Niemandsland
Der Begriff Niemandsland (lateinisch terra nullius) bezeichnet ein Gebiet, das niemandem gehört, also
- staatsrechtlich herrenlos ist oder
- von niemandem besiedelt und gepflegt oder bewirtschaftet wird oder
- zwischen den Frontlinien eines Krieges liegt.
Im übertragenen Sinn wird damit auch ein besonders unwirtliches Gebiet bezeichnet.
Terra Nullius war ein bereits im römischen Rechtswesen geläufiger Rechtsbegriff. Verwandt in Bedeutung und Anwendung ist der Begriff Res Nullius, der so viel wie Niemandes Sache oder Eigentum bedeutet.
In moderner Anwendung bezieht sich der Begriff auf Doktrinen aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die Schlüsse auf die Besitzrechte an Gebieten zuließen, die von keiner Entität kontrolliert wurden, die von einer europäischen Macht anerkannt war.
Im 18. Jahrhundert wurde unter anderem vom Schweizer Völkerrechtler Emerich de Vattel daraus abgeleitet, dass unkultiviertes Land, das keiner anerkannten Macht untersteht, niemandem gehört, und man schuf damit quasi eine Rechtsgrundlage für die europäischen Mächte, von „primitiven“ Völkern bewohnte Gebiete zu kolonisieren.
Umgangssprachlich wird als Niemandsland auch das Gebiet zwischen den Kontrollstellen bei Grenzübergängen bzw. auch der von den jeweiligen Staaten kontrollierte Grenzgebietsstreifen bezeichnet, der üblicherweise nicht unkontrolliert betreten werden darf.[1]
Anwendungsfälle
Typische Anwendungsfälle sind:
- ein Grenzgebiet zwischen zwei Hoheitsgebieten, das keiner rechtlichen Hoheit unterstellt ist,
- die internationalen Gewässer oder die Hohe See,
- ein im Krieg umkämpftes, zwischen den Fronten liegendes Gelände,
- der Weltraum,
- ein Schiff in internationalen Gewässern ohne Staatsflagge oder Besatzung.
Terrae Nullius im 20. und 21. Jahrhundert
Das größte Niemandsland weltweit ist Marie-Byrd-Land in der Antarktis, das von keiner Nation beansprucht wird. Daneben gibt es in der Antarktis Gebiete, die zwar von bestimmten Nationen beansprucht werden, aber völkerrechtlich umstritten sind. Die Regierung der Vereinigten Staaten erklärte, dass sie Gebietsansprüche nicht anerkenne und die gesamte Antarktis Niemandsland sei (siehe Antarktisvertrag).
Noch 1931 besetzte Norwegen ein Gebiet im Osten Grönlands mit der Terra-Nullius-Begründung. Der Ständige Internationale Gerichtshof entschied 1933 jedoch in dieser Angelegenheit für Dänemark.
In der Geschichte gibt es mehrere Beispiele für sogenannte Neutrale Zonen zwischen zwei Staaten. Die bekanntesten waren die Neutrale Zone zwischen Saudi-Arabien und Irak, die von 1922 bis 1991 Bestand hatte, und die Neutrale Zone zwischen Saudi-Arabien und Kuwait, die von 1922 bis 1970 bestand. Diese Gebiete wurden von den angrenzenden Staaten gemeinsam verwaltet.
1992 stellte in Australien das höchste Gericht des Landes in der Entscheidung Mabo v. Queensland (No. 2) fest, dass der Kontinent vor Beginn der Kolonisierung durch England keine Terra Nullius war. Dies führte dazu, dass den Aborigines und Torres-Strait-Insulanern mit dem Native Title Landrechte gewährt wurden.
Im Nahostkonflikt gibt es die beispielsweise vom Völkerrechtler Elihu Lauterpacht, dem Herausgeber von Oppenheim’s International Law vertretene – wenngleich stark umstrittene – Auffassung, dass kein Staat zu Beginn des Krieges von 1948/49 Souveränität über das Westjordanland gehabt habe und Jordanien sich durch die militärische Aneignung im Verlauf dieses Krieges keine legitimen Rechte an dem Gebiet erworben habe. In seinen Augen war das Gebiet daher Terra Nullius, „das sich jeder Staat aneignen durfte, der effektive und stabile Kontrolle ausüben konnte, ohne auf illegale Mittel zurückzugreifen.“
Bir Tawil ist ein kleines Gebiet zwischen den Grenzen von Ägypten und Sudan, das aufgrund verschieden ausgelegter Grenzziehungen von 1899 und 1902 als Niemandsland gilt.
Eine Kuriosität stellt das Fürstentum Sealand dar. Ein Privatmann proklamierte 1967 eine verlassene Plattform vor der Küste Englands, die er als Terra Nullius ansah, zu einem unabhängigen Staat. Die Mikronation erfuhr allerdings keinerlei internationale Anerkennung.
Der jüngste vermeintliche Anwendungsfall der Terra-nullius-Doktrin ist die Gründung der Mikronation Liberland durch den Tschechen Vít Jedlička im Donau-Grenzgebiet zwischen Serbien und Kroatien. Jedlička argumentiert, das von ihm beanspruchte Gebiet sei im Rahmen von Grenzstreitigkeiten zwischen beiden Ländern herrenlos geworden.[2]
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Lucius Burckhardt: Wo Anne ihren ersten Kuß bekam. In: Michael Andritzky, Klaus Spitzer (Hrsg.): Grün in der Stadt. Von oben, von selbst, für alle, von allen (= rororo 7464 rororo-Sachbuch). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1983, ISBN 3-499-17464-2, S. 114–115.
- ↑ Kurios: Tscheche proklamiert eigenen Staat an der Donau. In: Kleine Zeitung, 15. April 2015, zuletzt abgerufen am 16. Februar 2016.