Tunumiisut

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Tunumiisut
Ostgrönländisch

Gesprochen in

Ostgrönland
Sprecher über 3000[1]
Linguistische
Klassifikation

Tunumiisut (deutsch wie die Tunumiit; Kitaamiusut Tunumiusut oder Tunumiutut) ist der in Ostgrönland gesprochene Dialekt des Grönländischen.

Verbreitung

Tunumiisut wird in Ostgrönland gesprochen, also in den Distrikten Ammassalik und Ittoqqortoormiit.[2] In beiden Distrikten leben zusammen gut dreitausend Menschen, die meisten davon in Tasiilaq, das alleine zweitausend Einwohner hat.

Geschichte

Während Poul Egede sich als erster bereits in den 1730ern sprachwissenschaftlich mit der grönländischen Sprache beschäftigte und aus dieser Zeit von ihm die ersten Übersetzungen und das erste Wörterbuch des Grönländischen stammen,[3] lag das Tunumiisut lange im Dunkeln. Die Kolonisierung Grönlands hatte sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nur auf den Bereich von Nanortalik im Süden bis Upernavik im Norden konzentriert, der Osten wurde dabei völlig ausgelassen. Einzelne Ostgrönländer hatten sich dennoch nach Südgrönland verirrt, sodass Johan Petersen bereits in den 1870ern Tunumiisut verstand und sprach. Er wurde damit zu einer wichtigen Figur bei Gustav Frederik Holms Frauenbootexpedition[4] und sein Onkel Johannes Hansen war es schließlich, der erste Aufzeichnungen über das Ostgrönländische verfasste.[5] In jüngerer Zeit galt Elisa Maĸe als Expertin des Tunumiisut.[6]

Merkmale

Phonologisch

Tunumiisut unterscheidet sich stark vom westgrönländischen Kitaamiusut. Das Ostgrönländische befindet sich mit dem Südgrönländischen südlich der i-u-Isoglosse. Die einzige Gegend in Grönland, die von dieser Eigenheit ebenfalls betroffen ist, ist der Distrikt Upernavik. Bei den i-Dialekten wird bei einer Vielzahl von Wörtern der Laut /u/ durch /i/ ersetzt. Im Ostgrönländischen ist diese Entwicklung am weitesten fortgeschritten, was bereits im Wort tunumiit zu bemerken ist, das im Westgrönländischen tunumiut lautet.[2]

Es gibt jedoch eine Reihe weiterer Merkmale, die das Tunumiisut auch vom Südgrönländischen unterscheiden. Das /t/, /l/ und ein palatalisiertes /s/ im Kitaamiusut entsprechen alle einem ostgrönländischen /l/, das jedoch in Richtung Flap geht. Die gelängten Versionen dieser Konsonanten, also /tː/, /ɬː/ und /sʲː/ fallen jedoch zu /tː/ zusammen. Das ist beispielsweise im Stadtnamen Ittoqqortoormiit erkennbar, der im Kitaamiusut Illoqqortoormiut lautet. Weitere Änderungen sind ein teilweiser Zusammenfall von /t/ nach uvularisiertem Vokal und von uvularisiertem Vokal beeinflusstem /l/ (uvularisiert /ɬ/) zu /s/, was beispielsweise im Wort kangerluk (Fjord) erkennbar ist, das im Ostgrönländischen kangersik lautet, sowie bei merlertoq (Kind), das zu merserteq wird, beide mit u-i-Wechsel. Beim zweiten Beispiel wird durch das /ɬ/ umgelautet, das /t/ jedoch nicht. Das uvularisierte /u/ (/ɔ/) wird zu uvularisiertem /i/ (/ɜ/).[2]

Eine weitere Eigenheit ist die intervokalische Konsonantenschwächung, zu der auch der Lautwandel /t/ > /l/ gehört. Des Weiteren wird intervokalisch /k/ zu /ɣ/ und /ɣ/ zu /ŋ/ und das /ʁ/ wird zu /ɴ/, wie beispielsweise in peerupput (sie sind vollständig entfernt), das zu peernipput, erneut mit u-i-Wechsel. Zum Wechsel /ɬː/ > /tː/ gehören auch die Entsprechungen /fː/ > /pː/, /çː/ > /kː/ und /χː/ > /qː/, die allesamt despirantisiert werden. Wortinitiales /s/ sowie intervokalisches /sː/ wird zu /tˢ/, während das westgrönländische /tˢ/ schon deaffriziert wurde zu /t/.[2][7]

Weiterhin hat im Laufe der Sprachgeschichte im Ostgrönländischen ein starker Konsonantenschwund stattgefunden. Dieser macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn der Konsonant zwischen zwei gleichen Vokalen stand. inuk (Mensch) wird zu iik (mit u-i-Wechsel), ingerlavoq (er schreitet) wird zu eertavoq (mit ɬ-t-Wechsel und vollständiger Uvularisierung), kingornagut (danach) wird zu keernangit, tiguaa (er nimmt es) wird zu tiivaa (ungeschriebener Halbvokal zwischen <u> und <a> wird wieder eingesetzt), misigisaq (etwas wahrgenommenes) wird zu misiilaq, nerisoq (Essender) wird zu niiloq (Wegfall der Uvularisierung), tikiriarmat (er macht, dass er kommt) wird zu tikiiarmat, kiitsaarmi ist aus kisitsiarmi entstanden, das jedoch auf Westgrönländisch kisimi (er allein) heißt und niviarsiaq (junges Mädchen) wird zu niiarsiaq.[2]

Grammatikalisch

Grammatikalisch unterscheiden sich West- und Ostgrönländisch kaum voneinander. Ein Unterschied ist beispielsweise, dass Possessivsuffixe im Ostgrönländischen gebraucht werden, während dies im Westgrönländischen nicht geschieht, wie in Piitaq orninniarpaa (Er wird zu Peter gehen.), wobei im Tunumiisut das Absolutivobjekt (siehe Ergativsprache) mit einem Possessivsuffix steht: Piitani orninniarpaa (Er wird zu seinem Peter gehen.).[2]

Lexikalisch

Eine Reihe häufiger westgrönländischer Wörter werden im Ostgrönländischen nicht verwendet. Das Totentabu der Kultur der Tunumiit verbietet es, während der Trauerzeit Wörter zu benutzen, die eine Verbindung mit verstorbenen Personen aufweisen, ebenso wie die Personennamen selbst nicht gesagt werden durften. Dadurch wurden simple Wörter wie qajaq (Kajak) ersetzt durch allgemeinere Bezeichnungen wie hier saqqit (Fahrzeug).[2]

Die Schamanen Ostgrönlands benutzten früher eine spezielle Lexik, die sich durch eine Vielzahl von Archaismen bemerkbar machte, die synchron nicht mehr nachvollziehbar sind. Mit diesen Worten riefen die Schamanen die Hilfsgeister an.[2]

Literatur

  • Philippe Mennecier: Le tunumiisut, dialecte inuit du Groenland oriental: description et analyse. In: Collection Linguistique De La Societe De Linguistique De Paris. Band 78. Klincksieck, Paris 1994, ISBN 978-2-252-03042-4 (französisch).
  • Nicole Tersis: Forme et sens des mots du tunumiisut: lexique inuit du Groenland oriental : lexique tunumiisut-anglais-danois. In: SELAF / Société d'Études Linguistiques et Anthropologiques de France. Band 445. Peeters Publishers, 2008, ISBN 978-90-429-2077-4 (französisch).

Einzelnachweise

  1. Grönländisch bei Ethnologue
  2. a b c d e f g h Palle Koch et al. (Abschnitt von Robert Petersen): Grønland. Gyldendal, Kopenhagen 1975, ISBN 978-87-00-69501-6, S. 194–204.
  3. Poul Egede im Dansk biografisk leksikon
  4. Johannes Petersen im Dansk biografisk leksikon
  5. Johannes Hansen im Dansk biografisk leksikon
  6. Elisa Maĸe im Dansk Kvindebiografisk Leksikon
  7. Robert Petersen: De grønlandske dialekters fordeling bei oqaasileriffik.gl (.pdf)