Sergej Lochthofen

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Sergej Lochthofen (* 24. August 1953 in Workuta, UdSSR) ist ein deutsch-russischer Journalist, der von 1990 bis 2009 Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen war.

Leben

Sergej Lochthofen wuchs in Gotha auf.[1] Als sowjetischer Staatsbürger besuchte er eine sowjetische Schule in der DDR, die Staatsbürgerschaft der DDR nahm er nicht an. Anschließend nahm er auf der Krim ein Kunststudium auf, kehrte jedoch nach zwei Semestern in die DDR zurück, um dem sowjetischen Wehrdienst zu entgehen. Von 1971 bis 1973 volontierte er bei der Zeitung der SED-Bezirksleitung für den Bezirk Erfurt, Das Volk, und studierte anschließend bis 1977 an der Sektion Journalistik der Leipziger Karl-Marx-Universität. Danach war er bis zur Wende als Nachrichtenredakteur bei Das Volk tätig. 1990 wurde er von der Belegschaft zum Chefredakteur des einstigen SED-Parteiorgans gewählt, das in Thüringer Allgemeine umbenannt wurde. 1993 nahm Lochthofen die deutsche Staatsangehörigkeit an.[2][3]

Zur gleichen Zeit wurde die Thüringer Allgemeine Mitarbeiter-Beteiligungs-GmbH mit einem Kapital von 25.000 DDR-Mark gegründet. Noch heute gehört die Zeitung zu einem Teil dieser GmbH. Ein Gesellschafter und Miteigentümer der mittlerweile zur WAZ-Mediengruppe und deren Zeitungsgruppe Thüringen gehörenden Firma war von Beginn an Sergej Lochthofen. Er war auch der einzige Ostdeutsche, der als Chefredakteur einer regional bedeutenden Zeitungsgruppe tätig war. Dies verdankte er unter anderem seiner Medienpräsenz; so war er häufig zu Gast in der Fernsehsendung Presseclub, wo er sich als „Stimme des Ostens“ einen Namen machte.

Am 26. November 2009 wurde von der WAZ-Leitung bekanntgegeben, dass Lochthofen im Zuge der Umgestaltung der WAZ-Zeitungsgruppe in Thüringen zum 1. Januar 2010 als Chefredakteur der Thüringer Allgemeinen abgelöst und mit ihm seine Ehefrau, Antje-Maria Lochthofen, ihres Postens als stellvertretende Chefredakteurin enthoben werden sollte. Zum neuen Chefredakteur wurde Paul-Josef Raue bestellt. Zuvor gab es verschiedene Vorstellungen bei der WAZ-Leitung und Lochthofen über Veränderungen bei der TA; die WAZ plante nach einem größeren Stellenabbau in NRW zur Einsparung auch bei den Medien in Ostdeutschland einen zentralen Newsdesk, als dessen Gegner Lochthofen galt.[4] Gegen diese Entscheidungen gab es zahlreiche Proteste von Lesern und Mitarbeitern wie auch von Verbänden wie dem Deutschen Journalistenverband und der Industrie- und Handelskammer Erfurt. Sergej Lochthofen nannte die Entlassung seiner Frau „Sippenhaft“ und verglich sie mit Methoden bei den Nazis und unter Stalin.[5] Die Konzernleitung bezeichnete die Äußerungen als „verlagsschädigend“ und löste Lochthofen vorzeitig am 1. Dezember 2009 ab.[6]

Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.

Familie

Sergej Lochthofen kam als Sohn des deutschen Kommunisten Lorenz Lochthofen und einer russischen Mutter in Workuta (Sowjetunion) zur Welt. Lochthofens Vater stammte aus Dortmund und war 1930 in die Sowjetunion gekommen, um dort als Bergwerksschlosser in einem Schacht am Donbass, einem großen Steinkohlegebiet in der Ukraine, zu arbeiten. Bald darauf begann er ein Studium des Journalismus in Moskau und der politischen Ökonomie in Engels (ASSR der Wolgadeutschen), um schließlich als Redakteur bei der deutschsprachigen Zeitung Nachrichten zu arbeiten. 1938 wurde er Opfer der Stalinschen Säuberungen und zu fünf Jahren Zwangsarbeit im Arbeitslager Workuta verurteilt – und neun Jahre festgehalten. Nach Entlassung aus dem Gulag 1947 lebte er als Verbannter weiterhin in Workuta. Nachdem Lorenz Lochthofen 1956 von einem Gericht in Saratow rehabilitiert worden war, konnte er mit seiner Frau, dem 1947 geborenen Sohn Pawel und dem 1953 geborenen Sohn Sergej 1958 in die DDR ausreisen, wo er auf dem VI. Parteitag der SED 1963 ins Zentralkomitee berufen wurde.

Sergej Lochthofen ist der Vater von Boris Lochthofen, der 2016 Direktor des MDR-Landesfunkhauses Thüringen wurde.

Auszeichnungen

Von einer 60-köpfigen Fachjury der Zeitschrift Medium Magazin wurde Lochthofen im Dezember 2009 als Regionaler Chefredakteur 2009 geehrt.[7]

Buchveröffentlichungen

  • Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters, Rowohlt, Berlin 2012, ISBN 978-3-498-03940-0.
  • Grau: Eine Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land. Rowohlt, Reinbek 2014, ISBN 978-3-498-03944-8.

Literatur

Weblinks

Commons: Sergej Lochthofen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Quellen

Einzelnachweise

  1. Henry Bernhard: Komplexes Verhältnis: Ostdeutsche und Russland. (mp3-Audio; 8,3 MB; 9:04 Minuten) In: Deutschlandfunk-Sendung „DLF-Magazin“. 11. August 2022, abgerufen am 13. März 2022.
  2. „Grau“ – Sergej Lochthofens Autobiografie: Lebensgeschichte aus einem untergegangenen Land. In: MDR Kultur. 17. Oktober 2014, archiviert vom Original am 12. Februar 2015; abgerufen am 13. August 2022.
  3. Ulrike Timm: Autor und Journalist Sergej Lochthofen: „Ein anständiger Mensch wählt keine Rechtsradikalen“. (mp3-Audio; 29,4 MB; 32:08 Minuten) In: Deutschlandfunk-Kultur-Sendung „Im Gespräch“. 1. November 2021, abgerufen am 13. August 2022 (Zitat ab Minute 12:30): „Ich bin 1993 Deutscher geworden.“
  4. Steffen Grimberg: Der Konzern putscht. In: taz.de. 3. Dezember 2009, abgerufen am 13. August 2022.
  5. Sebastian Hammelehle: „Thüringer Allgemeine“: Abgesetzter Chefredakteur wirft WAZ-Gruppe Nazi-Methoden vor. In: Spiegel Online. 26. November 2009, abgerufen am 13. August 2022.
  6. Christian Teevs: Nach Nazi-Vergleich: WAZ-Gruppe entlässt Chef der „Thüringer Allgemeinen“. In: Spiegel Online. 2. Dezember 2009, abgerufen am 13. August 2022.
  7. Annette Milz: Die Journalisten des Jahres 2009. In: Medium Magazin. 21. Dezember 2009, abgerufen am 14. August 2022.