Volksmarinedivision

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Volksmarinedivision war eine bewaffnete Formation, die während der Novemberrevolution in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstand. Der Volksmarinerat von Groß Berlin und Vororten im Berliner Marstall stellte sie auf Vorschlag des Obermaats Paul Wieczorek am 11. November 1918 auf. Revolutionäre Matrosen der ehemaligen Kaiserlichen Marine sollten dem neuen Polizeipräsidenten von Berlin, Emil Eichhorn (USPD), als bewaffnete Ordnungsmacht zur Verfügung gestellt werden. Zum ersten Kommandeur wurde Wieczorek gewählt.[1]

Gedenktafel für die Volksmarinedivision am Marinehaus, enthüllt am 11. November 1980

Struktur

Zunächst umfasste die Volksmarinedivision rund 600 Mann, am 13. November 1918 bereits 1.500 und Ende November etwa 3.200 Mann. Bis Dezember 1918 ging die Zahl auf 1.800 zurück.[2] Unter den Angehörigen der Volksmarinedivision waren Mitglieder von SPD, USPD, Spartakisten und Kommunisten, meist waren es jedoch parteilose Matrosen.

Gedenktafel am Neuen Marstall, 1978

Die Volksmarinedivision war in ihrer bedeutendsten Zeit in drei Abteilungen gegliedert. Die I. Abteilung mit 1.550 Mann hatte ihren Standort im Marstall und war unter anderem für die Bewachung von Reichskanzlei, Reichsbank, Museumsinsel und des Ullstein Verlags zuständig.

Die II. Abteilung mit 800 Mann hatte ihren Standort zunächst im Berliner Schloss, später in einem Lokal in der Kistenmacherstraße und danach im Preußischen Abgeordnetenhaus. Dieser Abteilung oblag die Bewachung des Preußischen Abgeordneten- und Herrenhauses.

Die III. Abteilung bestand zumeist aus Cuxhavener Matrosen und erreichte eine Stärke von 900 Mann. Ihr Standort war am Lehrter Bahnhof in Berlin. Sie versah Bereitschafts- und Streifendienst sowie die Bewachung der Bahnhöfe.

Die Verwaltungsabteilung der Volksmarinedivision mit 100 Mann hatte ihren Sitz zunächst im Marstall, später im Marinehaus am Märkischen Ufer 48/50. Dort ist auch eine Gedenktafel für den Stab der Volksmarinedivision angebracht. Zu ihren Aufgaben gehörten die Tätigkeiten der rückwärtigen Dienste.

Geschichte

Bereits am 14. November 1918 wurde Paul Wieczorek von Korvettenkapitän Friedrich Brettschneider erschossen. Wenige Stunden danach wurde der Cuxhavener Matrose Otto Tost zum neuen Kommandeur der Volksmarinedivision gewählt.

Werkzeug konterrevolutionärer Absichten

Anfangs stand die Volksmarinedivision noch auf Seiten der gemäßigten Sozialdemokratie. Zusammen mit anderen Einheiten marschierten am 6. Dezember 1918 Matrosen der Truppe unter dem Kommando des Oberleutnants der Reserve Hermann von Wolff-Metternich zusammen mit anderen Einheiten zur Reichskanzlei und sprachen Friedrich Ebert öffentlich ihre Unterstützung aus, forderten Wahlen zur Nationalversammlung noch im Dezember 1918 und kritisierten den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte Großberlin. Von Seiten der Matrosen wurde Ebert das Amt eines Präsidenten angeboten. Dieser wiegelte ab. Die Truppen zogen daraufhin ab und durchsuchten die Räume der Redaktion der Roten Fahne. Von anderen Truppen (nicht von der Volksmarinedivision) wurde der Vollzugsrat verhaftet. Daraufhin kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Planungen, Ebert durch die Truppen als Staatsoberhaupt mit diktatorischen Vollmachten ausrufen zu lassen, stammten vom Oberst in der Obersten Heeresleitung Hans von Haeften. Ziel dieser gegenrevolutionären Aktion war, die Arbeiter- und Soldatenräte auszuschalten und die Kommandogewalt der Offiziere wiederherzustellen. Haeften sprach darüber mit dem Ministerialdirektor Ferdinand von Stumm. Dieser hatte vorgeschlagen, die von seinem Verwandten Metternich geführte Volksmarinedivision das Unternehmen führen zu lassen.[3]

Linkswendung

In den folgenden Wochen begann sich die Truppe mehr nach links zu orientieren. Eine Abteilung bewachte am 30. Dezember 1918 das Preußische Abgeordnetenhaus in Berlin, wo der Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands stattfand.

Die Volksmarinedivision, die sich im Stadtschloss einquartiert hatte, rief zunehmend den Unmut der politisch Verantwortlichen hervor. Finanzminister Hugo Simon beschuldigte am 12. Dezember die Truppe des Diebstahls von großen Werten. Nach dem Einzug der Gardetruppen drängte vor allem das Militär darauf, die Division aufzulösen. Otto Wels als Stadtkommandant von Berlin plante, die zuverlässigen Teile in die republikanische Reichswehr einzugliedern und den Rest bei Zahlung einer Abfindung zu entlassen. Die Truppe weigerte sich. Daraufhin stellte ihr Wels ein Ultimatum, bis zum 16. Dezember das Schloss zu räumen. Auch darauf reagierte die Volksmarinedivision nicht. Vielmehr gelang es Heinrich Dorrenbach, einem einflussreichen Mitglied im Hauptausschuß der Division, am 17. Dezember einen Beschluss der Soldatenräte von Großberlin durchzusetzen. Danach sollten die Soldatenräte die Träger der obersten Kommandogewalt über die Heeresverbände bilden, alle Rangabzeichen sollten abgeschafft und alle Offiziere entlassen werden. Eine Abordnung der Volksmarinedivision drang in das Plenum des Reichsrätekongresses ein und verlangte über die Punkte eine sofortige Beschlussfassung. Es gelang Hugo Haase nach heftigen Tumulten, die Versammlung auf den nächsten Tag zu vertagen. Auf Druck der Soldatenräte wurden am 18. Dezember die Hamburger Punkte beschlossen, die den Forderungen der Volksmarinedivision sehr nahe kamen.[4]

Weihnachtskämpfe

Die Weigerung der Volksmarinedivision, das Schloss ohne die ausstehende Soldzahlung zu verlassen, führte am 23. und 24. Dezember 1918 zu den sogenannten Weihnachtskämpfen. In deren Verlauf nahm die Division Otto Wels gefangen, setzte die Regierung fest und kontrollierte die Telefonzentrale der Reichskanzlei. Ebert sah schließlich keine andere Möglichkeit mehr, als erstmals die Armee im Rahmen des Ebert-Groener-Pakts um Unterstützung zu bitten. Mit Geschützen gingen reguläre Truppen unter dem Kommando von General Arnold Lequis gegen die Volksmarinedivision vor, konnten das Schloss aber nicht erstürmen, da die Volksmarinedivision von bewaffneten Arbeitern und andere revolutionären Einheiten unterstützt wurde. Nachdem 56 Soldaten der Regierungstruppen und daneben noch Zivilisten getötet worden waren, gab Ebert den Befehl zur Einstellung der Kämpfe.[5] Die Regierung musste der Volksmarinedivision daraufhin erhebliche Zugeständnisse machen. Die Truppe blieb als Ganzes erhalten; wurde als eine Einheit in die Republikanische Soldatenwehr übernommen und erhielt den ausstehenden Sold, der das Hauptmotiv der Matrosen bei den Kämpfen gewesen zu sein scheint. Nach Einschätzung des Zeitgenossen Arthur Rosenberg war die Volksmarinedivision „in Wirklichkeit […] eine echte Söldnerformation, der ihre materiellen Interessen viel wichtiger waren als jede Politik“.[6] Wels wurde als Stadtkommandant abgelöst. Politisch führten die Weihnachtskämpfe zum Bruch der Koalition aus SPD und USPD.[7]

Januar- und Märzkämpfe

Bei den Januarkämpfen von 1919 stand die Truppe trotz ihrer Eingliederung in die Republikanische Soldatenwehr auf der Seite der radikalen Linken. Ihr Kommandeur Dorrenbach spielte bei der Entscheidung zum Losschlagen insofern eine entscheidende Rolle, als er behauptete, dass nicht nur die Volksmarinedivision, sondern alle Truppen in Berlin hinter den Revolutionären Obleuten ständen und bereit seien, gegen die Regierung von Ebert und Philipp Scheidemann mit Gewalt vorzugehen. Dies war einer der Auslöser dafür, dass Karl Liebknecht und andere Anwesende sich durch den Druck der Truppe veranlasst sahen, nicht nur gegen die Entlassung des Polizeipräsidenten Emil Eichhorn zu protestieren, sondern auf den Sturz der Regierung abzuzielen.[8]

Bei den Kämpfen selbst erwiesen sich Dorrenbachs Angaben als völlig unzutreffend. Die Berliner Truppen unterstützten den Aufstand nicht und selbst die Volksmarinedivision blieb neutral.[9]

Bei den Märzkämpfen wurden am 5. März 1919 die Reste der Volksmarinedivision zum Entsatz der im Polizeipräsidium eingeschlossenen Regierungstruppen befohlen. Die dort verschanzten Einheiten hielten die Division jedoch für Gegner und eröffneten das Feuer. Die Matrosen schossen zurück und schlossen sich den Aufständischen an. Die Regierungstruppen gingen mit Brutalität gegen ihre Gegner vor. Ein Oberleutnant Otto Marloh allein ließ etwa 30 Matrosen erschießen.[10] Die Republikanische Soldatenwehr und mit ihr die Volksmarinedivision wurden daraufhin aufgelöst.

Tradition

In ihrer kommunistisch-sozialistischen Tradition erhielten die Seestreitkräfte der DDR nach der Volksmarinedivision den Namen Volksmarine der DDR; Truppenteile und Schiffe wurden nach bekannten Mitgliedern der Volksmarinedivision benannt.

Kommandeure der Volksmarinedivision

Filme

Weblinks

Commons: Volksmarinedivision – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Klaus Gietinger: Paul Wieczorek – Neues über den ersten Kommandanten der Volksmarinedivision, in Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft I/2019, S. 41–60.
  • Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924 (= Geschichte der Arbeiter und Arbeiterbewegung in Deutschland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts. Bd. 9). Dietz, Berlin u. a. 1984, ISBN 3-8012-0093-0.
  • Sebastian Haffner: Der Verrat. 5., korrigierte und aktualisierte Auflage. Verlag 1900, Berlin 2002, ISBN 3-930278-00-6.
  • Klaus Gietinger: Blaue Jungs mit roten Fahnen – Die Volksmarinedivision 1918/19. Unrast Verlag. Münster 2019, ISBN 978-3-89771-263-8

Einzelnachweise

  1. Klaus Gietinger: Paul Wieczorek – Neues über den ersten Kommandanten der Volksmarinedivision, in Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft I/2019, S. 41–60.
  2. Ulrich Kluge: Soldatenräte und Revolution. Studien zur Militärpolitik in Deutschland 1918/19 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Bd. 14). Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1975, ISBN 3-525-35965-9, S. 180 (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Dissertation, 1972).
  3. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 97 f.
  4. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 104 f.
  5. Die Weihnachtskämpfe 1918. Lebendiges Museum Online
  6. Zitiert bei Hagen Schulze: Weimar. Deutschland 1917–1933 (= Die Deutschen und ihre Nation. Bd. 4). Siedler, Berlin 1994, ISBN 3-88680-500-X, S. 177.
  7. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 109 f.
  8. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 121.
  9. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 124.
  10. Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung. 1984, S. 180 f.
  11. Ernst-Heinrich Schmidt: Heimatheer und Revolution 1918: Die militärischen Gewalten im Heimatgebiet zwischen Oktoberreform und Novemberrevolution. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2017, ISBN 978-3-486-82640-1, S. 403 (google.de [abgerufen am 29. Dezember 2019]).