Stevia rebaudiana
Stevia rebaudiana | ||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Stevia rebaudiana
Stevia rebaudiana | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
| ||||||||||||
Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Stevia rebaudiana | ||||||||||||
(Bertoni) Bertoni |
Stevia rebaudiana, auch Süßkraut, Süßblatt, Honigkresse oder Honigkraut genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Stevien (Stevia) innerhalb der Familie der Korbblütler (Asteraceae). Sie wird schon seit Jahrhunderten wegen ihrer starken Süßkraft als Süßstoff Stevia verwendet. Im November 2011 wurden die hauptsächlich aus Steviosid bestehenden Steviolglycoside durch die Europäische Kommission formell als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen.[1] Zuvor wurde im April 2010 von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit eine positive Bewertung zur Sicherheit von Steviolglycosiden veröffentlicht,[2] welcher ein gemeinsamer Antrag von Morita Kagaku Kogyo Co. (Japan), Cargill Incorporated (USA) und der European Stevia Association (EUSTAS, Spanien) vorausgegangen war.
Beschreibung
Vegetative Merkmale
Stevia rebaudiana ist eine mehrjährige, krautige Pflanze, die Wuchshöhen von 70 bis 100 Zentimetern erreicht. Die gegenständig am Stängel angeordneten Laubblätter sind in Blattstiel und -spreite gegliedert. Die einfache Blattspreite ist 2 bis 3 Zentimeter lang.[3]
Generative Merkmale
In einem trugdoldigen Gesamtblütenstand befinden sich die körbchenförmigen Teilblütenstände. Die Blüten sind weiß.[3]
Ökologie
Die windbestäubte Stevia rebaudiana ist selbststeril. Die Keimquote der Samen liegt selbst bei frischen Samen nur bei etwa 13 bis 15 Prozent. Stevia rebaudiana keimt nur aus Saatgut, welches nicht älter als ein halbes Jahr ist.[3]
Taxonomie
Die Erstbeschreibung erfolgte unter dem Namen (Basionym) Eupatorium rebaudianum.[3] Die Neukombination zu Stevia rebaudiana (Bertoni) Bertoni wurde 1905 durch Mosè Bertoni in Anales Ci. Parag. ser. 1, 5:3. veröffentlicht.
Herkunft
Stevia rebaudiana stammt ursprünglich aus Paraguay in Südamerika. Natürliche Vorkommen Stevia rebaudiana findet man im Hochland des Grenzgebietes zwischen Brasilien und Paraguay, zum Beispiel im Departamento Amambay.
Geschichte
Seit Jahrhunderten wird Stevia rebaudiana schon von der indigenen Bevölkerung Brasiliens und Paraguays als Süßstoff und Medizin verwendet. Die Guaraní-Indianer nennen es ka'a he'ẽ (Süßkraut) und nutzen es, um ihren Mate zu süßen.[4] Die Europäer lernten Stevia rebaudiana im 16. Jahrhundert kennen, als die spanischen Konquistadoren darüber berichteten, dass die südamerikanische Bevölkerung die Blätter einer Pflanze benutze, um Kräutertee zu süßen. Wissenschaftlich untersucht wurde die Pflanze erstmals um 1888 durch den aus dem Tessin nach Paraguay ausgewanderten Botaniker Moisés Santiago Bertoni, der 1899 auch die erste Beschreibung verfasste.[5]
Anbau
Diese wärmeliebende Pflanzenart stammt aus den Subtropen, ist nicht frosthart[6] und wird deshalb meist als einjährige Pflanze kultiviert. Stevia ist eine Kurztagspflanze.[7]
Ohne Frosteinwirkung ist die Pflanze in Paraguay vier bis sechs Jahre lang nutzbar.[6] Anderswo müssen Stevia-Kulturen aufgrund der fehlenden Frosthärte jedes Jahr neu angelegt werden. Um die Vegetationszeit zu verlängern, werden die Pflanzen dabei aus Samen oder Stecklingen im Treibhaus vorgezogen.[8] Geerntet wird zwischen September und Oktober, jedoch spätestens vor dem ersten Frühfrost.[6] In Anbauversuchen mit Stevia wurden Erträge von 1000 kg/ha erreicht, aus denen 60 kg Steviosid extrahiert werden konnten.[3] Bei einer Bestandsdichte von 14 Pflanzen pro Quadratmeter im Folientunnel können bei mittlerem Wachstum Blatterträge über 5 t/ha und mit Düngung 7,6 t/ha erreicht werden.
In Deutschland wird seit 1998 an der Universität in Hohenheim an der Stevia-Pflanze geforscht,[9] und seit 2002 werden im Rheinland Feldversuche mit Stevia durchgeführt.[6]
Verwendung
Stevia ist eine seit Jahrhunderten bekannte Pflanzenart, die auch als ein natürlicher Süßstoff bezeichnet werden kann.[10] Ihre Inhaltsstoffe, häufig auch Stevioside genannt, werden vor allem in Asien als Zuckerersatz zum Süßen von Tees und Nahrungsmitteln verwendet. So produzierte Korea schon 1973 Stevia für den japanischen Markt, wo der Süßstoff der Stevia-Pflanze inzwischen 40 % des Zuckerersatzstoffmarktes ausmacht.[11]
Im Vergleich zum Rübenzucker sind Stevia-Blätter 30-mal, und der darin enthaltene süßende Stoff, Steviosid, ist in reiner Form sogar 150- bis 300-mal süßer. Dabei enthält das Blatt nur ein 300stel des physiologischen Brennwerts der süßkraftäquivalenten Menge von Haushaltszucker.[11] Der Vorteil von Stevia gegenüber dem Süßstoff Aspartam ist, dass er auch ausreichend temperaturstabil ist und daher auch zum Backen und Kochen verwendet werden kann.[6] In getrocknetem Zustand können die Blätter über Jahre aufbewahrt werden.[3]
Zulassung als Lebensmittel in Europa
Nachdem ein Expertengremium der UN im Juni 2008 Süßstoff aus Stevia gesundheitliche Unbedenklichkeit attestiert hat, wurden in der Schweiz erste Einzelanträge zur Verwendung von Süßstoff-Zusatz aus Stevia bewilligt.[9] So wurde Stevia in der Schweiz für einzelne Produkte wie Schokolade oder Eistee bewilligt.[12] Des Weiteren ist Stevia (flüssig, Tabs, Pulver) in der Schweiz mittlerweile auch in Apotheken und Drogerien, seit März 2010 selbst in einigen Supermärkten erhältlich.
In der EU ist der aus den Steviablättern gewonnene Süßstoff ab dem 2. Dezember 2011 als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen.[1] Frankreich hatte bereits zuvor als erster EU-Staat per Dekret eine vorläufige Zulassung für Süßstoffe aus der Pflanze Stevia rebaudiana ausgesprochen.[13] Die EU-Zulassung sieht für die verschiedenen Lebensmittel und Getränke Höchstwerte an Steviosid vor. Vor der Zulassung bestand bereits ein reger Internethandel mit Steviapräparaten, wobei diese, um das Verbot bzw. die Strafbarkeit zu umgehen, z. B. (wegen ihrer gleichzeitigen Anti-Karies-Wirkung) als Zahnpflegemittel deklariert wurden.
Medizinische Bedeutung
Inhaltsstoffe
Man stellte in den Blättern der Stevia rebaudiana über 100 pflanzliche Wirkstoffe fest. Diese gehören vor allem zu den Gruppen der Terpene und Flavonoide. Die Bestandteile, die für die Süße der Stevia verantwortlich sind, wurden 1931 dokumentiert. Dabei handelt es sich um acht bis dahin unbekannte Glycoside. Der Gehalt an Steviosid in der frischen Pflanze liegt zwischen 3,7 und 4,8 %.[6] In getrocknetem Zustand enthalten die Blätter durchschnittlich 9 % Steviosid[14], wobei die Werte je nach Jahr und Kulturmethode zwischen 2 und 22 % schwanken. Neben Steviosid ist in getrockneten Blättern auch das besser wasserlösliche und um etwa 30 % süßere Rebaudiosid A mit 3,8 % enthalten.[14] Des Weiteren sind noch 0,6 % Rebaudiosid C und 0,9 % Dulcosid enthalten.[14]
Traditionelle Überlieferungen
Von den Guaraní und aus brasilianischen und paraguayischen Traditionen wird überliefert, dass Stevia auch als Arznei verwendbar sei. Stevia soll herzstärkend wirken, außerdem gegen Übergewicht, Bluthochdruck und Sodbrennen wirksam sein. Untersuchungen zur Wirkung von Steviaextrakten auf die Sterilität bei der Ratte zeigten keine einheitlichen Ergebnisse.[15][16][17] Erste Hinweise stammen aus den 1960er Jahren.[18] Die Wirkung von Stevia auf die Fertilität (Fruchtbarkeit) gilt daher als wissenschaftlich nicht erwiesen und wird kontrovers diskutiert.[19]
Positive Eigenschaften
In Studien konnten blutdrucksenkende, blutzuckersenkende, antimikrobielle und gefäßerweiternde Eigenschaften beobachtet werden. In Japan und Südamerika wurden keine negativen Wirkungen beobachtet. Stevia ist auch für Diabetiker geeignet und erhöht nicht den Blutzuckerspiegel.[11] Sie hat eine plaquehemmende Wirkung und ist darum vorbeugend gegen Karies und damit zahnfreundlich.[4] Es wurde keine Abhängigkeit beobachtet.
Debatte um Risiken
Dem eigentlichen Süßstoff, dem Steviosid, konnte keine mutagene oder genotoxische Wirkung nachgewiesen werden. Die Mutagenität des Abbauprodukts von Steviosid, Steviol, ist umstritten. In einigen Studien wurden fruchtschädigende und mutagene Wirkungen in Hamstern[20] und Ratten[21] beschrieben, außerdem eine Mutagenität in vitro. Die der WHO vorliegenden Studien bezüglich der Auswirkungen von Steviol in vivo haben keine Hinweise auf mutagene Wirkungen am Menschen ergeben. Im Tierversuch an Ratten, Hamstern und Mäusen wurde eine akute und subchronische Toxizität gezeigt,[22] die zwar niedrig war, aber Zweifel an der Anwendungssicherheit weckt. In weiteren Studien an Ratten zeigten sich signifikante Beeinträchtigungen der männlichen Fruchtbarkeit.[18] Kritiker dieser Studien führen an, dass die Einbußen der Fruchtbarkeit bei Ratten sich auf extrem hohe Dosen an frischen Stevia-Blättern von täglich mehr als der Hälfte des eigenen Körpergewichts beziehen.[23] Untersuchungen in Brasilien und Japan zeigten, dass bei einem Konsum von weniger als 38,5 mg Steviosid je kg Körpergewicht und Tag keine Toxizität zu erwarten ist.[3]
Siehe auch
Literatur
- Udo Kienle: Stevia rebaudiana. Natürliche Süße im Behördendschungel. In: journal culinaire. Geschmacksbildung. Anwendungen, Forum, Rezensionen. Band 5, Edition Vincent Klink, Stuttgart 2007, Gebunden, ISBN 978-3-927350-86-1, S. 59–69, online-Text (PDF; 595 kB)
- A. Lavini, M. Riccardi et al.: Yield quality and water consumption of Stevia rebaudiana Bertoni grown under different irrigation regimes in southern Italy. In: Italian Journal of Agronomy 2008, Volume 2, Nr. 3, S. 135–143
- Ingrid und Peter Schönfelder: Das Neue Handbuch der Heilpflanzen, Botanik Arzneidrogen, Wirkstoffe Anwendungen, Franckh-Kosmos Verlags GmbH & Co. KG, Stuttgart, 2011, ISBN 978-3-440-12932-6.
Einzelnachweise
- ↑ a b Entscheidung (PDF) der EU-Kommission vom 11. November 2011
- ↑ EFSA bewertet die Sicherheit von Steviolglycosiden, Webnachricht vom 14. April 2010
- ↑ a b c d e f g W. Franke: Nutzpflanzenkunde – Nutzbare Gewächse der gemäßigten Breiten, Subtropen und Tropen, 6. Auflage, G. Thieme Verlag, Stuttgart u. New York, 1997, ISBN 3-13-530406-X, S. 351.
- ↑ a b K. Greiner; A. Weber: Der große GU-Kompass – 300 Fragen zu Kräutern, Gräfe Und Unzer, 2008, S. 204–205, ISBN 3-8338-0965-5
- ↑ Die Entdeckung der Stevia Pflanze In: Stevia Ratgeber, PDF-Datei 2,9 MB, 28. Juli 2012.
- ↑ a b c d e f R. Pude: Stevia-Anbau lohnt sich – 300 Mal süßer als Zucker und ohne Kalorien. In: Gemüse, Nr. 10, Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart, 2005, S. 27–28.
- ↑ A. D. Kinghorn: Stevia – the genus Stevia, CRC Press, 2002, ISBN 0-415-26830-3, S. 75, .
- ↑ C. Lankes, R. Pude: Zur Anzucht von Stevia-Pflanzen – Wie bewurzelt das Süßkraut am besten?, in: Gemüse Nr. 3, Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart, S. 23–26.
- ↑ a b Leonardmair; Lembens-Schiel: Stevia kommt: Schweiz führt als erster europäischer Staat vielversprechenden Natur-Süßstoff ein, Pressemitteilung Universität Hohenheim, 2008
- ↑ Spiegel-Online: „Lebensmittelriesen starten die Zucker-Revolution“
- ↑ a b c B. Mars: The Desktop Guide to Herbal Medicine, Band 3/3, Verlag Accessible Publishing Systems PTY, 2008, S. 187–189, ISBN 1-4429-9369-3
- ↑ ARD „W wie Wissen“ vom 10. Januar 2010
- ↑ www.konsumo.de Stevia: Frankreich genehmigt den Natursüßstoff, Mitteilung vom 12. Oktober 2009 (Memento vom 14. Oktober 2009 im Internet Archive)
- ↑ a b c J. E. Brandle et al.: Stevia rebaudiana: Its agricultural, biological, and chemical properties. In: Canadian Journal of Plant Science. 19. März 2011, doi:10.4141/P97-114.
- ↑ M.S. Melis: Effects of chronic administration of Stevia rebaudiana on fertility in rats. In: Journal of Ethnopharmacology 67, 1. November 1999, S. 157-61. doi:10.1016/S0378-8741(99)00081-1
- ↑ R.M. Oliveira-Filho, O.A. Uehara, C.A. Minetti und L.B. Valle: Chronic administration of aqueous extract of Stevia rebaudiana (Bert.) Bertoni in rats: endocrine effects. In: General Pharmacology 20(2), 1989, S. 187–191; PMID 2785472.
- ↑ V. Yodyingyuad und S. Bunyawong: Effect of stevioside on growth and reproduction. In: Hum Reprod. 6(1), Januar 1991, S. 158–165; PMID 1874950.
- ↑ a b Gladys Mazzei Planas and Joseph Kuč: Contraceptive Properties of Stevia rebaudiana. Science. 1968 Nov 29; 162(3857):1007. doi:10.1126/science.162.3857.1007
- ↑ S. Böhm: Etablierung von in-vitro Methoden zur Bestimmung des endokrinen Potentials von Fremdstoffen. Dissertation der Technischen Universität Kaiserslautern 2002, Online-Datei
- ↑ Wasuntarawat C., P. Temcharoen, C. Toskulkao, P. Mungkornkarn, M. Suttajit and T. Glusukon. Developmental toxicity of steviol, a metabolite of stevioside, in the hamster. Drug and Chemical Toxicology 21:207-222, 1998. doi:10.3109/01480549809011648
- ↑ Oliveira-Filho R.M., O.A. Uehara, C.A. Minetti and L.B. Valle: Chronic administration of aqueous extract of Stevia rebaudiana (Bert.) Bertoni in rats: endocrine effects. General Pharmacology 20(2):187–191, 1989; PMID 2785472.
- ↑ Medon P.J., J.M. Pezzuto, J.M. Hovanec-Brown, N.P. Nanayakkara, D.D. Soejarto, S.K. Kamath and A.D. Kinghorn. Safety assessment of some Stevia rebaudiana sweet principles. Fed. Proc. (Federation Proceedings) 41:1568, 1982 (Abstract). Federation of American Societies for Experimental Biology, Abstracts of Papers. 66th Annual Meeting, New Orleans, Louisiana.
- ↑ 3sat nano: „Süßstoff-Kraut Stevia rebaudiana macht heimischen Zuckerrüben Konkurrenz“ (Memento des Originals vom 6. Dezember 2008 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , 19. August 2005
Weblinks
- Scientific Committee on Food (SCF) der EU-Kommission: Verwendung von Steviosiden als Süßstoffe. (Memento vom 25. April 2006 im Internet Archive) (PDF)
- Scientific Committee on Food (SCF) der EU-Kommission: Verwendung von Stevia rebaudiana Bertoni-Pflanzen und Blättern. (Memento vom 31. Dezember 2005 im Internet Archive) (PDF)
- Weltgesundheitsorganisation (WHO): Evaluation of certain food additives. (PDF; 1 MB)
- Weltgesundheitsorganisation = WHO: Safety evaluation of certain food additives. (PDF; 18 MB)
- European Stevia Association = EUSTAS.
- Honigblatt – Stevia rebaudiana Bertoni – Asteraceae.
- Stevia-Dossier in Die Zeit, 2008, Nr. 47.