Vizekusen

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Vizekusen, englisch Neverkusen („Niemalskusen“)[1][2], ist ein im Fußballjargon und Sportjournalismus gängiger Spottname für das deutsche Fußballteam Bayer 04 Leverkusen. Er entstand um das Jahr 2000, als Bayer Leverkusen sich als Spitzenteam etablierte, aber nach 1993 nie mehr als den zweiten Platz in etlichen nationalen und internationalen Wettbewerben erreichte; der zweite Platz wird umgangssprachlich häufig als „Vize-“ bezeichnet.[3] Die Muttergesellschaft des Vereins, die Bayer AG, hat sich den auch selbstironisch gebrauchten Begriff neben anderen als geschütztes Markenzeichen eintragen lassen.

Entstehung

Leverkusen hatte vor dem 34. Spieltag der Bundesligasaison 1999/2000 drei Punkte Vorsprung auf den FC Bayern München und verfehlte u. a. durch ein Eigentor von Michael Ballack gegen Aufsteiger SpVgg Unterhaching den sicher geglaubten Meistertitel.[4] Dieses Spiel vom 20. Mai 2000 wird allgemein als Beginn des Mythos „Vizekusen“ bezeichnet. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) nannte bei seiner Wochenschau im Mai 2012 den 15. Mai 2002, das Finale der UEFA Champions League 2001/02, die Geburtsstunde von „Vizekusen“.[5]

Die mehrfachen Finalteilnahmen ohne Titel des Vereins in der Saison 2001/02 trugen ebenso zur Etablierung bei. Bayer Leverkusen ist eine von sechs deutschen Mannschaften neben dem FC Bayern München, Borussia Dortmund, dem Hamburger SV, Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt, die bisher das Finale der Champions League bzw. des Europokals der Landesmeister erreicht haben.

Leverkusen gelang es in der Saison 2001/02, in allen drei Wettbewerben (Bundesliga, DFB-Pokal und Champions League) um den ersten Platz zu spielen, belegte aber, als erste deutsche Mannschaft überhaupt, nur jeweils den zweiten Platz.[6] Die Mannschaft geriet danach in erhebliche Turbulenzen und musste in der Folgesaison gegen den Abstieg kämpfen. Ballack wurde unterstellt, als Inbegriff des ewigen Zweiten[7] regelmäßig bei wichtigen Spielen, vor allen Dingen auf internationaler Ebene, zu versagen.[8][9]

Ballack verlor neben Bernd Schneider, Carsten Ramelow, Oliver Neuville und Hans Jörg Butt auch mit der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2002 in Japan und Südkorea das Finale gegen Brasilien; diese Spieler holten damit ihren vierten Vize-Titel der Saison. Der Brasilianer Lúcio war der einzige in Leverkusen unter Vertrag stehende Profi, der in der Spielzeit 2001/02 einen Titel gewann.

Übertragene Verwendung

Der Begriff war wiederholt in der überregionalen Presse zu finden und wurde auch bei anderen Vereinen bei ähnlichen Phänomenen angeführt. 2012 wurde in Zusammenhang mit dem jeweils zweiten Platz in Champions League, Meisterschaft und DFB-Pokal des FC Bayern München von einem Jahr verpasster Chancen in der Vereinsgeschichte der Münchener gesprochen. Die Presse kam wiederholt mit dem Begriff Vizekusen-Syndrom oder in Anklang an Web 2.0 Vizekusen 2.0 auf.[10][11] Aufgrund der Schwierigkeiten der Leverkusener nach den verlorenen Finalen wurde bei den Bayern von einem Vizekusen-Stigma gesprochen, das es möglichst schnell abzulegen gelte.[12] Das Kicker-Sportmagazin sah das Attribut hingegen positiv.[13] Dem Ligakonkurrenten wurde unterstellt, Leverkusen mit dem Spottwort verunsichern zu wollen.[14]

2010 sprach die Süddeutsche Zeitung von Unbesiegbarkusen, als Bayer 24-mal in Folge ungeschlagen vom Platz ging, die Meisterschaft dennoch nicht gewann.[15]

Im Vorfeld der EM 2012 kamen auch Befürchtungen auf, ein Vizekusen- oder Vize-Bayernsyndrom könnte sich wie bei der WM 2002 auf die Spieler der jeweilig betroffenen Vereinsmannschaften in der Nationalmannschaft übertragen.[16]

Rechtliche Aspekte

Das Mutterunternehmen der Werkself, die Bayer AG, schützte sich 2010 den Begriff Vizekusen beim Deutschen Patent- und Markenamt in München als Markennamen, um nach eigener Aussage „Missbrauch vorzubeugen“.[17] Der Einsatz von Schutzrechten, neben Vizekusen unter anderem auch für den Begriff Pillendreher, wird als Teil einer gekonnten und selbstironischen Marketingstrategie der Bayer AG angesehen.[18] Mit dem ebenso geschützten Meisterkusen war über die Zweitplatzierungen 1997, 1999, 2000, 2002 und 2011 hinaus bislang kein Erfolg zu erzielen.[19]

Weitere Erwähnung

Klaus Hoeltzenbein kommentierte 2012 den Aufstieg der SpVgg Greuther Fürth unter dem Titel Wenn Vizekusen und die trägen Riesen kommen als Zeichen für den Aufstieg reger Provinzvereine gegenüber den seiner Ansicht nach sich selbst überschätzenden Großstadtklubs.[20]

Dem FC Schalke 04 wurde am Ende der Saison 2000/2001 von einigen Sportjournalisten der freundlicher klingende Titel Meister der Herzen verliehen. Wie Leverkusen hatte Schalke am letzten Spieltag den schon sicher geglaubten Meistertitel in der letzten Partie verfehlt, ähnlich in den Spielzeiten 2004/05 und 2006/07 sowie 2009/10. Schalke und Leverkusen sind in der kompletten Geschichte der Fußball-Bundesliga bis heute die einzigen Vereine, die häufiger als einmal Vizemeister wurden, ohne jemals Meister werden zu können. Und das mit deutlichem Abstand vor allen anderen Klubs: Schalke wurde siebenmal Zweiter, Leverkusen fünfmal. Jedoch konnte Schalke zumindest bereits vor Gründung der Bundesliga siebenmal Deutscher Meister werden.

Die vergeblichen Anläufe Leverkusens, einen Titel zu erringen, wurden unter der Bezeichnung Neverkusen in mehreren englischen Büchern angeführt und mit einer klassischen Tragödie wie auch dem Schicksal des Sisyphos verglichen.[21][22]

Literatur

  • Ted Richards (Hrsg.): Soccer and Philosophy: Beautiful Thoughts on the Beautiful Game. Open Court, Chicago 2010, ISBN 978-0-8126-9676-9.
  • Donn Risolo: Soccer Stories: Anecdotes, Oddities, Lore, and Amazing Feats Donn Risolo. University of Nebraska Press, Lincoln 2010, ISBN 978-0-8032-3014-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ballack bid to avoid Neverkusen repeat, MATT BARLOW, Daily Mail Online 22. Februar 2008
  2. Now is the time for The Neverkusen, Football, Phil Minshull, BBC, 1. Februar 2010
  3. Duden: Vize
  4. "Vizekusen" Bayers Angst vor dem nächsten Haching 11. Mai 2011 RP Online, abgerufen am 22. Mai 2012
  5. DFB-Wochenschau: Geburtsstunde von "Vizekusen", abgerufen am 22. Mai 2012
  6. Max Dinkelacker: Der Kollaps 11 Freunde, 20. Mai 2020, abgerufen am 23. Mai 2020
  7. Fußball Der Bundesliga-Teamcheck Seite 10/18: Bayer Leverkusen Die Zeit 2012, abgerufen am 23. Mai 2012
  8. Ballack wieder Vizemeister Ewiger Zweiter? bei spiegel.de, abgerufen am 22. Mai 2012
  9. Ballacks Rückkehr in die ewige zweite Heimat, tagesspiegel.de, abgerufen am 22. Mai 2012
  10. Die Welt vom 20. Mai 2012: Alptraum dahoam - Vize-Bayern in Schockstarre, abgerufen am 22. Mai 2012
  11. Die Welt, 2012 Vizekusen 2.0, abgerufen am 22. Mai 2012
  12. Bayern München Sag mir, wo die Champions sind von Cord Sauer, Stern 22. Mai 2012, abgerufen am 22. Mai 2012
  13. Kicker Fußball-Jahrbuch 2011 Stiebner Verlag GmbH, 2011, 175 Seiten, S. 13.
  14. 1:0 in Freiburg Vizekusen zum Fünften Von Nervenflattern, wie es vor allem die Münchner Bayern hatten heraufbeschwören wollen, war nichts zu spüren. Bayer Leverkusen wird nach dem 1:0 in Freiburg wieder Zweiter und qualifiziert sich direkt für die Champions League. Christian Kamp FAZ 14. Mai 2011, abgerufen am 22. Mai 2012
  15. Bundesliga: Bayer Leverkusen Respekt, Vizekusen! SZ 8. März 2010, 10:52, Ein Kommentar von Thomas Hummel, Die erste Saisonniederlage für Bayer Leverkusen weckt alte Vorurteile und lässt einen Absturz befürchten. Aber Häme ist völlig unangebracht, abgerufen am 22. Mai 2012
  16. Fußball – Zurück und nach vorne – Champions League und EM 2012, Der Wahlberliner, Das Netzmagazin von Alexander Platz, abgerufen am 22. Mai 2012
  17. Die Welt kompakt 13. April 2010 Bayer lässt "Vizekusen" rechtlich schützen, abgerufen am 22. Mai 2012
  18. Bayer Leverkusen Aufstieg in die Selbstironie-Liga Von Friedhard Teuffel Datum 13. April 2010 10:01 Uhr, ZEIT ONLINE, Tagesspiegel, abgerufen am 23. Mai 2012
  19. Markenrecht Bayer Leverkusen schützt "Vizekusen" (Memento vom 15. April 2010 im Internet Archive) FTD 12. April 2010, 17:49, abgerufen am 22. Mai 2012
  20. Vorzeitiger Aufstieg der SpVgg Greuther Fürth Wenn Vizekusen und die trägen Riesen kommen SZ 17. April 2012, 18:0, abgerufen am 22. Mai 2012
  21. Soccer and Philosophy: Beautiful Thoughts on the Beautiful Game Ted Richards Open Court Publishing, 8. Juni 2010, 408 Seiten.
  22. Soccer Stories: Anecdotes, Oddities, Lore, and Amazing Feats Donn Risolo, University of Nebraska Press, 1. November 2010, 408 Seiten.