sexuelle Befriedigung ohne Verwendung des Fetisch erschwert ist oder unmöglich erscheint und bei dem Betroffenen dadurch ein entsprechender Leidensdruck entsteht.

In der Disziplin der Psychoanalyse wurde die Urophilie erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts durch Isidor Sadger und Hans Christoffel beschrieben. Es wurde später vorgeschlagen, eine urethrale Phase als normalen Bestandteil der infantilen Sexualität zu definieren.[5]

Verbreitung

Entsprechende Praktiken können von Menschen jeglichen Geschlechts ausgeübt werden. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Praktik ist, wie bei anderen die Körperausscheidungen betreffenden Praktiken, eher gering. Entsprechend wenige Menschen outen sich als urophil, verlässliche wissenschaftliche Quellen zur statistischen Verteilung fehlten daher bisher.[6] Neuere Untersuchungen zur Häufigkeit des Wunsches „unüblicher“ sexueller Spielarten ordnet die Praktik als unüblich (< 15,9 %) aber nicht selten (< 2,3 %) ein.[7][8]

Risiken

Aus medizinischer Sicht ist der Umgang mit frischem Urin von gesunden Menschen problemlos. Die geringe Bakterienkonzentration im Urin rührt von in der Harnröhre lebenden Bakterien her, diese Bakterien sind für gesunde Menschen in der Regel harmlos und nicht pathogen. Von Kontakt zu gelagertem Urin sollte wegen der rasch einsetzenden Verkeimung der Flüssigkeit dringend abgesehen werden.

Es ist möglich, sich durch die Aufnahme von Urin eines kranken Menschen mit Krankheiten anzustecken. Ein besonderes Risiko bildet die Infektion mit Hepatitis A; dieses Virus wird bei der Aufnahme fremden Urins in höherer Konzentration übertragen. Sexuelle Praktiken mit Urin sind laut der Deutschen AIDS-Hilfe „unbedenklich, was HIV angeht (solange kein Blut im Spiel ist)“.[9] Das AIDS-auslösende HI-Virus (HIV) „wurde zwar auch in Urin, Kot, Speichel, Schweiß und Tränenflüssigkeit nachgewiesen, jedoch nur in sehr geringer Menge, die für eine Ansteckung nicht ausreicht.“[10] Bei einer Blasenentzündung (Zystitis) besteht bei dieser Praktik akute Infektionsgefahr. Urin von kranken Menschen und solchen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, sollte generell nicht konsumiert werden. Ein Gespräch mit einem Allgemeinarzt oder auch einem spezialisierten Urologen kann abklären, ob der Konsum des Urins eines Menschen, der bestimmte Krankheiten hat oder Medikamente nimmt, unbedenklich ist.

Kunst

Historische Darstellung von Urophilie

In der Kunst tritt die Beschreibung und Darstellung von urinierenden Personen über die Jahrhunderte und verschiedenen Stile hinweg auf. Rembrandt schuf beispielsweise die Zeichnung einer urinierenden Bauersfrau[11] und auch Picasso verwendet entsprechende Motive in einigen seiner Bilder.[12] In der erotischen Fotografie war dieses Sujet von Anfang an mit vertreten.

In der erotisch-belletristischen und pornographischen Literatur wird der Akt des Urinierens dargestellt, unter anderem beschreibt Marquis de Sade in dem Werk Die 120 Tage von Sodom die Urophilie. Als demütigendes Element für Opfer erscheint das Urinieren auch in anderen Zusammenhängen. Ein Beispiel hierfür ist eine gewalttätige Szene aus dem Buch Die Jury von John Grisham, in der die Täter nach der Tat auf ihr Opfer urinieren. Frank Zappa beschreibt im Lied Bobby Brown (Goes Down), dass der Protagonist Bobby Brown eine Vorliebe für Golden Shower hat.[13] Golden Shower ist auch der Name eines Titels auf dem Album Skills in Pills der Band Lindemann sowie der österreichischen Gruppe Ilsa Gold.

Urophilie und BDSM

Urophilie und Urophagie per se sind keine BDSM-Praktiken. Urin hat aber im Kontext des BDSM – sofern es als Praktik zum Einsatz kommt – eine mehrschichtige Bedeutung. Der Sexualwissenschaftler Denson unterscheidet beispielsweise als Untergruppen der Urophilie auch den Urosadismus und den Uromasochismus. Allen Bedeutungen ist die Demonstration der Überlegenheit und/oder Kontrolle des dominanten Partners (Top) gegenüber dem kontrollierten Partner (Bottom) gemein. Dies reicht vom gegenseitigen expliziten Einverständnis (consensual) bis hin zum Erzwingen der Umsetzung als Sexualpraktik durch den dominanten Partner.[14] Darüber hinaus bestehen verschiedene Zielsetzungen der Umsetzung von Sexualpraktiken mittels Urin:

  • Demütigung – die offensichtliche Demonstration der Unterlegenheit oder Hilflosigkeit des kontrollierten Partners.
  • Bestrafung – im klassischen Sinne einer Strafe.
  • Objektifizierung – der kontrollierte Partner wird auf die Funktion eines Gegenstandes (hier: das Urinal) reduziert.
  • Belohnung – im Sinne einer klassischen Belohnung, entweder weil der kontrollierte Partner dies als luststeigernde Praktik wahrnimmt oder weil der kontrollierte Partner die Möglichkeit erhält, etwas Persönliches (hier: den Urin) vom kontrollierenden Partner zu erhalten.
  • Kontrolle – die beim kontrollierten Partner herbeigeführte Harnverhaltung bzw. Kontrolle der Exkretion durch den kontrollierenden Partner.

Hanky Code

Im bei manchen Homosexuellen gebräuchlichen „Hanky Code“ steht ein gelbes Taschentuch für Urophilie. Die Hosentasche, in der es getragen wird, gibt Aufschluss über die näheren Vorlieben hinsichtlich dieser Praktik, wobei die linke Gesäßtasche für den aktiven Urophilen steht („Urin spenden“), analog die rechte Gesäßtasche für den passiven Partner („Urin empfangen“).[15]

Siehe auch

Eine Verbindung kann mit Koprophilie oder Koprophagie bestehen, die sich auf den Umgang beziehungsweise die Aufnahme von Fäzes (sogenanntem „(Natur-)Kaviar“) beziehen.

Literatur

Belletristik

Bildbände

  • Claude Fauville, Pisseuses, ISBN 3-9805017-6-0
  • Paul Compton Feminine Anarchy – Girls Pissing in Public, ISBN 3-934020-17-8

Sachbuch

  • Brenda Love: The Encyclopedia of Unusual Sex Practices. Barricade Books, 1994, ISBN 1-56980-011-1, S. 46 f., 66 f.
  • Lost Angel: Lost Angel's Wassersport-Handbuch. Bod Norderstedt, 2010, ISBN 978-3-8391-7078-6, S. 5 ff.

Weblinks

Commons: Urolagnia – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Urophilie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Volkmar Sigusch: Praktische Sexualmedizin. Deutscher Ärzteverlag, 2005, ISBN 3-7691-0503-6, S. 13, siehe Tabelle.
  2. Simon Gage, Lisa Richards, Howard Wilmot, Boy George: Queer. Thunder's Mouth Press, 2002, ISBN 1-56025-377-0, S. 75, Verschiedene Szenebegriffe.
  3. ICD-10-GM Version 2016 – Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen (F00-F99) – Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (F60-F69). F65.- Störungen der Sexualpräferenz. dimdi.de, abgerufen am 18. April 2017.
  4. Harald J. Freyberger, Wolfgang Schneider, Rolf-Dieter Stieglitz: Kompendium Psychiatrie, Psychotherapie, psychosomatische Medizin: 11., vollständig erneuerte und erweiterte Auflage, orientiert an der ICD-10. 11. Auflage. Karger Publishers, 2002, ISBN 3-8055-7272-7, S. 178 (Einordnung in den ICD-10).
  5. Diederichs, P. (1994). Zur Psychosomatik der Miktion. In Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe 1993/94 (pp. 49–58). Springer, Berlin, Heidelberg.
  6. Richard W. Roukema: What Every Patient, Family, Friend, and Caregiver Needs to Know About Psychiatry. American Psychiatric Pub, Inc., 2003, ISBN 1-58562-110-2, S. 133.
  7. Nele De Neef, Violette Coppens, Wim Huys, Manuel Morrens: Bondage-Discipline, Dominance-Submission and Sadomasochism (BDSM) From an Integrative Biopsychosocial Perspective: A Systematic Review. In: Sexual Medicine. Band 7, Nr. 2, Juni 2019, ISSN 2050-1161, S. 129–144, doi:10.1016/j.esxm.2019.02.002, PMID 30956128, PMC 6525106 (freier Volltext).
  8. Christian C. Joyal, Amélie Cossette, Vanessa Lapierre: What Exactly Is an Unusual Sexual Fantasy? In: The Journal of Sexual Medicine. Band 12, Nr. 2, Februar 2015, ISSN 1743-6095, S. 328–340, doi:10.1111/jsm.12734.
  9. Deutsche AIDS-Hilfe e.V.: Safer Sex (Memento vom 18. Juni 2006 im Internet Archive)
  10. Deutsche AIDS-Hilfe e.V.: HIV/Aids: Heutiger Wissensstand (30. Aufl., 2006) (Memento vom 30. Oktober 2006 im Internet Archive)
  11. „La femme qui pisse“ (1632)
  12. z. B.: „La pisseuse“ (1965)
  13. deutsche Übersetzung des Liedtextes Frank Zappa: Bobby Brown Goes Down
  14. D. Richard Laws, William T. O'Donohue: Sexual Deviance: Theory, Assessment, and Treatment. Guilford Press, 1997, ISBN 1-57230-241-0, S. 427–428.
  15. Felice Newman: The Whole Lesbian Sex Book. Cleis Press Inc., 2004, ISBN 1-57344-199-6, S. 258, siehe Tabelle.