Otto Rudolf Salvisberg

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Otto Rudolf Salvisberg (1931)
Das Grab von Otto Rudolf Salvisberg und Roland Rohn auf dem Friedhof Fluntern in Zürich

Otto Rudolf Salvisberg (* 19. Oktober 1882 in Köniz; † 23. Dezember 1940 in Arosa) war ein Schweizer Architekt, der zwischen 1905 und 1930 in Deutschland arbeitete.

Leben

Nach seiner Bauzeichnerlehre besuchte Salvisberg 1901 die Bauschule des Technikums in Biel/Bienne, die er 1904 mit einem Diplom mit Auszeichnung abschloss. Anschliessend reiste er über Süddeutschland nach München. Dort besuchte Salvisberg Kurse an der Technischen Hochschule München, wo August Thiersch, Friedrich von Thiersch und Karl Hocheder lehrten. Vermutlich 1905 setzte er seine Reise nach Karlsruhe fort. Neben seiner Anstellung im Karlsruher Architekturbüro Curjel & Moser hörte er an der Technischen Hochschule Karlsruhe bei Carl Schäfer.

1908 zog er nach Berlin um und erhielt eine Anstellung bei Johann Emil Schaudt im Büro Schaudt und Zimmereimer. Nach dem Zerwürfnis zwischen Schaudt und Paul Zimmerreimer arbeitete Salvisberg bei letzterem weiter. Nach der zeitgenössischen Einschätzung des Kunstkritikers Paul Westheim «… war [er] innerhalb des Grossbetriebs dieser Baufirma der Mann, von dem die Entwürfe kamen, der hier im eigentlichen Sinne das Bauen besorgte. Die Bauten weisen seine Handschrift auf, sind unverkennbar Dokumentationen seines Geistes, obgleich diejenigen, die nicht zu den Eingeweihten gehörten, nie diesen Namen zu hören bekommen haben.»[1] 1912 heiratete Salvisberg die 1890 geborene Emma Marie Roloff.[2][3] Mit ihr wohnte er in der Liliencronstraße 10 in Berlin-Steglitz, bevor er 1922 sein eigenes Haus in der Oehlertstraße 13 in Berlin-Südende bezog.[4]

1914 schließlich wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit. Nach Kriegsausbruch rückte Salvisberg zur Armee der neutralen Schweiz ein, wurde jedoch bald vom Dienst freigestellt. 1917 plante Otto Rudolf Salvisberg zusammen mit Otto Brechbühl (1889–1984), den er bereits nach dessen Diplom 1910 nach Berlin geholt hatte, an der Erweiterung der von Paul Schmitthenner 1914 bis 1917 gebauten Gartenstadt Staaken auf mehr als den doppelten Umfang.[5] Mit Brechbühl begann er damals eine lebenslange Zusammenarbeit; das von den beiden 1922 gegründete Architekturbüro existiert noch heute in Bern unter dem Namen Itten+Brechbühl AG.

Die folgenden Jahre bis 1930 verbrachte Salvisberg als Architekt in Berlin. Er entwarf und realisierte vielfältige Bauaufgaben, unter anderem den Umbau des Vox-Hauses, die Geyer-Werke AG in Neukölln oder das markante Gemeindehaus der Matthäuskirche in Steglitz. Herausragend sind seine Siedlungsbauten, darunter Onkel Toms Hütte und die Weiße Stadt, an denen sich exemplarisch die Siedlungsentwicklung des 20. Jahrhunderts von der Gartenstadtidee bis zur Moderne nachvollziehen lässt.

Das Loryspital in Bern

Salvisbergs Partner Otto Brechbühl kehrte 1922 in die Schweiz zurück und leitete das gemeinsame Büro in Bern. Die beiden Architekten gewannen die Wettbewerbe für das Lory-Spital 1924/1925, das Säuglingsheim in der Elfenau sowie den Neubau von Institutsgebäuden der Universität Bern. Vor allem die Krankenhäuser fanden viel Beachtung und ebneten ihm wohl auch den Weg zur umkämpften Nachfolge auf den Lehrstuhl von Karl Moser.[6]

Salvisberg wurde dort wie auch schon in der ersten Monografie 1927 in der Reihe Neue Werkkunst als gemässigt, als wenig einschätzbar, seine Architektur als «etwas handwerklich Unsensationelles, etwas, das für den Bauherrn, den zukünftigen Bewohner seines Hauses, von allergrösstem Wert ist, womit aber die, die Architektur als 'Dokument', als Schlagwortkomplex propagieren, kaum etwas anzufangen wissen.»[7]

Ab 1930 lehrte Salvisberg als Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, wo er bis 1934 das Fernheizkraftwerk und Maschinenbaulaboratorium baute. 1938 hielt er sich für einige Zeit in der Türkei auf. Salvisberg war in den 1930er Jahren Firmenarchitekt des Pharma-Konzerns Hoffmann-La Roche, er entwarf den Bebauungsplan und viele Gebäude am Hauptsitz in Basel sowie zahlreiche Gebäude in den Niederlassungen in aller Welt.

Salvisberg starb beim Skifahren im Dezember 1940 in Arosa.

Bauten und Entwürfe

Haus Winkler in Berlin-Frohnau, Baujahr 1911
  • 1912: Mehrfamilienwohnhaus Hohenzollerndamm 87 / Egerstraße 12 in Berlin-Schmargendorf[10][11][12]
  • 1912: Landhaus Neutze in Berlin-Dahlem, Drosselweg 3[9]
  • 1912–1913: Büro- und Geschäftshaus Lindenhaus in Berlin-Kreuzberg, Lindenstraße 38 / Oranienstraße 98–98a (in Büro Paul Zimmereimer; 1965 abgebrochen)[9][13]
  • 1912: Umbau des Geschäfts- und Bürohauses in der Jägerstraße 58 in Berlin-Mitte zum Ballhaus Bal Tabarin
  • vor 1914: Geschäftshaus C. Prächtel in Berlin, Schützenstraße[9]
Werkssiedlung Piesteritz, Blick auf das Steintor
Die „Gartenstadt“ mit 165 Wohneinheiten gilt als eine der schönsten Arbeitersiedlungen Süddeutschlands.
Laubenganghaus in der Weißen Stadt, Berlin-Reinickendorf
Im Juli 2008 wurde die „Weiße Stadt“ als eine der sechs Siedlungen der Berliner Moderne in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen.
Bleicherhof Zürich, Baujahr 1940

Rezeption & Forschung

In der seinerzeit verdienstvollen Monographie von 1985 (2. überarbeitete und erweiterte Auflage 1995) zum Architekten wurde Salvisberg mit dem Verdikt der «anderen Moderne» versehen, welches bis heute nachwirkt. Durch die heute differenziertere Betrachtung der Architekturmoderne als eine vielschichtige, international vernetzte Bewegung, die durch parallel laufende Strömungen beherrscht wurde, kann nun der Architekt Salvisberg neu betrachtet werden. Ein seit 2017 an der Universität Bern laufendes SNF Forschungsprojekt zum Architekten am Institut für Kunstgeschichte, verfolgt deshalb neben einer Neubewertung des Modernebegriffs[50] – wie er bereits in den 20er Jahren angelegt und in der Folgezeit weitergeführt wurde – eine Betrachtung, die die bislang ideologisch streng getrennten Strömungen von «Avantgarde» und «Traditionalismus» in ihrer Bedingtheit und Vernetzung zusammen sieht. Salvisberg, der bedeutenden Architekten der Moderne wie Paul Bonatz, Theodor Fischer, Emil Fahrenkamp oder Hans Poelzig nahe steht, zählte nie zu den doktrinären Vorkämpfern funktionalistischer Ideale, stand in reserviertem Verhältnis zum Schweizer CIAM-Kreis um Sigfried Giedion und Hans Schmid und überließ die Theoriediskussion weitgehend Anderen. Durch seine länderübergreifende Tätigkeit mit Büros in Berlin, Bern und Zürich und Bauaufträgen in Basel, Berlin, Breslau, Mailand oder Welwyn/GB wirkte er als transnationales Scharnier zwischen den Polen von Avantgarde und Tradition.

Ziel des Forschungsprojektes ist es, Salvisbergs Bedeutung als einem der wichtigsten Schweizer Architekten des 20. Jahrhunderts, insbesondere für eine städtische Architektur der Moderne zwischen Berlin, Bern und Zürich neu herauszuarbeiten und im Kontext der europäischen Architekturentwicklung zu präsentieren. Dadurch wird erstmals Salvisbergs eminente Rolle sowohl in der Berliner Architekturszene der 1910er und 1920er Jahre als auch sein nachhaltiger Einfluss auf die Schweizer Architektur der vierziger und fünfziger Jahre als Gesamtphänomen deutlich werden. In seiner Funktion als Hochschullehrer hat er nicht nur die Architekten der Schweizer Nachkriegsmoderne mit ausgebildet und geprägt, sondern auch herausragende Bauten errichtet (Maschinenlaboratorium und Fernheizkraftwerk der ETH Zürich (1929–34); Haus Salvisberg, Zürich (1928–31)) Zusätzlich gelang es ihm, mit den heute weitgehend unbekannten Bauten für den Chemiekonzern F.Hoffmann-La Roche in Basel nicht nur einen bedeutenden Beitrag zum Industrieverwaltungsbau der 1930er-Jahre zu leisten, sondern auch eine architektonische Corporate Identity für ein Pharmaunternehmen zu etablieren. Hervorzuheben ist zudem die typenprägende Bedeutung von Salvisbergs letztem Werk, der Bleicherhof in Zürich (1939–40), mit dem er den Geschäftshausbau der 1940er und 1950er Jahre in Europa maßgeblich beeinflusste.

Literatur

  • Claude Lichtenstein (Hrsg.): Otto Rudolf Salvisberg 1882–1940. Die andere Moderne. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. gta Verlag, Zürich 1995, ISBN 3-85676-054-7.
  • Irma Noseda: Otto Rudolf Salvisberg. In: Isabelle Rucki, Dorothee Huber (Hrsg.): Architektenlexikon der Schweiz, 19./20. Jahrhundert. Birkhäuser, Basel 1998, ISBN 3-7643-5261-2.
  • Theresia Gürtler Berger: Otto Rudolf Salvisberg – Seine Schweizer Bauten. Dissertation. Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich, Nr. 19031, 2010. (online)
  • Fritz Hellwag: Otto Rudolf Salvisberg. In: Dekorative Kunst, illustrierte Zeitschrift für angewandte Kunst, Band 36 = Jg. 31, 1927/28, S. 177–187 (online).
  • Roland Jaeger (Hrsg.): Otto Rudolf Salvisberg. Nachdruck von 1927 mit einer Einleitung von Paul Westheim und einem Nachwort zur Neuausgabe von Matthias Noell, Neue Werkkunst. [Faks.-Nachdr.] Gebr. Mann, Berlin 2000, ISBN 3-7861-1780-2.
  • Roland Rohn: Otto Rudolf Salvisberg. In: Architektur und Kunst, Band 28, Heft 11, 1941, S. 289–306.
  • Thomas Steigenberger: Otto Rudolf Salvisberg und das Neue Wohnen. In: Brigitte Hausmann (Hrsg.): Neues Wohnen. Innovative Wohnformen der 1920er Jahre. Groß-Berlin und die Folgen für Steglitz und Zehlendorf. Gebr. Mann, Berlin 2020, ISBN 978-3-7861-2833-5, S. 68–82.
  • Paul Westheim: Neuere Arbeiten von O.R. Salvisberg. (= Neue Werkkunst). F.E.Hübsch Verlag, Berlin 1927.

Weblinks

Commons: Otto Rudolf Salvisberg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Paul Westheim in: Moderne Bauformen. 1914. Zitiert nach: Werk-Archithese. Band 64, Heft 10, S. 30, doi:10.5169/seals-49463.
  2. Thomas Freivogel: Otto Rudolf Salvisberg. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 26. Juni 2012, abgerufen am 5. Oktober 2019.
  3. Salvisberg, Otto Rudolf in der Deutschen Biographie
  4. a b c d e f Wolfgang Holtz: Otto Rudolf Salvisberg – Der Schweizer Architekt wohnte und baute auch in Steglitz. In: Treffpunkt Matthäus – Gemeindezeitung der Evangelischen Matthäusgemeinde Berlin-Steglitz. Band 2019, Nr. 5, Mai 2019, S. 8.
  5. Karl Kiem: Die Gartenstadt Staaken. Typen, Gruppen, Varianten. Gebr. Mann, Berlin 1997, S. 144 ff.
  6. Die Querelen um diese Berufung werden aufbereitet in:
    Claude Lichtenstein: Salvisberg und das «neue bauen». In: Werk – Archithese, Band 64, Heft 10, S. 7–17; doi:10.5169/seals-49460.
  7. Paul Westheim: Salvisberg. Berlin: Friedrich Ernst Hübsch Verlag (Neue Werkkunst) 1927, S. 7. Zitiert nach: Stanislaus von Moos: Architektur auf den zweiten Blick oder: Salvisberg heute. In: Werk – Archithese, Band 64, Heft 10, S. 3; doi:10.5169/seals-49459.
  8. Max Schmid (Hrsg.): Hundert Entwürfe aus dem Wettbewerb für das Bismarck-National-Denkmal auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück-Bingen. Düsseldorfer Verlagsanstalt, Düsseldorf 1911. (n. pag.)
  9. a b c d A. W. Müller: Otto Salvisberg, ein Schweizer Architekt in Berlin. In: Schweizerische Baukunst, 6. Jahrgang 1914, S. 237 ff. (doi:10.5169/seals-8033)
  10. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u Das Werk, Archithese, Heft 10/1977
  11. a b c d … (= Berlin und seine Bauten, Band 4, Teil C.) …
  12. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  13. Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (Hrsg.): Industriebauten, Bürohäuser. (= Berlin und seine Bauten, Teil IX.) Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin 1971, ISBN 3-433-00553-2.
  14. a b Heinrich de Fries (Hrsg.): Moderne Villen und Landhäuser. Wasmuth, Berlin 1925.
  15. a b c Bauunternehmung Bernhard Borst (Hrsg.): Baukunst. Heft 5/1927
  16. Joachim Petsch: Heimatkunst – Heimatschutz. In: Das Werk. Heft 27–28, 1979, doi:10.5169/seals-50775
  17. Walter Curt Behrendt: Haus Otto Rudolf Salvisberg, Berlin-Südende. In: Moderne Bauformen, 26. Jahrgang 1927, Seiten 453–460 (Digitalisat).
  18. Ralf Dose: Der Ort Südende. 17. Januar 2013, abgerufen am 18. Oktober 2019.
  19. Ralf Dose: Der Ort Südende. 17. Januar 2013, abgerufen am 18. Oktober 2019.
  20. archinform.net
  21. Abb. in: Walter Müller-Wulckow: Deutsche Baukunst der Gegenwart. Wohnbauten und Siedlungen. Königstein i.T., Langewiesche 1929, S. 38.
  22. a b Jörg Limberg: Potsdam, ein Ort der Moderne? Architekten und ihre Bauten im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. In: Brandenburgische Denkmalpflege, 6. Jahrgang 1997, Heft 2, S. 62–85; potsdam.de (Memento vom 26. Juni 2011 im Internet Archive; PDF; 2,5 MB)
  23. haus-hechler.de
  24. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  25. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  26. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  27. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  28. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  29. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  30. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  31. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  32. Wasmuths Monatshefte für Baukunst und Städtebau, Jahrgang 1928, Heft 12
  33. Heinz Johannes: neues bauen in berlin. Deutscher Kunstverlag, Berlin 1931, S. 24.
  34. Bestand zur Siedlung Attilahöhe beim Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin, zuletzt abgerufen am 28. Juni 2011.
  35. Moderne Bauformen, Jg. 28 (1929), S. 2–3 (Digitalisat).
  36. Eintrag zur Denkmalobjektnummer 09171188 in der Denkmaldatenbank des Landes Brandenburg
  37. 130 Eigenheime. Verlag F. Bruckmann AG, München 1935.
  38. Salvisbergbau. 3. November 2015, abgerufen am 14. Mai 2020.
  39. Dr. Jörg Rüter: Wertheim in der Schloßstraße. Denkmal des Monats Juni 2011. In: Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf. Juni 2011, abgerufen am 18. Oktober 2019.
  40. Ostdeutsche Bau-Zeitung, Jahrgang 1929.
  41. Zentralblatt der Bauverwaltung, 49. Jahrgang 1929, Nr. 25, S. 412.
  42. Patrick Popiol: U3 – Die Bahnhöfe. In: Willkommen bei der Berliner-U-Bahn. Abgerufen am 6. Dezember 2020.
  43. Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste
  44. F. Hiller: Kant. Bernisches Säuglings- und Mütterheim in der Elfenau in Bern. In: Schweizerische Bauzeitung, Band 97 (= 1. Halbjahr 1931). Nr. 1 (vom 3. Januar 1931) (online als PDF-Datei mit ca. 87 MB), S. 3–6.
  45. Der Baumeister, Jahrgang 1932, Heft 3
  46. Luzia Knobel: Haus Gsell. In: Gemeinde Lexikon Riehen.
  47. Erste Kirche Christi, Wissenschaftler, Basel. In: archINFORM; abgerufen am 1. September 2016.
  48. Otto Rudolf Salvisberg – Architekt der Moderne Berlin • Bern • Breslau • Basel • Zürich, abgerufen am 10. Oktober 2018