Rudolf Thierfelder

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Rudolf Thierfelder (* 31. Dezember 1905 in Schöneberg bei Berlin[1]; † 21. Juli 1997 in Bonn-Oberkassel[2]) war ein deutscher Diplomat, der unter anderem zwischen 1968 und 1971 Botschafter in der Türkei war.

Leben

Studium, Jurist und Zweiter Weltkrieg

Thierfelder war der Sohn des Biochemikers Hans Thierfelder, der als Professor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin sowie an der Eberhard Karls Universität Tübingen lehrte, und begann nach dem Schulbesuch in Tübingen ein Studium der Mathematik und Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, das er an der Eberhard Karls Universität Tübingen fortsetzte. Dort wurde er 1923 Mitglied der Tübinger Burschenschaft Derendingia[3], in der bereits sein Vater[4] und sein Bruder Hermann Thierfelder[5] Mitglieder waren. 1930 legte er die zweite juristische Staatsprüfung ab und schloss 1932 seine Promotion zum Dr. jur. an der Eberhard Karls Universität Tübingen mit einer Dissertation mit dem Titel Objektiv gefasster Schuldmerkmale ab. Danach war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philipps-Universität Marburg und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beschäftigt sowie im Anschluss nacheinander Gerichtsassessor in Württemberg, Landgerichtsrat am Landgericht Ellwangen und zuletzt Erster Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Während des Zweiten Weltkrieges leistete Thierfelder, der Mitglied der NSDAP und der SA war, Kriegsdienst in der Wehrmacht und war Mitarbeiter der von Generalrichter Hans Boetticher geleiteten Gruppe Justiz des Militärbefehlshabers in Paris und wirkte in dieser Funktion an der Ausformulierung der sogenannten Geiselrichtlinien mit.[6][7][8][9][10]

Diplomat in der Bundesrepublik Deutschland

Nach Kriegsende wurde Thierfelder Mitarbeiter in der Staatskanzlei von Württemberg-Hohenzollern und war im Anschluss kurze Zeit im Deutschen Büro für Friedensfragen in Stuttgart tätig. Am 1. Juli 1950 trat er in die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt ein, aus der am 15. März 1951 das Auswärtige Amt entstand. Dort war er von 1951 bis 1956 in der Abteilung II (Politische Abteilung) eingesetzt und anfangs Leiter des Referats Internationale Organisationen sowie seit Anfang 1952 Leiter des Referats IV (Europarat). In dieser Funktion gehörte er neben Konrad Adenauer, Theodor Blank, Herbert Blankenhorn, Walter Hallstein, Wilhelm Grewe, Rolf Otto Lahr und Carl Friedrich Ophüls zu den Mitgliedern der deutschen Delegation bei der Londoner Neun-Mächte-Konferenz von 1954 über die Westintegration der Bundesrepublik Deutschland.[11] Zusätzlich war er als Nachfolger des wegen Weitergabe von Dokumenten durch seine Mitarbeiterin suspendierten Gustav Strohm von März 1952 bis 1956 Leiter des für allgemeine politische Fragen sowie Grenzfragen und damit auch für Saarfragen zuständigen Referats 217.[12][13]

1956 wurde Thierfelder Generalkonsul in Genf[14]. Sein Nachfolger als Leiter des Saar-Referats wurde Heinrich Böx. Den Posten als Generalkonsul in Genf bekleidete er bis 1961. Seine ursprünglich geplante Entsendung Thierfelders als Nachfolger von Josef Jansen als Gesandter Erster Klasse an die Botschaft in Frankreich wurde 1960 vom Auswärtigen Amt auf französischen Druck hin wegen seiner Tätigkeit im Zweiten Weltkrieg zurückgezogen.[15] Im Anschluss an seine Tätigkeit als Generalkonsul in Genf war er stattdessen zwischen 1961 und 1964 Gesandter an der Botschaft im Vereinigten Königreich. Dabei stieß die Anmietung der von ihm bewohnten Wohnung im Londoner Stadtteil Kensington wegen der Höhe des Mietzinses auf Kritik in den Medien.[16] Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er 1964 als Ministerialdirektor Leiter der Abteilung V (Rechtsabteilung) des Auswärtigen Amtes[17] und übte diese Funktion bis 1968 aus. In dieser Funktion war er vom 26. März bis zum 24. Mai 1968 Leiter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen zum Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge.[18]

Zuletzt wurde Thierfelder im August 1968 Nachfolger von Horst Groepper als Botschafter in der Türkei.[19] Diesen Posten hatte er bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand im Januar 1971 inne und wurde anschließend durch Gustav Adolf Sonnenhol abgelöst.

Veröffentlichungen

  • Objektiv gefasster Schuldmerkmale, Dissertation Universität Tübingen, Breslau-Neukirch 1932.
  • Normativ und Wert in der Strafrechtswissenschaft unserer Tage, Morh Verlag, Tübingen 1934.
  • Anselm von Feuerbach und die bayrische Strafprozessgesetzgebung von 1813, ZStW 53 (1934), S. 403–442[20]
  • Erich Schwinge: Militärstrafgesetzbuch, Rezension, DR 1937, S. 39 f.[21]

Literatur

  • Andrea Wiegeshoff: „Wir müssen alle etwas umlernen“. Zur Internationalisierung des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland (1945/51 – 1969). Göttingen: Wallstein, 2013 ISBN 978-3-8353-1257-9, S. 438.
  • Helge Dvorak: Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft. Band I: Politiker. Teilband 9: Nachträge. Koblenz 2021, S. 178–179. (Online-PDF)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Geburtsregister StA Schöneberg I, Nr. 20/1906
  2. Sterberegister StA Bonn III, Nr. 223/1997
  3.  Mitglieder-Verzeichnis der Burschenschaft Derendingia zu Tübingen. Oktober 1933, Stammrollen-Nr. 633.
  4.  Mitglieder-Verzeichnis der Burschenschaft Derendingia zu Tübingen. Oktober 1933, Stammrollen-Nr. 20.
  5.  Mitglieder-Verzeichnis der Burschenschaft Derendingia zu Tübingen. Oktober 1933, Stammrollen-Nr. 544.
  6. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2, S. 684.
  7. Zusammen mit anderen Mitarbeitern des Militärbefehlshabers hatte Thierfelder Anfang der 1950er Jahre den vormaligen Militärverwaltungsbeamten und Kommandeur der Sicherheitspolizei Hans Luther entlastet, als sich dieser vor der französischen Justiz für die deutsche Praxis der Geiselerschießungen verantworten musste. Siehe: Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2, S. 684.
  8. Ulrich Herbert (Herausgeber): Vernichtungspolitik 1939–1945. Neue Forschungen und Kontroversen, Frankfurt am Main 1998.
  9. Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex: die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland, Verlag Wallstein Verlag, 2004, ISBN 3-8924-4693-8, S. 125, 379.
  10. Ahlrich Meyer: Täter im Verhör. Die „Endlösung der Judenfrage“ in Frankreich 1940–1944, Darmstadt 2005, S. 446.
  11. Regierungserklärung zur außenpolitischen Lage. 49. Kabinettssitzung am 5. Oktober 1954 (Bundesarchiv)
  12. Herbert Elzer: Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und die "kleine Wiedervereinigung": die Bundesministerien im außenpolitischen Ringen um die Saar 1949 bis 1955, Verlag Röhrig Universitätsverlag, 2008, ISBN 3-8611-0445-8, S. 72, 984 u. a.
  13. Nach Herbert Elzer: Konrad Adenauer, Jakob Kaiser und die "kleine Wiedervereinigung": die Bundesministerien im außenpolitischen Ringen um die Saar 1949 bis 1955, Verlag Röhrig Universitätsverlag, 2008, ISBN 3-8611-0445-8, S. 72; war Thierfelder mit der Tochter des Vorsitzenden des Saarländischen Turnerbundes, Karl Burk, verheiratet und stand der Saarfrage dieser Zeit somit nicht gleichgültig gegenüber.
  14. Mitteilung über die in Aussicht genommene Besetzung auswärtiger Vertretungen. 115. Kabinettssitzung am 25. Januar 1956 (Bundesarchiv)
  15. Eckart Conze, Norbert Frei, Peter Hayes und Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik. Karl Blessing Verlag, München 2010, ISBN 978-3-89667-430-2, S. 684, 804.
  16. Rudolf Thierfelder. In: Der Spiegel vom 9. August 1961
  17. Besetzung deutscher Auslandsvertretungen. 128. Kabinettssitzung am 24. Juni 1964 (Bundesarchiv)
  18. Stefan Karner (Herausgeber): Prager Frühling: Beiträge, Böhlau Verlag Köln Weimar, 2008, ISBN 3-4122-0207-X, S. 552.
  19. Besetzung deutscher Auslandsvertretungen. 130. Kabinettssitzung am 3. Juli 1968 (Bundesarchiv)
  20. Gustav Radbruch, Gerhard Haney: Feuerbach, Verlag C.F. Müller GmbH, 1997, ISBN 3-8114-6996-7, S. 121.
  21. Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus, Verlag BWV Verlag, 2006, ISBN 3-8305-1208-2, S. 95.