Rechtshandlung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Rechtshandlung ist in der Rechtswissenschaft ein rechtlich erhebliches Handeln, Dulden oder Unterlassen, bei dem die hieran von der Rechtsordnung geknüpften Rechtsfolgen unabhängig vom Willen des Handelnden eintreten. Gegenbegriff ist das Rechtsgeschäft.

Allgemeines

Nicht jede menschliche Unternehmung ist von rechtlicher Bedeutung, an Rechtsfolgen ist vielmehr nur rechtswirksames Handeln von Rechtssubjekten geknüpft. Der Mensch ist relevantes Rechtssubjekt und unterwirft sich dem Recht kraft seines Willens.[1] Welche Handlungen konkret mit dem Eintritt von Rechtswirkungen verbunden sind, ergibt sich aus der Rechtsordnung selbst, die formierte Tatbestände vorhält. Die Bestimmung von Rechtsfolgen im Tatbestand, das Handeln wird nicht als final auf den Eintritt der Rechtsfolgen bezogen gedacht, führt zum Charakter als Rechtshandlung.[2]

Im BGB wird der Begriff Rechtshandlung nicht ausdrücklich verwendet. Die Motive zum Abfassung des BGB erläutern, dass sich bei Rechtshandlungen bestimmte Rechtsfolgen anschließen, „für deren Eintritt nach der Rechtsordnung gleichgültig ist, ob sie von den Handelnden gewollt oder nicht gewollt sind“.[3] Das Verhältnis der Begriffe „Rechtsgeschäft“, „Willenserklärung“ oder „Rechtshandlung“ zueinander, bereitet seit jeher Schwierigkeiten und ist bis heute wenig klar gestellt.[4] Das Rechtsgeschäft ist jedenfalls erst das Ergebnis der Rechtshandlung und die Willenserklärung notwendiges Bestandteil des Rechtsgeschäfts.[5] Während beim Rechtsgeschäft (Vertrag) die von den Vertragsparteien selbst geschaffenen Rechtsfolgen eintreten, werden bei der Rechtshandlung die vom Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen hervorgerufen.

Arten

Mangels konkreter Bestimmungen zu den Rechtshandlungen können einzelne BGB-Vorschriften zum Rechtsgeschäft analog angewendet werden. Das BGB unterscheidet zwischen Rechtsgeschäften und sonstigen Rechtshandlungen, wobei letztere in erlaubte und rechtswidrige Rechtshandlungen untergliedert werden.[3]

Anwendung in der Praxis

Die Mahnung (§ 286 Abs. 1 BGB) ist exemplarisch für die Unterscheidung zwischen Rechtsgeschäft und Rechtshandlung. Während sie früher noch als Rechtsgeschäft angesehen wurde, gilt sie heute allgemein als Rechtshandlung.[13] Da der Schuldner die fällige Leistung nicht erbracht hat, muss er die gesetzlichen Rechtsfolgen des Schuldnerverzugs (§§ 280, 286 BGB) hinnehmen. Eine rechtlich erhebliche Tatsache wie der Schuldnerverzug ist die Voraussetzung für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen. Diese Rechtsfolgen setzen ein bestimmtes Verhalten von Rechtssubjekten voraus, wenn nämlich der Schuldner bei Fälligkeit einer Leistung nicht zahlt oder liefert.

Rechtshandlungen sind vorzunehmen bei Fristen (Zeitraum, innerhalb dessen eine Rechtshandlung vorzunehmen ist oder ein bestimmtes Ereignis eintritt) und Terminen (Zeitpunkt, an dem eine Rechtshandlung vorzunehmen ist oder ein bestimmtes Ereignis eintritt). Geschieht dies nicht, treten wiederum gesetzlich vorgesehene Rechtsfolgen ein.

Verwaltungsrecht

Der Verwaltungsakt gilt als spezifische öffentlich-rechtliche Rechtshandlung. Er ist nach der Legaldefinition des § 35 VwVfG jede „Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.“ An Verwaltungsakte knüpfen sich ohne Rücksicht auf den Willen des Handelnden rechtliche Wirkungen an; das macht sie zur Rechtshandlung.

Insolvenzrecht

Der Begriff der Rechtshandlung wird sehr häufig mit dem Insolvenzrecht in Verbindung gebracht. Nach den §§ 129 ff. InsO sind Rechtshandlungen anfechtbar, sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt. Eine insolvenzrechtliche Rechtshandlung ist dem BGH zufolge jedes von einem Willen getragene Handeln, das rechtliche Wirkungen auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann.[14] Zu den Rechtshandlungen zählen daher nicht nur Willenserklärungen als Bestandteil von Rechtsgeschäften aller Art und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen, sondern auch Realakte, denen das Gesetz Rechtswirkungen beimisst, wie das Einbringen einer Sache, das zu einem Vermieterpfandrecht führt.[15] Es sind gewollte oder beabsichtigte Willenserklärungen, die eine Rechtsfolge bewirken.[16] Zentrales Thema sind die anfechtbaren Rechtshandlungen, bei denen die durch diese Rechtshandlung entstandene Gläubigerbenachteiligung angefochten wird. Eine Rechtshandlung gilt nach § 140 Abs. 1 InsO als vorgenommen, wenn ihre Rechtswirkungen eintreten.

EU-Recht

Das EG-Recht verwendete noch den Begriff der Rechtshandlung für die Rechte oder Pflichten begründenden Akte der Gemeinschaftsorgane, also für Richtlinien, Verordnungen und Einzelentscheidungen. Hier deckte sich der Begriff eher mit der Gesetzgebung und dem Verwaltungsakt.[17]

Der Vertrag von Lissabon verringerte die Anzahl der Rechtsakte von 15 auf 5.[18]

Das EU-Recht unterscheidet zwischen Gesetzgebungsakte (Rechtsakten, die gemäß einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden, Art. 289 Abs. 3 AEUV) und Rechtsakten ohne Gesetzescharakter, Art. 290.

Siehe auch

Wiktionary: Rechtshandlung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Paul Geyer/Monika Schmitz-Emans (Hrsg.): Proteus im Spiegel, 2003, S. 146.
  2. Werner Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts: Das Rechtsgeschäft, 1975, S. 106.
  3. a b Benno Mugdan, Motive zum BGB, Band I, 1899, S. 127, 421
  4. Joachim Rückert/Martin Schermaier: Historisch-kritischer Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007, vor § 104 Rn. 8
  5. Otto Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. C. H. Beck, 73. Aufl., München 2014, ISBN 978-3-406-64400-9, Überbl v § 104 Rnr. 2.
  6. Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2006, S. 159 RN 412.
  7. BGHZ 47, 357, entspricht hM.
  8. BGHZ 29, 36; 105, 48; andere Auffassung aber (und ebenfalls vom BGH vertreten), BGHZ 90, 101.
  9. Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts: Das Rechtsgeschäft, 1975, S. 113.
  10. Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 16. Aufl., 2000, S. 1071.
  11. Gerda Krüger Nieland, BGB-RGRK, Das Bürgerliche Gesetzbuch: Kommentar, § 1-240 BGB, vor § 104, Rn. 11 und 12.
  12. Reinhard Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 2006, S. 113.
  13. Werner Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts: Das Rechtsgeschäft, 1975, S. 106.
  14. BGH, Urteil vom 9. Juli 2009, Az.: IX ZR 86/08; MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 129 Rn. 7.
  15. BGHZ 170, 196, 200 Rn. 10.
  16. Manfred Obermüller/Harald Hess, Insolvenzordnung, 2003, S. 80 Rn. 301.
  17. Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, 16. Aufl., 2000, S. 1071 f.
  18. Thomas Oppermann, Claus Dieter Classen, Martin Nettesheim: Europarecht. Verlag C.H.BECK oHG, 2021, ISBN 978-3-406-75971-0, § 9 Randnummer 67, doi:10.17104/9783406759710 (beck-elibrary.de [abgerufen am 21. März 2022]).