Palais Bellevue (Kassel)
Das Palais Bellevue in Kassel wurde 1714 auf Veranlassung des Landgrafen Karl von Hessen-Kassel errichtet. Als Architekt gilt Paul du Ry. Ursprünglich diente es als Observatorium, später wurde es Teil des (heute zerstörten) Schlosses Bellevue. Lange war hier das städtische Brüder Grimm-Museum untergebracht.
Geschichte
Observatorium
1714 ließ Landgraf Karl am südwestlichen Ende der barocken Kasseler Oberneustadt an exponierter Lage oberhalb der Karlsaue ein Observatorium erbauen. Es löste die astronomischen Einrichtungen des Landgrafen Wilhelm IV. im Stadtschloss ab. Die äußere Gestalt des Gebäudes entsprach im Groben dem heutigen Erscheinungsbild, nur die Dachform wich erheblich ab. Anstelle des heutigen Mansarddaches befand sich zu oberst ein kreuzförmiger flachgedeckter Aufbau mit runden Öffnungen für die Fernrohre. Neben dem Palais bestand bereits seit 1709 ein neues Observatorium auf dem Zwehrenturm, einem ehemaligen Stadttor. Später übernahm das Ottoneum die Funktion einer Sternwarte.
Schloss Bellevue
Bereits früh wurde das Palais Bellevue von Personen der Hofgesellschaft bewohnt. Es folgten mehrere Besitzerwechsel noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wobei das Palais immer wieder an den Landgrafen zurückfiel. Gemeinsam mit den benachbarten fürstlichen Palais der Straße „Schöne Aussicht“ (damals „Bellevue“) wuchs es im 18. Jahrhundert zum Schloss Bellevue zusammen. Es diente verschiedenen Mitgliedern der fürstlichen Familie als Wohnsitz; besonders Landgraf Wilhelm IX. nutzte es intensiv. Er ließ es um 1790 von Simon Louis du Ry in seinen heutigen Zustand versetzen. Nachdem 1811 unter französischer Herrschaft das alte Stadtschloss abgebrannt war, ließ Jérôme Bonaparte das Schloss durch seinen Architekten Auguste Henri Victor Grandjean de Montigny umbauen und nutzte es bis zu seiner Vertreibung als königliche Residenz. Das Palais Bellevue überdauerte den Zweiten Weltkrieg fast unbeschadet, während das restliche Schloss stark beschädigt wurde; seine Trümmer wurden nach dem Krieg komplett abgeräumt. Bis 1956 verblieb das Palais im Besitz des Hauses Hessen, das es an die Stadt Kassel verkaufte. Von dem ehemaligen Schlossgarten ist heute noch der Frühstückspavillon erhalten.
Heutige Nutzung
Von 1956 bis 1970 war in dem Gebäude die Städtische Kunstsammlung untergebracht, bis 1972 das Brüder-Grimm-Museum einzog. Es teilt sich die Räume mit der Louis-Spohr-Gedenkstätte. Bis 1999 befanden sich hier auch das Deutsche Musikgeschichtliche Archiv und die Zentralredaktion des Internationales Quellenlexikon der Musik. Das Grimm-Museum war bereits seit 2006 in großen Teilen nicht mehr der Öffentlichkeit zugänglich, da erhebliche bauliche Mängel zur Sperrung der oberen Geschosse führten. 2009 erfolgte die endgültige Schließung des Gebäudes.
Architektur
Das Erscheinungsbild des Palais Bellevue hat sich seit den Umbauarbeiten durch Simon Louis du Ry im ausgehenden 18. Jahrhundert kaum verändert. Die fünfachsige Vorderfront entspricht im Wesentlichen der des barocken Ursprungsbaus. Die klassizistische Raumausstattung ist fast vollständig unverändert. Bemerkenswert sind die Rokoko-Stuckierungen in einem Saal des ersten Obergeschosses. Das dreiflüglige Treppenhaus besitzt ein sich kreisförmig emporschraubendes Dockengeländer. Von dem ehemals sich anschließenden dreiflügligen Nebengebäude ist ein Flügel an der Längsseite des historischen Gartens erhalten. In jüngster Zeit wurde die Fassade saniert, wobei die dezente Putzstrukturierung von S. L. du Ry verloren ging. Auch der Einbau eines Aufzuges brachte den Verlust historischer Bausubstanz. Im Sommer 2007 wurden die historischen Türen im Inneren durch moderne Brandschutztüren ersetzt, da die touristische Nutzung des Gebäudes sich nicht mit den geltenden Brandschutzverordnungen in Einklang bringen ließ.
Sanierung
Das Palais Bellevue ist eines der letzten historischen Gebäude im Stadtgebiet Kassels, das in seiner Gesamtheit eine historische Bausubstanz und Ausstattung besitzt, die in allen Teilen erhalten geblieben ist.
Im Jahr 2010 begannen die Sanierungsarbeiten. Momentan gibt es noch kein weiteres Nutzungskonzept für das Palais. Im zweiten Obergeschoss und im Dachgeschoss sollen Büros und Wohnräume entstehen, womit die letzten baulichen Reste der Sternwarte des frühen 18. Jahrhunderts zur Disposition stehen. Der letzte verbliebene Seitenflügel an der Gartenseite soll um mehrere Fensterachsen erweitert werden, um zusätzliche Räume zu gewinnen. Dadurch würde ein großer Teil der östlichen Fassade des Hauptgebäudes verdeckt.[1] Der Kunsttheoretiker Paul Schultze-Naumburg führt ebendiese durch den Umbau betroffene städtebauliche Situation des Palais als Beispiel einer besonders geglückten Raumplanung an.
„Dadurch, dass das seitliche Gebäude hier weit hinter die Strassenflucht zurücktritt, wird das Eckhaus zu einem abschließenden Prospekt für die Strasse und dadurch in weit höherem Grade sichtbar [...].“
Literatur
- Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Baudenkmale in Hessen – Stadt Kassel I. Braunschweig 1983, ISBN 3-528-06232-0
- Alois Holtmeyer, Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Kassel, Bd. VI, Marburg, 1923
Weblinks
Einzelnachweise
Koordinaten: 51° 18′ 35″ N, 9° 29′ 38″ O