Patria Potestas

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Die patria potestas („väterliche Gewalt“) war im antiken Rom ursprünglich nur ein Anwendungsfall einheitlicher und unbeschränkter Herrschaftsmacht (potestas), die dem pater familias, dem männlichen Familienoberhaupt, oblag. Er übte sie über Personen und Sachen, über freie und unfreie Hausgenossen (familia) aus. Zur römischen familia gehörten, anders als bei vielen anderen Familienformen, auch die verheirateten Söhne mit ihren Frauen und Kindern, die Adoptivsöhne, Sklaven, Vieh und sonstiges Besitztum. Die patria potestas war für das Familien- und Eheleben rechtlich konstitutiv.

Charakteristika

Der mos maiorum band den Hausvorstand seit jeher dahingehend, dass er schwere Strafen (iudicium domesticum), wie die Tötung eines Hauskindes (ius vitae necisque), nicht willkürlich vornahm, sondern in seiner Eigenschaft als Richter und unter Einbezug des Familienrates verhängte.[1] Faktisch überwachten die Zensoren mit öffentlichem Auftrag die Einhaltung der Sitten (boni mores).[2] Obwohl Quellen von Einzelfällen missbräuchlicher Ausübung der Familiengewalt berichten, sind derartige Fälle zumindest in historischer Zeit selten. Die hervorragende Stellung des pater familias bezeichnete die vermögensrechtliche Verfügungsgewalt und die Gewalt über das Leben der familia zumeist eher symbolisch. Tatsächliche Tötungen heranwachsender oder erwachsener Kinder sind nur in 15 Fällen überliefert. Nahezu alle davon können aber zugleich oder vorrangig auf andere Rechtsgrundlagen zurückgeführt werden, so dass das ius vitae necisque möglicherweise keine reale Rechtsnorm war, sondern eine eher allegorisch zu verstehende Betonung der patria potestas.[3]

Die patria potestas manifestierte sich auch in der Entscheidungsgewalt des pater familias über die Annahme oder Ablehnung neugeborener Kinder, die Veräußerung (ius vendendi) bis hin zu deren Tötung. Kinder von Angehörigen der familia, die man nicht aufziehen konnte oder wollte, sei es aus finanziellen Gründen, sei es, weil sie Bastarde waren, behindert oder schlicht Mädchen, wurden getötet oder häufig an öffentlichen Plätzen ausgesetzt. Die Aussetzung von Neugeborenen an öffentlichen Dunghaufen war in der gesamten römischen Welt bis zum Jahr 374 n. Chr. legal. Die Kinder verfielen allerdings in der Regel nicht dem Tode, sondern der Sklaverei: Sie wurden zum Eigentum dessen, der sie aufnahm und großzog. Nach Ansicht heutiger Althistoriker wurde diese Praxis von den Zeitgenossen keineswegs als inhuman angesehen, da die Aussetzung jenen Kindern eine Chance auf Überleben ermöglichte. Erst in christlicher Zeit, als sich aufgrund der kirchlichen misericordia Alternativen zur Aussetzung boten, wurde die nunmehr nicht mehr notwendige Praxis als anstößig empfunden und in der Folge verboten. Auch das Kindstötungsrecht (ius vitae necisque) wurde erst unter christlichem Einfluss abgeschafft, wobei es seine Bedeutung bereits zur Zeit der hohen Republik verloren hatte.[1]

Um neugeborene Kinder dagegen in der familia zu halten, war es erforderlich, dass der pater familias, dem sie nach der Geburt zu Füßen gelegt wurden, sie aufhob (was suscipere oder tollere hieß) und damit formal annahm. Sie erhielten, die Knaben am neunten, die Mädchen am achten Tag (dies lustricus), Namen und religiöse Weihe und wurden hierauf im elterlichen Haus erzogen und unterrichtet.

Beginn und Ende der väterlichen Gewalt

Die patria potestas begann mit der Geburt und endete regelmäßig mit dem Tod des Gewalthabers. Mit dem Tod des Gewalthabers wurden die Kinder (Söhne und Töchter) gewaltfrei, die Söhne ihrerseits erlangten die väterliche Gewalt über die eigenen Kinder und Kindeskinder.

Neben Geburt und Tod als natürlichen Begründungs- und Beendigungstatbeständen väterlicher Gewalt spielten die beiden Erscheinungsformen der Adoption eine bedeutende Rolle, um das Aussterbens des Geschlechts zu verhindern. Das römische Recht kannte aus archaischer Zeit bereits die arrogatio (Annahme an Kindes Statt), die kraft rogatio des pontifex maximus in den comitia curiata (Volksversammlung) durch deren Beschluss zustande kam. Später wurde die arrogatio durch die adoptio abgelöst, die in zwei Akten vollzogen wurde. Im ersten Akt wurde die dreigliedrige mancipatio vollzogen, ein Scheinverkauf des Kindes durch den pater familias an Dritte. Die Anordnungen dazu waren umfangreich im Zwölftafelgesetz geregelt. Das Kind war nach der dritten mancipatio frei von den vorangegangenen Gewaltverhältnissen: si pater filium ter venum duit filius a patre liber esto = „wenn ein Vater seinen Sohn dreimal zum Verkauf gegeben hat, so soll der Sohn von der väterlichen Gewalt frei sein“. Im zweiten Akt, einem Anwendungsfall der in iure cessio, vindizierte der Adoptierende das Kind, wobei der vormalige Gewaltgeber auf Gegenrechte (contravindicatio) ausdrücklich verzichtete und der Magistrat die neuen Eigentumsverhältnisse kundtat.[1] Das Kind verlor alle Anwartschaftsrechte auf Erbschaft gegenüber seinem ehemaligen Gewaltgeber (Vater).

Söhne wurden nach dem Tod des Vaters sui iuris („eigenen Rechts“) und standen nun selbst als pater familias ihrer eigenen Familie vor. Am vorgenannten Satz knüpft die Rechtsfiguren der Emanzipation an.[1] Hauskinder waren vermögensunfähig. Sie konnten gegebenenfalls Sondervermögen zur selbständigen Bewirtschaftung erlangen, beispielsweise peculium castrense (anlässlich des Heeresdienstes erworbenes Vermögen) oder jederzeit entzugsfähiges peculium profecticium.[1] Töchter wechselten durch eine Manusehe in die patria potestas ihres Mannes oder Schwiegervaters.

Die väterliche Gewalt war Ausgangspunkt für das von der Blutsverwandtschaft abgekoppelte agnatische Verwandtschaftssystem. Dieses trat im Laufe der Rechtsentwicklung aber zugunsten der Konsanguinität zurück.[2]

Faktisch unterlag die patria potestas spätestens seit der Spätzeit der Republik erheblichen Beschränkungen; sie blieb aber formal während der Kaiserzeit und Spätantike geltendes Recht und wurde noch 534 n. Chr. im Codex Iustinianus bestätigt. Von einer tatsächlichen Ausübung der meisten mit ihr verbundenen Rechte ist zu dieser Zeit aber nichts mehr bekannt.

Literatur

Einzelnachweise

  1. a b c d e Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 182 ff.
  2. a b Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht, Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001) (Böhlau-Studien-Bücher) ISBN 3-205-07171-9, S. 92–96.
  3. John Curran: Ius vitae necisque: the politics of killing children. (pdf) In: Journal of Ancient History 2018; 6(1). 19. Juni 2018, S. 111–135, abgerufen am 15. Juni 2021 (englisch).