Pleuel
Ein Pleuel, auch Pleuelstange, Schubstange oder Treibstange, ist bei einem Kurbeltrieb von Kraft- und Arbeitsmaschinen die Verbindung zwischen der Kurbelwelle oder dem Kurbelzapfen und dem sich in hin- und hergehender Bewegung befindlichen Kolben oder Kreuzkopf. Die Pleuelstange setzt die lineare Bewegung des Kraft- oder Arbeitskolbens in die kreisförmige Bewegung der Kurbelwelle (linear oszillierende Axialbewegung) oder umgekehrt eine kreisförmige in eine lineare Bewegung um.
Ähnliche Einrichtungen gibt es im Skelett von Wirbeltieren, allerdings werden hier natürlich nur Kreisbogenteile in lineare Bewegung umgewandelt (s. etwa Os quadratum).
Das grammatische Geschlecht von „Pleuel“ ist nach Duden und anderen deutschen Wörterbüchern männlich (der Pleuel), im technischen Bereich wird das Wort auch als Neutrum (das Pleuel) benutzt. Diese Genuszweideutigkeit kann mit die Pleuelstange umgangen werden. Der Begriff ist etymologisch identisch mit Bleuel.
Formen / Konstruktion
An beiden Enden (Pleuelkopf, Pleuelauge) des meist H-förmig[1] ausgeformten Pleuelschaftes befinden sich Pleuellager. Am kleineren Pleuelauge wird der Kolbenbolzen durchgesteckt.
Am größeren Pleuelauge (oder Pleuelfuß) ist in aller Regel das Pleuel geteilt, mit zwei Verschraubungen, zur Verschraubung werden in der Regel spezielle Dehnschrauben verwendet. Das Verschraubungsprinzip des Differenzgewindes wird zwar in der Literatur beschrieben,[2] ist in der Praxis aber fast nie zu finden.
Einteilige Pleuel ohne abnehmbaren Pleueldeckel bedingen zur Montage zerlegbare Kurbelwellen. Man findet sie meist in Motoren mit wälzgelagerten Kurbelwellen, wie zum Beispiel Kleingeräte-, Kleinkraftrad- und einigen Motorradmotoren.
Zur Verkürzung der Baulänge von V-Motoren und zur Unterbindung des Zylinderbankversatzes werden vereinzelt Anlenkpleuel verwendet. Da hierbei kinematisch bedingt die Zylinderbänke nicht den exakt gleichen Hub erhalten, muss gegebenenfalls mit unterschiedlich hohen Kolben je Zylinderbank oder leicht unterschiedlich gefrästen oder geplanten Bankhöhen die Verdichtung ausgeglichen werden.
Pleuel müssen wegen der wechselnden Belastung auf Dauerfestigkeit ausgelegt werden.
Werkstoffe
Gebräuchliche Werkstoffe für Pleuel sind heute C70[3] oder mikrolegierte Stähle und Sintermetalle. Im Sportmotorenbereich werden spezielle Vergütungsstähle oder wegen des geringeren Gewichtes auch Titanlegierungen eingesetzt. Weiterhin verwendet werden auch noch Pleuel aus Gusseisen.
Fertigung
Großserienpleuel werden geschmiedet oder gesintert. Schmiedepleuel weisen gegenüber Sinterpleueln ein besseres Verhältnis von Festigkeit zu Gewicht bei niedrigeren Kosten auf, jedoch ist die Gesenk-Herstellung sehr teuer und lohnt sich nur bei großen Serien. Bei Großmotoren werden die Pleuel geschmiedet oder gegossen. Bei Kleinserien werden die Pleuel spanend aus Metallstücken hergestellt.
Bruchtrennen (Cracking)
Bruchgetrennte (cracked) Pleuel werden einteilig hergestellt, mit Bruchkerben (Sinterpleuel) oder Laserkerben (Stahlpleuel) versehen und dann an den gekerbten Stellen in zwei Teile zerbrochen. Die Bruchflächen passen exakt zusammen und Pleuel und Pleueldeckel können bei der Montage auf dem Hubzapfen der Kurbelwelle verschraubt werden. Am montierten Pleuel ist die Trennfuge fast nicht mehr sichtbar. Aufgrund der individuellen Bruchgeometrie gehören beide Teile eines Pleuel zusammen und sind nicht einzeln austauschbar. Bruchgetrennte Pleuel bieten hinsichtlich Festigkeit, Fertigungsgenauigkeit sowie der Herstellungskosten Vorteile. Es ist ein exakter Sitz gewährleistet und die Kraftübertragung erfolgt besser als bei zwei getrennt hergestellten Bauteilen. Allerdings führt die Präzision der Bruchpassung bis auf feinstruktureller Ebene dazu, dass wiederholtes Zerlegen die kaum in der Tiefe zu reinigenden Bruchflächen verschmutzt und so die Passung ungenau wird.
Erstmals setzte Porsche 1977 im V8-Motor des Typs 928 bruchgetrennte Pleuel aus gesintertem Stahl ein. Ab 1992 verwendete auch BMW – zunächst im Achtzylindermotor BMW M60 – diese Technologie, die mittlerweile weltweit eingeführt ist.
Trennen / Sägen
Andere Verfahren zur Trennung der Pleuel (Sägen mit nachfolgendem Fräsen, ggf. Schleifen der Trennflächen) und Montage (Passschrauben oder Passstifte) kommen nur noch bei Kleinserien oder sehr großen Pleueln (Lkw, Schiffsdiesel etc.) zum Einsatz.
Anwendungsfälle
Die erste bekannte Maschine, bei der eine Drehbewegung mithilfe von Pleuelstange und Kurbelwelle in eine lineare Bewegung umgesetzt wurde, ist die römische Sägemühle von Hierapolis (3. Jh. n. Chr.).[4] Pleuel kommen seither bei verschiedensten Maschinentypen zum Einsatz.
Biegestanze
Bei einer Biegestanze wird das Pleuel zur Umsetzung der meist obenliegenden Rotationseinheit auf die meist senkrecht zu betätigende Biege- oder Stanzeinrichtung verwendet. Als Besonderheit wurden in diesem Sektor zahlreiche Knick-Pleuel etabliert, die es erlauben, Kraft und Weg in gewissen Grenzen frei zu wählen und den Maschinenhub dem Werkstück und der Bearbeitung weitgehend anzupassen.
Dampfmaschine
Auch bei Dampfmaschinen auf Dampfschiffen oder sonstigen Dampfmotoren finden sich Pleuel, die zur Umsetzung der linearen Kolbenbewegung in eine Drehbewegung der Kurbelwelle dienen. Beim Antriebssystem der Dampflokomotiven wird dieses Bauteil Treibstange genannt und wirkt in den meisten Fällen direkt auf die Treibachse der Lokomotive.
Die frühen Dampfmaschinen nach Newcomen hatten dieses Element noch nicht; sie benutzten allenfalls eine Umlenkung mittels Hebel und konnten somit nur lineare Verbraucher antreiben, z. B. Hubkolben-Pumpen. Erst mit dem Design von Watt fand das Pleuel und später (nach Erlöschen von Patentansprüchen) die Kurbelwelle wirklich Einzug in die Technik der Dampfmaschinen.
Kompressor
Das Pleuel eines Kolbenkompressors überträgt die rotierend angreifenden Kraft-Komponenten der Kurbelwelle auf den linear bewegten Arbeitskolben zur Erzeugung der Verdichtung.
Kunstgestänge
Das Kunstgestänge im Bergbau basiert auf der Erfindung des krummen Zapfens (Pleuel), mit dem man zum ersten Mal rotierende Bewegungen in lineare überführen konnte.
Nähmaschine
Bei einer Nähmaschine werden Pleuel zur Umsetzung der rotierenden Bewegung des Antriebs in eine vertikale Bewegung der Nähnadel verwendet. Historische durch Menschenkraft angetriebene Nähmaschinen benutzten ein Pleuel weiterhin zur Umsetzung der Kippbewegung der Fußplatte in die Drehbewegung der Antriebsachse.
Verbrennungsmotor
Im Verbrennungsmotor nach dem Hubkolben-Prinzip ist die Pleuelstange Überträger der Bewegungsenergie zwischen Kolben und Kurbelwelle, mit denen sie jeweils durch Lager beweglich verbunden ist. Auf diese überträgt sie die Gaskräfte im Zylinderraum auf die Kurbelwelle. In Zweitaktmotoren werden in der Regel Pleuel mit ungeteiltem unterem Lager (Pleuelauge) verwendet, die darüber hinaus das angesaugte Gemisch verwirbeln und Öl an die Laufbuchse, in spezielle Fangtaschen und an die Kurbelwellenlager schleudern.
Als Koppelglied zwischen der Oszillationsbewegung des Kolbens und der Rotation der Kurbelwelle gehört zu jedem Kolben eine Pleuelstange. Zwei Pleuel pro Kolben gab es beim V-Vierzylinder-Motor der Honda NR-Modelle mit superelliptischen Kolben („Ovalkolben“), wo aufgrund der Länge dieser Kolben zwei parallele Pleuel erforderlich waren, und bei Dieselmotoren des Herstellers Neander Motors mit zwei gegenläufigen Kurbelwellen, deren beide Pleuel auf einen Kolben wirken.[5]
Von anderer Art ist die Verwendung von Schubstangen im Verbrennungsmotor bei Albert Roders ULTRAMAX-Steuerung für den Ventiltrieb der Motorrad-Modelle NSU Max, Superfox und Maxi sowie den der Zweizylinder-Motoren des PKW-Modells NSU Prinz; dabei dienen zwei Schubstangen (mit 90° Phasenversatz) dem Antrieb der obenliegenden Nockenwelle.
Sonstiges Allgemeines und Spezielles
Früher waren – vor allem bei Motorrad-Motoren, um eine Schmierölpumpe einzusparen – auch Wälzlager in den Pleuelaugen verbreitete Konstruktionsweisen, als oberes Pleuellager oft in Gestalt von Nadellagern. Bei größeren und modernen Konstruktionen dominieren Gleitlager.
In das große Pleuelauge am Pleuelfuß werden bei Verbrennungsmotoren zwei Stahl-Bleibronze- oder Stahl-Aluminium-Halbschalen eingelegt. Bei den Lagern handelt es sich heute um hochkomplexe Bauteile. Obere und untere Lagerschale sind auf Grund der unterschiedlichen Belastung nicht mehr symmetrisch. Durch die enormen Fortschritte in der Werkstoffentwicklung sind sehr dünnwandige Lager mit definierten Schmierfilmen im µm-Bereich möglich geworden. Fixiernasen an den Halbschalen dienen zur Positionierung und zur Fixierung der Lager während der Montage. Entgegen der immer noch weitverbreiteten Meinung dienen die Fixiernasen nicht als Sicherung gegen Herausrutschen und Verdrehen. Der Festsitz der Lagerschalen erfolgt durch die Flächenpressung, welche die Lager erhalten, wenn die Lagerdeckel verschraubt werden. Im oberen Pleuelauge steckt oft eine einteilige Bronze-Buchse. Diese Buchsen bestehen aus einem Stahlmantel, auf den eine Sinterbronze aufgebracht wird. Buchsen im oberen Pleuelauge sind nur bei hochbelasteten Pleueln, z. B. in Dieselmotoren erforderlich. Aktuell schreitet der Einsatz bleifreier Lager schnell voran.
Lagerungen aus NE-Metallen müssen im Betrieb durch Öl geschmiert und gekühlt werden: ein Pleuellager-Schaden ist fast immer der Folgeschaden eines Ölmangels. Zur Ölversorgung wurden früher Pleuel über die gebohrte Kurbelwelle zuerst am großen Pleuelfußlager ölversorgt, von dort aus wurde über eine innere Bohrung in der Pleuelstange dem Kolbenbolzenlager Schmieröl zugeführt. Neuere Simulationstechniken haben hier zu Neukonstruktionen der Motoren geführt, mit denen viele Ölbohrungen entfallen konnten. Beim Zweitaktmotor und älteren kleinen Viertaktmotoren erfolgt die Lagerung durch Nadel- oder Rollenlager, deren Schmierölversorgung meist nur durch Schleuder- oder Mischungsschmierung erfolgt.
Die Passungen in Pleuellagern sind so dimensioniert, dass im vorausberechneten Warmzustand geringe Schmierspalte bestehen, aus denen das Öl austreten kann. Die angestrebte Schmierungstechnik im Pleuelfuß ist die eines hydrodynamischen Gleitlagers, d. h. aus der Umlaufbewegung des Pleuels baut sich durch die Reibung der Bewegung eine Mitnahme eines Ölpolsters auf, die bei richtiger Dimensionierung eine reine Flüssigkeitsreibung ermöglicht und einen verschleißenden Kontakt Metall auf Metall zuverlässig verhindert. Bei der Kolbenbolzen-Lagerung hingegen ist keine umlaufende Bewegung möglich; in dieser Lagerung ist mit Mischreibung zwischen Kolbenbolzen und Pleuelaugenlager zu rechnen und dementsprechend großzügiger sind die Lagerflächen, Drücke und Öldurchflussmengen vorzusehen.
Wenn der Pleuelfuß nicht geteilt ausgeführt ist, das Pleuel also aus nur einem Teil besteht, muss zur Ermöglichung der Montage die Kurbelwelle aus mehreren montierbaren Bauteilen bestehen („gebaut sein“), das heißt, der Kurbelwellenzapfen muss verschraubt sein beziehungsweise in anderer Weise demontiert und wieder montiert werden können (Pressen, Wärmeschrumpf) (Hirth-Verzahnung), oder eine einseitige Kröpfung aufweisen, mit nur einer Kurbelwange statt beiderseits des Pleuels.
Das verbindende Profil der beiden Pleuelaugen ist normalerweise ein H- oder Doppel-T-Profil. Im Rennmotorenbau der 1950er und 1960er Jahre gab es auch sogenannte Messer-Pleuel mit schlankem Rauten-Querschnitt, die in der Mitte (Verbindungslinie der beiden Augen) dick und zu den Seiten hin scharfkantig waren: diesen Pleueln wurden Vorteile bei den Gastransport-Bewegungen von Zweitaktmotoren zugeschrieben. Bei Zweitaktern wird zumeist der Kolbenunterseite und dem Kurbelraum die Pumpbewegung für die Gaszufuhr aufgegeben (siehe Ladungswechsel), daher stehen die Kurbelwelle, die Pleuel und die Kolbenunterseiten im Frischgasstrom, wobei zumeist die Frischgase zugleich auch die beigegebenen Schmiermittelmengen transportieren.
Bei vielen V-Motoren – manche wie der Ford V-4-Motor haben gleich viele Kolben, Pleuel und Hubzapfen – wirken entweder zwei gleiche Pleuel auf einen Kurbelzapfen in Kurbelwellenrichtung nacheinander (die Folge: ein leichter Versatz der Zylinder), oder eines der beiden Pleuel ist als Gabel ausgebildet und umfasst das zweite, sodass das zweite Pleuel zwischen die Gabelöffnung auf die Kurbelwelle angreift. Dann gibt es keinen Längs-Versatz der Zylinder hintereinander, und somit auch keine zusätzlichen Kippmomente. Diese aufwendigere Bauart ist z. B. bei Motorrädern von Harley-Davidson zu finden; der vordere V-Zylinder ist gegen den hinteren Zylinder zwar gewinkelt, aber nicht seitlich versetzt.
Es gibt auch eine andere Art von Gabel-Pleueln: ein Pleuelfuß auf einer Kurbelwellenkröpfung, jedoch gabelt sich das Pleuel y-förmig nach oben, um daran zwei Kolben zu führen: Ein Kolben normal ausgeführt, Kolben und Pleuelauge jeweils mit runder Bohrung, das andere Auge ebenfalls rund, jedoch der Kolben mit einer Schlitz-Bewegungsfreiheit für den zweiten Kolbenbolzen. Diese Konstruktion wurde ab den zwanziger Jahren bei Puch für einen sogenannten Doppelkolbenmotor im Zweitakt-Prinzip angewandt, später aber durch eine Anlenk- oder Nebenpleuelkonstruktion ersetzt. Der Vorteil des Doppelkolbens liegt in der durch versetzte Hubbewegungen der beiden Kolben möglich werdenden Asymmetrie der Schlitz-Steuerungen des Gaswechsels. Dem stehen erhebliche Nachteile gegenüber: Kühlprobleme, der Bauaufwand, und ein ungünstig geformter doppelt-gemeinsamer Brennraum mit langen Flammwegen und relativ hohem Verbrauch. Sowohl Gabel- als auch Anlenkpleuel unter Ausnutzung asymmetrischer Steuerzeiten, finden sich bei Puch-Motorrädern Anfang der zwanziger bis Ende der sechziger Jahre. Zwischen Ende der vierziger und Mitte der fünfziger Jahre wurden bei Motorrädern der Triumph-Werke in Nürnberg Pleuel parallel zur Kurbelwellenachse[6] gegabelt, wodurch sich allerdings keine asymmetrischen Steuerzeiten verwirklichen lassen.
Weitere Alternative ist die Verwendung eines Hauptpleuels mit seitlich drittem Auge neben der Kurbelzapfenbohrung, an das ein kürzerer Nebenpleuel angreift. Nachteil dieser Technik: dies ist schwingungsmechanisch ein Koppelgetriebe mit hochkomplexer geometrischer Bewegungsbeschreibung der Nebenpleuel.
Bei Sternmotoren greifen seitlich am Hauptpleuel, abhängig von der Zylinderzahl, so zum Beispiel beim Neunzylinder-Motor, bis zu acht Nebenpleuel an.
Siehe auch
Literatur
- Tullia Ritti, Klaus Grewe, Paul Kessener: A Relief of a Water-powered Stone Saw Mill on a Sarcophagus at Hierapolis and its Implications. In: Journal of Roman Archaeology. Bd. 20 (2007), S. 138–163.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ [1] Diese Form wird auch als I-Form in Serifenschrift (I) bezeichnet.
- ↑ Roloff/Matek: Maschinenelemente. ISBN 978-3-658-26280-8.
- ↑ https://pauly-stahlhandel.com/de/din-en/c-70-w1
- ↑ T. Ritti, K. Grewe, P. Kessener: A Relief of a Water-powered Stone Saw Mill ... 2007, S. 161.
- ↑ Neander Motors, abgerufen am 1. Dezember 2015
- ↑ Archivierte Kopie (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive)