Vera Brühne

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Vera Brühne (geborene Kohlen, nach 1979 nannte sie sich Maria Adam; * 6. Februar 1910 in Essen; † 17. April 2001 in München) erlangte 1961/1962 große mediale Bekanntheit, als sie gemeinsam mit Johann Ferbach angeklagt wurde, den Münchner Arzt Otto Praun und dessen Geliebte Elfriede Kloo ermordet zu haben.

Leben

Vera Brühne wuchs in gutbürgerlichen Verhältnissen in Essen-Kray auf. Ihr Vater, Ludwig Kohlen (1870–1951), war bei ihrer Geburt Bürgermeister der bis 1929 selbstständigen Bürgermeisterei Kray-Leithe. In erster Ehe war Brühne mit dem Schauspieler Hans Cossy verheiratet, dem Vater ihrer Tochter Sylvia (1941–1990). Später heiratete sie den bekannten Filmkomponisten Lothar Brühne. Auch diese Ehe wurde geschieden.

Mordfall Praun

Tathergang

Otto Praun und seine Haushälterin Elfriede Kloo wurden am 19. April 1960, dem Dienstag nach Ostern, in Prauns Villa in Pöcking am Starnberger See erschossen aufgefunden. Als Todeszeitpunkt wurde Gründonnerstag, der 14. April 1960, festgestellt. Zunächst gingen die Ermittler von einem erweiterten Suizid Prauns aus. Erst nachdem Vera Brühne als Erbin von Prauns Finca in Spanien feststand, wurden die Leichen auf Betreiben von Prauns Sohn Günther exhumiert und obduziert. Im Oktober 1961 wurden Vera Brühne und ihr Bekannter Johann Ferbach verhaftet. Gegen beide wurde Anklage wegen Mordes erhoben.[1]

Günther Praun, der Sohn des ermordeten Otto Praun, brachte verschiedene entscheidende Beweismittel in das Verfahren ein (insbesondere die Armbanduhr des Opfers und einen angeblich am Tatort gefundenen Brief), die nicht polizeilich gesichert und möglicherweise verfälscht waren. Eine wichtige Rolle im Prozess spielten auch die widersprüchlichen Aussagen der Tochter von Vera Brühne, Sylvia Cossy, die ihre Mutter ursprünglich belastet hatte und ihre Aussage dann vor Gericht widerrief.

Prozess und Verurteilung zu lebenslanger Haft

Bereits vor Beginn des Prozesses vor dem Landgericht München II[2] wurde Brühne im Stern, in der Münchner Abendzeitung und in anderen Medien als Schuldige dargestellt.[1] Über das Gerichtsverfahren wurde in der Boulevardpresse wochenlang berichtet, die attraktive Brühne als „geldgieriges Luder“ dargestellt und über – zur damaligen Zeit – skandalöse erotische Ausschweifungen spekuliert. Vera Brühne hatte sich massiv in Widersprüche verwickelt und auch versucht, Zeugen zu bestechen. Am 4. Juni 1962 verurteilte das Gericht sie und den Mitangeklagten Johann Ferbach wegen gemeinschaftlichen Doppelmordes zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe. Den Revisionsantrag verwarf der Bundesgerichtshof am 4. Dezember 1962, womit das Urteil Rechtskraft erlangte. Nach achtzehnjähriger Haft wurde sie am 17. Dezember 1979 vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß (CSU) begnadigt und aus der Justizvollzugsanstalt Aichach entlassen.[3]

Verdacht auf Justizirrtum wegen Ungereimtheiten

Brühne stritt die ihr zur Last gelegte Tat zeitlebens ab. Die Wochenzeitung Die Zeit kam 2001 zu „… jenem Schluss, der heute juristischer Konsens ist: Vera Brühne – ob Mörderin oder nicht – hätte auf der Basis solch einseitiger und unsauberer Ermittlungen niemals verurteilt werden dürfen.“[4] Umso überraschender wurde von vielen empfunden, dass kein Wiederaufnahmeverfahren zugelassen wurde. Das Anwaltsmagazin schrieb in seiner Nr. 17/2000: „(…) steht nach den neuesten Erkenntnissen der Gerichtsmedizin fest, dass der Tod der Opfer nicht zu dem Zeitpunkt eingetreten sein konnte, den das Gericht unterstellt hat.“ Dieser Tatzeitpunkt war ein wichtiger Bestandteil der Urteilsbegründung.

Nach Recherchen des WDR bestehen aus heutiger Sicht weitere Ungereimtheiten in der Urteilsfindung. Erwiesen sind einige ungeklärte Todesfälle, darunter tatsächliche oder mögliche Morde, im Kreis von Zeugen und Mitwissern. Wiederaufnahmeanträge für ein neues Verfahren wurden über Jahre hinweg abgelehnt. Es gibt Indizien, dass Praun Verbindungen zum illegalen Waffenhandel hatte. Insbesondere wurde er mit einer großen Korruptionsaffäre, dem Skandal um die Beschaffung des Schützenpanzers HS-30, in Verbindung gebracht. Eine Hauptperson dieser Affäre war Werner Repenning, der persönliche Referent von Strauß. Häufig wurde ein Zusammenhang von Prauns Ermordung mit diesen Verbindungen vermutet.

Leben nach Entlassung aus der Haft

Vera Brühne lebte nach der Entlassung aus dem Gefängnis 1979 unter dem Namen Maria Adam in ihrer alten Eigentumswohnung in München. Dort starb sie 2001 im Klinikum rechts der Isar und wurde auf dem Waldfriedhof Solln im Grab ihres ersten Ehemannes beigesetzt.

Günther Praun, der Sohn des ermordeten Otto Praun, lebte bis zu seinem Tod 2008 in der Villa in Pöcking am Starnberger See. Das Haus in Spanien, das nach dem Willen des Ermordeten Vera Brühne hätte zufließen sollen, war auch an ihn übergegangen, weil man sie nach der rechtskräftigen Verurteilung für erbunwürdig erklärt hatte.

Hörspiel und Tonbandmitschnitte der Vernehmungen

2017 produzierte der Autor und Regisseur Michael Farin das dreiteilige Hörspiel Nr. 989, Aichach – Vera Brühne Mitschnitte beim Bayerischen Rundfunk. Es beruht auf den Akten des Prozesses und Tonbandmitschnitten der Vernehmungen im Fall Brühne. Zusätzlich wurden 21 Tonbandprotokolle der Vernehmungen von Vera Brühne, Johann Ferbach und Sylvia Cossy (Cosiolkofsky) durch Staatsanwalt und Ermittlungsrichter mit insgesamt neun Stunden Länge im Hörspiel Pool des BR zugänglich gemacht.[5]

Literatur

Sachbücher:

  • Petra Cichos: Mordakte Vera Brühne. Buch-Dokumentation der Ermittlungsakten, Cichos Press, München 2017, ISBN 978-3-9818678-1-7.
  • Michael Preute, Gabriele Preute, Klaus Brenning: Deutschlands Kriminalfall Nr. 1 Vera Brühne. Ein Justizirrtum? Goldmann, München 1982, ISBN 3-442-03891-X.
  • Max Pierre Schaeffer: Der Fall Vera Brühne. Die Wahrheit. Blanvalet, München 1979, ISBN 3-7645-0039-5.
  • Hans-Dieter Otto: Das Lexikon der Justizirrtümer, Ullstein-Verlag, 2003, ISBN 3-548-36453-5, Seite 142–147.
  • Ulrich Sonnemann, politischer Schriftsteller und Philosoph, veröffentlichte 1970 die justizkritische Streitschrift Der bundesdeutsche Dreyfus-Skandal. Rechtsbruch und Denkverzicht in der zehn Jahre alten Justizsache Brühne-Ferbach. Kommentar von Sieghart Ott. Rogner & Bernhard, München 1970, ISBN 978-3-920802-38-1. Das Buch wurde verboten und zwei Wochen nach Erscheinen bundesweit auf Initiative von Franz Josef Strauß beschlagnahmt. Es folgten jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen mit der bayrischen Justizverwaltung. 1985 gab es eine neue Recherche
Die Vergangenheit, die nicht endete: Machtrausch, Geschäft u. Verfassungsbruch im Justizskandal Brühne/Ferbach. Redaktion Christoph Nix, hrsg. Ulrich Sonnemann, Focus Verlag, Giessen 1985, ISBN 978-3-88349-324-4. Das Buch wurde nach kurzer Zeit verboten. Ein Strafgeld von 25.000 DM zahlte der Mäzen Jan Philipp Reemtsma.
  • Christoph Nix: Brühne, Vera und Johann Ferbach. In: Groenewold/Ignor/Koch (Hrsg.): Lexikon der Politischen Strafprozesse. April 2017. Onlinetext [1]

Romane und Filme:

  • Peter Anders: Der Fall Vera Brühne - Tatsachenroman. Decent-Verlag, München 2003, ISBN 3-9806204-1-7.
  • Peter Anders: „Ich bin doch bitte unschuldig!“ Der Fall Vera Brühne. Tatsachenroman. Decent, München 2012, ISBN 978-3-9806204-5-1. (um 30 Dokumente erweiterte Auflage)
  • Das Fernsehen der DDR brachte 1972 in seiner Sendereihe Kriminalfälle ohne Beispiel den zweiteiligen Film Der Fall Brühne-Ferbach (Regie: Michael Wendang, Szenarium: Günter Prodöhl), u. a. mit Gisela May als Vera Brühne, Harry Hindemith als Dr. Otto Praun, Hans Teuscher als Staatsanwalt Rüth und Herbert Köfer als Regierungsinspektor Homann.
  • Der Fall Vera Brühne wurde unter dem Titel Lebenslänglich für Vera Brühne als erste Folge der Reihe Die großen Kriminalfälle im Jahr 2000 von Michael Gramberg dokumentarisch betrachtet.
  • Ihre Geschichte wurde zudem kurz vor ihrem Tod im Jahre 2001 in einem nach ihr benannten Film mit Corinna Harfouch in der Titelrolle erneut verfilmt, wobei die Schuldfrage offengelassen wurde.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Die großen Kriminalfälle: Lebenslänglich für Vera Brühne. TV-Dokumentation, Deutschland 2000.
  2. Karl Stankiewitz: Schön und rätselhaft: Das Urteil gegen Vera Brühne. In: Münchner Abendzeitung. 4. Juni 2012, abgerufen am 12. Januar 2016.
  3. Bettina Stuhlweissenburg: Vera Brühne: „Sie wollte keine Gnade, sondern Recht“, Merkur.de, 6. Februar 2010
  4. Die wahrhaftige Lügnerin. Die Zeit, Nr. 22, 2001
  5. BR Hörspiel Pool – Michael Farin: Kriminalfall Vera Brühne. Hörspiel in 3 Teilen und 9 Stunden Originalton