Rechtsgeschäft

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Das Rechtsgeschäft (lateinisch negotium juridicum) besteht im Recht aus einer oder mehreren Willenserklärungen, die entweder allein oder in Verbindung mit anderen Tatbestandsmerkmalen eine Rechtsfolge herbeiführen, weil sie gewollt ist.[1]

Allgemeines

Das Verhältnis der Begriffe „Rechtsgeschäft“, „Willenserklärung“ oder „Rechtshandlung“ zueinander bereitet seit jeher Schwierigkeiten und ist bis heute wenig klargestellt.[2] Das Rechtsgeschäft ist jedenfalls erst das Ergebnis der Rechtshandlung und die Willenserklärung notwendiger Bestandteil des Rechtsgeschäfts.[3] Häufig werden Willenserklärung und Rechtsgeschäft gleichgesetzt, was daher rührt, dass Willenserklärungen notwendiger Bestandteil jeden Rechtsgeschäfts sind und damit der Rechtsbeziehungen, die inhaltlich die vertraglichen Rechte und Pflichten begründen. Das Rechtsgeschäft ist nicht identisch mit der bloßen Rechtshandlung, bei der die Rechtsfolge unabhängig vom Willen desjenigen eintritt, der handelt – sie ergibt sich vielmehr allein aus der Rechtsordnung (kraft Gesetzes). Handlungen, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vorgenommen werden (Prozesshandlungen), sind ebenfalls keine Rechtsgeschäfte.

Die Willenserklärung gibt dem Rechtsgeschäft seine auf die Rechtsfolge final ausgerichtete Prägung, erschöpft sich regelmäßig aber nicht allein darin. Abgesehen von einfachen einseitigen Rechtsgeschäften, wie der Vertragskündigung, Aufrechnung oder Anfechtung, sind Rechtsgeschäfte zumeist von weiteren Tatbestandsmerkmalen geprägt, etwa weitere Willenserklärungen (dingliche Einigungen) für Übertragungshandlungen beziehungsweise die Übertragungshandlungen selbst, wie die Übergabe einer mobilen Sache oder der Behördengang, um bei Grundstücksübereignungen die Eintragung ins Grundbuch vorzunehmen.

Wirksame Willenserklärungen können mündlich, schriftlich und durch bloßes schlüssiges Handeln (z. B. Kopfnicken) abgegeben werden, vorausgesetzt die Willenserklärer sind geschäftsfähig.

Etymologie und Geschichte

Das Kompositum „Rechtsgeschäft“ setzt sich aus dem Wortbestandteil „Recht“ für etwas rechtlich Bedeutsames und „Geschäft“ – nicht im Sinne eines wirtschaftlichen Geschäfts, sondern im Sinne einer auf Rechtserfolg gerichteten Willenserklärung – zusammen. Das römische Recht kannte als Oberbegriffe weder die Rechtshandlung (lateinisch actus) noch den Vertrag (lateinisch negotium), sondern nur einzelne Rechtsgeschäfts- und Vertragstypen.[4] Das umgangssprachliche deutsche Wort tauchte ersichtlich erstmals im Jahre 1511 in Köln auf.[5] Der Rechtsbegriff geht wohl auf Daniel Nettelbladt zurück, der 1748 das lateinische „negotium juridicum“ in die juristische Fachliteratur einführte.[6] Im Jahre 1772 übersetzte er aus lateinisch „actus juridicus seu negotium juridicum“ das „rechtliche Geschäft“. Für Christoph Christian von Dabelow gab es 1794 von den menschlichen Handlungen „eine vorzügliche Gattung, die man rechtliche Handlungen oder rechtliche Geschäfte (…) nennt“.[7]

Das im Juni 1794 in Kraft getretene Allgemeine Preußische Landrecht (APL) gebrauchte den Begriff Rechtsgeschäft noch nicht, sondern sprach in 169 Paragraphen von der Willenserklärung (I, 4 APL). Gustav Hugo gilt als der erste Jurist, der im Jahre 1805 Untersuchungen über das Rechtsgeschäft anstellte.[8] Für Albrecht Hummel galten Rechtsgeschäfte 1805 als gesetzmäßige Handlungen, durch die Rechte verändert werden.[9] Es folgte 1807 Georg Arnold Heise, der die „Lehre von den Rechtsgeschäften“ entwickelte.[10] Durch Friedrich Carl von Savigny rückte der Begriff 1840 endgültig in den Mittelpunkt der juristischen Diskussion.[11] Das Sächsische Bürgerliche Gesetzbuch vom März 1865 brachte erstmals eine präzise Legaldefinition: „Geht bei einer Handlung der Wille darauf, in Übereinstimmung mit den Gesetzen ein Rechtsverhältnis zu begründen, aufzuheben oder zu ändern, so ist die Handlung ein Rechtsgeschäft“.[12] Im BGB vom Januar 1900 fehlt indes eine Legaldefinition, obwohl es den Rechtsbegriff 159 Mal erwähnt.

Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft

Im deutschen Rechtskreis werden Rechtsgeschäfte in Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte eingeteilt (Trennungsprinzip). Verpflichtungsgeschäfte schaffen die Verpflichtung zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen (z. B. Kaufvertrag). Verfügungsgeschäfte beinhalten eine unmittelbare Einwirkung auf ein Recht, durch Übertragung, Belastung, Aufhebung oder Änderung seines Inhalts (z. B. Übertragung des Eigentums der gekauften Sache). Ermöglichen sie eine einseitige Veränderung der Rechtslage, spricht man von Gestaltungsgeschäften.

Das Verhältnis von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft zueinander kann, je nach Rechtsordnung, differieren. So gilt im deutschen Recht das Abstraktionsprinzip, im österreichischen und schweizerischen Recht das Kausalprinzip.

Ist wie beim Testament (Verfügung von Todes wegen) für das Verfügungsgeschäft kein Verpflichtungsgeschäft als Rechtsgrund nötig, findet entsprechend das Trennungsprinzip keine Anwendung.

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Abstraktionsprinzip

Trennungsprinzip und Abstraktionsprinzip (Deutsches Recht)

Bezüglich der Einteilung der Rechtsgeschäfte ist anzumerken, dass die Begriffe kausales Rechtsgeschäft und Verpflichtungsgeschäft bzw. abstraktes Rechtsgeschäft und Verfügungsgeschäft nicht deckungsgleich sind. Zwar sind die meisten Kausalgeschäfte Verpflichtungsgeschäfte, jedoch – wenngleich auch viele – nicht alle abstrakten Geschäfte auch Verfügungsgeschäfte.

Kausales Rechtsgeschäft

Das kausale Rechtsgeschäft gibt den Rechtsgrund für das abstrakte Rechtsgeschäft vor. Der vom kausalen Rechtsgeschäft getragene Rechtsgrund stellt den rechtlich anvisierten Erfolg des Geschäftes dar. Bei mehrseitigen Rechtsgeschäften ist eine Einigung über den Rechtsgrund erforderlich.

Abstraktes Rechtsgeschäft

Das abstrakte Rechtsgeschäft bezeichnet das Rechtsgeschäft, das losgelöst vom Rechtsgrund vorgenommen wird. In Deutschland wird im Zivilrecht die Lehre vom Abstraktionsprinzip vertreten: Das Verfügungsgeschäft kann daher wirksam sein, ohne dass ein Rechtsgrund (kausales Rechtsgeschäft) vorliegt. Jede Verfügung, z. B. die Übereignung oder die Abtretung, ist ein abstraktes Rechtsgeschäft. Aber auch Verpflichtungsgeschäfte, wie z. B. das Schuldanerkenntnis oder das Schuldversprechen, gehören zu den abstrakten Rechtsgeschäften.

Trennungsprinzip und Kausalprinzip (Österreichisches und schweizerisches Recht)

Kausalprinzip

Im österreichischen und schweizerischen Recht gilt ebenso wie im deutschen Recht das Prinzip der gedanklichen Trennung von Verpflichtungs- (Titel) und Verfügungsgeschäft (Modus), wenngleich es hier nicht expressis verbis als „Trennungsprinzip“ bezeichnet wird. Für das Verhältnis von Titel und Modus gilt das Prinzip der kausalen Tradition (Kausalprinzip). Das österreichische und schweizerische Recht also trennt zwar Verpflichtungsgeschäft (z. B. Kaufvertrag) und Verfügungsgeschäft (z. B. Übergabe) ebenso strikt, erlaubt aber weder ein abstraktes Verpflichtungs- noch ein abstraktes Verfügungsgeschäft. Vielmehr müssen beide jeweils kausal sein.

Titel (Verpflichtungsgeschäft)

Das Verpflichtungsgeschäft muss in dem Sinne kausal sein, dass es einen Grund hat, der es wirtschaftlich macht. Bei einem Kaufvertrag ist das z. B. das Interesse der einen Seite eine Sache und der anderen Seite Geld zu erhalten.

Modus (Verfügungsgeschäft)

Weiterhin muss das Verfügungsgeschäft in dem Sinne kausal sein, dass es nur dann wirksam ist, wenn ein gültiges Verpflichtungsgeschäft, ein Titel, besteht (Prinzip der kausalen Tradition).

Es ergibt sich also folgendes Schema: Wirtschaftlicher Zweck → Kausalbindung → Verpflichtungsgeschäft → Kausalbindung → Verfügungsgeschäft

Arten und Systematik

Datei:Rechtsgeschäft Einteilung Ein- oder Mehrseitigkeit.png
Einseitige und mehrseitige Rechtsgeschäfte

Nach Art und Systematik lassen sich die Rechtsgeschäfte wie folgt einteilen:[13]

Einseitiges Rechtsgeschäft

Beim einseitigen Rechtsgeschäft ist lediglich eine Willenserklärung nötig. Dabei ist ohne Bedeutung, an wie viele Personen das einseitige Rechtsgeschäft geknüpft wird. Sind zwei Personen zugleich Mieter einer Wohnung, können sie nur gemeinsam kündigen. Dieses einseitige Rechtsgeschäft wird auch Gesamtakt genannt (z. B. Testament).

Weitere typische Beispiele für einseitige Rechtsgeschäfte sind insbesondere die Gestaltungsrechte (zum Beispiel die Kündigung; die Anfechtung (§ 143 Abs. 1 BGB), die Aufrechnung (§ 388 BGB), der Rücktritt (§ 349 BGB), die Zurückweisung nach § 174 S. 1 BGB).

Mehrseitiges Rechtsgeschäft

Beim mehrseitigen Rechtsgeschäft bestehen mehrere übereinstimmende, aufeinander bezogene Willenserklärungen, die durch mindestens zwei Personen erklärt wurden.

Sind diese Willenserklärungen wechselseitig, so liegt ein Vertrag vor.

Gleichlautende parallele Willenserklärungen mindestens zweier Personen werden Gesamtakte genannt (z. B. eine gemeinsame Kündigung eines Mietvertrags durch mehrere Mieter), gleichlautende, parallel abgegebene Willenserklärungen in einer Versammlung Beschlüsse (z. B. Mitgliederversammlung eines Vereins).

Personenrechtliches Rechtsgeschäft

Bei den personenrechtlichen Rechtsgeschäften handelt es sich um Rechtsgeschäfte, die konkret auf die Person oder deren Stand bezogen sind. Die personenrechtlichen Rechtsgeschäfte können in der Regel nur persönlich vorgenommen werden. Sie sind bedingungsfeindlich und bedürfen regelmäßig einer bestimmten Form (z. B. die Eheschließung gemäß § 1310 BGB).

Fehlerhaftes Rechtsgeschäft

Die Wirkungen eines Rechtsgeschäfts können hinter den angestrebten Rechtsfolgen zurückbleiben, wenn es unter Mängeln leidet, die als rechtlich beachtlich angesehen werden (z. B. Geschäftsunfähigkeit, Formfehler). Nicht jedes fehlerhafte Rechtsgeschäft ist nichtig. Weitere Stufen sind die relative Unwirksamkeit, die schwebende Unwirksamkeit und die Anfechtbarkeit des Rechtsgeschäftes.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Rechtsgeschäft – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Otto Palandt, Jürgen Ellenberger: BGB-Kommentar. 73. Auflage. 2014, Überblick vor § 104, Rn. 2
  2. Joachim Rückert/Martin Schermaier, Historisch-kritischer Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2007, vor § 104 Rn. 8
  3. Otto Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch. 73. Auflage. 2014, ISBN 978-3-406-64400-9, Überblick vor § 104 Rn. 2
  4. Werner Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. Zweiter Band: Das Rechtsgeschäft. 1992, S. 28
  5. Bruno Kuske: Quellen zur Geschichte des Kölner Handels und Verkehrs im Mittelalter, Band 3, 1923, S. 321
  6. Daniel Nettelbladt: Systema elementare universae iurisprudentiae positivae. Band I. 1748, §§ 63 ff.
  7. Christoph Christian von Dabelow: System des heutigen Zivilrechts. Band I. 1794, § 366
  8. Gustav Hugo: Lehrbuch der Pandekten oder des heutigen römischen Rechtes. 1805, S. 581
  9. Albrecht Hummel: Enzyklopädie des gesamten positiven Rechts. 1805, S. 433
  10. Georg Arnold Heise: Grundriss eines Systems des Gemeinen Civilrechts zum Behuf von Pandektenvorlesungen. 1807, II, A
  11. Friedrich Carl von Savigny: System des heutigen römischen Rechts. Band 1. 1840, S. 331 ff.
  12. Werner Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts. Zweiter Band: Das Rechtsgeschäft. 1992, S. 30
  13. Peter J. Lipperheide: Wirtschaftsprivatrecht. 2009, S. 35