Rudolf Breitscheid

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Rudolf Breitscheid
Otto Braun (links) und Rudolf Breitscheid im Berliner Lustgarten (April 1932)

Rudolf Breitscheid (* 2. November 1874 in Köln; † 24. August 1944 im KZ Buchenwald) war ein deutscher Politiker. Der promovierte Nationalökonom engagierte sich zunächst in der linksliberalen Freisinnigen Vereinigung, ab 1908 war er Vorsitzender der Demokratischen Vereinigung. Er trat 1912 zur Sozialdemokratie über und schloss sich aufgrund seiner pazifistischen Haltung im Ersten Weltkrieg der USPD an. Nach der Novemberrevolution 1918 war Breitscheid bis Januar 1919 preußischer Innenminister. Von 1920 bis 1933 war er Mitglied des Reichstages, ab 1922 gehörte er wieder der SPD an. Als führender Außenpolitiker seiner Partei setzte er sich für die Aussöhnungspolitik mit Frankreich ein. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierte er nach Frankreich. Das Vichy-Regime lieferte ihn 1941 an die Gestapo aus, er wurde in Konzentrationslagern inhaftiert und starb dort.

Leben

Rudolf Breitscheid wurde als Sohn des Buchhandlungsgehilfen Wilhelm Breitscheid und seiner Ehefrau Wilhelmine, geb. Thorwesten, geboren. Er besuchte das Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln.[1]

Seit 1901[2] war er mit der Feministin und Frauenrechtlerin Tony Breitscheid, geb. Drevermann (1878–1968) verheiratet.

Studium

Von 1894 bis 1898 absolvierte er ein Studium der Nationalökonomie an der Universität München und der Universität Marburg. Zu seinen akademischen Lehrern gehörte Karl Rathgen. In Marburg wurde er Mitglied der Burschenschaft Arminia Marburg. Nach erfolgreicher Verteidigung seiner 1898 vorgelegten Dissertation zum Thema „Die Landpolitik in den australischen Kolonieen“ wurde er zum Doktor promoviert und arbeitete von 1898 bis 1905 als Redakteur und Korrespondent bürgerlicher und liberaler Zeitungen.

Politischer Werdegang

Von 1903 bis 1908 war Breitscheid Mitglied in der liberalen Freisinnigen Vereinigung. 1904 wurde Breitscheid in die Berliner Stadtverordnetenversammlung und gleichfalls in den brandenburgischen Provinziallandtag gewählt.[3] Weil er mit der neuen Parteistrategie durch Beteiligung am Bülow-Block nicht einverstanden war, trat er 1908 aus der Freisinnigen Vereinigung aus und wurde Gründungsmitglied der linksliberalen Demokratischen Vereinigung (DV). Bis zur Reichstagswahl 1912 wurde er deren Vorsitzender.

Nach dem Scheitern der DV bei dieser Wahl trat er der SPD bei. Ab Mai 1915 gab er die Pressekorrespondenz Sozialistische Auslandspolitik heraus, welche die Burgfriedenspolitik der SPD-Führung kritisierte. Schließlich wechselte er 1917 zur gerade entstandenen USPD. Hier gab er das Organ Der Sozialist ab November 1918 bis zu dessen Einstellung im September 1922 heraus.

Von 1918 bis 1919 war er Preußischer Innenminister. Der Landesdirektor der preußischen Provinz Brandenburg ernannte ihn als Schriftsteller am 6. März 1920 zum Preußischen Provinzialrat.[4] Für die USPD saß er ab 1920 im Reichstag. Im Oktober 1922 kehrte Breitscheid mit der Vereinigung von USPD und MSPD zur SPD zurück. Er war Vorsitzender und außenpolitischer Sprecher der SPD-Reichstagsfraktion und trat in dieser Funktion auch im Sinne der Parteilinie für die Westorientierung des Reiches ein. Später wurde er Mitglied der deutschen Delegation beim Völkerbund. Er war Mitglied im Präsidium des Komitee Pro Palästina.

In den letzten Jahren der Weimarer Republik wurde er als prominenter, außenpolitisch verantwortlicher Sozialdemokrat zum Schmähobjekt für die rechtsradikale Presse. Er sah mit Klarheit die Folgen einer Hitlerdiktatur voraus:

„Wir haben die Frage auszuwerfen: was würde der Sieg des Hitlertums bei der Reichspräsidentenwahl bedeuten? Die erste Antwort — ich glaube, Sie sind darin mit mir einverstanden — heißt Sturz der Weimarer Verfassung. Gewiß, ich gebe zu, daß der Boden der Demokratie jetzt eingeengt ist durch das System der Notverordnungen, das herbeizuführen wir wahrhaftig nicht den Anlaß gegeben haben. Aber das Terrain ist noch da, das Terrain der Verfassung besteht, dieses Terrain, dieser Boden kann wieder bereinigt werden, die Stacheldrähte der Notverordnungen können beseitigt werden. Kommt das Hitlertum zur Herrschaft, dann ist das Fundament beseitigt, auf dem wir das Haus unserer Zukunft und das Haus unserer Kinder aufbauen können.“[5]

In derselben Rede grenzt sich Breitscheid von den Kommunisten ab:

„Sie beantragen, daß alle privaten Schuldverpflichtungen an das kapitalistische Ausland annulliert werden. Die Kapitalisten, Großbanken und Großunternehmer, werden bereit sein, Ihnen eine Dankadresse zu überreichen. Sie stellen sich schützend vor die kapitalistischen Schuldner, die leichtsinnig, leichtfertig Geld aufgenommen haben, das sie nicht zurückzahlen möchten. Die Kommunistische Partei kommt und streicht mit einem Federstrich die Schulden der Kapitalisten. Ich muß schon sagen: eine größere Selbstaufopferung haben wir auch bei der Kommunistischen Partei noch nicht erlebt.“[6]

In den Wochen nach dem Beschluss des Ermächtigungsgesetzes 1933 wurden er und Otto Wels von Konstantin von Neurath auch als Beispiele genannt, dass Berichte in der ausländischen Presse über Terror der Nazis gegenüber Andersdenkenden nur Verleumdung seien.[7]

Exil

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte das Ehepaar Breitscheid im März 1933 über die Schweiz nach Frankreich.[3] Rudolf Breitscheids Name stand im August 1933 auf der Ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs.[8] Im Pariser Exil war er Mitinitiator des Lutetia-Kreises (1935 bis 1936). Es war der Versuch, eine Volksfront gegen die Hitlerdiktatur zu bilden. Breitscheid gehörte zu den Unterzeichnern des „Aufrufes an das deutsche Volk“. Die Universität Marburg entzog ihm am 10. März 1938 den Doktorgrad.[9]

Verhaftung und Tod

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Grab in Stahnsdorf
(Grablage)
Symbolisches Grab in der Gedenkstätte der Sozialisten

Als die deutsche Wehrmacht 1940 vor Paris stand, flüchtete Breitscheid nach Marseille. Nachdem ihm im Herbst 1940 unter der deutschen Besetzung von den französischen Behörden als Zwangswohnsitz Arles zugewiesen worden war, wurde er dort ebenso wie Rudolf Hilferding von französischen Anhängern des Vichy-Regimes verraten, verhaftet, nach Vichy gebracht und der Gestapo ausgeliefert.[10] Aus dem Pariser Gefängnis La Santé kam Breitscheid in das Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin. Anfang Januar 1942 wurde er mit seiner Frau in das KZ Sachsenhausen gebracht, im Herbst 1943 kam das Ehepaar in eine Sonderbaracke des KZ Buchenwald im Sonderlager Fichtenhain, das sich außerhalb des eigentlichen KZ-Bereichs befand. Am 24. August 1944 erfolgte ein schwerer amerikanischer Luftangriff auf Buchenwald.[11] Seine Ehefrau Tony Breitscheid[12], die im Splittergraben verschüttet worden war, wurde schwerverletzt gerettet. Wie Mitgefangene berichteten, wurde Rudolf Breitscheid ebenfalls verschüttet und tot geborgen. Gleichzeitig wurde damals auch der Tod Ernst Thälmanns bekanntgegeben, der nicht – wie die NS-Medien behaupteten – bei dem Luftangriff starb, sondern sechs Tage vorher erschossen worden war.

Es wird gelegentlich behauptet, dass Breitscheid von einer SS-Wache durch Herzschuss getötet worden sei; dafür gibt es jedoch keine zuverlässige Quelle.

Gedenken

Rudolf Breitscheids Grab befindet sich auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin. Es ist als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet. Sein Name ist auf einer Gedenkplatte im zentralen Rondell der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde verzeichnet.

In Berlin ist der Breitscheidplatz im westlichen Zentrum nach ihm benannt – hier findet sich auch eine Gedenktafel. In zahlreichen Städten und insbesondere vielen ostdeutschen Gemeinden tragen Straßen seinen Namen (z. B. Rudolf-Breitscheid-Straße in Cottbus) bzw. Rudolf-Breitscheid-Straße in Weimar. Auch in Marburg, wo er seine akademische Laufbahn begann, wurde eine Straße auf dem Gelände der ehemaligen Tannenbergkaserne nach ihm benannt.

Die Deutsche Post der DDR gab 1974 zu seinen Ehren eine Sondermarke in der Serie Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung heraus.

In der Zeit von 1964 bis 1988 war ein Frachtschiff der Deutschen Seereederei Rostock (DSR), der Staatsreederei der Deutschen Demokratischen Republik, nach Rudolf Breitscheid benannt.

Mehrere Polytechnische Oberschulen erhielten den Namen Rudolf Breitscheid, so u. a. in Görlitz.[13]

Seit 1992 erinnert im Berliner Ortsteil Tiergarten an der Ecke Scheidemannstraße / Platz der Republik eine der 96 Gedenktafeln für von den Nationalsozialisten ermordete Reichstagsabgeordnete an Breitscheid.

Schriften

  • Die Landpolitik in den australischen Kolonieen. Neue Börsen-Halle, Hamburg 1899.
  • Der Bülow-Block und der Liberalismus. Reinhardt, München 1908.
  • Persönliches Regiment und konstitutionelle Garantien. Ehbock, Berlin 1909.
  • Bereit sein ist alles! Rede im Parteiausschuß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands am 31. Januar 1933. R. Hauschildt, Berlin 1933.
  • Reichstagsreden. Hrsg. von Gerhard Zwoch. Verlag AZ Studio, Bonn 1974.
  • Antifaschistische Beiträge 1933–1939. Hrsg. von Dieter Lange. Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-88012-450-7.
  • „Vornehmste Aufgabe der Linken ist die Kritik.“ Publizistik 1908–1912. Hrsg. von Sven Crefeld. edition Rubrin, Berlin 2015, ISBN 978-3-00-050066-4.

Literatur

  • Dr. Rudolf Breitscheid der SPD-Lord. In: O.B. Server: Matadore der Politik. Universitas Deutsche Verlags-Aktiengesellschaft, Berlin 1932, S. 53 ff.
  • Rainer Behring: Rudolf Breitscheid (1874–1944). Liberaler Sozialreformer – verbalradikaler Sozialist – sozialdemokratischer Parlamentarier. In: Detlef Lehnert (Hrsg.): Vom Linksliberalismus zur Sozialdemokratie. Politische Lebenswege in historischen Richtungskonflikten 1890–1945. Böhlau Verlag, Köln Weimar Wien 2015, ISBN 978-3-412-22387-8, S. 93–124.
  • Marie-Dominique Cavaillé: Rudolf Breitscheid et la France 1919–1933. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 1995, ISBN 978-3-631-48795-2.
  • Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 1: A–E. Winter, Heidelberg 1996, ISBN 3-8253-0339-X, S. 134.
  • Detlef Lehnert: Rudolf Breitscheid (1874–1944). Vom linksbürgerlichen Publizisten zum sozialdemokratischen Parlamentarier. In: Peter Lösche, Michael Scholing, Franz Walter (Hrsg.): Vor dem Vergessen bewahren. Lebenswege Weimarer Sozialdemokraten. Colloquium Verlag, Berlin 1988, ISBN 3-7678-0741-6, S. 38–56.
  • Paul Mayer: Breitscheid, Rudolf. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 2, Duncker & Humblot, Berlin 1955, ISBN 3-428-00183-4, S. 579 f. (Digitalisat).
  • Peter Pistorius: Rudolf Breitscheid 1874–1944. Ein biographischer Beitrag zur deutschen Parteiengeschichte. Dissertation, Universität Köln 1970.
  • Wilhelm Heinz Schröder: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867–1933. Biographien, Chronik, Wahldokumentation. Ein Handbuch (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 7). Droste, Düsseldorf 1995, ISBN 3-7700-5192-0, Kurzfassung online als Biografie von Rudolf Breitscheid. In: Wilhelm H. Schröder: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1876–1933 (BIOSOP).
  • Martin Schumacher (Hrsg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung, 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. 3., erheblich erweiterte und überarbeitete Auflage. Droste, Düsseldorf 1994, ISBN 3-7700-5183-1.

Weblinks

Wikisource: Rudolf Breitscheid – Quellen und Volltexte
Commons: Rudolf Breitscheid – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Rudolf Breitscheid: Die Landpolitik in den australischen Kolonieen. Neue Börsen-Halle, Hamburg 1899, S. 83 (biographische Angaben des Autors am Ende der Dissertation).
  2. DFG-Viewer: Standesamt Battenberg (Eder) Heiratsnebenregister 1901 (HStAMR Best. 922 Nr. 1026). Abgerufen am 1. Oktober 2021.
  3. a b Geschichte: Eine Straße in Wandlitz. Breitscheidstraße. In: Heidekraut Journal vom August/ September 2010; S. 8
  4. Amtsblatt der Regierung Potsdam, 1920, S. 120.
  5. Rede Breitscheids im Reichstag am 24. Februar 1932. Die Nationalsozialisten verließen wenig später – wie damals nicht selten – aus Protest den Saal.
  6. Hier sprach Breitscheid speziell den Abgeordneten der Kommunistischen Partei Ernst Torgler an.
  7. Sees Rebirth of War Time Propaganda, Berlin 26. März 1933. St. Joseph Gazette, St. Joseph, Missouri, 27. März 1933.
  8. Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger 1933–45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, Band 1: Listen in chronologischer Reihenfolge. De Gruyter, München 1985, ISBN 978-3-11-095062-5, S. 3 (Reprint 2010).
  9. Hans Georg Lehmann: Nationalsozialistische und akademische Ausbürgerung im Exil. Warum Rudolf Breitscheid der Doktortitel aberkannt wurde. Universität Marburg 1985, ISBN 3-923014-09-0.
  10. Helma Brunck: Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Universitas Verlag (1999), ISBN 978-3-8004-1380-5, S. 400
  11. chroniknet
  12. Biografische Daten von Tony Breitscheid
  13. Rudolf Breitscheid auf der Website der Oberschule Innenstadt in Görlitz