Sigmar Polke

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Sigmar Polke (rechts) gemeinsam mit seinem Freund Dieter Frowein-Lyasso (Foto von Cornel Wachter)

Sigmar Polke (* 13. Februar 1941 in Oels, Niederschlesien; † 10. Juni 2010 in Köln) war ein deutscher Künstler. Sein Werk umfasst Malerei, Arbeiten auf Papier, Fotografie, Film, Objekte und Grafik. Seine Arbeitsweise zeichnete sich durch eine große Vielfalt und einen unkonventionellen und experimentellen Umgang mit Motiven und Materialien aus.[1]

Leben

Nach der Vertreibung der Familie 1945 aus Niederschlesien nach Thüringen floh diese 1953 aus der DDR nach West-Berlin und zog dann nach Düsseldorf. Von 1959 bis 1960 absolvierte Polke eine Glasmaler-Lehre in Düsseldorf-Kaiserswerth. 1961 nahm er ein Studium bei Gerhard Hoehme und Karl Otto Götz an der Kunstakademie Düsseldorf auf, das er 1967 beendete.

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Achat-Steinschnitt Fenster im Grossmünster Zürich
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Grab von Sigmar Polke auf dem Kölner Melaten-Friedhof

1963 gründete er zusammen mit Gerhard Richter und Konrad Lueg den Kapitalistischen Realismus,[2] einen Kunststil, der in der Konzeption und Realisation der Aktion Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus ihren Anfang nahm. Gemeinsam mit Richter, Lueg und Manfred Kuttner hatte Polke im Mai desselben Jahres auch seine erste öffentliche Ausstellung in der Kaiserstraße 31A in Düsseldorf. Von 1970 bis 1971 war er Gastprofessor an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und zwischen 1977 und 1991 Professor an derselben Hochschule. Polke wohnte und arbeitete ab 1972 sechs Jahre lang im Willicher Gaspelshof[3], wo sich zusammen mit wechselnden Künstlerfreunden und Gästen eine Art „Künstlerkommune“ herausbildete.[4] 1978 siedelte er nach Köln über. In den Jahren 1980 bis 1981 unternahm Polke Reisen nach Südostasien, Papua-Neuguinea und Australien.

Sigmar Polke war Teilnehmer der Documenta 5 in Kassel im Jahr 1972 in der Abteilung Individuelle Mythologien. Auch auf der Documenta 6 (1977) und der Documenta 7 (1982) war er als Künstler vertreten. 1982 beteiligte er sich an der Gruppenausstellung Zeitgeist, 1984 an der Ausstellung Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf und 1988 an der Ausstellung Made in Cologne. Polke förderte den Pop-Art-Künstler Memphis Schulze in dessen Anfangsjahren. Er erhielt 2007 den Rubenspreis der Stadt Siegen.[5]

Seinen größten öffentlichen Auftrag erhielt Polke mit der Erneuerung der Glasfenster des Zürcher Grossmünsters, die ihm im Jahre 2006 im Rahmen eines Künstlerwettbewerbs zugesprochen wurde. Die fünf Glas- und sieben Achatfenster wurden im November 2009 fertiggestellt und der Öffentlichkeit übergeben.

Polke war der jüngste Bruder des Bildhauers Wilfrid Polke und des Theologen Johannes Polke. Er starb am 10. Juni 2010 an einer Krebserkrankung.[6] Sein Grab befindet sich auf dem Kölner Melaten-Friedhof. Der Tod Polkes kann mit der Verwendung giftiger Farben zusammenhängen, darunter Cobalt(II)-nitrat und Schweinfurter Grün.[7]

Polkes Kinder aus seiner ersten Ehe mit Karin Polke sind der Künstler Georg Polke (* 1960) und die Schauspielerin Anna Polke (* 1964). In zweiter Ehe war er verheiratet mit der Künstlerin Augustina von Nagel.[8]

2018 gründete seine Tochter Anna eine Stiftung zur wissenschaftlichen Erforschung des Lebenswerkes ihres Vaters Sigmar Polke.[9][10] Auf dem Kunstmarkt wurden bis zu rund 27 Millionen US-Dollar für seine Werke gezahlt.[11][12] Nachdem um 2000 kaum noch Malerei von Polke auf dem Kunstmarkt angeboten worden war, wandte sich der Handel seinen hinterlassenen, in der Regel von ihm zusätzlich überarbeiteten Fotoarbeiten zu.[13]

Auszeichnungen

Werke (Auswahl)

  • 1969: Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! Abb. (Museum für Neue Kunst, Karlsruhe)
  • 1969: Propellerfrau (Museum Trésor des Templiers, Rorschacherberg)
  • 1979: Remingtons Museums-Traum ist des Besuchers Schaum (Kunstmuseum Bonn)
  • 1983: Der Computer kommt
  • 1983: Entartete Kunst
  • 1991: Leave the Lab and enter the Office (Brooklyn Museum, New York)
  • 1994: Zyklus Laterna Magica (1988–1994) (Kunstmuseum Walter, Augsburg).
  • 1996: Self-Esteem Party Game, Kunststoffsiegel auf Polyestergewebe, 130×150 cm, Privatsammlung.
  • 1998: Illusionary Reorientation, Kunststoffsiegel auf Polyestergewebe, 150×130 cm, Privatsammlung.
  • 1998: As long as the Connections to Reality are Missing, Kunststoffsiegel auf Polyestergewebe, 150×130 cm, Nachlass Sigmar Polke, Köln.
  • 2009: Fenster der Seitenschiffe im Grossmünster Zürich.[16]

Die europaweit größte Sammlung der Editionen von Sigmar Polke besitzt das Kölner Museum Ludwig als Schenkung des Kölner Sammlers Ulrich Reininghaus. Dabei handelt es sich überwiegend um Arbeiten auf Papier (Sieb- und Offsetdrucke, einfache Kopien, Fotografien, Künstlerbücher, Plakate und Einladungskarten), darunter zahlreiche Übermalungen und damit Unikate.

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1997: Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei, 7. Juni – 12. Oktober 1997 Bundeskunsthalle, Bonn[17]
  • 2007: Sigmar Polke. Original und Fälschung, 8. Dezember 2007 bis 24. Februar 2008, Kunsthalle Tübingen
  • 2007: Sigmar Polke – 11. Rubenspreis der Stadt Siegen. Museum für Gegenwartskunst, Siegen
  • 2015: 14. März – 5. Juli 2015 Museum Ludwig, Köln (kuratiert von Barbara Engelbach)[18]
  • 2014: Sigmar Polke: Alibis 1963–2010, 19. April – 3. August 2014 MoMA, New York;[19] 9. Oktober 2014 bis 8. Februar 2015 Tate Modern, London
  • 2014: Polke/Richter – Richter/Polke, 25. April – 7. Juli 2014, Christie’s, Bond Street, London[20]
  • 2015: Can the museum be a garden? – Works from the collection of the Serralves Museum (6. Februar bis 13. September 2015), Museu Serralves, Porto[21]
  • 2015: Sigmar Polke. Annäherung an Venedig – Filme und Trabanten der Biennale 1986. Museum Abteiberg, Mönchengladbach[22]
  • 2015: Alibis: Sigmar Polke. Retrospektive. Museum Ludwig, Köln[23] Katalog
  • 2018: Sigmar Polke. Fotografien 70-80. Museum Morsbroich, Leverkusen, 27. Mai bis 2. September 2018
  • 2018/2019: Sigmar Polke und die 1970er Jahre – Netzwerke, Experimente, Identitäten, 4. November 2018 bis 10. März 2019, Museum für Gegenwartskunst, Siegen
  • 2021/22: Produktive Bildstörung. Sigmar Polke und aktuelle künstlerische Positionen, Kunsthalle Düsseldorf, kuratiert von Kathrin Barutzki und Nelly Gawellek mit Gregor Jansen

Gruppenausstellungen

  • 2018: I’m a Believer. Pop Art und Gegenwartskunst aus dem Lenbachhaus und der KiCo Stiftung, ab 20. März 2018, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München[24]
  • 2019: „Die jungen Jahre der Alten Meister“: Baselitz, Richter, Polke und Kiefer, 12. April bis 18. August 2019, Sonderausstellung der Staatsgalerie Stuttgart

Literatur

  • Bice Curiger im Gespräch mit Sigmar Polke. Ein Bild an sich ist schon eine Gemeinheit. 18. Dez. 1984. In: Parkett, Nr. 26, Zürich 1990, S. 6–17. (Bislang einziges Interview des Künstlers)
  • Martin Hentschel: Die Ordnung des Heterogenen. Sigmar Polkes Werk bis 1986. Eigenverlag, Darmstadt 1991 (Zugleich: Phil. Diss. Ruhr-Universität Bochum, 1991.)
  • Russell Ferguson (Hrsg.): Sigmar Polke. Photoworks. When pictures vanish. Ausstellungskatalog Museum of Contemporary Art. Scalo, Los Angeles/Zürich 1995, ISBN 0-914357-44-1, ISBN 1-881616-65-7.
  • David Thistlewood (Hrsg.): Sigmar Polke. Back to Postmodernity / Tate Gallery Liverpool (= Tate Gallery Liverpool critical forum series. Bd. 4). Liverpool University Press, Liverpool 1996, ISBN 0-85323-911-8.
  • Sigmar Polke. Die drei Lügen der Malerei. Ausstellungskatalog. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1997, ISBN 3-88609-419-7, ISBN 3-931768-13-9. (Bislang umfangreichste Retrospektive)
  • Jürgen Becker, Claus von der Osten (Hrsg.): Sigmar Polke. Die Editionen 1963–2000. Catalogue raisonné. Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2000, ISBN 3-7757-0956-8.
  • Anita Shah: Die Dinge sehen wie sie sind. Zu Sigmar Polkes malerischem Werk seit 1981. VDG, Weimar 2002, ISBN 3-89739-268-2. (Zugleich: Phil. Diss. Rhein.-Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn 1999.)
  • Sigmar Polke – Original + Fälschung. 2. veränd. Aufl., Anlässlich der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen vom 8. Dezember 2007 bis 24. Februar 2008. Tübingen 2007.
  • Sigmar Polke – Fenster für das Grossmünster Zürich. Parkett Publishers und Grossmünster Zürich, Zürich/New York 2010, ISBN 978-3-907582-27-5.[25]
  • Klaus Staeck: Sigmar Polke Rasterfahndung. Steidl, Göttingen 2010, ISBN 978-3-86930-283-6. (Zur Ausstellung Sigmar Polke – Eine Hommage, Akademie der Künste Berlin, 2011.)

Weblinks

Commons: Sigmar Polke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Kathy Halbreich, Lanka Tattersall, Magnus Schäfer: Sigmar Polke. Alibis. 1963-2010. Hrsg.: Museum of Modern Art. New York 2014.
  2. Grafik des kapitalistischen Realismus KP Brehmer, Karl Horst Hödicke, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Wolf Vostell, Druckgrafik bis 1971.
  3. Sigmar Polke – ein internationaler Star – in Willich (abgerufen am 29. Januar 2021).
  4. ksta.de: Porträt: Aus dem Leben eines Magiers (abgerufen am 24. September 2015).
  5. Der Rubenspreis der Stadt Siegen - Entdecken - Museum für Gegenwartskunst Siegen. Abgerufen am 15. September 2022.
  6. Der Scherzempfindliche. Nachruf auf Spiegel Online, 11. Juni 2010.
  7. Thomas Seilnacht: Naturwissenschaftler unterrichten: Farbe: Pigmente: Schweinfurtergrün. Abgerufen am 5. April 2021: „Der 2010 verstorbene deutsche Maler Sigmar Polke (1941–2010) wollte Grenzen überschreiten und setzte das verbotene Schweinfurtergrün in seinen Kunstwerken ein. Der Tod Polkes steht möglicherweise im Zusammenhang mit gesundheitsgefährdenden Farben. Er verwendete noch andere gefährliche Stoffe wie beispielsweise Cobalt(II)-nitrat, das bei Feuchtigkeit seine Farbe von Blau nach Violett wechselt und als stark krebserzeugend gilt.“
  8. Sigmar kommt aus einer tief-religiösen, evangelischen Familie – Anna Polke, Kathrin Barutzki und Nelly Gawellek über Sigmar Polke und die Anna Polke-Stiftung im Gespräch mit Helga Meister. In: kunstforum.de. Abgerufen am 1. April 2022.
  9. Polkes Tochter gründet Stiftung zur Erforschung seiner Kunst von dpa auf der Internetseite der Kunstzeitschrift www.monopol-magazin.de (Monopol-Magazin), 6. Februar 2019.
  10. Anna Polke-Stiftung Homepage der Anna Polke-Stiftung, Köln, abgerufen am 9. Februar 2019.
  11. Strong Sales in London for Some German Artists, Artikel in New York Times, abgerufen am 22. Oktober 2014.
  12. Sigmar Polke – Dschungel (Jungle), sold for a new record of $27,130,000, Webseite: Art Antiques Ireland, abgerufen am 15. August 2018.
  13. Helga Meister: Fotos von Sigmar Polke für eine Million Euro. Der Kunstmarkt stürzt sich auf die Fotokunst. Die Düsseldorfer Galerie Sies + Höke zeigt 18 hochpreisige Werke des Künstlers, einige stammen aus dem Besitz der Berliner Galeristin Annette Kicken. In: Rheinische Post, 2. September 2020, S. D1.
  14. FAZ-Artikel Warten auf Polke Empörung in Israel (abgerufen am 30. September 2015).
  15. Honorary Members: Sigmar Polke. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 19. März 2019.
  16. Sigmar Polke – Kirchenfenster Grossmünster (Memento vom 31. Oktober 2010 im Internet Archive)
  17. abendblatt.de: Bundeskunsthalle: Bonn zeigt die größte Polke-Schau (abgerufen am 19. Juni 2015).
  18. Catrin Lorch: Samtfarbenes Knochengerüst. Seine Kunst bannt die lukrativste Lebenslüge der jungen Bundesrepublik: Die Londoner Tate Modern feiert in einer großartigen Schau den deutschen Meistermaler und ungezwungenen Geist Sigmar Polke als Subversiven. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 235, 13. Oktober 2014, ISSN 0174-4917, S. 13.
  19. Nichts ist ihm heilig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Juni 2014, S. 14.
  20. DPA-Starline: Kunst: Richter und Polke: Ausstellung in London. In: Focus Online. 4. Mai 2014, abgerufen am 14. Oktober 2018.
  21. Information des Museums zur Ausstellung, abgerufen am 30. Oktober 2015.
  22. Mitteilung des Museums zur Ausstellung, abgerufen am 20. April 2015.
  23. Mitteilung des Museums zur Ausstellung (Memento vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive), abgerufen am 20. April 2015.
  24. Lenbachhaus - Kunst nach 1945. Abgerufen am 14. März 2019.
  25. Angelika Affentranger-Kirchrath: Metamorphosen aus Licht und Stein. Buchbesprechung in: Neue Zürcher Zeitung, 2. Dezember 2010, abgerufen am 22. April 2012.