Deutscher Ostmarkenverein

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Ostmarkenverein)

Der Deutsche Ostmarkenverein war eine nationalistische deutsche Organisation, die 1894 in Posen gegründet wurde.

Ziel und Mitgliederstruktur

Der Verein wurde zunächst als Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken 1894 in Posen von Ferdinand von Hansemann, Rittergutsbesitzer, Hermann Kennemann, Landesökonomierat, und Heinrich von Tiedemann, Rittergutsbesitzer von Seeheim und Major a. D., gegründet und 1899 in Deutscher Ostmarkenverein (DOV) umbenannt. Aus den Anfangsbuchstaben der Gründer wurde aus Sicht Polens das Schimpfwort „HKT=HaKaTa“ oder „Hakatist“ für einen Feind der Polen gebildet.[1]

Vor Gründung des Vereins hatten 1700 deutschen Posener Bürger eine „Wallfahrt“ zu Bismarcks Wohnsitz in Varzin unternommen, unter dessen Patronat die Verwirklichung der Vereinsziele gestellt werden sollte. Bismarck hielt vor ihnen eine einstündige Rede. 1900 wurde im Vereinsorgan Die Ostmark zum Bau eines Bismarckdenkmals aufgerufen. Es sollte „ein Wahrzeichen des Deutschtums in Posen werden, eine Versinnbildlichung der uns Deutschen obliegenden Wacht an der Warthe, ein Zeichen dessen, dass der deutsche Aar niemals wieder herausgibt, wo er seine Fänge einmal eingeschlagen“.[2]

Ziel des Vereins war das Vorantreiben der Germanisierung bzw. „Stärkung des Deutschtums“ in den bei den Teilungen Polens von Preußen annektierten Gebieten Posen und Westpreußen. Damit sollte eine Antwort auf den wachsenden Anteil der polnischen Bevölkerung gefunden werden, worauf schon die 1886 gegründete Preußische Ansiedlungskommission zu reagieren versuchte. Unter anderem wurden im Rahmen dieser Politik zahlreiche Ortsnamen im Osten des Deutschen Reiches germanisiert.[3] „Deutsche an die Front!“ hieß es 1907 in einem Wahlaufruf des Vereins. „Euch gegenüber steht der gefährlichste, verbissenste und fanatischste Feind deutschen Wesens, deutscher Ehre und deutschen Ansehens in der Welt: Das Polentum.“[4]

Der DOV verfügte 1913 über 446 Ortsgruppen mit 50.230 Mitgliedern.[5] Auffällig sind die hohen Anteile der Gruppen, deren Mitglieder als „Multiplikatoren“ gelten können: Lehrer, Professoren, Unternehmer und leitende Angestellte. Das entspricht der Mitgliedschaft im ideologisch nahestehenden Alldeutschen Verband, dessen Gründungsziel lautete: „Belebung des vaterländischen Bewusstseins in der Heimat und Bekämpfung aller der nationalen Entwicklung entgegenstehenden Richtungen.“

Artikel 1 der Satzung des DOV lautete:

„Ziel des Vereins ist Kräftigung und Sammlung des Deutschtums in den mit polnischer Bevölkerung durchsetzten Ostmarken des Reichs und Hebung und Befestigung deutsch-nationalen Empfindens sowie durch Vermehrung und wirthschaftliche Stärkung der deutschen Bevölkerung.“[6]

Das Ziel der „Stärkung des deutschen Volkes“ lief auf Bekämpfung der Polen in der Provinz Posen hinaus, die seit der Reichsgründung 1871 als Preußen genauso zum deutschen Reichsvolk gehörten wie die deutschstämmigen Reichsbürger. Der Verein versuchte jedoch vergeblich auf die Ostflucht deutschstämmiger Preußen zu reagieren, in deren Folge die Bürger polnischer Herkunft demografisch zunahmen und durch die Polenpartei an Einfluss gewannen, obwohl die preußische Gesetzgebung unter Einfluss der „Ostmärker“ die Stärkung des Deutschtums durch die Begünstigung deutscher Ansiedlung fördern sollte.[7]

Walkenhorst führte 2007 aus, dass sich der Ostmarkenverein eng an die Vorgaben der preußischen Regierung gehalten habe, von dieser auch gefördert wurde und somit innerhalb der Beamtenschaft in den Ostprovinzen viele Anhänger fand. Diese Selbstbindung habe jedoch dazu geführt, „dass die ‚Hakatisten‘ mit Kritik an der offiziellen Polenpolitik überaus zurückhaltend und zu programmatischen Kompromissen in weit höherem Maße bereit waren als etwa die Alldeutschen“.[8]

Ideologischen Rückhalt für die Überzeugung von der geplanten „Germanisierung“ gewann der Verein in der von Gustaf Kossinna vertretenen Siedlungsarchäologie, die Nachweise für eine germanische Besiedlung weiter osteuropäischer Gebiete vor der Völkerwanderung postulierte. So konnten „Ostmärker“ vom „weiten ostelbischen Land zwischen Ostsee und Sudeten bis tief nach russisch Polen“ sprechen, dem der „unzweifelhafte Anspruch auf die Ehre als Urheimat und Wiege der nur sich selbst ähnlichen Germanen“ zukomme.[9] Von polnischer Seite wurde mit entsprechenden Gegenkonzepten in der „polnischen Westforschung“ geantwortet, und zwar durch den Westforscher Józef Kostrzewski, der bei Kossinna studiert hatte.

Seit 1895 gab es eine Frauengruppe im Verein, die sich 1896 den Namen Deutsche Frauen für die Ostmarken gab. Ziel war die Unterstützung der deutschen Bevölkerung in der Krankenpflege, Kindererziehung und auf verwandten Gebieten. Bis 1914 hatten sich 30 Zweigvereine gebildet, die 3415 Mitglieder zählten.[10]

Im Ersten Weltkrieg kam die Aktivität des Vereins trotz einiger Publikationen des Pressesprechers Ernst Hunkel zum Erliegen. Mit der Revolution 1918/19 ging ein großer Teil der Mitglieder verloren. Von 1920 bis 1927 leitete General Ernst von Wrisberg den Verband. Joachim Nehring war bis 1933 stellvertretender Vorsitzender.

Nach 1919, als Deutschland aufgrund des Friedensvertrags von Versailles weite Teile dieser Gebiete an die Zweite Polnische Republik abtreten musste, drang der Verein wortführend auf eine Revision der neuen Ostgrenze. 1926 gewann er Albert Brackmann als wichtiges Mitglied, der sich als Ostforscher um die Verstärkung und Ausweitung deutschen Einflusses und die Rücknahme polnischer und tschechoslowakischer Nationalstaatlichkeit bemühte. Unter Beibehaltung seiner Ziele wurde er teilweise mit anderen ostdeutschen Vereinigungen 1933 unter Franz Lüdtke in den Bund Deutscher Osten überführt. Der Restverband, der sich einer Gleichschaltung widersetzte und keinen antisemitischen Hintergrund hatte, wurde 1934 zwangsaufgelöst.

Siehe auch

Literatur

  • Adam Galos, Felix-Heinrich Gentzen, Witold Jakóbczyk: Die Hakatisten. Der Deutsche Ostmarkenverein (1894–1934). Ein Beitrag zur Geschichte der Ostpolitik des deutschen Imperialismus (= Schriftenreihe der Kommission der Historiker der DDR und Volkspolens). VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1966; DNB 456696431.
  • Sabine Grabowski: Deutscher und polnischer Nationalismus. Der Deutsche Ostmarken-Verein und die polnische Straż 1894–1914 (= Materialien und Studien zur Ostmitteleuropa-Forschung, Band 3). Herder-Institut, Marburg 1998, ISBN 3-87969-270-X; zugleich Dissertation an der Universität Düsseldorf, 1997.
  • Christoph Kienemann: Der koloniale Blick gen Osten. Osteuropa im Diskurs des Deutschen Kaiserreiches von 1871, Paderborn 2018, ISBN 978-3-506-78868-9.
  • Jens Oldenburg: Der Deutsche Ostmarkenverein 1894–1934. Logos, Berlin 2002, ISBN 978-3-8325-0026-9 (Zugleich Dissertation an der FU Berlin, 2000).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. hierzu Die Hakatisten. Ebenfalls hierzu auch Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1906.
  2. Witold Molik, „Die Wacht an der Warthe.“ Das Bismarck-Denkmal in Posen (1903–1919), S. 108 f. In: Rudolf Jaworski, Witold Molik (Hrsg.): Denkmäler in Kiel und Posen, Parallelen und Kontraste. Verlag Ludwig, Kiel 2002, S. 107–125. ISBN 978-3-933598-41-7. – Das Denkmal stand bis 1919, als die neuen Stadtväter der nach dem Kriege polnisch gewordenen Stadt beschlossen, alle deutschen Denkmäler abzureißen.
  3. [1], vgl. Thomas Maier, Die onomastische Waffe in Posen. Deutsch-polnische Ortsnamenwechsel in Posen zwischen 1815 und 1945 - eBuch unter http://www.grin.com/e-book/91435/die-onomastische-waffe-in-posen.
  4. Nationalheld auf Rädern Karl Friedrich Gründler, in: Die Zeit, 27. Juni 2004
  5. A. Galos u. a. (1966), S. 147.
  6. Sabine Grabowski: Deutscher und polnischer Nationalismus. Der Deutsche Ostmarken-Verein und die polnische Straz 1894–1914. Marburg 1998, S. 65
  7. Hasso von Zitzewitz, Das deutsche Polenbild in der Geschichte. Entstehung, Einflüsse, Auswirkungen, Köln 1992, S. 191 f., 196.
  8. Peter Walkenhorst, Nation - Volk - Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890–1914. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007 ISBN 978-3-525-35157-4, S. 76
  9. Hans Merbach: Die Slawenkriege des deutschen Volkes. Ein nationales Hausbuch. Dieterich, Leipzig 1914, S. 3. Siehe zu Kossinna und der Funktion der Siedlungsarchäologie auch Patrick J. Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen, Fischer, Frankfurt 2002, ISBN 3-596-60111-8, S. 45 f.
  10. Peter Walkenhorst (2007), S. 137 f. – Welch wichtige Rolle Frauen aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“ (Österreich) in der nationalsozialistischen Siedlungspolitik im besetzten Polen zukam, untersucht Elizabeth Harvey: Der Osten braucht dich! Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik. Hamburger Edition, Hamburg 2010, ISBN 3-86854-218-3 Rezension
  11. Fuß gegen das preußische Enteignungsgesetz von 1908, ein Machwerk der Hakatisten, das gegen polnischstämmige Preußen gerichtet war