Niederfränkisch

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Verbreitung des Niederfränkischen inklusive des heute als Südniederfränkisch bezeichneten niederfränkisch-ripuarischen Übergangsbereichs in Limburg. Der ripuarisch-basierte Dialekt von Kerkrade und Umgebung wird nicht dargestellt.
Niederfränkisch

Gesprochen in

Niederlande, Deutschland
Linguistische
Klassifikation

Niederfränkisch ist die Sammelbezeichnung für eine Sprachgruppe, die sich sprachtypologisch von den hochdeutschen und niederdeutschen Sprachvarietäten des Kontinuums unterscheidet. Der weitaus größte Teil der niederfränkischen Dialekte wird vom Standardniederländischen überdacht, eine Sprache, mit der die Sprachgruppe aus der historisch-linguistischen Sicht weitaus synonym ist;[1][2] ein kleinerer Teil wird vom Deutschen überdacht.

Definition

Mit Niederfränkisch werden die Nachfahren einer Reihe westgermanischer Dialekte, die in den ehemaligen westlichen Kernregionen des frühmittelalterlichen fränkischen Reiches gesprochen wurden, bezeichnet. Diese Dialekte nahmen nicht an der zweiten Lautverschiebung teil und unterschieden sich sprachtypologisch ebenfalls von den sächsischen und anglofriesischen Varietäten. Die Sprachvarietäten entstammen weitaus dem Rhein-Weser-Germanischen und wurden bis in die Frühe Neuzeit von der niederländischen Schriftsprache überdacht.[3]

In der frühen niederländischen Sprachforschung des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff Niederfränkisch anfangs nicht benutzt, stattdessen wurden die heute als Niederfränkisch bezeichnete Varietäten nur als Fränkisch kategorisiert, in Übereinstimmung mit der damals in der Niederlandistik geltenden Konvention, wobei das niederländische Sprachgebiet in fränkische, sächsische und friesische Varianten unterteilt wurde. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das niederländische Fränkisch mit der von Wilhelm Braune (1850–1926) erfundenen Einteilung des Westgermanischen verbunden. Für Braune formte Fränkisch eine heterogene Restkategorie innerhalb des ehemaligen kontinentalwestgermanischen Dialektkontinuums ohne angebliche sprachgeschichtliche Verbindung. Mit dem Zusatz Nieder- wurde deutlich gemacht, dass es sich hier um eine Sprachgruppe handelte, die nicht an der zweiten Lautverschiebung teilnahm.[3][4]

Die Verwendung des Begriffs Niederfränkisch in der historischen Linguistik ist eingeschränkter als bei artverwandten Bezeichnungen wie Hochdeutsch, Niederdeutsch oder Friesisch. So gilt zum Beispiel nicht Mittelniederfränkisch, sondern die mittelniederländische Sprache als Vorstufe der heutigen niederfränkischen Varietäten. Für die (historische) Sprachlandschaft bis im 19. Jahrhundert sind die Begriffe Niederfränkisch und Niederländisch in der Praxis nahezu synonym.[5] Im Laufe des 19. Jahrhunderts kam es in Deutschland aber zu einer aktiven Sprachpolitik der preußischen Regierung, deren Ziel die vollständige Verdrängung des Niederländischen und die Etablierung des Deutschen als alleiniger Standard- und Schriftsprache war.[6][1] Folglich wurden dabei die in Deutschland beheimateten niederfränkischen Mundarten nicht länger vom Standardniederländischen überdacht und es entstanden soziolinguistische Kriterien, nach denen die von der deutschen Standardsprache überdachten niederfränkischen Mundarten und die niederländische Sprache im weiteren Sinne nicht länger synonym waren.[7] Trotzdem werden das Kleverländische und das Südniederfränkische (Limburgisch in Deutschland) oftmals als „niederländische Mundarten“ bezeichnet, da der sprachliche Abstand zur hochdeutschen Standardsprache (Deutsch) wesentlich ausgeprägter ist als zum Niederländischen.[8]

Die historische deutsche Dialektologie schlug häufig auch die niederfränkischen Varietäten dem Niederdeutschen zu. Diese Zuordnung gilt heute als sprachwissenschaftlich und politisch überholt. Sprachwissenschaftlich gehören die niederländischen (bzw. niederfränkischen) Varietäten, zusammen mit den englischen, niederdeutschen und friesischen, zu denjenigen germanischen Varietäten, die nicht an der zweiten germanischen Lautverschiebung teilgenommen haben. Zwar fehlt im Niederländischen wie im Niederdeutschen die zweite Lautverschiebung, doch ist die niederländische Sprache – im Gegensatz zu Niederdeutsch und Englisch – nicht hauptsächlich aus den nordseegermanischen Sprachen des 1. Jahrhunderts entstanden, sondern aus den Weser-Rhein-germanischen Sprachen. Auf diesen Unterschied der Herkunft gehen eine Reihe phonetischer, lexikalischer und grammatischer Unterschiede zurück.[9][10][11]

Der Begriff Niederfränkisch wird von den Sprechern der verschiedenen niederfränkischen Dialekte nicht als Eigenbezeichnung benutzt. Keiner der niederländischen Groß- oder Kleindialekte enthält (nieder)fränkisch in seinem üblichen Namen, und die in Deutschland beheimateten Varianten werden von ihren Sprechern meistens Niederrheinisch genannt. Der gleichnamige Regiolekt, der auch als Niederrhein-Deutsch oder Rheinischer Regiolekt bezeichnet wird, ist eine Varietät des Standarddeutschen (wie Ruhrdeutsch oder Kiezdeutsch) und gehört nicht zur niederfränkischen Sprachgruppe.

Sprachgrenzen und Verbreitung

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Rheinischer Fächer – Fränkische Mundarten und Isoglossen im Rheinland – das niederfränkische Sprachgebiet liegt nördlich der maken-machen-Linie

Das niederfränkische Dialektkontinuum erstreckt sich über das südliche und westliche Gebiet der Niederlande, den Norden Belgiens (Flandern), ein kleines Gebiet im äußersten Norden Frankreichs (Französisch-Flandern) sowie den Niederrhein und den Osten des Bergischen Landes im Westen Deutschlands. Niederfränkische Dialekte werden heute noch vorwiegend in den Regionen westlich von Rhein und IJssel in den Niederlanden, im flämischen Teil Belgiens, aber auch am Niederrhein in Deutschland gesprochen.

Die niederfränkische Dialektgruppe ist im Südwesten durch den französischen Sprachraum begrenzt. Im Osten begrenzen das Niederdeutsche und Hochdeutsche die niederfränkischen Varietäten. Traditionell sind die niederfränkischen Mundarten nördlich der Benrather Linie und westlich der Einheitsplurallinie verbreitet.

Die Einheitsplurallinie formt die Grenze zwischen niederfränkischen und niederdeutschen Varietäten. Sie wurde früher mit dem Verlauf der IJssel gleichgesetzt, ist aber inzwischen abgeschwächt und die Dialekte des Ost- und West-Veluws, die sich westlich der IJssel befinden, werden heute dem Niedersächsischen zugerechnet, in den Niederlanden auch als Nedersaksisch bezeichnet.

Das Südniederfränkische, zwischen Uerdinger Linie und Benrather Linie, formt der nördliche Terminus des Rheinischen Fächers, ein linguistisches Übergangsgebiet vom Niederfränkischen zum Hochdeutschen. Er erstreckt sich von Nord nach Süd von Uerdingen, Düsseldorf-Benrath, Köln, Bonn, Bad Honnef, Linz, Bad Hönningen, Koblenz und St. Goar nach Speyer und deckt das Gebiet des deutschen Niederrheins, der Kölner Bucht, der Eifel, des Westerwaldes und des Hunsrücks ab.[12] In diesem Bereich wurde die Zweite Deutsche Lautverschiebung nur teilweise durchgeführt. In Deutschland ist die Zuordnung einer Mundart zu einer bestimmten Region oder Stadt durch regionale Neuordnungen schwieriger geworden, da inzwischen Dialektgrenzen sich quer durch Kommunen ziehen. So verläuft die Uerdinger ik-ich-Linie jetzt durch das Stadtgebiet von Krefeld und Duisburg und trennt das südniederfränkische Krieewelsch vom nordniederfränkischen Hölsch Plott des Ortsteiles Hüls. Derartige Beispiele lassen sich auch für andere Kommunen aufführen.

Bis im Mittelalter bildeten die niederfränkische Küstendialekte den Übergang zum Westfriesischen und weisen insofern ein nordseegermanisches Substrat auf, das nach Norden hin weiter zunimmt. Das Holländische weist das stärkste Substrat unter den niederfränkischen Dialekten auf.

Im Zuge der Ostsiedlung ab dem ausgehenden Mittelalter gelangten auch niederfränkische, genauer gesagt niederländische Mundarteinflüsse, ins Ostniederdeutsche, besonders ins Märkische, weil viele Altsiedler aus Flandern zuzogen. Diese wurden in seltenen Einzelfällen später wieder in die umgekehrte Richtung mitgenommen, so entstand zum Beispiel das Hötter Platt.[13]

Gliederung

Die National- und Schriftsprachen Niederländisch und Afrikaans beruhen hauptsächlich auf niederfränkischen Varietäten (Brabantisch, Flämisch und Holländisch) und überdachen den weitaus größten Teil der niederfränkischen Dialekte.

Zum Niederfränkischen zählt man heute die folgenden Hauptvarietäten:

Siehe auch

Literatur

  • Arend Mihm: Sprache und Geschichte am unteren Niederrhein. In: Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. 115, 1992, ISSN 0083-5617, S. 88–122.
  • Arend Mihm: Rheinmaasländische Sprachgeschichte von 1500 bis 1650. In: Jürgen Macha, Elmar Neuss, Robert Peters (Hrsg.): Rheinisch-Westfälische Sprachgeschichte. Böhlau, Köln u. a. 2000, ISBN 3-412-06000-3, S. 139–164 (Niederdeutsche Studien 46).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Georg Cornelissen: Das Niederländische im preußischen Gelderland und seine Ablösung durch das Deutsche. Röhrscheid, Bonn 1986, ISBN 3-7928-0488-3, S. 93.
  2. Jan Goossens: Niederdeutsche Sprache – Versuch einer Definition. In: Jan Goossens (Hrsg.): Niederdeutsch – Sprache und Literatur. Karl Wachholtz, Neumünster 1973, S. 9–27.
  3. a b Alfred Klepsch: Fränkische Dialekte. 2009; in: Historisches Lexikon Bayerns (31.07.2020)
  4. Marnix Beyen: A tribal trinity: the rise and fall of the Franks, the Frisians and the Saxons in the historical consciousness of the Netherlands since 1850. In: European History Quarterly, 30-4, 2000, S. 493–532.
  5. Jan Goossens: Niederdeutsche Sprache – Versuch einer Definition. In: Jan Goossens (Hrsg.): Niederdeutsch – Sprache und Literatur. Karl Wachholtz, Neumünster 1973, S. 9–27.
  6. Werner Besch: Sprachgeschichte: ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache, 3. Teilband. De Gruyter, 2003, S. 2636.
  7. Herman Vekeman, Andreas Ecke: Geschichte der niederländischen Sprache. Lang, Bern [u. a.] 1993, S. 213–214.
  8. H. Niebaum: Einführung in die Dialektologie des Deutschen. 2011, S. 98.
  9. Willy Sanders: Sachsensprache, Hansesprache, Plattdeutsch: sprachgeschichtliche Grundzüge des Niederdeutschen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1982, ISBN 3-525-01213-6, S. 74–75.
  10. H. W. J. Vekeman, Andreas Ecke, P. Lang: Geschichte der niederländischen Sprache. 1992, S. 8.
  11. Heinz Eickmans, Jan Goossens, Loek Geeraedts, Robert Peters, Jan Goossens, Heinz Eickmans, Loek Geeraedts, Robert Peters: Ausgewählte Schriften zur niederländischen und deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft, Band 22. Waxmann Verlag, 2001, S. 352.
  12. Johannes Venema: Zum Stand der zweiten Lautverschiebung im Rheinland: diatopische, diachrone und diastratische Untersuchungen am Beispiel der dentalen Tenuis (voralthochdeutsch /T/). Franz Steiner Verlag, 1997, S. 10–12 (Google-Leseprobe).
  13. Peter Honnen, Cornelia Forstreuter: Sprachinseln im Rheinland. Eine Dokumentation des Pfälzer Dialekts am unteren Niederrhein und des „Hötter Platt“ in Düsseldorf-Gerresheim. In: Rheinische Mundarten, Band 7. Rheinland-Verlag, Köln 1994, ISBN 3-7927-1456-6 (mit einer CD).