Wikiup:Wikimedia Deutschland/Wikimedium/Fundraising (1 Seite)/Interview Victor

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Kurzporträt

Victor Grigas wurde in Chicago geboren und verbrachte dort auch den größten Teil seines bisherigen Lebens. Als Freiberufler hat Victor vor allem in der Filmproduktion Erfahrungen gesammelt und in ganz verschiedenen Projekten mitgearbeitet: von Unternehmenskommunikation bis zu Independent Kurzfilmen. Sein Lieblingsprojekt hieß „I AM CHICAGO“ und führte ihn in die unterschiedlichsten Ecken von Chicago. Dort führten er und drei Freunde Interviews mit einigen Anwohnern und erstellten in einem umgebauten Van kostenlose Ganzkörperporträts von ihnen.
Nach einer kurzen Station in Berlin lebt und arbeitet er seit einem Jahr bei der Wikimedia Foundation in San Francisco.

Was ist dein Job bei der Wikimedia Foundation?

Ich finde und dokumentiere einzigartige Geschichten über die Menschen, die bei Wikipedia und den anderen Wiki-Projekten mitmachen, um sie dann für das Fundraising und die Öffentlichkeitsarbeit zu benutzen. Außerdem produziere ich Fotos und Videos für die Foundation, wenn sie gebraucht werden. Ich versuche, so viele Autoren-Interviews wie möglich auf Video aufzuzeichnen. Als Wikipedianer finde ich es schlimm, dass man Wikipedia seit Jahren immer nur mit einem weißen Nordamerikaner namens Jimmy Wales verbindet. Mein Job ist es, dieses Bild zu korrigieren, das wir als Organisation und Bewegung leider selbst kreiert haben.

Welche Kraft kann eine Geschichte haben?

Geschichten machen uns menschlich. Sie motivieren uns und begleiten uns durchs Leben, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Man kann mit Geschichten eine ganze Armee oder eine Menschenmasse antreiben. Geschichten über Wikipedia sind deshalb so interessant, weil Wikipedia und all die anderen Wiki-Projekte das Ziel haben, Faktenwissen zu veröffentlichen. Dabei bleiben aber die Menschen, die dieses Wissen veröffentlichen, im Hintergrund. Die persönlichen Geschichten sind sozusagen der Blick hinter die Kulissen.

Jeder Mensch hat seine ganz eigene Geschichte, aber die meisten sind sich darüber nicht bewusst. Wie kriegst du die Menschen dazu, dir ihre Geschichte zu erzählen?

Zuerst einmal muss man ehrlich, geradeheraus und eindeutig sein. Keine Zweideutigkeiten oder so was. Ich muss den Menschen sagen, was genau ich mache und wofür wir ihr Interview verwenden wollen.
Zweitens spreche ich mit den Leuten, die ich interviewe, über sich selbst und erst dann über ihr Engagement bei Wikipedia. Auf diese Art (zusammen mit der Recherche, die ich vor dem Interview über die Person mache) ist es für mich leichter zu verstehen, wieso sie vielleicht genau die Artikel schreiben, die sie schreiben.
Drittens rede ich mit meinen Interviewpartnern wie mit anderen Menschen auch. Unterhaltet euch! Auf Deutsch gibt es „Sie“ und „du“, alles soll „du“ sein. Natürlich bin ich höflich, aber wenn sich die Unterhaltung in eine bestimmte Richtung entwickelt oder einen bestimmten Ton annimmt, dann lasse ich mich darauf ein und das führt mich dann zu ganz verschiedenen Geschichten und Ausdrücken. Ich muss zuhören. Man kann nicht einfach einen Fragenkatalog abhaken. Jedes Interview ist eine ganz neue Erfahrung. Bevor ich ein Interview führe, versuche ich so viele Informationen wie möglich über die Menschen zu finden, mit denen ich spreche. Ich schaue mir die Versionsgeschichten und Diskussionsseiten an und versuche schon vor dem Treffen oder Telefonat ein paar Testfragen zu formulieren. Auf diese Weise kann ich das Interview mit ein paar vorgefertigten Fragen beginnen und nach einer Geschichte suchen, die ich vielleicht gern erzählen würde. Da Versionsgeschichten und Diskussionsseiten jedoch nur ein gewisses Maß an Informationen liefern, habe ich auch immer noch ein paar allgemeine Fragen, die ich jedem stelle.
Soweit es mir möglich ist, tue ich alles, um kulturelle Unterschiede zu respektieren. Deshalb ist es so wichtig, zu recherchieren, wo eine Person herkommt. Das ist allerdings manchmal sehr schwierig, wenn man über Skype chattet oder ein Telefonat führt.

Welches war die tollste Erfahrung, die du mit einem Interviewpartner gemacht hast?

Karthik Nadar war toll. Als ich ihn getroffen habe, war ich gerade in Indien und wir hatten ausgemacht, uns in meinem Hotelzimmer zu treffen. Als er reinkam, sah er sich im Zimmer um und erzählte mir, dass er, seine Schwester und seine Eltern in einem ca. 13m² großen Zimmer leben, in dem es allerdings keinen Kühlschrank oder eine Klimaanlage gibt, weil diese nicht umweltfreundlich seien. Zu Hause spricht er Sanskrit. Er arbeitet als Buchhalter und verbringt viel Zeit am Computer. Er hat also ein wenig freie Zeit, um Wikipedia zu editieren. Dann ereignete sich der Terroranschlag von Mumbai am 26. November 2008 in seiner Nähe. Er machte ein Foto von einem explodierten Auto mit seinem Handy und begann den Artikel zu diesem Ereignis in der englischsprachigen Wikipedia zu schreiben. Ich machte ein Foto von ihm und er schaffte er es in die Spendenkampagne von 2011.

Was hat Storytelling mit Spendensammeln zu tun?

Storytelling macht das Spendensammeln vielfältiger, was für alle anderen Spendensammler ein Zugewinn ist. Ich arbeite im Fundraising-Team. Mein Team nimmt den „kreativen Content“, den ich schaffe, und macht aus den Interviews Spendenaufrufe. Ich sage das den Leuten auch immer, bevor ich sie interviewe. Dazu muss ich eine kleine Geschichte erzählen: Bevor ich hier anfing, nutzen die Fundraiser für die Kampagne im Jahr 2010 Spendenaufrufe, die ein paar tolle Spender selbst geschrieben hatten. Das war ein Desaster! Es stellte sich heraus, dass es allen schwerfällt, um Geld zu bitten und keiner einschätzen konnte, ob Aufrufe von bezahlten Schreibern funktionieren würden. Als ich dann anfing hier zu arbeiten, hatten wir ein bisschen Anfängerglück. Wir interviewten Brandon Harris und er redete sehr leidenschaftlich darüber, wo er früher einmal gearbeitet hat und was heute sein Job ist. Wir führten einen A/B-Test mit seinem Foto und dem von Jimmy Wales durch und Brandons Foto hatte mehr Erfolg als Jimmys Bild.

Was plant ihr für die nächste Spendenkampagne?

Im März war ich in Brasilien und Argentinien, in einer Woche fahre ich nach Deutschland und Russland, außerdem plane ich Ende des Jahres nach Kenia zu fliegen. In Kenia lebt ein Typ, der ganz allein ein Flugzeug mit einem Toyota-Motor gebaut hat. Die Anleitung dazu hatte er aus Wikipedia. Ich bin schon ganz gespannt darauf mit ihm zu reden. Auf der Wikimania wollen wir dieses Jahr alle unsere Interviews filmen und sie dann zu einem 90-Sekünder zusammenschneiden, der Wikipedia aus Sicht der Autoren zeigt.
Ich hoffe, dass Leute, bei Wikipedia schreiben oder sie nutzen und eine interessante Geschichte zu erzählen haben, sich bei mir melden (vgrigas@wikimedia.org), ihre Geschichte teilen und dabei helfen, Wikipedia besser zu machen.