RRK-Theorie

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die RRK-Theorie (Akronym für Rice, Ramsperger, Kassel) ist eine mikrokanonische Theorie zur Beschreibung der Geschwindigkeitskonstanten für unimolekulare Reaktionen in der Gasphase. Die Beiträge zur Theorie wurden 1927 von Oscar Rice, Herman Ramsperger und 1928 von Louis Kassel formuliert.[1][2] Hierbei ging der Ansatz von Rice und Ramsperger von klassischer statistischer Mechanik aus, während Kassel einen quantenmechanischen Ansatz verfolgte.

Die RRK-Theorie ist die Basis der RRKM-Theorie, und stellt eine Verbesserung gegenüber der Beschreibung durch einen Lindemann-Christiansen-Mechanismus nach Erweiterung durch Hinshelwood dar (nachfolgend Lindemann-Hinshelwood-Mechanismus genannt). In der RRK-Theorie wird für die Reaktion eines stoßangeregten Moleküls zum Reaktionsprodukt die Abhängigkeit der Geschwindigkeitskonstanten von der Schwingungsenergie berücksichtigt, allerdings werden weitere Beiträge wie Rotationsfreiheitsgrade nicht einbezogen.

Annahmen

Ausgehend von einem Lindemann-Hinshelwood-Mechanismus wird in der RRK-Theorie das Molekül als aus harmonischen Oszillatoren bestehend beschrieben. Die RRK-Theorie ist eine mikrokanonische Theorie, sodass bei einer festen Energie die Zustände statistisch nach einer Boltzmann-Verteilung besetzt sind. Die Oszillatoren sind miteinander lose gekoppelt, sodass die Schwingungsenergie im Molekül auf einer Zeitskala deutlich kleiner als (Definition der Geschwindigkeitskonstanten weiter unten) über die Oszillatoren verteilt wird.

Durch Stöße mit einem Stoßpartner kann ein Molekül in das angeregte Molekül überführt werden.

Hierbei wird von starken Stößen ausgegangen, sodass folglich die (Des-)Aktivierung über einen einzelnen Stoß anstelle von mehreren summierten Stößen stattfindet. Die Geschwindigkeitskonstante für die Anregung lautet und die Geschwindigkeitskonstante für die Relaxation von zu lautet . Vereinigt sich in einer einzelnen kritischen Mode eine Energie oberhalb einer Schwellenenergie , entsteht das aktivierte Molekül , welches sofort zum Produkt reagiert.

Die Geschwindigkeitskonstante für die Reaktion von zu wird unter zusammengefasst. Die RRK-Theorie geht von einer statistisch verteiltenen Lebensdauer der Moleküle aus, wobei die Wahrscheinlichkeit, ein bestimmtes Molekül nach einer Zeitspanne noch immer als vorzufinden, exponentiell abnimmt.

Die unimolekulare Geschwindkeitskonstante wird nach der folgenden Gleichung erhalten.

Während in der oberen Gleichung die Energieabhängigkeit von nach der Lindemann-Theorie noch nicht berücksichtigt wird, ist dies in der unteren Gleichung nach der RRK-Theorie der Fall. Außerdem wurde eine Verteilungsfunktion für die Energie anstelle des Bruchs eingeführt.

Im Detail unterscheiden sich die Annahmen der Ansätze von Rice und Ramsperger von denen von Kassel: Während im klassischen Ansatz von Rice und Ramsperger die Energie sich nur in einem quadratischen Term des harmonischen Oszillator und somit nur in der kinetischen oder potentiellen Energie vereinigen muss, setzt der quantenmechanische Ansatz nach Kassel voraus, dass die Energie sich in einer kritischen Normalmode vereinigt.

Ansatz nach Rice und Ramsperger

Im Ansatz von Rice und Ramsperger werden die harmonischen Oszillatoren klassisch betrachtet. Das Molekül besitzt eine Gesamtenergie . Für eine Reaktion muss ausgehend von den harmonischen Oszillatoren sich eine Energie oberhalb der Schwellenenergie in der kritischen Oszillatormode befinden. Zur Bestimmung der Reaktionswahrscheinlichkeit wird das Verhältnis der Zustandsdichten in der kritischen Oszillatormode und der Zustandsdichte über alle übrigen Oszillatoren gebildet. Letztere besitzen eine Energie .

Nach Einsetzen der Gleichungen und der Berechnung des Integrals wird die Wahrscheinlichkeit

erhalten. Wird diese Wahrscheinlichkeit mit der Frequenz der kritischen Oszillatormode multipliziert, wird die Geschwindigkeitskonstante erhalten.

Ansatz nach Kassel

Im Ansatz nach Kassel werden die harmonischen Oszillatoren quantenmechanisch betrachtet und besitzen alle die gleiche Frequenz . Ausgehend von einer Gesamtenergie , welcher entsprechend Quanten in allen Oszillatoren zugeordnet sind, müssen sich Quanten in der kritischen Oszillatormode befinden, damit eine Energieschwelle von überschritten wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Reaktion stattfindet, wird durch das Verhältnis der Summe aller Zustände, in denen sich mindestens Quanten in der kritischen Oszillatormode befinden, durch die Summe aller Zustände, mit Quanten die über die Oszillatoren sich verteilen, berechnet.

Analog zum Ansatz von Rice und Ramsperger wird mit der Frequenz der harmonischen oszillatoren multipliziert, um zu erhalten. Für den Fall, dass wird nach Anwenden der Stirlingformel die Gleichung

erhalten. Durch Multiplikation mit kann die klassische Form der Gleichung nach Rice und Ramsperger erhalten werden.

Unimolekulare Geschwindigkeitskonstante

Da die RRK-Theorie auf einem Lindemann-Hinshelwood-Mechanismus basiert, wird die Verteilungsfunktion von diesem übernommen. Nach Einsetzen von nach

bei einer Temperatur und der Boltzmannkonstanten sowie des klassischen Ergebnis für in die Gleichung für wird die unimolekulare Geschwindigkeitskonstante in der nachfolgenden Form erhalten

welche in der Literatur für eine Stoßfrequenz oftmals in der Form

umgeschrieben wird, eine quantenmechanische Variante existiert ebenfalls. Für den Hochdruckfall mit einer gen unendlich konvergierenden Stoßfrequenz ergeben beide Varianten eine der Arrhenius-Gleichung entsprechende Gleichung, bei dem quantenmechanischen Ansatz wird vorausgesetzt.

Defizite

Im Gegensatz zur Lindemann-Hinshelwood-Theorie war es mit der RRK-Theorie erstmals möglich, den korrekten Verlauf der experimentellen Fall-off-Kurve mit einer relativ hohen Genauigkeit vorherzusagen. Allerdings weist sie einige Defizite auf, welche erst mit der Erweiterung durch Marcus zur RRKM-Theorie teils überwunden wurden.

Für den klassischen Ansatz nach Rice und Ramsperger liegt die bestimmte Anzahl der Oszillatoren typischerweise unterhalb der eigentlichen Anzahl an Schwingungsmoden im Molekül. Dies wird darauf zurückgeführt, dass die Besetzung angeregter Zustände relativ zum Grundzustand überschätzt wird, dieses Problem tritt beim quantenmechanischen Ansatz nach Kassel nicht auf.

Als präexponentieller Faktor im Hochdruckfall wird die Schwingungsfrequenz genommen, sodass für alle unimolekularen Reaktionen ein Faktor zwischen 1013−1014 s−1 erhalten werden würde. Dies ist für viele jedoch nicht alle Reaktionen der Fall, was durch die RRK-Theorie nicht erklärt werden kann.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. O. K. Rice, H. C. Ramsperger: Theories of unimolecular gas reactions at low pressures II. In: J. Am. Chem. Soc. Band 50, Nr. 3, März 1928, S. 617–620, doi:10.1021/ja01390a002.
  2. L. S. Kassel: Studies in Homogeneous Gas Reactions. II. Introduction of Quantum Theory. In: J. Chem. Phys. Band 32, Nr. 7, Juli 1928, S. 1065–1079, doi:10.1021/j150289a011 (Volltext über BnF Gallica [abgerufen am 25. Juli 2021]).

Literatur

  • Jeffrey Steinfeld, Joseph Francisco, William Hase: Chemical Kinetics and Dynamics. 2. Auflage. Prentice Hall, Upper Saddle River 1999, ISBN 0-13-737123-3, S. 340–343.
  • Keith Laidler: Chemical Kinetics. 3. Auflage. Harper & Row, New York 1987, ISBN 0-06-043862-2, S. 157–163.
  • Nicholas Green (Hrsg.): Comprehensive Chemical Kinetics. Part 1. The reaction step. Band 39. Elsevier, London 2003, ISBN 0-08-054344-8, S. 14–19 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).