Schauspielhaus Zürich
Das Schauspielhaus Zürich ist das grösste Theater der Stadt Zürich. Das grosse Haus gehört zum Pfauenkomplex und umfasst 750 Plätze. Im Keller des Gebäudes ist die Studiobühne Kammer für maximal 70 Zuschauer untergebracht.[1]
Geschichte
Das Gebäude am Pfauen wurde 1892 als Volkstheater am Pfauen mit Bayerischem Biergarten und Kegelbahn errichtet und zunächst als Variététheater genutzt. 1901 wurde es vom Direktor des Opernhauses Alfred Reucker angemietet und mit Goethes Die Mitschuldigen als Schauspielhaus eröffnet. Von 1903 bis 1926 wurde das Theater von der privaten Genossenschaft zum Pfauen betrieben.
1926 erwarb Ferdinand Rieser, Zürcher Weingrosshändler und Direktor des Schauspielhauses,[2] das Gebäude und liess es umbauen. 1938 wurde der Theaterbetrieb durch die von der Stadt eigens gegründete Neue Schauspiel AG übernommen, der das Gebäude von Ferdinand Rieser verpachtet wurde. Dem damaligen Stadtpräsidenten Emil Klöti und dem Verleger Emil Oprecht gelang es so, das Theater aus seiner finanziellen Schieflage zu befreien. Als 1952 der Pachtvertrag mit der Witwe Ferdinand Riesers ablief, verweigerten die Zürcher Bürger ihre Zustimmung zum Erwerb des Gebäudes durch die Stadt Zürich zu einem Kaufpreis von drei Millionen Franken. Die Schweizerische Bankgesellschaft war bereit, als Käuferin einzuspringen und mit der Neuen Schauspiel AG einen neuen Pachtvertrag abzuschliessen.
Die Bemühungen, ein anspruchsvolles Theater in Zürich zu etablieren, waren zunächst wenig erfolgreich; bis 1933 wurde das Schauspielhaus international kaum beachtet. Ab 1933 emigrierten viele deutsche Schauspieler und Regisseure nach Zürich und wurden von Ferdinand Rieser ins Ensemble des Schauspielhauses aufgenommen. Therese Giehse, Albert Bassermann, Ernst Ginsberg, Kurt Horwitz, Leopold Lindtberg, Grete Heger und viele andere spielten zum Teil lange Jahre auf der Pfauenbühne. Hier wirkte in diesen Jahren auch Walter Felsenstein.
Durch diese Schauspieler erlebte das Schauspielhaus seinen Höhepunkt als Emigrantentheater während des Zweiten Weltkriegs. In dieser Zeit standen viele antifaschistische Stücke auf dem Spielplan, unter anderem mehrere Stücke von Bertolt Brecht und von Schweizer Autoren. Zu dieser Zeit war das Zürcher Schauspielhaus die einzige freie Bühne im deutschsprachigen Raum, da in Deutschland und Österreich nur noch regimegenehme Stücke aufgeführt werden durften. Der «Pfauensaal» gilt als bedeutendstes künstlerisches Denkmal aus der Zeit der Geistigen Landesverteidigung. Er ist ein kulturhistorisch und baukünstlerischer Zeitzeuge von nationaler und internationaler Bedeutung.[3]
Unter der Leitung von Oskar Wälterlin ab 1938 erlebten zahlreiche Stücke von Bertolt Brecht hier ihre Uraufführung. Auch die meisten Stücke von Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt wurden am Pfauen uraufgeführt.
In den Jahren 2002 und 2003 erlebte das Schauspielhaus unter dem Intendanten und Regisseur Christoph Marthaler eine neue künstlerische Blüte und wurde zweimal in Folge von den Kritikern der Zeitschrift Theater heute zum Theater des Jahres gewählt. Unter Marthaler erlebte das Schauspielhaus allerdings auch einen Rückgang der Abonnentenzahl, was neben weiteren Streitereien zu einem vorzeitigen Abgang seiner Theaterequipe führte. Bis 2009 folgten ihm Andreas Spillmann und Matthias Hartmann.
Ab 2009 wurde das Schauspielhaus mit seinen 260 festen Mitarbeitern und einem Ensemble von rund 30 Schauspielern von der Regisseurin Barbara Frey geleitet. Als «roten Faden» für ihr Programm nannte sie zum Amtsantritt «Ausgewogenheit und Vielfalt. Junge und gestandene Regisseure, tolle Klassiker, die als Ensemblestücke funktionieren und eine Duftmarke mit neuen und dramatisierten Stoffen.» Im Juni 2017 wurde bekannt, dass ab der Saison 2019/2020 der Regisseur Nicolas Stemann und der Dramaturg Benjamin von Blomberg gemeinsam die Intendanz wahrnehmen.[4] Das Schauspielhaus Zürich feierte entsprechend vom 12.–15. September 2019 die Eröffnung der neuen Spielzeit unter einer neuen Intendanz, dessen Wechsel sich durch das ganze Haus zog und sich in einer neuen Poster-Gestaltung, im Foyer, in den Stücken und im Ensemble zeigte.[5]
Der Zürcher Gemeinderat entschied sich am 9. März 2022 mit 75 gegen 39 Stimmen für die Sanierung des Pfauensaals mit kleinen Eingriffen anstelle eines Neubaus. Der Verein «Pro Pfauen» hatte sich für die Erhaltung des historischen Theatersaals am Pfauen eingesetzt.[6]
Architektur
Die Pfauenbühne ist eine Guckkastenbühne. Für den Architekten und Dramatiker Max Frisch bedeutete sie eine zeitlos-gültige Theaterform: Der Guckkasten als bedeutungsvolles, elementares architektonisches Element löse die Dinge aus ihrer alltäglichen Umgebung heraus, stelle sie ausserhalb der Zeit und gebe ihnen die Bedeutung von Sinnbildern.[7]
Schiffbau
Neben dem Schauspielhaus am Pfauen betreibt das Theater auch drei Bühnen im Schiffbau, der ehemaligen Kesselschmiede der Escher Wyss AG in Zürich-West: die Schiffbau/Halle (etwa 400 Plätze), die Schiffbau/Box (bis zu 200 Plätzen) und die vom Jungen Schauspielhaus genutzte Schiffbau/Matchbox (etwa 80 Plätze). Der Schiffbau wurde im September 2000 mit dem Stück Hotel Angst von Christoph Marthaler eröffnet. Im Schiffbau befinden sich zudem ein Restaurant sowie der Jazzclub «Moods». Im Inneren des Schiffbaus sind die Probebühnen, Werkstätten und technischen Büros des Schauspielhauses untergebracht.[8]
Direktoren
- 1929–1938: Ferdinand Rieser[2]
- 1938–1961: Oskar Wälterlin
- 1961–1964: Kurt Hirschfeld
- 1965–1968: Leopold Lindtberg
- 1968–1969: Teo Otto, Erwin Parker, Otto Weissert
- 1969–1970: Peter Löffler
- 1970–1977: Harry Buckwitz
- 1978–1982: Gerhard Klingenberg
- 1982–1989: Gerd Heinz
- 1989–1992: Achim Benning
- 1992–1999: Gerd Leo Kuck
- 1999–2000: Reinhard Palm
- 2000–2004: Christoph Marthaler
- 2004–2005: Andreas Spillmann
- 2005–2009: Matthias Hartmann
- 2009–2019: Barbara Frey
- seit 2019: Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg[9]
Uraufführungen
- Frank Wedekind: Der Liebestrank (28. September 1900)
- Frank Wedekind: Schloss Wetterstein (15. November 1917)
- Hermann Broch: «…denn sie wissen nicht, was sie tun» (15. März 1934)
- Ödön von Horváth: Hin und Her (13. Dezember 1934)
- Rudolf Bolo Maeglin: Gilberte de Courgenay (24. August 1939)
- Bertolt Brecht: Mutter Courage und ihre Kinder (10. April 1941)
- Bertolt Brecht: Der gute Mensch von Sezuan (4. Februar 1943)
- Bertolt Brecht: Leben des Galilei (Erstfassung, 9. September 1943)
- Max Frisch: Nun singen sie wieder (29. März 1945)
- Max Frisch: Santa Cruz (7. März 1946)
- Max Frisch: Die Chinesische Mauer (10. Oktober 1946)
- Carl Zuckmayer: Des Teufels General (14. Dezember 1946)
- Friedrich Dürrenmatt: Es steht geschrieben (19. April 1947)
- Bertolt Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti (5. Juni 1948)
- Max Frisch: Als der Krieg zu Ende war (8. Januar 1949)
- Max Frisch: Graf Öderland (10. Februar 1951)
- Max Frisch: Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie (5. Mai 1953, auch am Schiller-Theater Berlin)
- Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame (29. Januar 1956)
- Georges Schehadé: Histoire de Vasco (15. Oktober 1956)
- Max Frisch: Biedermann und die Brandstifter (29. März 1958)
- Max Frisch: Die große Wut des Philipp Hotz (29. März 1958)
- Friedrich Dürrenmatt: Frank der Fünfte (19. März 1959)
- Max Frisch: Andorra (2. November 1961)
- Friedrich Dürrenmatt: Die Physiker (21. Februar 1962)
- Friedrich Dürrenmatt: Herkules und der Stall des Augias (20. März 1963)
- Friedrich Dürrenmatt: Der Meteor (20. Januar 1966)
- Friedrich Dürrenmatt: Die Wiedertäufer (16. März 1967)
- Max Frisch: Biografie: Ein Spiel (1. Februar 1968)
- Bertolt Brecht: Turandot oder der Kongreß der Weißwäscher (5. Februar 1969)
- Hansjörg Schneider: Sennentuntschi (14. Januar 1972)
- Friedrich Dürrenmatt: Der Mitmacher (8. März 1973)
- Herbert Meier: Stauffer-Bern (16. November 1974)
- Friedrich Dürrenmatt: Die Frist (6. Oktober 1977, im Corso-Theater)
- Thomas Hürlimann: Grossvater und Halbbruder (15. Oktober 1981)
- Friedrich Dürrenmatt: Achterloo (6. Oktober 1983)
- Thomas Brasch: Mercedes (4. November 1983)
- Václav Havel: Asanace (26. September 1989)
- Max Frisch: Jonas und sein Veteran (19. Oktober 1989)
- Gerhart Hauptmann: Christiane Lawrenz (1990)
- Thomas Hürlimann: Der Gesandte (14. Mai 1991)
- Botho Strauß: Der Kuss des Vergessens (28. November 1998)
- Thomas Hürlimann: Synchron (30. April 2002)
- Sabine Wen-Ching Wang, Gebrüder Presnjakow (Oleg und Wladimir), Enda Walsh, Milena Marković, Henry Adam, Rebecca Prichard: Zwanzig Minuten (international) Neue Stücke für das Schauspielhaus Zürich (12. November 2004 – 22. April 2005)
- Botho Strauß: Nach der Liebe beginnt ihre Geschichte (16. September 2005)
- Igor Bauersima: Lucie de Beaune (2005)
- Rimini Protokoll: Blaiberg & sweetheart19 (2006)
- Yasmina Reza: Der Gott des Gemetzels (2. Dezember 2006)
- Lukas Bärfuss: Malaga (9. Mai 2010)
- Martin Suter, Stephan Eicher: Geri (11. Dezember 2011)
- Edgar Allan Poe: A Dream Within a Dream (18. Dezember 2011)
- René Pollesch: Fahrende Frauen (14. Mai 2011)
- Lukas Bärfuss: Zwanzigtausend Seiten (2. Februar 2012)
- René Pollesch: Macht es für euch! (19. Dezember 2012)
- Anna Papst: Die Gottesanbeterin (11. März 2013)
- Michail Schischkin, Händl Klaus, Lukas Bärfuss: Arm und Reich – Drei neue Stücke (4. Mai 2013)
- Hans Neuenfels: Richard Wagner – Wie ich Welt wurde (14. Juni 2013)
- René Pollesch: Herein! Herein! Ich atme euch ein! (11. Januar 2014)
- Elfriede Jelinek: Über Tiere (22. Februar 2014)
- Ruedi Häusermann: Robert Walser (15. März 2014)
- Alvis Hermanis: Die schönsten Sterbeszenen in der Geschichte der Oper (25. September 2014)
- Kornél Mundruczó: Hotel Lucky Hole (16. November 2014)
- Dani Levy: Schweizer Schönheit (20. Februar 2015)
- René Pollesch: Love/No Love (9. Mai 2015)
- Sebastian Kreyer: Der neue Himmel (11. September 2015)
- Ruedi Häusermann: piano forte (13. Januar 2016)
- Barbara Frey: Nachtstück (4. März 2016)
- René Pollesch: Bühne frei für Mick Levčik! (1. April 2016)
- Herbert Fritsch: Wer hat Angst vor Hugo Wolf? (23. April 2016)
2002, 2004 und 2007 wurden Die schöne Müllerin, Elementarteilchen und Der Gott des Gemetzels mit dem Nestroy-Theaterpreis als Beste deutschsprachige Aufführung ausgezeichnet. 2001 war das Schauspielhaus für einen Nestroy nominiert.
Literatur
- Dieter Bachmann, Rolf Schneider (Hrsg.): Das verschonte Haus. Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg. Ammann, Zürich 1987, ISBN 3-250-10089-7.
- Marco Badilatti: Schauspielhaus Zürich, Zürich ZH. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 3, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 1585–1588.
- Valentin Gillet, Wilko Potgeter: Theaterdecken an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert: Zimmerei und Rabitz im Dachraum des Schauspielhauses Pfauen in Zürich. In: INSITU. 2020/2, S. 269–284.
- Ute Kröger, Peter Exinger: «In welchen Zeiten leben wir!» Das Schauspielhaus Zürich 1938–1998. Limmat Verlag, Zürich 1998, ISBN 3-85791-322-3.
- Fritz Lendenmann (Hrsg.): Eine grosse Zeit. Das Schauspielhaus Zürich in der Ära Wälterlin 1938/39–1960/61. Orell Füssli, Zürich 1995, ISBN 3-280-02384-X.
- Ingo Starz, Matthias Wyssmann (Hrsg.): Mehr als 70 Stimmen aus dem Schauspielhaus Zürich. Hörbuch. Christoph Merian Verlag, Basel 2008, ISBN 978-3-85616-411-9.
- Beat Schläpfer, Dieter Nievergelt: Schauspielhaus Zürich. Kleine Geschichte des Theaters, Baugeschichte und Baubeschreibung (= Schweizerische Kunstführer. Nr. 230). Hrsg.: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. Bern 1978, ISBN 978-3-85782-230-8.
- Theater am Pfauen. Schauspielhaus Zürich. In: Neujahrsblatt 2021 des Stadtzürcher Heimatschutzes, Zürich 2021.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Städtische Kulturförderung. Leitbild 2012–2015. (PDF; 10,1 MB) Stadt Zürich, S. 43, abgerufen am 7. November 2012.
- ↑ a b Peter Exinger: Ferdinand Rieser. In: Andreas Kotte (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 3, Chronos, Zürich 2005, ISBN 3-0340-0715-9, S. 1495 f.
- ↑ Urs Bühler: Der Heimatschutz kämpft für den Theatersaal am Zürcher Pfauen. In: Neue Zürcher Zeitung. 14. August 2018.
- ↑ Thomas Ribi: Zwei Intendanten übernehmen das Ruder. In: Neue Zürcher Zeitung. 21. Juni 2017.
- ↑ Coraline Celiker, Dario Spilimbergo: Eröffnung des neuen Schauspielhauses Zürich. In: www.sirup.fm. Sirup.fm - Studierendradiosendung der Universität Zürich und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, 27. September 2019, abgerufen am 21. September 2022 (ch-de).
- ↑ Der historische Pfauensaal des Zürcher Schauspielhauses ist gerettet. In: Neue Zürcher Zeitung. 9. März 2022.
- ↑ Theater am Pfauen. Schauspielhaus Zürich. In: Neujahrsblatt 2021 des Stadtzürcher Heimatschutzes, Zürich 2021.
- ↑ Schiffbau. Schauspielhaus Zürich, abgerufen am 7. November 2012.
- ↑ Thomas Ribi: Zwei Intendanten übernehmen das Ruder. In: Neue Zürcher Zeitung. 21. Juni 2017.
Koordinaten: 47° 22′ 12″ N, 8° 32′ 57″ O; CH1903: 683879 / 247166