Tierarzt

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Das in Deutschland übliche Zeichen einer Tierarztpraxis zeigt den Äskulapstab mit einem V für Veterinär

Ein Tierarzt, Tiermediziner, Veterinär (von französisch vétérinaire; aus lateinisch veterinarius = „zum Zugvieh gehörig“), Veterinärmediziner oder Veterinärarzt ist ein Hochschulabsolvent der Tiermedizin (Veterinärmedizin, Tierheilkunde). Diese Ausbildung qualifiziert unter anderem zur medizinischen Betreuung und Behandlung von Tieren.

In den meisten Ländern ist die Berufsbezeichnung geschützt und die Berufsausübung bedarf einer staatlichen Erlaubnis (Approbation). Neben der kurativen Tätigkeit in einer Tierarztpraxis oder Tierklinik sind Tierärzte auch im Veterinärwesen, in der Forschung und in der Industrie (vor allem in der Pharmaindustrie) tätig.

Tätigkeit

Eine Tierärztin untersucht einen Hundewelpen

Praxis und Klinik

Die meisten Tierärzte sind als niedergelassene oder angestellte Tierärzte in einer Tierarztpraxis oder Tierklinik tätig. Das Tätigkeitsspektrum wird dabei vor allem von der Art der zu behandelnden Tiere bestimmt: Werden im Bereich der Landwirtschaft vor allem Nutztiere versorgt (Großtierpraxis), so betreuen Kleintierpraxen im städtischen Bereich überwiegend Heim- und Haustiere sowie Vögel. Fische nehmen, neben exotischen Kleintieren, schon ausbildungsbedingt einen geringeren Stellenwert in der tierärztlichen Versorgung ein (Ritter, 2007). Andere Praxen spezialisieren sich z. B. auf Chirurgie, Labordiagnostik, Pathologie oder Tiergärten.

In den 2000er Jahren zeichnete sich im Bereich der Kleintier- und Pferdemedizin eine weitere Spezialisierung ab. Der Anteil an Tierkliniken stieg stetig. Moderne diagnostische Verfahren wie MRT, CT und Doppler-Sonografie haben sich in den letzten zehn Jahren vor 2004 auch hier etabliert.

Das Führen einer tierärztlichen Hausapotheke leitet sich in Deutschland aus dem Dispensierrecht für praktizierende Tierärzte ab.

Tierärzte erheben für ihre Leistungen Honorare von den Tierbesitzern; in Deutschland sind in der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) Mindestsätze festgelegt. Zuletzt wurden die Gebühren am 27. Juli 2017, nach 9 Jahren ohne Erhöhung, um 12 Prozent angehoben.[1] Eine schwere Erkrankung des Tieres kann daher eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen, für die entsprechende Versicherungen abgeschlossen werden können.

Das Suizidrisiko ist bei Tierärzten so hoch wie in keinem anderen Beruf.[2] Die Wahrscheinlichkeit für einen Suizid ist im Vergleich zur Normalbevölkerung bis siebenfach erhöht.[3]

Sonstige Tätigkeiten

Neben der Tätigkeit als niedergelassene Tierärzte arbeiten Tierärzte auch in der Veterinärverwaltung (Kontrolle von Lebensmitteln, Tierseuchenbekämpfung, Tierschutz usw., siehe auch Amtstierarzt) sowie in der Forschung, Lehre und Industrie.

2011 waren etwa 5 Prozent aller Tierärzte in der Industrie beschäftigt, davon 80 Prozent in der pharmazeutischen Industrie.[4]

Ausbildung

Tiermedizinstudenten bei praktischen Übungen zur Pferdezahnheilkunde

Die Ausbildung zum Tierarzt ist in den meisten Ländern der Welt ein Hochschulstudium. In Deutschland, Österreich und der Schweiz berechtigt der Hochschulabschluss zur Führung der Berufsbezeichnung Tierarzt und zur Erlangung einer staatlichen Erlaubnis zur Berufsausübung (Approbation). In den USA ist der Berufsabschluss der Doctor of Veterinary Medicine (DVM), während in Großbritannien, Irland und Indien ein Bachelor erlangt wird.

Nach Abschluss des Hochschulstudiums kann durch Erstellung einer wissenschaftlichen Arbeit (Dissertation) der Titel Doctor medicinae veterinariae (Dr. med. vet.) erworben werden. Wie in der Humanmedizin besteht die Möglichkeit, schon während des Studiums an der Dissertation zu arbeiten.

Postgradual besteht die Pflicht zur tierärztlichen Weiterbildung und die Möglichkeit der Qualifikation zum Fachtierarzt. International gibt es postgraduale Weiterbildungsgänge zum Diplomate of the European College bzw. Diplomate of the American College.

„DVM“ steht in Deutschland für „Diplom Veterinärmediziner“ und wurde in der DDR nach der Hochschulreform in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts vergeben. Ziel dieser Hochschulreform war unter anderem das Gleichstellen medizinischer Abschlüsse mit den technischen Abschlüssen. Während bei technischen Abschlüssen eines Hochschul- oder Universitätsstudiums ein Ingenieurtitel und nach dem Schreiben einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit ein Diplom dazu vergeben wurde, war der Abschluss eines Medizinstudiums mit wissenschaftlicher Abschlussarbeit mit der Vergabe des Doktorgrads verbunden. Damit war „Doktor“ eine Berufsbezeichnung, kein akademischer Grad. Für einen Doktorgrad in anderen Fachrichtungen mussten erst eine zweite wissenschaftliche Arbeit und etliche Fachveröffentlichungen nachgewiesen werden. Dieser Sonderstatus der Medizin- und Veterinärmedizinausbildung sollte aufgehoben werden. Nach der Hochschulreform und bis 1989 schloss also der Student der Medizin und Veterinärmedizin sein Studium mit dem Titel „Arzt“ oder „Tierarzt“ ab, und wenn er eine wissenschaftliche Arbeit zum Abschluss gebracht hatte, wurde ihm ein Diplom verliehen und er war „Diplom Veterinärmediziner“. Deshalb taucht diese Bezeichnung nur bei den Praxisschildern einer bestimmten Altersgruppe auf. Für den Titel „Dr.“ war eine zweite wissenschaftliche Arbeit nötig, die unter Praxisbedingungen meist schwer zu schaffen war.

Tierärzte in Deutschland

Der Beruf des Tierarztes ist in Deutschland ein klassischer Kammerberuf.

Berufsordnung

Das Wesen des tierärztlichen Berufs ist in der Berufsordnung für Tierärzte festgelegt:

„Der Tierarzt ist berufen, Leiden und Krankheiten der Tiere zu verhüten, zu lindern und zu heilen, zur Erhaltung und Entwicklung eines leistungsfähigen Tierbestandes beizutragen, den Menschen vor Gefahren und Schädigungen durch Tierkrankheiten sowie durch Lebensmittel und Erzeugnisse tierischer Herkunft zu schützen und auf eine Steigerung der Güte von Lebensmitteln tierischer Herkunft hinzuwirken. Der tierärztliche Beruf ist kein Gewerbe; er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.“

Organisation

Jeder Tierarzt ist Mitglied einer Tierärztekammer, einer berufsständischen Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Tierärztekammern ordnen die Belange der Tierärzte im Beruf und ihre Ausbildungsfragen. Die Tierärztekammern sind in der Bundestierärztekammer zusammengeschlossen.

Tierärzte erwerben ihre Rentenansprüche in der Regel als Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks.

Statistik

Laut der im Auftrag der Bundestierärztekammer erstellten Statistik[6] waren am 31. Dezember 2019 in Deutschland 42.709 Tierärzte bei den Tierärztekammern gemeldet (Frauenanteil 62,1 %). 31.888 von ihnen waren tierärztlich tätig (Frauenanteil 53,1 %). Insgesamt 10.821 waren nicht bzw. nicht mehr tierärztlich tätig. Abzüglich der hier mit eingerechneten Doktoranden und Ruheständler waren 667 arbeitslos (abnehmende Tendenz), 1.551 übten den Beruf nicht aus und 1.155 gingen einer berufsfremden Tätigkeit nach.

Das tierärztliche Studium ist nach wie vor attraktiv. Von Ende 2001 bis Ende 2006 hat die Gesamtzahl der Tierärzte um 3.362 zugenommen. An den veterinärmedizinischen Bildungsstätten waren im Wintersemester 2006/2007 6.522 Studenten immatrikuliert (Frauenanteil 86 %). Im Jahr 2006 legten 888 Studenten die Staatsprüfungen in der Fachrichtung Veterinärmedizin in Deutschland ab. Im Wintersemester 2017/18 waren 6.367 Studenten immatrikuliert, der Frauenanteil lag bei 92,7 %, das Staatsexamen legten 2018 883 Studenten ab.[7]

Einkommen

Den Tierärzten stehen für ihre Berufstätigkeit Vergütungen (Gebühren, Entschädigungen, Barauslagen sowie Entgelte für Arzneimittel und Verbrauchsmaterialien) zu. Die Gebühren für Leistungen sind in der Gebührenordnung für Tierärzte, insbesondere in der Anlage des Gebührenverzeichnisses zu (§ 1 Abs. 1 GOT), geregelt.[8] Die tierärztlichen Leistungen sind, anders als Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, nicht von der Umsatzsteuer befreit (§ 1 Abs. 2 GOT, § 4 Nr. 14 lit. a UStG).

Nach dem Bericht des Statistischen Bundesamtes, über die Kostenstruktur bei Tierarztpraxen aus dem Jahr 2010, lag der durchschnittliche Reinertrag (Gesamteinnahmen abzüglich der Kosten) je niedergelassenem Praxisinhaber im Jahr 2007 bei 72.000 Euro:[9]

Art der Tierarztpraxen Durchschnittlicher jährlicher Reinertrag je Praxisinhaber 2007 (auf Tsd. EUR gerundet)
Tierarztpraxen insgesamt 72.000 Euro
Einzelpraxen 58.000 Euro
davon: Einzelpraxen für Kleintiere 45.000 Euro
davon: Einzelpraxen für Großtiere 83.000 Euro
davon: Einzelpraxen für Klein- und Großtiere 68.000 Euro

Geschichte

Als erster Tierheilkundler gilt der indische Gelehrte Shalihotra (2350 v. Chr.). Sein Werk Shalihotra Samhita beschrieb Anatomie, Physiologie und Erkrankungen und ihre Behandlung bei Pferden und Elefanten.[10] Erste Berichte zu Tierkrankheiten verfassten in Europa die altgriechischen Gelehrten Hippokrates und Aristoteles im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr.[11][12] Insbesondere die Betreuung der Pferde der Kavallerie und die in Europa grassierende Rinderpest führten dazu, dass im 18. Jahrhundert der Tierarzt als akademischer Beruf etabliert wurde. So wurde 1761 die erste tierärztliche Ausbildungsstätte in Lyon errichtet, 1766 kamen die in Maisons-Alfort und Wien dazu. 1771 wurde auf Betreiben von Johann Erxleben mit dem Tierärztliches Institut der Georg-August-Universität Göttingen die erste tierärztliche Ausbildungsstätte in Deutschland gegründet.[12] 1907 wurde in Baden die erste Tierärztekammer gebildet.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Veterinärmedizin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Tierarzt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Thomas Steindl: Editorial. In: Dt. TÄBl. Band 65, 2017, Heft 8, S. 1045.
  2. Rieke Wiemann: Suizide bei Tierärzt*innen: Hilflose Helfende. In: Die Tageszeitung: taz. 12. Oktober 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 15. Januar 2022]).
  3. Rieke Wiemann: Suizide bei Tierärzt*innen: Hilflose Helfende. In: Die Tageszeitung: taz. 12. Oktober 2021, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 15. Januar 2022]).
  4. Bundestierärztekammer, abgerufen am 8. Oktober 2018
  5. Bundes-Tierärzteordnung
  6. in: Deutsches Tierärzteblatt. (DTBL) 68. Jahrgang, Juni 2020, S. 860–870.
  7. Deutsches Tierärzteblatt. (DTBL) 67. Jahrgang, Juni 2019, S. 800–810.
  8. Gebührenordnung für Tierärzte (Tierärztegebührenordnung - GOT) vom 28. Juli 1999 (BGBl. I S. 1691)
  9. Kostenstruktur bei Tierarztpraxen (PDF-Datei)
  10. G. K. Singh und R. S. Chauhan: History of Veterinary Anatomy. In: Advances in Veterinary Anatomy. 2001 (online (Memento vom 26. Dezember 2005 im Internet Archive))
  11. Lothar H. Wieler: Tierseuchen. Infektionskrankheiten, die alle Menschen betreffen. (Volltext)
  12. a b Angela von den Driesch: Geschichte der Veterinärmedizin. München: Callwey-Verlag.