Matthias Hartmann (Regisseur)

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Matthias Hartmann (* 27. Juni 1963 in Osnabrück) ist ein deutscher Theaterregisseur und Intendant. Von 2009 bis 2014 leitete er das Burgtheater in Wien. Er wohnt mit seiner Familie in Salzburg.

Leben und Karriere

Nach dem Besuch eines Internats im englischen Gloucester von 1977 bis 1981 kehrte er zurück in seine Geburtsstadt, brach kurz vor dem Abitur die Schule ab und reiste ins Ausland.[1][2] Von dort schon bald zurückkehrend, besuchte er ab 1983 in Stuttgart die Schauspielschule, holte 1985 sein Abitur nach und nahm zwei kaufmännische Lehren auf, die er beide abbrach; an ihrer statt wandte sich Hartmann der Theaterarbeit zu.[1][3] Seine Karriere als Theaterregisseur begann Hartmann als Regieassistent am Schillertheater Berlin und am Theater Kiel, danach arbeitete er als freier Regisseur an den Häusern in Kiel, Mainz und Wiesbaden. Seine erste eigenverantwortliche Inszenierung erarbeitete Hartmann 1989 mit Tagträume am Theater Kiel.

Theaterleitung in Hannover, Bochum und Zürich

1990 wurde er künstlerischer Leiter und Hausregisseur am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover. Seine Inszenierung von Emilia Galotti von Gotthold Ephraim Lessing aus dieser Zeit wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seit dem Sommer 1993 arbeitete Hartmann als freier Regisseur, der unter anderem an das Staatsschauspiel in München und das Burgtheater in Wien engagiert wurde. Die zweite Einladung zum Berliner Theatertreffen erhielt er für seine Inszenierung von Der Kuss des Vergessens von Botho Strauß am Zürcher Schauspielhaus.

Vom Sommer 2000 bis zum Sommer 2005 war Hartmann Intendant des Schauspielhauses Bochum. Er übernahm das Haus von Leander Haußmann. In Bochum brachte Hartmann unter anderem Uraufführungen von Botho Strauß und Peter Turrini auf. Für Medienwirbel sorgten auch die zwei Arbeiten mit dem Entertainer Harald Schmidt. So spielte Schmidt in Samuel Becketts Warten auf Godot die Rolle des Lucky. Unter Hartmann brach das Schauspielhaus den bisherigen Rekord an verkauften Abonnements, der noch von Claus Peymann aufgestellt worden war.

Von der Spielzeit 2005/06 bis 2009 war Hartmann Intendant des Schauspielhauses Zürich.[4] Er übernahm das Haus von Andreas Spillmann, der als Interimsintendant die künstlerische und kaufmännische Direktion in der Spielzeit 2004/05 innehatte, anstelle des auf eigenen Wunsch vorzeitig ausgeschiedenen Christoph Marthaler.

Burgtheater

Am 13. Juni 2006 gab der damalige österreichische Kunst-Staatssekretär Franz Morak bekannt, dass Hartmann ab 2009 als Nachfolger Klaus Bachlers das Wiener Burgtheater leiten soll, wobei er sich gegen namhafte Konkurrenz wie Andrea Breth, Ulrich Khuon, Elisabeth Schweeger, Frank Baumbauer und Martin Kušej durchsetzte.

In einem ersten Interview für das österreichische Nachrichtenmagazin News wandte er sich gegen das didaktische Theater der Achtundsechziger-Generation und gab die Grundzüge seines Konzepts bekannt: „Das Burgtheater ist ein Ort mit Erotik und Strahlkraft, an dem sich die besten Schauspieler und die besten Regisseure versammeln, ein Ort für alle Menschen, die Lust am Theater haben. Dort muss alles stattfinden. Es ist vollkommen falsch, ihm mit Gewalt ein Konzept verpassen zu wollen. Es muss sich sternförmig auf alle Möglichkeiten des theatralischen Erzählens ausbreiten. Es braucht die großen Klassiker, und es muss ein Uraufführungstheater sein, mit Stückaufträgen an die großen österreichischen Dramatiker und mit der Entdeckung neuer. Es darf vor Konventionalität so wenig Angst haben wie vor dem Experiment.“

Im September 2008 gab Hartmann bekannt, seine Direktion am Burgtheater am 4. September 2009 mit einer von ihm selbst inszenierten Produktion von Goethes Faust (und zwar Faust I und Faust II) eröffnen zu wollen. Bei der Premiere waren Tobias Moretti als Faust, Gert Voss als Mephisto und Katharina Lorenz als Gretchen zu sehen. Das Ensemble des Burgtheaters blieb weitgehend unverändert. Neu sind Martin Wuttke und Dörte Lyssewski; der gefeierte lettische Regisseur Alvis Hermanis debütierte an der Burg.

Sechs Premieren innerhalb einer Woche setzte Hartmann zum Auftakt im September 2009 an. Den beiden Teilen von Faust folgten die Uraufführung Der goldene Drache in der Regie des Autors Roland Schimmelpfennig, Adam Geist von Dea Loher, die Avantgardegruppe Nature Theater of Oklahoma mit Life and Times und der deutschen Fassung des schrägen Musicals Shockheaded Peter. Danach zeigte Hartmann fünf eigene Arbeiten, die er aus seinen Wirkungsstätten Zürich und Bochum mitbrachte: Amphitryon, Warten auf Godot, Immanuel Kant von Thomas Bernhard, 1979 von Christian Kracht und Jon Fosses Todesvariationen.

Johann Adam Oest und Hartmann mit dem Nestroy in der Hand, Feststiege der Burg 2010
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Applaus für Die letzten Zeugen beim Gastspiel im Schauspiel Frankfurt, 2015

Andrea Breth („Quai West“ von Koltès) und Luc Bondy (Uraufführung von Peter Handkes Bearbeitung der „Helena“ des Euripides) inszenierten wieder in Wien, Thomas Vinterberg brachte die Fortsetzung von Das Fest namens Das Begräbnis heraus. Weitere Uraufführungen steuerten Yasmina Reza, Franzobel, René Pollesch, Joachim Meyerhoff und Sibylle Berg bei. Hartmann inszenierte 2010 Phädra von Jean Racine (Burgtheater/Salzburger Festspiele) mit Sunnyi Melles und Paulus Manker, Was ihr wollt von William Shakespeare, Burgtheater Wien; Der Parasit von Friedrich Schiller, Burgtheater Wien. Mit Christoph Schlingensief war man im Gespräch über ein neues Projekt. Die Needcompany war zu Gast. Und dann gab es noch zwei neue diskursive Formate, Das Reflektorium mit Stefan Zweifel und den Rede-Zyklus Kakanien: Ideengeber Peter Turrini machte den Beginn.

In der Spielzeit 2013/14 ermöglichte und gestaltete er – gemeinsam mit Doron Rabinovici – die Zeitzeugenproduktion Die letzten Zeugen am Burgtheater; die Produktion bezog sich auf die Novemberpogrome 1938, die sich 2013 zum 75. Male jährten, erlangte hohe Wertschätzung seitens Publikum und Presse und wurde zum Berliner Theatertreffen 2014, nach Dresden, Hamburg und Frankfurt eingeladen:

„Das ist in Wien sehr behutsam in Szene gesetzt, verzichtet auf theaterwirksame Garnierung, ist im besten Sinne erzählend – und hat deshalb nichts von pflichtschuldiger Erinnerungsverrenkung mit Betroffenheitsautomatik. „Die letzten Zeugen“ ist ein eindringliches, aber auch fragiles (Theater-)Dokument.“

Jury des Berliner Theatertreffens[5]

Im Rahmen des Finanzskandals am Burgtheater[6] wurde Hartmann scharf kritisiert und beanstandet, dass er sämtliche Jahresabschlüsse unterschrieben, aber nicht die Kontroll- und Aufsichtspflichten aus seiner Funktion als Geschäftsführer entsprechend wahrgenommen habe. Für die Frage der Pflichtwidrigkeit sei es dabei einerlei, ob Hartmann um die Missstände wusste und trotzdem nichts unternahm, oder ob er sich um das Rechnungswesen gar nicht kümmerte. Am 14. Januar 2014 hatte Hartmann öffentlich klargestellt:

„Ich habe die Stellschrauben, die ich in der Hand habe, sehr wohl bedient. Ich habe die Einnahmen, die ich als künstlerischer Direktor in der Hand habe, erhöht – sie sind auch heuer wieder um 200.000 Euro über den sehr ambitionierten Plan gestiegen –, ich habe beim künstlerischen Personal versucht zu sparen und bin bei den Produktionskosten ungefähr gleich geblieben. Ich habe die "Junge Burg" erfunden, die halte ich für lebenswichtig, um in die Zukunft unserer Zuschauer zu investieren. Ich habe aber eine Verbindlichkeit von 15,3 Millionen geerbt, als ich hier anfing, und die hat sich sicherlich vergrößert, weil das Theater ein strukturelles Defizit hat. Wenn ich jedes Jahr eine Million mehr Lohnkosten zahlen muss, die mir aber nicht gegeben werden, dann fehlen sie mir. Und im nächsten Jahr zwei. Das kann jedes Milchmädchen verstehen. Ich kann nicht dazu verpflichtet werden, Direktor eines Hauses zu sein, das Schulden macht, um zu existieren. Ich habe, glaube ich, mit Minister Josef Ostermayer jetzt einen Partner, der diese Zusammenhänge durchschaut und Lösungen dafür sucht. Diese Lösungen muss die Kulturpolitik verantworten. Wenn man die Summe, die Klaus Bachler bekommen hat, indexiert, wären wir jetzt bei 58,8 Mio. Euro – ich habe aber jetzt 46,3.“

Matthias Hartmann im APA-Interview[7]

Am 10. März 2014 gab Hartmann bekannt, seine Funktion als Geschäftsführer vorerst ruhen zu lassen, bis die Vorwürfe endgültig geklärt seien.[8] Am 11. März 2014 wurde er von Kulturminister Josef Ostermayer seines Amtes enthoben, da zwei vorliegende Rechtsgutachten von einer Mitverantwortung Hartmanns für die finanziellen Unregelmäßigkeiten ausgingen.[9][10] Gegen seine Entlassung wollte Hartmann gerichtlich vorgehen.[11] Am 6. November 2018 wurde bekannt, dass die Ermittlungen gegen Hartmann eingestellt wurden.[12] Am 9. November 2018 gaben das Burgtheater und Hartmann bekannt, dass der Rechtsstreit mit einem Vergleich beendet wurde.[13]

ServusTV

Im November 2014 wurde bekannt, dass Hartmann zu jener Zeit künstlerischer Leiter des im Besitz der Red Bull Media House GmbH befindlichen Fernsehsenders ServusTV war, nachdem er zuvor bereits in beratender Funktion im Bereich Kultur für den Sender tätig gewesen war und ein Theaterformat entwickelt hatte.[14][15] Am 12. November wurde bekanntgegeben, dass Hartmann als Creative Director im Red Bull Media House arbeitet.[16][17]

Inszenierungen (Auswahl)

Schauspiel

Oper

Besetzungen

Literatur

  • C. Bernd Sucher (Hg.): Theaterlexikon. Autoren, Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen, Bühnenbildner, Kritiker. Von Christine Dössel und Marietta Piekenbrock unter Mitwirkung von Jean-Claude Kuner und C. Bernd Sucher. 1995, 2. Auflage, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1999, ISBN 3-423-03322-3, S. 270 f.

Weblinks

Commons: Matthias Hartmann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Hartmann, Matthias im Munzinger-Archiv, abgerufen am 4. November 2012 (Artikelanfang frei abrufbar).
  2. Ijoma Mangold: »Ich wollte ein bürgerliches Leben«. Interview mit Matthias Hartmann. In: ZEITMagazin. Nr. 11/2012, 8. März 2012, S. 62.
  3. Philipp Oehmke: Der Herr Direktor. In: Der Spiegel. Nr. 37/2009, S. 140–143.
  4. Bruno Hitz: Die Geschichte des Schauspielhauses in Kürze. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 17. September 2018; abgerufen am 16. September 2018.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/schauspielhaus.ch
  5. Berliner Festspiele (Memento des Originals vom 24. Februar 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.berlinerfestspiele.de, abgerufen am 16. März 2014
  6. Die Krise des Burgtheaters. Chronik der Affäre um die Entlassung der Burgtheater-Vizedirektorin Silvia Stantejsky nachtkritik.de
  7. Matthias Hartmann: "Ich habe nicht weggeschaut", abgerufen am 21. April 2020
  8. Burg-Chef will seine Funktion „vorerst ruhen lassen“ Die Presse, 10. März 2014
  9. Burgtheater: Kulturminister enthebt Hartmann des Amtes Der Standard, 11. März 2014
  10. Burgtheater: Kulturminister enthebt Hartmann des Amtes Die Presse, 11. März 2014
  11. Burgdirektor Matthias Hartmann klagt gegen Entlassung nachtkritik.de, 11. März 2014
  12. Ermittlungen gegen Hartmann eingestellt auf ORF-Wien vom 6. November 2018, abgerufen am 6. November 2018
  13. Einigung in Causa Hartmann
  14. derStandard.at - Ex-Burg-Chef Matthias Hartmann "künstlerischer Leiter" von Servus TV. Artikel vom 23. November 2014, abgerufen am 24. November 2014.
  15. derStandard.at - Hartmann entwickelt für Servus TV Theaterformat. Artikel vom 28. September 2014, abgerufen am 24. November 2014.
  16. Hartmann: „Wegschauen der Politik“ auf ORF-Wien vom 12. November 2018, abgerufen am 13. November 2018
  17. Die drei Burgtheater-Skandale auf addendum.org vom 12. November 2018, abgerufen am 13. November 2018
  18. Andreas Fasel: „Alles an den Nagel hängen. Nur noch Musik machen“. In: DIE WELT. 10. August 2002 (welt.de [abgerufen am 10. Mai 2020]).
  19. Metzmacher triumphiert mit Abgesang auf Stalin. In: welt.de, 27. Oktober 2009, abgerufen am 26. November 2010.
  20. NZZ vom 18. Juni 2012, S. 40.