Wikiup:Artikelwerkstatt/Meister und Margarita/Marianne Rieser

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Marianne Amalia Rieser geb. Werfel (30. Oktober 1899 in Prag8. Januar 1965 in den USA) war eine zur Emigration gezwungene Schauspielerin, Dramaturgin, Schriftstellerin und Malerin.

Leben und Werk

Marianne Werfel wuchs in einer großbürgerlichen Fabrikantenfamilie in Prag auf. Ihre Eltern waren der Handschuhfabrikant Rudolf Werfel (1857–1941) und dessen Frau Albine geb. Kussi (1870–1964), Tochter eines Mühlenbesitzers, beide jüdischer Herkunft. Sie hatte zwei ältere Geschwister, den Schriftsteller Franz Werfel (1890–1945) und Johanna Werfel (1893–1964), später Hanna Fuchs-Robettin, verehelicht mit dem Prager Industriellen Herbert von Fuchs-Robettin und kurzzeitig Muse des Komponisten Alban Berg. Ihre Ausbildung an der Minerva, dem einzigen deutschsprachigen Lyzeum Prags, brach sie ab. Danach arbeitete sie als Krankenschwester und „malte in der Akademie“, widersetzte sich großbürgerlicher Attitüde und der Werfel'schen Exklusivität. Sie hatte überwiegend Freunde, die nicht zur sogenannt „guten Gesellschaft“ zählten. Eveline Hasler sollte sie später als „mondän“ beschreiben. 1924 heiratete sie Ferdinand Rieser (1886–1947), vormals Inhaber einer Wein- und Spirituosenhandlung in Zürich mit hoher Affinität zum Theater, der 1922 gemeinsam mit seinem Bruder Siegfried das Theater am Zürcher Heimplatz erworben und im Gegenzug das Familienunternehmen verkauft hatte. Er renovierte das Theater, eröffnete es 1926 als Schauspielhaus Zürich und übernahm die Funktion des Direktors. Er und seine Frau, die sich als Dramaturgin und Dramatikerin am Theater engagierte, bekamen eine Tochter, Marguerite, geboren am 18. März 1925 in Zürich.[1]

Zürcher Jahre

Exinger schreibt: „Jahrelang führte [Ferdinand Rieser] mit Hilfe und Unterstützung seiner weltgewandten Gattin das Schauspielhaus Zürich als reines Privattheater: mit Gewinn“. Er hatte einen Großteil seines Vermögens in den Umbau der Pfauenliegenschaft gesteckt und der Stadt ein Sprechtheater geschenkt, für das sie praktisch keine Subventionen auszurichten hatte. Dennoch war der Spielplan weder populistisch, noch anbiedernd, sondern durchgehend niveauvoll. Entsprechend enthusiastisch feierten Presse und Publikum das Projekt. Auch die Schweizer Autoren betrachteten Schritt für Schritt die Pfauenbühne als ihre heimliche Nationalbühne. Marianne Rieser prägte, als „emanzipierte Dame“ des Hauses, den Spielplan durch ihre dramaturgischen Entscheidungen und ihre kompromisslose Ablehnung der inhumanen Politiken Mussolinis, Stalins und insbesondere Hitlers. Das kulturelle Klima der Stadt am Limmat wurde damals von Intellektuellen geprägt.

1933 erfolgte der Einbruch der Zeit in die Welt der Bühne. In Deutschland kam Hitler an die Macht. Sehr schnell waren alle Bühnen und Medien von linken Elementen „gesäubert“ und die Spielpläne auf Linie gebracht. Kommunisten und Juden hatten nichts mehr zu sagen und an den Theatern des 1000-jährigen Reiches nichts verloren. Ein Exodus gefährdeter Künstler aus Deutschland setzte ein und einige der besten deutschen Schauspieler und Regisseure dockten in Zürich an – Albert Bassermann, Walter Felsenstein, Therese Giehse, Ernst Ginsberg, Grete Heger, Kurt Hirschfeld, Wolfgang Langhoff, Leopold Lindtberg und Leonard Steckel sind einige Namen. Das Schauspielhaus wurde ihre neue Heimat – als explizit antifaschistische Bühne, deren riskanter Spielplan von zeitkritischen Stücken dominiert wurde.[2] Bald war das Schauspielhaus die einzige Bühne Europas, an der noch Bertolt Brecht gespielt werden konnte. Ferdinand Bruckners Die Rassen und Friedrich Wolfs Professor Mannheim wurden uraufgeführt. Der »Pfauensaal« gilt im Rückblick als bedeutendstes künstlerisches Denkmal aus der Zeit der Geistigen Landesverteidigung, die der Schweiz ihre Neutralität in Krieg und Nachkriegszeit sicherte.

Ab den frühen 1930er Jahren arbeitete Marianne Rieser auch zunehmend als Dramatikerin. Im Februar 1932 hatte Nestroys Der böse Geist Lumpazivagabundus in Zürich Premiere, in einer von ihr bearbeiteten Textfassung. Es folgte als Sylvesterpremiere des Jahres 1934 die Zeitungsrevue Schwarz auf Weiss, gemeinsam mit Curt Bry und Tibor Kasics erarbeitet. Schließlich gelangte am 18. März 1937 Turandot dankt ab zur Premiere, inszeniert von Lindtberg, mit Sybille Binder in der Titelrolle. Es handelte sich in der Tat um ein äußerst eigenwilliges Werk – ein Spiel von Politik und Liebe, so der Untertitel, in freien Versen gestaltet, dreieinhalb Stunden Spieldauer. Die Tragödie der blutrünstigen Prinzessin wurde in ein Frauenstück umfunktioniert, ein feministische Ansatz, damals höchst verwegen, denn in Marianne Riesers Fassung sind alle Machtpositionen mit Frauen besetzt – die Männer hingegen putzen, kochen und müssen auf Abruf für körpernahe Dienstleistungen zur Verfügung stehen, für Liebesspiele im Teehaus. Ein Hauch Komödiantik inmitten der angstvoll kreativen Anspannung von damals, inmitten der Erwartung des Ungeheure.

In hartem Kontrast zu den glanzvollen Aufführungen standen zunehmend die externen und internen Querelen. Die Schweizer Nazis, in der Frontenbewegung, nutzten den Glanz der Bühne für ihre Auftritte. Mehr als einmal demonstrierten sie lautstark vor dem Theater, in der Absicht, die Vorstellungen zu stören. Es kam zu einem Bombenanschlag, der glücklicherweise keine Toten und Verletzten zur Folge hatte. Lediglich ein Teil der Herrentoilette wurde zerstört. Parallel dazu entbrannte hinter den Kulissen ein Machtkampf, der 1938 beinahe zur Schließung des Hauses führte. Mit ihrem Ehemann verabschiedete sich auch Marianne Rieser, das Exiltheater stand vor dem Aus.

Exil

Ferdinand Rieser legte 1938 die Direktion des Schauspielhauses nieder und verpachtete es an die Neue Schauspiel AG, konstituiert mit Beteiligung der Stadt Zürich. Um 1940 emigrierte die Familie in die Vereinigten Staaten und ließ sich in New York City nieder. Mariannens Schwester und deren Familie waren bereits zwei Jahre vorher in Amerika eingelangt, im Herbst 1940 glückte auch die Flucht ihres Bruders und dessen Ehefrau, Alma Mahler-Werfel, über die Pyrenäen und Portugal an die amerikanische Westküste. Gemeinsam bemühten sich die Geschwister, auch ihre Eltern aus dem Herrschaftsbereich des NS-Regimes in Sicherheit zu bringen. Varian Fry, der bereits die Flucht von Bruder und Schwägerin organisiert hatte, kümmerte sich auch um die Emigration der Werfet-Eltern. Ein Ambulanzwagen brachte die beiden 1941 nach Marseilles, doch dort starb ihr Vater eines natürlichen Todes. Die Mutter gelangte schließlich heil über den Atlantik und lebte danach im Familienverband. Es gab eine rege Korrespondenz mit ihrem Bruder, zuerst betreffend die Rettung der Eltern, später über die schriftstellerische Arbeit und über Aufführungsmöglichkeiten für ihre Theaterstücke. Zwei piecen von Marianne Rieser sollen in den USA aufgeführt worden sein, darunter Immortal Girl. Sie verfasste weiterhin Lyrik und Prosa, wandte sich aber schließlich wieder der Malerei zu. Im Sommer 1945 starb der Bruder in Beverly Hills. 1947 kehrte die Kernfamilie in die Schweiz zurück. Ferdinand Rieser verlängerte den Pachtvertrag für das Schauspielhaus bis 1952, doch bereits am 27. Juni 1947 starb er in Folge eines Sturzes. Die 1940er Jahre waren für Marianne Rieser die Jahre von Abschied und Tod − denn nach Vater, Bruder und Ehemann starb 1949 auch der Schwager.

Späte Jahre

Sie kehrte nach New York zurück, übersiedelte später nach Kalifornien. Als 1952 der Pachtvertrag für das Zürcher Schauspielhaus ablief, verweigerten die Bürger der Stadt ihre Zustimmung zum Kauf durch die Stadt Zürich zum Preis von drei Millionen Franken. Die Schweizerische Bankgesellschaft sprang ein, kaufte das Theater von der Witwe Ferdinand Riesers und schloss mit den Betreibern einen neuen Pachtvertrag. 1964 starben Mutter und Schwester. Sie selbst starb Anfang 1965, über den Todesort gibt es unterschiedliche Angaben.[3] Ihre Tochter, verehelicht mit Donald J. Perkins, starb ebenfalls 1965, 40-jährig, wenige Wochen nach ihr. Marianne Riesers literarischen Arbeiten gelten, ausgenommen die Veröffentlichungen und wenige Gedichte, als verschollen. Erhalten sind Teile der Korrespondenz mit der Familie und ein Theatertext.[4] Ihr verstreuter und nicht katalogisierter malerischer Nachlass umfasst mehrere hundert Gemälde.

Bühnenwerke

  • Schwarz auf Weiss, Zeitungsrevue, 1934 (gemeinsam mit Kurt Bry und Tibor Kasics)
  • Turandot dankt ab, Ein Spiel von Politik und Liebe in 5 Akten, 1937
  • Eugenia, auch Immortal Girl, 1944
  • Your Problem, Please, Komödie, 1944

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Marguerite Rieser, abgerufen am 5. Oktober 2021
  2. Peter Exinger: Ich bin auch ein bisschen Buch, Tagblatt der Stadt Zürich, 22. August 2015
  3. Laut Schweizer Theaterlexikon soll sie, wie ihre Schwester, in Pomona, Rockland County, im Bundesstaat New York gestorben sein, laut anderen Angaben in Los Angeles.
  4. Die Franz Werfel Family Correspondence befindet sich im Center for Jewish History, Leo Baeck Institut. In diesem Konvolut findet sich auch ein Typoskript der Komödie Your Problem Please aus dem Jahre 1945. Siehe: Rieser, Ferdinand, 1886–1947, abgerufen am 5. Oktober 2021


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