Radsatz
Ein Radsatz bei Schienenfahrzeugen besteht aus der Radsatzwelle und den beiden Rädern.[1][2] Die Radsatzwelle verfügt über Lagersitze für die Radsatzlager, je nach Bauart sind auf der Radsatzwelle zusätzlich Bremsscheiben, Antriebszahnräder sowie Erdbürsten montiert. Die Radsätze übertragen das Gewicht und die dynamischen Lasten des Fahrzeugs auf die Schienen, führen das Fahrzeug im Gleis und übertragen Antriebs- und Bremskräfte des Fahrzeuges auf die Schienen. Ein Radsatz, der über einen Antrieb verfügt, wird Treibradsatz genannt, ein antriebsloser Radsatz Laufradsatz.[1] Bei Lokomotiven mit Stangenantrieb wird die Bezeichnung Treibradsatz nur für den Radsatz verwendet, auf dessen Kurbelzapfen die Treibstangen direkt einwirken, die übrigen, durch (zusätzliche) Kuppelstangen angetriebenen Radsätze werden als Kuppelradsätze bezeichnet.[3]
Aufbau
In der Regel haben die beiden Räder konische Laufflächen und sind mit der Radsatzwelle (durch Längspressen) zu einer Einheit starr verbunden. Diese Kombination bewirkt den Sinuslauf, der das Fahrzeug in der Spur hält, bei hohen Geschwindigkeiten aber zur Instabilität neigt. Lediglich in einigen Ausnahmefällen sind die Radscheiben nicht fest mit der Radsatzwelle verbunden. Bei Spurwechselradsätzen mit verstellbarer Spurweite lassen sich die Radscheiben auf der Radsatzwelle verschieben, eine Verdrehung gegeneinander wird jedoch verhindert.
Sichtbare Passfedern oder Keile, die bei Dampflokomotiven bei Treib- und Kuppelradsätzen an der Passung der Radsatzwelle vorhanden sind, dienen nur zur Führung beim Aufpressen, damit die Kurbelzapfen der beiden Räder nach der Montage in einem definierten, von der Funktionsweise des Triebwerks vorgegebenen Winkel zueinander stehen.[4]
Losradlaufwerke werden erst in jüngerer Zeit entwickelt; wegen der hier fehlenden kraftschlüssigen Verbindung der Räder des Radsatzpaares führen sie nicht zum Sinus- oder Wellenlauf. Verwendet werden sie u. a. bei Talgo-Gliederzügen (als Einzelrad-Einzelfahrwerk) und bei verschiedenen Straßenbahnfahrzeugen, hier vor allem wegen der Möglichkeit zur Niederflurbauweise durch die nicht vorhandene Radsatzwelle und der positiven Bogenlaufeigenschaften auch bei kleinen Radien. Nachteilig ist hier die fehlende Selbstzentrierung im Gleis, schon kleine Maßabweichungen führen zum Anlaufen eines Rades an den Schienenkopf und damit zu höherem Spurkranz- und Schienenseitenverschleiß.
Je nachdem, ob die beiden Radsatzlager innerhalb oder außerhalb der Radscheiben liegen, spricht man von Innen- oder Außenlagerung.
Die Radsatzlager befinden sich in der Regel außerhalb der Vollräder (Außenlagerung) auf den Wellenschenkeln. Wagenradsätze (für den Güterverkehr) sind in der Regel genormt und freizügig tauschbar. Neben dem Laufkreisdurchmesser betrifft die Normung auch die Maße der Achslager sowie der fallweise vorhandenen Bremsscheiben. Der Abstand der Achslagermitten steht im Zusammenhang mit der Spurweite, im europäischen Regelspurnetz ist dieses Maß nach dem Zweiten Weltkrieg von 1955 auf 2000 Millimeter vergrößert worden. Bei Wagen für die russische Breitspur beträgt dieses Maß 2035 Millimeter. Für den Übergang zwischen beiden Spurweiten durch Radsatztausch gibt es Umspurradsätze mit dem zum jeweiligen Fahrzeug passenden Achslagermittenabstand und der anderen Spurweite. In anderen Fällen, beispielsweise für den Übergang auf die iberische Breitspur, müssen das Laufwerk und die Achswellen den Normen der jeweils breiteren Spurweite entsprechen. Insbesondere Schmalspurwagen wurden in der Vergangenheit von der Industrie oft mit einheitlichem Bodenrahmen, häufig mit Meter- oder Kapspurmaßen, und nur an die Spurweite des Bestellers angepassten Radsätzen und Bremsausrüstungen geliefert.
Unter anderem bei Personenwagen in Amerika, Straßenbahn- und Metrotriebzügen sowie Lokomotiven insbesondere mit Stangenantrieb können die Radsatzlager auch zwischen den Rädern (Innenlagerung) liegen, wodurch sich durch die geringere Kragweite ein günstigerer Kraftfluss einstellt. Der Einbauort zwischen den Rädern erfordert aber teilbare Lager, da die Lager erst nach dem Aufpressen des Rades angebracht werden können, bzw. auch ohne Entfernung des Rades wechselbar sein sollten. Eine weitere Möglichkeit sind insbesondere Rollenlager, deren Lebensdauer der des gesamten Radsatzes entspricht. Die Treibradsätze von Dampflokomotiven sind meistens innengelagert, da die Treib- und Kuppelstangen für eine gute Zugänglichkeit außen vor den Radebene angeordnet sind. Auch andere Triebfahrzeuge besitzen zur Übertragung der Antriebskräfte zusätzliche, am Radsatz angebrachte Elemente wie Zapfen an den Rädern, eine gekröpfte Achswelle bei Dampflokomotiven oder zusätzliche Wellensitze für das Großrad des Antriebs bei Elektrolokomotiven sowie Trieb- und Bremszahnräder bei Zahnradfahrzeugen.
Moderne Fahrzeuge, die anstelle direkt auf die Radlaufflächen einwirkender Bremssohlen mit Scheibenbremsen ausgestattet sind, haben zusätzlich Bremsscheiben. Diese sind entweder an den Radscheiben oder auf eigenen Sitzen auf der Radsatzwelle angebracht.
Für die Weg- und Geschwindigkeitsmessung, die Traktionskontrolle, den Gleitschutz und ggf. weitere Systeme wird die Rotation des Radsatzes durch Sensoren erfasst. Dazu befinden sich oft Wegimpulsgeber außerhalb der Achslager.
Belastungen
Der Radsatz unterliegt hohen Beanspruchungen im Betrieb. Die Radsatzwelle wird durch die vorhandenen dynamischen Belastungen (z. B. Nickbewegung des Fahrzeuges) und der Gewichtskraft des Fahrzeuges hauptsächlich auf Biegung beansprucht. Darüber hinaus wird die Radsatzwelle ebenfalls durch Längs- und Schubkräfte belastet. Aber infolge der Geringfügigkeit der Längs- und Schubbelastungen werden diese bei der Auslegung vernachlässigt. Einen Sonderfall stellt die Verdrehbelastung der Radsatzwelle dar. Diese Belastung wird aktuell genauer untersucht, da neue Erkenntnisse darauf hindeuten, dass es zu Schwingungsphänomenen kommen kann, deren konstruktive Berücksichtigung noch abschließend zu erarbeiten ist.
Wartung
Aus diesem Grund müssen Radsatzwelle und Radscheibe regelmäßig nachgemessen und auf Risse abgesucht werden. Die Rissprüfung erfolgt heute mit einer Ultraschallprüfung, Wirbelstromprüfung oder Magnetpulverprüfung. Früher konnten nur visuelle Prüfungen durchgeführt werden. Daher hatten Dampfloks rote Räder, in deren Farbe Risse leichter zu erkennen waren. Bei Güterwagen werden die Radscheiben zur Prüfung mit einem Hammer angeschlagen. Aus dem Abprall des Hammers und dem Klang der Radscheibe kann auf das Vorhandensein von Rissen geschlossen werden. Die Laufflächen werden bearbeitet; bei Erreichen des sogenannten Betriebsgrenzmaßes werden Radreifen bzw. Radscheibe ausgetauscht.
Messtechnik
Um die bei der Zulassung von neuen Schienenfahrzeugen nötigen fahrtechnischen Prüfungen zu absolvieren und die Fahrsicherheit nachzuweisen, werden bei den betreffenden Fahrzeugen ein oder mehrere Radsätze gegen typgleiche mit Messtechnik ausgerüstete Radsätze getauscht. An deren Radscheiben sind mehrere Dehnungsmessstreifen und in der Welle elektronische Bauteile zur Datenübertragung angebracht. Die Übertragung der Messsignale der drehenden Radsätze zum Fahrzeug erfolgt mittels Schleifringen, optisch oder mit Telemetrie. Durch Auswertung der Signale lassen sich zu jedem Zeitpunkt die am Rad wirkenden Aufstands- und Querkräfte bestimmen, mit welchen z. B. die Belastung des Oberbaus und die Fahrsicherheit bestimmt werden kann.[5]
Normen
- DIN EN 13103 Bahnanwendungen – Radsätze und Drehgestelle – Laufradsatzwellen – Konstruktions- und Berechnungsrichtlinie; Deutsche Fassung EN 13103:2009+A2:2012
- DIN EN 13104 Bahnanwendungen – Radsätze und Drehgestelle – Treibradsatzwellen – Konstruktionsverfahren; Deutsche Fassung EN 13104:2009+A2:2012
- DIN EN 13260 Bahnanwendungen – Radsätze und Drehgestelle – Radsätze – Produktanforderungen; Deutsche Fassung EN 13260:2009+A1:2010
- Die Kennzeichnung der Radsatzfolge eines Fahrzeugs ist in DIN 30052 festgelegt.
Literatur
- Dampf-Lokomotivkunde Band 134 der Eisenbahn-Lehrbücherei der Deutschen Bundesbahn 2. Auflage Seiten 482–487 (Reprint von 1983 ISBN 3-9800684-2-0)
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b Otto Kleiner: Numerische und experimentelle Untersuchung der Rad/Schiene-Interaktion unter Berücksichtigung mechanischer und thermomechanischer Effekte. Dissertation. Technische Universität Kaiserslautern, November 2011, S. 4–11.
- ↑ Jürgen Janicki, Horst Reinhard, Michael Rüffer: Schienenfahrzeugtechnik. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. Bahn Fachverlag GmbH, Berlin 2013, ISBN 978-3-943214-07-9, S. 34.
- ↑ Dampf-Lokomotivkunde Seite 482
- ↑ Dampf-Lokomotivkunde Seite 483
- ↑ Infoblatt für Messradsätze (Memento vom 27. Oktober 2014 im Internet Archive) (PDF) der Fa. PROSE