Unberücksichtigte Stimmen

Als Unberücksichtigte Stimmen werden die Stimmen im Fall von Verhältniswahl angesehen, die von keiner Partei in der Legislative vertreten werden. Im Gegensatz dazu gilt das verwandte Konzept der Effizienzlücke für die Mehrheitswahl, die im Allgemeinen einen höheren Prozentsatz an verschwendeten Stimmen aufweist. Die Unberücksichtigten Stimmen $v_{unber}$ werden wie folgt berechnet:

$v_{unber}=\sum _{i=1}^{n}v_{i}$,

wobei $v_{i}$ der Stimmenanteil der nicht vertretenen Partei $i$ und $n$ die Gesamtzahl der nicht vertretenen Parteien ist. Die Unberücksichtigten Stimmen können in Prozent der Gesamtstimmenzahl oder als absolute Stimmenzahl angegeben werden. Die Unberücksichtigten Stimmen steigt mit einer höheren Sperrklausel. Selbst ohne explizite Wahlhürde verursacht die Natürliche Sperrklausel Unberücksichtigte Stimmen.

Gelegentlich haben Unberücksichtigten Stimmen dazu geführt, dass eine Partei die absolute Mehrheit der Sitze gewann, ohne die absolute Mehrheit der Stimmen zu gewinnen, ein Ergebnis, das ein proportionales Wahlsystem verhindern sollte. Zum Beispiel bei der Landtagswahl in Bayern 2013 und Landtagswahl im Saarland 2022 verfehlten die CSU beziehungsweise SPD die Stimmenmehrheit, gewann aber jeweils die absolute Mehrheit der Sitze. Außerhalb von Deutschland gewann die Partei AKP bei den türkischen Parlamentswahlen 2002 mehr als zwei Drittel der Sitze im Parlament mit nur 34,28 % der Stimmen.

Beispiele für hohen Anteil von Unberücksichtigten Stimmen in Deutschland

Bei der Bundestagswahl 2013 gab es 15,7 % oder 6,9 Millionen Unberücksichtigte Stimmen. In 1990 waren im Bundestag 8,05 % und 2002 7,03 % Unberücksichtigte Stimmen. Bei der Europawahl in Deutschland 1994 gab es 19,6 % Unberücksichtigte Stimmen. Bei der Landtagswahl im Saarland 2022 betrug die Summe der Unberücksichtigten Stimmen 22,3 %. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg 1997 waren 19,15 % Unberücksichtigte Stimmen. Bei der Landtagswahl in Thüringen 2004 und auch der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2016 waren 16,4 % Unberücksichtigte Stimmen. Weitere hohe Anteile von Unberücksichtigten Stimmen bei Landtagswahlen sind 15,1 % in Sachsen-Anhalt 2011, 14,6 % in Brandenburg 2004, 14,0 % in Bayern 2013, 13,9 % in Sachsen-Anhalt 2016, 13,8 % Sachsen 2014, 13,7 % in Sachsen 2019, 13,6 % in Berlin 2006, 13,6 % in Rheinland-Pfalz 2011, 13,6 % in Rheinland-Pfalz 2006, 12,6 % in Bremen 2011, 12,0 % in Baden-Württemberg 2021, 11,9 % in Niedersachsen 1994, 10,6 % in Schleswig-Holstein 2017, 9,6 % in Hessen 2013 und 9,4 % in Nordrhein-Westfalen 2017.

Entwicklung der Unberücksichtigten Stimmen in Prozent bei der Bundestagswahl: <graph>{"legends":[],"scales":[{"type":"ordinal","name":"x","zero":false,"domain":{"data":"chart","field":"x"},"padding":0.2,"range":"width","nice":true},{"clamp":true,"type":"linear","zero":true,"range":"height","nice":true,"name":"y","domainMax":17,"domain":{"data":"chart","field":"y"},"domainMin":0},{"domain":{"data":"chart","field":"series"},"type":"ordinal","name":"color","range":["#99ccff"]}],"version":2,"marks":[{"type":"rect","properties":{"hover":{"fill":{"value":"red"}},"update":{"fill":{"scale":"color","field":"series"}},"enter":{"y":{"scale":"y","field":"y"},"x":{"scale":"x","field":"x"},"y2":{"scale":"y","value":0},"width":{"scale":"x","offset":-1,"band":true},"fill":{"scale":"color","field":"series"}}},"from":{"data":"chart"}}],"height":150,"axes":[{"type":"x","title":"Jahr der Bundestagswahl","scale":"x","format":"d","properties":{"title":{"fill":{"value":"#54595d"}},"grid":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"ticks":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"axis":{"strokeWidth":{"value":2},"stroke":{"value":"#54595d"}},"labels":{"fill":{"value":"#54595d"}}},"grid":false},{"type":"y","title":"Unberücksichtigte Stimmen %","scale":"y","properties":{"title":{"fill":{"value":"#54595d"}},"grid":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"ticks":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"axis":{"strokeWidth":{"value":2},"stroke":{"value":"#54595d"}},"labels":{"fill":{"value":"#54595d"}}},"grid":false}],"data":[{"format":{"parse":{"y":"number","x":"integer"},"type":"json"},"name":"chart","values":[{"y":8.05,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":1990},{"y":3.61,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":1994},{"y":5.88,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":1998},{"y":7.03,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2002},{"y":3.93,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2005},{"y":6.01,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2009},{"y":15.69,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2013},{"y":5,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2017},{"y":8.7,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2021}]}],"width":400}</graph>

Beispiele für hohen Anteil von Unberücksichtigten Stimmen außerhalb von Deutschland

In Polen, in 1993, erreichten die Unberücksichtigten Stimmen 35,14 %. Bei der Parlamentswahl in Russland 1995 wurden 44,8 % der Verhältnisstimmen (31 Millionen) nicht berücksichtigt. Bei den türkischen Parlamentswahlen 2002 wurden nicht weniger als 46,33 % (14.545.438) der Stimmen für Parteien abgegeben, die nicht im Parlament vertreten waren. Bei der Parlamentswahl in der Ukraine 2006 wurden 22 % der Wähler effektiv entrechtet. In den Parlamentswahl in der Ukraine 2007, die unter demselben System abgehalten wurden, unterstützten weniger Wähler kleinere Parteien, und der Gesamtprozentsatz von entrechteten Wählern fiel auf etwa 12%. In Bulgarien gaben 24 % der Wähler ihre Stimmen für Parteien ab, die bei der Parlamentswahl in Bulgarien 2013 keine Vertretung gewinnen würden. In Neuseeland betrug der Anteil der Unberücksichtigten Stimmen bei den Parlamentswahl in Neuseeland 2017 4,62 % und in 2020 7,71 %. Bei den dänischen Parlamentswahlen auf den Färöer-Inseln erreichte der Anteil von Unberücksichtigten Stimmen 51,3 % im Jahr 2015 und 46,2 % 2019, während 2015 21,96 % und 2019 34,2 % der Wähler auf Grönland nicht im Dänischen Parlament vertreten waren. Bei der Nationalratswahl in der Slowakei 2020 wurden 28,47 % aller gültigen Stimmen nicht vertreten. Bei der Abgeordnetenhauswahl in Tschechien 2021 waren 19,76 Prozent der Wähler nicht vertreten. Bei der Parlamentswahl in Slowenien 2022 gingen 24 % der Stimmen an Parteien, welche die Sperrklausel nicht erreichten.

Beispiele für niedrigen Anteil von Unberücksichtigten Stimmen

Bei den dänischen Parlamentswahlen 2015 lag der Anteil der Unberücksichtigte Stimmen, die durch die obige Formel berechnet wurde, bei 0,92 %. Bei der Wahl zum Schwedischen Reichstag 2018 betrug der Anteil von Unberücksichtigten Stimmen 1,5 %. Bei der Europawahl in Deutschland 2014 gab es nur 1,8 % Unberücksichtigte Stimmen, der niedrige Prozentsatz ist verursacht durch die Abwesenheit einer expliziten Sperrklausel seit 2014. In den Niederlanden waren die Unberücksichtigten Stimmen 1,55 % in der Parlamentswahl in den Niederlanden 2017 und 1,99 % in 2021. Der systematisch niedrige Prozentsatz von Unberücksichtigten Stimmen in den Niederlanden wird durch das Fehlen einer Sperrklausel, die über einen Sitz hinausgeht, verursacht. Die gleiche Skalierung der Y-Achse wie bei der Bundestagswahl (oben) zeigt den systematischen Unterschied in Unberücksichtigten Stimmen: <graph>{"legends":[],"scales":[{"type":"ordinal","name":"x","zero":false,"domain":{"data":"chart","field":"x"},"padding":0.2,"range":"width","nice":true},{"clamp":true,"type":"linear","zero":true,"range":"height","nice":true,"name":"y","domainMax":17,"domain":{"data":"chart","field":"y"},"domainMin":0},{"domain":{"data":"chart","field":"series"},"type":"ordinal","name":"color","range":["#99ccff"]}],"version":2,"marks":[{"type":"rect","properties":{"hover":{"fill":{"value":"red"}},"update":{"fill":{"scale":"color","field":"series"}},"enter":{"y":{"scale":"y","field":"y"},"x":{"scale":"x","field":"x"},"y2":{"scale":"y","value":0},"width":{"scale":"x","offset":-1,"band":true},"fill":{"scale":"color","field":"series"}}},"from":{"data":"chart"}}],"height":150,"axes":[{"type":"x","title":"Jahr der Parlamentswahl in den Niederlanden","scale":"x","format":"d","properties":{"title":{"fill":{"value":"#54595d"}},"grid":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"ticks":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"axis":{"strokeWidth":{"value":2},"stroke":{"value":"#54595d"}},"labels":{"fill":{"value":"#54595d"}}},"grid":false},{"type":"y","title":"Unberücksichtigte Stimmen %","scale":"y","properties":{"title":{"fill":{"value":"#54595d"}},"grid":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"ticks":{"stroke":{"value":"#54595d"}},"axis":{"strokeWidth":{"value":2},"stroke":{"value":"#54595d"}},"labels":{"fill":{"value":"#54595d"}}},"grid":false}],"data":[{"format":{"parse":{"y":"number","x":"integer"},"type":"json"},"name":"chart","values":[{"y":0.71,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2002},{"y":1.31,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2003},{"y":1.21,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2006},{"y":1.09,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2010},{"y":0.93,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2012},{"y":1.55,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2017},{"y":1.99,"series":"Unberücksichtigte Stimmen","x":2021}]}],"width":400}</graph>

Rechtsstatus von Unberücksichtigten Stimmen

Das Bundesverfassungsgericht lehnte 2011 und 2014 eine Sperrklausel für das Europäisches Parlament wegen dem Prinzip der Wahlgleichheit ab. Die bereits hohe Anzahl von 206 Parteien im Europäische Parlament zeigt, dass die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit des Parlaments selbst bei der Anwesenheit von Kleinstparteien gesichert ist. Im Fall der Türkei erklärte die Parlamentarische Versammlung des Europarates 2004 die 10 % Sperrklausel für offensichtlich zu hoch und forderte die Türkei auf, sie zu senken. Am 8. Juli 2008 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit 13 zu vier Stimmen entschieden, dass die in der Türkei verhängte 10 %-Hürde nicht das Recht auf freie Wahlen verletzt. Es stellte jedoch fest, dass derselbe Schwellenwert gegen die Konvention verstoßen könnte, wenn er in einem anderen Land auferlegt würde. Im Fall der Türkei war dies gerechtfertigt, um die instabile politische Situation der letzten Jahrzehnte zu stabilisieren. Das Bundesverfassungsgericht hat 2017 die Fünf-Prozent-Sperrklausel bei der Wahl des Deutschen Bundestages für verfassungskonform erachtet.

Reduktion der Unberücksichtigten Stimmen

Eine Präferenzwahl bei der Parteienoption (z. B. Ersatzstimme auf die Zweitstimme) kann alle Stimmen berücksichtigten. Eine Reduktion der Sperrklausel kann den Anteil der unberücksichtigten Stimmen reduzieren aber nicht ganz beseitigen, dies ist durch die natürlichen Sperrklausel verursacht, sichtbar am Beispiel der Niederlande.

Siehe auch

• Loosemore-Hanby-Index
• Gallagher-Index
• No taxation without representation
• Natürliche Sperrklausel