Dies ist ein als exzellent ausgezeichneter Artikel.

Parliament Act

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Abstimmung im House of Lords über den Parliament Act von 1911

Der Parliament Act ist ein Gesetz des britischen Parlaments vom 10. August 1911 (abgeändert 1949). Es beschneidet die Rechte des Oberhauses (House of Lords) im Parlament, indem es festlegt, dass das Oberhaus Gesetze, die vom Unterhaus (House of Commons) beschlossen wurden, nicht mehr aufheben oder beliebig lang hinauszögern kann. Damit bestätigt es das Unterhaus als die oberste gesetzgebende Gewalt. Am 16. Dezember 1949 wurden die Rechte des Oberhauses durch Änderungen im Parliament Act weiter eingeschränkt, indem die Zeitspanne des aufschiebenden Vetos gegen Gesetzesentwürfe von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt wurde.

Vor der Verabschiedung des Parliament Act schwelte ein Machtkampf zwischen Ober- und Unterhaus, der durch das Gesetz zugunsten des Unterhauses entschieden wurde. Das Oberhaus hatte die Verabschiedung des Parliament Act zunächst abgelehnt, erst durch die Drohung mit einem Pairsschub konnte es zur Zustimmung bewogen werden. Großbritannien hat keine kodifizierte Verfassung, der Parliament Act kann jedoch als wichtiger Teil des britischen Verfassungsrechts angesehen werden.

Hintergrund

Das Machtverhältnis zwischen Krone, Oberhaus und Unterhaus

Die Glorreiche Revolution 1688/1689 setzte den absolutistischen Bestrebungen der Stuarts ein Ende und entschied den seit langem schwelenden Machtkampf zwischen Krone und Parlament zu Gunsten des Parlaments. Seit der Revolution ist der König nicht mehr allein, sondern nur in Verbindung mit dem Parlament (King-in-parliament) Träger der Staatssouveränität. In der Folgezeit hatte sich ein ungefähres Machtgleichgewicht zwischen Monarchie, dem Oberhaus (House of Lords) und dem Unterhaus (House of Commons) herausgebildet. Für die britische Politik im 18. Jahrhundert galt es als axiomatisch, dass die Glorreiche Revolution eine perfekte konstitutionelle Balance zwischen Krone, den Lords im Oberhaus und dem Unterhaus geschaffen hatte; noch ein Jahrhundert später waren die Dispute zwischen diesen drei Säulen darauf begründet, ob eine der Seiten diese Machtbalance störe.[1] So verdächtigten Ende des 18. Jahrhunderts die Whigs König Georg III., dass er den Einfluss der Krone auf Kosten des Parlaments zu erweitern suche. Als Reaktion darauf verabschiedeten sie im April 1780 im Unterhaus eine berühmte Resolution, die feststellte, dass „der Einfluss der Krone gewachsen ist, weiterhin wächst und vermindert werden sollte.“[2] Im 19. Jahrhundert war der Einfluss der Krone dann immer weiter geschwunden; 1839 hatte zum letzten Mal ein Monarch (Königin Victoria) einen Premierminister (Lord Melbourne) für kurze Zeit gegen den Willen der Mehrheit des Parlaments im Amt gehalten. Dagegen blieb die Machtbalance zwischen Oberhaus und Unterhaus vage.

Im 19. Jahrhundert hatte es mehrfach Beispiele gegeben, bei denen das Oberhaus Gesetze des Unterhauses zurückgewiesen hatte. Im Streit um den Reform Act 1832, der die sogenannten Rotten boroughs betraf (Wahlkreise, die nur sehr wenige Einwohner hatten, so dass sie im Unterhaus als überrepräsentiert galten), hatte sich das Unterhaus dagegen gegen den anfänglichen Widerstand der Lords durchgesetzt und damit seine Vorherrschaft beansprucht.[3] Premierminister Grey hatte den Widerstand der Lords durch die Drohung eines Peers-Schubs gebrochen. Für Beobachter war es evident, dass der Reform Act das Machtgewicht zugunsten des Unterhauses verschoben hatte.[4] In Bezug auf das Verhältnis der beiden Häuser hatte der mehrmalige Lordkanzler Lord Lyndhurst 1858 offen deklariert, dass es in seinen Augen keinen Grundsatz gebe, nachdem das Oberhaus Stellung beziehen könne gegen das Unterhaus, sofern dieses den Willen des Volkes umsetze.[5] Auch Walter Bagehot hatte 1867 in seiner einflussreichen Analyse The English Constitution ausgeführt, dass das Oberhaus als legislative Kammer dem Unterhaus untergeordnet sei.[6] Für Bagehot habe die Regierung Greys in Verbund mit Unterhaus und König den Reform Act erzwungen; dadurch sei das Oberhaus von einer führenden Kammer hin zu einem Organ mit limitierter legislativer Kraft geworden. Dieses könne durch ihr Veto die Gesetzgebung des Unterhauses im Ernstfall revidieren oder suspendieren. Dieses Veto sei jedoch hypothetischer Natur und nur aufschiebender Natur.[7]

Demgegenüber hatte der spätere konservative Premierminister Lord Salisbury ab 1872 für das Oberhaus das Recht deklariert, Gesetze aus dem Unterhaus zurückzuweisen. In mehreren Reden baute er seine Theorie aus. Sofern behauptet werden könne, dass die Regierung im Unterhaus kein ausreichendes Mandat für einen wichtigen Gesetzesentwurf habe, könne das Oberhaus das Gesetz zurückweisen und die Frage so an das Wahlvolk überweisen.[8][9]

In den 1880er Jahren gewann Salisburys Initiative zunehmend an Momentum,[10] besonders, nachdem bei der Unterhauswahl 1880 die konservative Regierung abgewählt worden war und William Ewart Gladstone erneut eine liberale Regierung gebildet hatte. Durch den Tod Benjamin Disraelis avancierte Salisbury zum Kopf der konservativen Partei und machte schnell deutlich, dass seine verfassungsrechtlichen Theorien für ihn eine prioritäre Bedeutung hatten.[11] Nachdem Gladstone die irische Selbstverwaltung (Home Rule) in Angriff nahm, wurde Salisburys Theorie zunehmend populärer und wurde von Publikationen wie der Times und dem Spectator aufgegriffen.[12]

Die Zurückweisung eines liberalen Gesetzesentwurfs zur Haftbarkeit von Arbeitgebern veranlasste den liberalen Premierminister Rosebery 1894 zu einem Memorandum an Königin Victoria, in dem er die deutliche Parteilichkeit der Lords beklagte: Wenn die Konservative Partei an der Regierung sei, gäbe es praktisch kein Oberhaus. In dem Moment, wenn die Liberalen an die Macht kämen, erwache das konservativ dominierte Oberhaus jedoch zum Leben und all seine Aktivitäten seien gegen die (liberale) Regierung gerichtet.[13]

Die parteipolitische Zusammensetzung des Oberhauses

Mit dem Aufkommen des klassischen Zweiparteiensystems im späten 18. Jahrhundert hatte die ganz überwiegende Mehrheit der Peers im Oberhaus sich einer der beiden Parteien (Whigs und Tories, die beide jeweils auch von Peers mitgegründet worden waren) angeschlossen.[14] Das Oberhaus hatte in seiner parteiinternen Zusammensetzung im 18. und 19. Jahrhundert einen steten Wandel durchlaufen. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war – bei einer Gesamtzahl von etwa 150 Mitgliedern – eine kleine Mehrheit der Mitglieder den Whigs angehörig. 1711 hatte Königin Anne auf Anraten ihrer Berater 12 Peers kreiert, um die Mehrheitsverhältnisse zu drehen und eine knappe Tory-Mehrheit zu schaffen. Dies war explizit erfolgt, um eine Regierungsmehrheit zu schaffen, die den umstrittenen Vertrag von Utrecht ratifizieren konnte.[15] In den Folgejahren war diese Mehrheit durch graduelle Nobilitierungen wieder ins Gegenteil verkehrt worden und die Whigs hielten erneut eine knappe Mehrheit. Mit dem Aufstieg von William Pitt dem jüngeren in den 1780er-Jahren änderte sich die interne Balance erneut: Unter Pitt wurden Nobilitierungen in einem bis dahin unbekanntem Ausmaß vorgenommen; in seinen 17 Regierungsjahren fanden 140 Nobilitierungen (von zumeist reaktionären Landedelmännern) statt und die Tories wurden durch ihn im Oberhaus in eine fast unangreifbare Mehrheitsposition gebracht.[16] Als Mitte des 19. Jahrhunderts die „Peeliten“ um ihren Anführer Robert Peel sich von den konservativen Tories lösten und mit den Whigs zur Liberalen Partei (Liberal Party) fusionierten, glich sich die Balance zwischen den beiden Parteien beinahe wieder aus. Mit der von seinen Zeitgenossen als zunehmend radikaler empfundenen Agenda des liberalen Premierministers William Ewart Gladstone rückte das Oberhaus dann jedoch mehrheitlich erneut nach rechts. So informierte Lord Granville Königin Victoria im Jahr 1868, dass die Mehrheit der konservativen Tories im Oberhaus etwa 60 bis 70 Stimmen betrage.[17] Als Gladstone 1886 und erneut 1893 eine irische Selbstverwaltung (“Home Rule”) einführen wollte, kam es zur Spaltung der Liberalen Partei und zu einem Ende der liberalen Dominanz in der Wählergunst.[18] Eine große Gruppe Liberaler, die in Gladstones Initiative eine Gefahr für die Union zwischen Großbritannien und Irland sahen, wandten sich von den Liberalen ab und bildeten als Liberale Unionisten jeweils eine eigenständige Fraktion in beiden Häusern. Die Liberalen Unionisten stimmten nicht nur in der Home Rule–Debatte gemeinsam mit den Konservativen ab, sondern verbanden sich bald auch parteipolitisch immer enger mit den Konservativen. Besonders schwerwiegend war dies im Oberhaus, wo eine Anzahl von etwa 95 bis 130 Peers fortan als Liberale Unionisten saßen und das Kräfteverhältnis in der Folge drastisch zu Gunsten der Konservativen beeinflusst wurde.[19] Die Abstimmung über Gladstones zweite Home Rule–Gesetzesvorlage im Jahr 1893 zeigte im Oberhaus eine Mehrheit von 419 zu 41 Stimmen für die Konservativen, die Gladstones Entwurf damit zu Fall brachten.[20]

Entstehung

Karikatur, die die konservative Kontrolle des Unterhauses, resultierend aus ihrer Mehrheit im Oberhaus, karikiert

Bei den Unterhauswahlen von 1906 errang die Liberale Partei einen bemerkenswerten Wahlsieg; sie erreichten 397 Sitze im Unterhaus,[21] während die Konservativen auf 155 Sitze dezimiert wurden.[22] Die Liberalen verfügten im Unterhaus nun über eine ähnlich große Mehrheit wie die Konservativen im Oberhaus, die dort über zwei Drittel der Sitze einnahmen.[23] Im Wahlprogramm der Liberalen war die Home Rule-Frage absichtlich zurückgestellt worden, dafür standen soziale Reformen im Vordergrund.[24] Die Finanzierung der liberalen Gesetze war jedoch in Frage gestellt, da es keine gestiegenen Mehreinnahmen gab.[25] Die Liberale Regierung schlug nun höhere Steuern vor und konzentrierte sich dabei stark auf die landbesitzenden Klassen.[26] Die Konservativen bekämpften die Gesetzesinitiativen der Liberalen Regierung mit großem Nachdruck und benutzten ihre Mehrheit im Oberhaus, um viele der von den Liberalen im Unterhaus verabschiedeten Gesetze zurückzuweisen. Der Konflikt spitzte sich weiter zu, als der liberale Schatzkanzler David Lloyd George im Jahr 1909 einen provokanten „Volks-Haushalt“ vorlegte, der mit Steuern auf Einkommen und Luxusgüter finanziert werden sollte. Ferner schlug er die Einführung einer Grundsteuer nach dem Vorbild des amerikanischen Steuerreformers Henry George vor. Der Vorschlag hätte enorme Auswirkungen auf Großgrundbesitzer gehabt. Da das Oberhaus immer noch vornehmlich aus solchen zusammengesetzt war,[27] traf der Vorschlag dort auf erbitterte Opposition. Vielmehr war man dort der Ansicht, dass Importsteuern (Zölle) erhoben werden sollten, um die britische Wirtschaft zu stärken.[28] Aufgrund der anhaltenden konservativen Blockade im Oberhaus hatte das liberale Kabinett beschlossen, diese mit einem juristischen Kunstgriff zu umgehen; traditionell waren Finanz- und Haushaltsfragen die ureigene Domäne des Unterhauses und wurden vom Oberhaus nicht angefochten.[29] Die Liberalen bündelten deshalb nun alle ihre Gesetzesvorhaben in einem großen Gesetz, dem jährlichen Haushaltsentwurf. Die Konservativen waren dennoch entschlossen, den Entwurf nicht durchzulassen; sie fochten zunächst im Unterhaus das Gesetz in jedem Stadium an und forcierten bei jeder sich bietender Gelegenheit auch eine Division des Hauses durch den Speaker.[30] Der normale Parlamentsbetrieb wurde dadurch erheblich aufgehalten und die Regierung musste die Parlamentssession auf die übliche Sommerpause und darüber hinaus ausdehnen.[31] Nachdem das Gesetz Anfang November 1909 durch das Unterhaus gebracht war, benutzten die Konservativen, angeführt von Arthur Balfour und Lord Lansdowne (dem Führer der Konservativen im Oberhaus) trotz einiger Widerstände in ihrer Partei die große konservative Mehrheit im Oberhaus, um es zu blockieren.[32]

So kam es zu einer Verfassungskrise. Die liberale Regierung unter Premierminister H. H. Asquith rief Neuwahlen aus und machte die Reduzierung der Macht des Oberhauses zum vorrangigen Wahlkampfthema für die Wahlen im Januar 1910. Die Liberalen gewannen die Wahl zwar, hatten jedoch im Vergleich zur Vorwahl schwere Verluste zu verzeichnen; sie bildeten eine Minderheitsregierung und waren fortan auf die Unterstützung der Labour-Party und irischen Nationalisten, der Irish Parliamentary Party (IPP), angewiesen.[33] Asquith forderte daraufhin von König Eduard VII., neue, liberale Lords zu ernennen, um die konservativen Lords im Oberhaus überstimmen zu können (sog. Pairsschub). Der König sah jedoch durch die Unterhauswahl kein schlüssiges Ergebnis erzielt und teilte Asquith dies auch mit; er warnte zugleich jedoch das Oberhaus vor „gravierenden Konsequenzen“, ohne diese näher zu spezifizieren.[34] Völlig überraschend starb er im Mai 1910.[35] Eduards Sohn, der neue König Georg V., war politisch unerfahren und als zweiter Sohn Eduards in seinem Werdegang nicht dazu erzogen worden, der neue Monarch zu werden.[36] Er zögerte, als erste Amtshandlung in seiner neuen Funktion eine drastische Attacke auf den Adel durchzuführen. Asquith versuchte deshalb zunächst, in bereits anberaumten informellen Gesprächen mit den führenden Konservativen einen Kompromiss zu erzielen.[37]

Bei den folgenden Gesprächen wurden die Liberalen durch Asquith, Lloyd George, Crewe und Augustine Birrell vertreten, die Konservativen dagegen durch Balfour, Lansdowne, Austen Chamberlain und Cawdor.[38] Asquith und Lloyd George zeigten sich dabei ebenso kompromissbereit wie Balfour auf der anderen Seite.[39] Allerdings wurde die konservative Seite von Lansdowne dominiert, der sich im ganzen Verlauf der Gespräche als nicht kompromissbereit erwies.[40] Lansdowne hatte bei allen vorgeschlagenen Kompromissformeln bereits mögliche Implikationen für die schwelende Home Rule-Frage im Blick, wo er seit den 1880er Jahren als absoluter Hardliner auftrat und unter keinen Umständen nachgeben wollte. Inhaltlich unterstützt von Cawdor, war er deshalb eher bereit, die Konferenzgespräche scheitern zu lassen, als Home Rule wahrscheinlicher werden zu lassen.[41] Auch der Vorschlag Lloyd Georges, eine Koalition aus Konservativen und Liberalen zu bilden, wurde von Balfour zurückgewiesen.[42] Am 10. November 1910 brachen die Gespräche zusammen. Der König gab Asquith zögerlich die Zusage, nötigenfalls 250 neue liberale Lords zu ernennen, um die Mehrheit der konservativen Lords zu brechen. Asquith rief daraufhin Neuwahlen aus, um die Bedingung des Königs zu erfüllen und sicherzugehen, dass ein klarer Auftrag des Volkes zu einer Verfassungsänderung bestehe. Abermals machten also die Liberalen die Reduzierung der Macht des Oberhauses durch einen Parliament Act zum vorrangigen Wahlkampfthema. Die Wahl brachte im Vergleich praktisch keine Veränderungen.[43] Daraufhin gab eine Gruppe von Lord Curzon angeführte Gruppe konservativer Lords nach und stimmte am 10. August 1911 mit der liberalen Minderheit im Oberhaus, so dass das Gesetz das Oberhaus passieren konnte.[44] Bemerkenswert: Die Grundsteuer – die der Auslöser für den Parliament Act gewesen war – wurde nicht eingeführt.

Inhalt des Gesetzes

Parliament Act 1911

Das Oberhaus verlor mit dem Parliament Act sein Vetorecht in Finanzfragen: Ein vom Unterhaus verabschiedeter Finanzgesetzesentwurf (money bill) muss dem Oberhaus wenigstens einen Monat vor dem Ende der Sitzungsperiode vorgelegt werden. Wenn das Oberhaus ihn nicht innerhalb eines Monats nach der Übersendung unverändert annimmt, wird der Gesetzesentwurf – sofern das Unterhaus nichts Gegenteiliges bestimmt – dem König vorgelegt und nach der königlichen Zustimmung selbst dann Parlamentsgesetz, wenn ihm das Oberhaus weiterhin nicht zustimmt. Der Parliament Act kann nur bei Gesetzesentwürfen angewandt werden, die vom Unterhaus ausgehen, nicht aber auf Entwürfe, die ihren Ursprung im Oberhaus haben.

Ob ein öffentlicher Gesetzesentwurf ein Finanzgesetzesentwurf im Sinne des Parliament Act ist, wird vom Sprecher des Unterhauses entschieden. Das Gesetz muss dabei gewissen Anforderungen genügen, die im Absatz 1.2 des Parliament Act beschrieben werden (siehe dazu Link zum deutschsprachigen Gesetzestext in den Referenzen). Darunter fallen Gesetzesentwürfe, die folgende Gebiete betreffen:

  • Auferlegung, Aufhebung, Erlass, Änderung oder Regelung von Steuern
  • Ausgabe von Geldern aus dem konsolidierten Staatsfonds zur Rückzahlung von Schulden oder zu anderen Finanzzwecken
  • Ausgabe von durch das Parlament bewilligten Geldern oder die Änderung oder Aufhebung irgendwelcher solcher Ausgaben
  • das Budget
  • Bewilligung, Einnahme, Verwaltung, Ausgabe oder Überprüfung öffentlicher Gelder
  • Aufnahme oder Gewährleistung einer Anleihe oder deren Rückzahlung
  • untergeordnete Angelegenheiten, die in Zusammenhang mit diesen Gegenständen stehen

Darüber hinaus wurden auch andere öffentliche Gesetzesentwürfe (public bills) einer Einschränkung unterzogen. Ein Gesetzesentwurf kann auch dann zum Gesetz werden, wenn ihm das Oberhaus nicht zugestimmt hat. Im Parliament Act von 1911 ist zu lesen (Absatz 2.1):

Das Gesetzgebungsverfahren nach dem Parliament Act von 1911
„Wenn ein öffentlicher Gesetzesentwurf (mit Ausnahme eines Finanzgesetzentwurfes oder eines Gesetzentwurfes, der Vorschriften zur Ausdehnung der Höchstdauer der Legislaturperiode über mehr als fünf Jahre enthält), vom Unterhaus in drei aufeinander folgenden Sitzungsperioden (sei es während derselben Legislaturperiode oder nicht) verabschiedet wird und dem Oberhaus jeweils zumindest einen Monat vor Ablauf der Sitzungsperiode übersandt und von ihm in jeder dieser Sitzungsperioden abgelehnt worden ist, so wird dieser Gesetzesentwurf – sofern das Unterhaus nichts Gegenteiliges bestimmt – nach der dritten Ablehnung durch das Oberhaus Seiner Majestät vorgelegt und wird nach Bekundung der königlichen Zustimmung selbst dann Parlamentsgesetz, wenn ihm das Oberhaus nicht zugestimmt hat. Diese Bestimmung soll jedoch nur wirksam werden, wenn von dem Zeitpunkt der – während der ersten Sitzungsperiode erfolgenden – zweiten Lesung des Gesetzesentwurfes im Unterhaus bis zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung durch das Unterhaus in der dritten Sitzungsperiode zwei Jahre verstrichen sind.“

Der Parliament Act beschränkte nicht nur das Vetorecht des Oberhauses. Er verkürzte auch die maximale Länge einer Legislaturperiode von sieben auf fünf Jahre.

Parliament Act 1949

Das Gesetzgebungsverfahren nach dem Parliament Act von 1949 (Änderungen gegenüber 1911 in Rot)

Der Parliament Act von 1949 schränkte die Möglichkeiten des Oberhauses weiter ein. Dieses Gesetz wurde durch die Anwendung des Parliament Act von 1911 durchgesetzt und ist daher nicht unumstritten. Die Änderungen haben eine Beschleunigung des Verfahrens zur Folge: So können öffentliche Gesetzesentwürfe nun bereits nach der zweiten Ablehnung durch das Oberhaus dem König beziehungsweise der Königin vorgelegt werden. Außerdem wurde die Mindestzeit bis zur Verabschiedung in der zweiten Sitzungsperiode von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt.

Folgende Kriterien müssen zutreffen, damit das Unterhaus einen Parliament Act (so wird auch das Verfahren zur Durchsetzung von Gesetzen mit Hilfe des Parliament Act genannt) anwenden kann:

  • Zweimalige Ablehnung des Gesetzesentwurfs durch das Oberhaus
  • Ablauf von einem Jahr zwischen erster und zweiter Sitzungsperiode

Anwendung

Der Parliament Act wurde bis heute nur sieben Mal angewendet. Im Jahre 1914 wurde der walisische Teil von der Kirche Englands (Church of England) getrennt und in die Kirche von Wales (Church of Wales) umgewandelt. Im selben Jahr wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Selbstverwaltung Irlands vorsah. 1949 wurden die Änderungen zum Parliament Act durch die Anwendung des Parliament Act von 1911 durchgesetzt. 1991 trat der sogenannte War Crimes Act (Gesetz gegen Kriegsverbrechen) mit Hilfe des Parliament Act in Kraft, in dem die Jurisdiktion des Vereinigten Königreichs erweitert wurde, um auch Taten abzudecken, die während des Zweiten Weltkriegs für Nazideutschland verübt wurden. 1999 wurde ein Gesetz verabschiedet, das das Wahlsystem für das Europäische Parlament zu einer Form proportionaler Repräsentation abänderte. Ein Jahr darauf, im Jahr 2000, wurde der „Sexual Offences (Amendment) Act“ (Sexualdeliktsgesetz (Abänderung)) durch einen Parliament Act durchgesetzt. Dieser hatte die Gleichstellung des Volljährigkeitsalters für männliche homosexuelle Paare mit heterosexuellen und lesbischen Paaren zum Ziel.[45]

Das jüngste Gesetz, das durch einen Parliament Act in Kraft getreten ist, ist der „Hunting Act“ (Jagdgesetz), der die Jagd auf Säugetiere mit Hunden verbietet, insbesondere die Fuchsjagd. Das Gesetz ist heftig umstritten und führte bereits zu wilden Tumulten von Anhängern der Fuchsjagd um das britische Parlament. Da die Fuchsjagd weithin als ein Privileg der Oberschicht angesehen wird, lebte auch der Konflikt zwischen Bürgertum und Adel wieder auf, der im heutigen Vereinigten Königreich meist stellvertretend und mit vielen Klischees auf beiden Seiten als Konflikt zwischen Stadt und Land geführt wird. Aus diesem Grund kippte das immer noch mit Teilen des Erbadels besetzte Oberhaus das Verbot.

Gesetze, die durch einen Parliament Act verabschiedet wurden

Gesetze, bei denen mit dem Parliament Act gedroht wurde

Durch Androhung des Parliament Act kann das Unterhaus auch versuchen, Druck auf das Oberhaus zu machen, einem Kompromiss zuzustimmen. Bisher gab es drei Gesetzesvorhaben, bei denen dies geschah:

  • Im Temperance (Scotland) Act von 1913, der ein Alkoholverbot zum Ziel hatte. Das Gesetz sah vor, dass schottische Wahlkreise darüber abstimmen konnten, ob dort der Alkoholverkauf weiter erlaubt sei oder nicht.
  • Bei der 1976er Novelle des 1974 beschlossenen Trade Union and Labour Relations Act. Das ursprüngliche Gesetz führte zu einer Stärkung der Rechte der Gewerkschaften und Arbeitnehmer, in der Novelle sollte unter anderem die Definition einer unfairen Kündigung weiter gefasst sein.
  • Beim Aircraft and Shipbuilding Industries Act von 1977, der die britische Flugzeug- und Schiffbauindustrie verstaatlichte und reorganisierte.

Diese drei Gesetze wurden nach der ersten Sitzungsperiode vom Oberhaus abgelehnt, aber infolge einer Kompromisslösung in der letztmöglichen Sitzungsperiode von diesem angenommen. Ein Parliament Act war daher in diesen Fällen nicht notwendig.

Auch im Zusammenhang mit dem Brexit nach dem Referendum von 2016 wurde von der britischen Regierung unter Boris Johnson, die im Oberhaus über keine Mehrheit verfügte, die Möglichkeit einer Anwendung des Parliament Act zumindest angedeutet.[46]

Gesetze, bei denen der Parliament Act nicht zur Anwendung kommt

  • Gesetze, die die Länge einer Parlamentszeit über fünf Jahre hinaus verlängern
  • Initiativanträge (Private Bills)
  • Gesetze, die weniger als einen Monat vor Ende einer Sitzungsperiode (Legislative Session) an das Oberhaus gesendet werden
  • Gesetze, die vom Oberhaus initiiert werden

Präambel

Gesetze, die durch einen Parliament Act verabschiedet wurden, tragen folgende Präambel:

BE IT ENACTED by The Queen’s most Excellent Majesty, by and with the advice and consent of the Commons in this present Parliament assembled, in accordance with the provisions of the Parliament Acts 1911 and 1949, and by the authority of the same, as follows
SEI DIES ERLASSEN durch Ihre Königliche Majestät, durch und mit dem Anraten und der Zustimmung des Unterhauses in diesem nun versammelten Parlament, gemäß den Bestimmungen der Parliament Acts von 1911 und 1949 und durch sie ermächtigt, wie folgt

Literatur

  • Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, ISBN 978-0-19-820389-6.
  • Emil Hübner, Ursula Münch: Das politische System Großbritanniens. C. H. Beck, München 1999, ISBN 3-406-45651-0
  • Gert-Joachim Glaeßner: Verfassungspolitik und Verfassungswandel. Deutschland und Großbritannien im Vergleich. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2001, ISBN 3-531-13570-8
  • Roy Jenkins: Mr. Balfour's Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, ISBN 978-1-4482-0320-8.
  • Karl-Ulrich Meyn: Die Verfassungskonventionalregeln im Verfassungssystem Großbritanniens. Schwarz, Göttingen 1975, ISBN 3-509-00793-X

Weblinks

Anmerkungen

  1. John Campbell: Pistols at Dawn: Two Hundred Years of Political Rivalry from Pitt and Fox to Blair and Brown. Vintage Books, London 2009, S. 13.
  2. John Campbell: Pistols at Dawn: Two Hundred Years of Political Rivalry from Pitt and Fox to Blair and Brown. Vintage Books, London 2009, S. 13.
  3. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 16.
  4. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 103.
  5. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 18. f.
  6. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 104.
  7. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 104 f.
  8. Clyve Jones: Peers, Politics and Power: The House of Lords 1603–1911. Hambledon Press History Series, London 1986, S. 463 f.
  9. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 105.
  10. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 108.
  11. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 122.
  12. Corinne C. Weston: Salisbury and the Lords, 1868 – 1895. The Historical Journal, 25, 1 (1982), S. 123 f.
  13. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 24. f.
  14. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 6.
  15. Roy Jenkins: Mr. Balfour's Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 15.
  16. Roy Jenkins: Mr. Balfour's Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 15 f.
  17. Roy Jenkins: Mr. Balfour's Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 16 f.
  18. Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 159.
  19. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 24.
  20. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 7.
    Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 17.
  21. Dazu kamen 29 Sitze für die Labour–Party und 82 Sitze für die Irish Parliamentary Party. Beide stimmten für gewöhnlich zusammen mit den Liberalen.
  22. Robert Blake: The Conservative Party from Peel to Major. Faber and Faber, London 1997, S. 184.
  23. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 26.
  24. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 136.
  25. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 57.
  26. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 147.
  27. Andrew Adonis: Making Aristocracy Work: The Peerage and the Political System in Britain, 1884–1914. Oxford University Press 1993, S. 51.
  28. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 65 ff.
  29. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 84.
  30. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 72 ff.
  31. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 75.
  32. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 88.
  33. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 108 ff.
  34. Stephen Bates: Asquith. (20 British Prime Ministers of the 20th Century). Haus Publishing, London 2006, S. 61.
  35. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 140 f.
  36. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 142 f.
  37. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 143.
  38. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 145.
  39. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 153 f.
  40. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 155.
  41. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 156.
  42. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 157 f.
  43. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 189 f.
  44. Roy Jenkins: Mr. Balfour’s Poodle. Bloomsbury Reader, London 2012, S. 259 ff.
  45. [1], UK Parliament - The Parliament Acts, abgerufen am 9. November 2021
  46. https://www.bbc.com/news/uk-politics-54986142, abgerufen am 27. September 2021.