Wikiup:Wikipedistik/Hypothesen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Ab Punkt 8 ausschließlich von jeanpol.[1]

Schwarmintelligenz (Selbstorganisation der Wikipedia)

Es wird angenommen, dass die Prozesse in der Wikipedia nach dem Muster der Schwarmintelligenz selbstorganisisert werden: Die Individuen staatenbildender Insekten agieren mit eingeschränkter Unabhängigkeit, sind in der Erfüllung ihrer Aufgaben jedoch sehr zielgerichtet. Die Gesamtheit dieser Insektengesellschaften ist überaus leistungsfähig, was von Forschern auf eine hochgradig entwickelte Form der Selbstorganisation zurückgeführt wird; zur Kommunikation untereinander nutzen Ameisen beispielsweise Pheromone oder Bienen den Schwänzeltanz. Es gibt keine zentralisierte Form der Oberaufsicht: Das Ganze ist also mehr als die Summe der Teile.

Es wird weiterhin angenommen, dass die Wikipedia analog zu den staatenbildenden Insekten Kommunikationsmeachanismen entwickelt hat, die der Kommunikation dienen.

Hacker (Charakteristik der Wikipedianer)

Im Sinne von Burrell Smith (1984), Pekka Himanen (2001) et al. wird angenommen, dass Hacker nicht nur bestimmte Programmierer sind, sondern alle Personen, die nach einer bestimmten Arbeitsethik und insbesondere im Geiste der Hackerethik handeln. Kennzeichen dieser Einstellung sind

  • das leidenschaftliche, intellektuelle Forschen;
  • die Überzeugung, dass das Teilen von Informationen ein positives Gut ist;
  • die Überzeugung, dass es die ethische Pflicht eines Hackers ist, andere an seinem Fachwissen teilhaben zu lassen u.a.

Burrell Smith: Hacker können fast alles machen und Hacker sein. Man kann ein Hacker-Schreiner sein. Das muss nicht unbedingt mit Hightech zu tun haben. Ich glaube, es hat mit Handwerkskunst zu tun und damit, dass einem das eigene Handeln nicht gleichgültig ist.

Eric S. Raymond: Es gibt Leute, die die Hacker-Einstellung auf andere Dinge [als Software] beziehen, zum Beispiel Elektronik und Musik – tatsächlich kann man die Einstellung auf den höchsten Ebenen jeder Wissenschaft oder Kunst finden.

Manche Wikipedianer sind demnach Hacker.

Weiterhin wird angenommen, dass die Hackerethik eine neue Form der Arbeitsethik darstellt, die sich grundsätzlich von der verbreiteten protestantischen Ethik und dem "Geist des Kapitalismus" (Max Weber, 1904/05) unterscheidet.


Synusie (Selbstverständnis der Wikipedianer)

Es wird angenommen, dass die Wikipedianer eine Synusie im Sinne der συνουσα (lies: synousia) in Platons Akademie bilden.

Weiterhin wird angenommen, dass auch die übertragene Bedeutung der Synusie aus dem Bereich der Ökologie auf die Wikipedia zutrifft: [...] eine Gemeinschaft an Organismen mit einem charakteristischen Artenbestand meist gleicher oder ähnlicher Lebensformen, die in einem Syntop, also einem kleinen und abgrenzbaren Biotopausschnitt, lebt; es handelt sich dabei um Teilsysteme ohne eigenen Stoffkreislauf oder Energiefluß, die in das Gesamtökosystem eingebettet sind.

Korallenriffvergleich (Artikelwachstum)

Zur Steuerung des Artikelwachstums durch Gerüste von Begriffslisten. Wer künstliche Korallenriffe bauen will, wirft Drahtgitter oder altgediente Schiffe ins Meer und schaut, dass die Viecher andocken.

Anhaltspunkte sind die

  • Liste "Fehlende Artikel", Listen erhöhen das immerhin um +1,
  • Routinebildung bei Listen (vgl. MdB-stubs)
  • lokale Vollständigkeitsansprüche versus globalem Unvollständigkeitshinweis

Webbenutzerdominanz

Wikipedia ist eine Enzyklopädie im Web. Webbenutzer sind typischerweise jünger und höhergebildet als der Bevölkerungsschnitt. Zudem lässt sich ein überproportionales Interesse an bestimmten Themen vermuten, die mit dem Medium Web bzw. Internet allgemein zu tun haben. Daher kann man auch vermuten, dass Wikipediaartikel keinen gerechten Blickwinkel auf das Wissen der Welt widerspiegeln, sondern einseitig bestimmte Themen dominieren.

Weiter eingrenzend muss man zwischen Benutzern und Mitverfassern unterscheiden. Mitautoren stellen eine besondere Gruppe unter Webnutzern dar. Es wäre interessant, die Motivation dieser letztgenannten Gruppe zu erforschen. Wahrscheinlich trifft der oftgenannte, alltagssprachlich verformte Begriff "Idealismus" nicht zu. Auch wenn die aktiven Benutzer unentgeltlich arbeiten, so finden sie ihre Belohnung in der Befriedigung von Bedürfnissen, die bei Maslow (Maslowsche Bedürfnispyramide) gut beschrieben werden (soziale Zugehörigkeit, soziale Anerkennung, Transzendenz, usw.)

Polarisierung

Wenn man unterstellt, dass jeder Benutzer vor allem die Artikel bearbeitet, deren Themenbereich er entweder besonders gut oder besonders schlecht findet, sich um andere Artikel eher nur am Rand kümmert, so ließe sich unterstellen, dass kein Artikel auf Dauer neutral formuliert sein kann, vielmehr immer besonders positiv oder negativ überspitzte Aspekte betont. Allerdings scheint diese Polarisierung sich eher nur auf ideologisch geprägte Themen zu beziehen, während andere davon offenbar eher unberührt bleiben.


Hypothesen aus Unsere Antworten auf Kritik

Die folgenden Hyothesen sind aus dem Artikel Wikipedia:Unsere Antworten auf Kritik entnommen. Ihre Richtigkeit ist wichtig dafür ob die Wikipedia funktioniert und sollte daher überprüft werden.

  • Es ist in der Praxis gewährleistet, dass Vandalismus sofort auffällt.
  • Jede unsinnige Änderung eines anonymen Users wird korrigiert, wenn sie entdeckt wird.
  • Jeder kann einschätzen, wann jemand anderes besseres geleistet hat und er gewährt diesem dann Vorrang.
  • Texte, die von etlichen Leuten beobachtet und ggf. überarbeitet werden, weisen meist weniger Fehler auf, als solche, die nur von einer kleinen Redaktion bearbeitet wurden.


Versuch einer gegliederten Theoriebildung

Die Wikipedia als Instrument zur kollektiven Wissenskonstruktion

Ausgangspunkt

Im 19. und 20. Jahrhundert war die Wissenschaft durch die Herrschaft einer kleineren Gruppe von Experten (Forscher, und Lehrer) geprägt, die Wissen mühsam und meist in Einzelarbeit zusammenstellten, um es an ausgewählte, meist unkritische Abhängige weiterzuleiten. Schüler, Studenten und sonstige Belehrte maßten sich nicht an, das vom Experten präsentierte Wissen anzuzweifeln oder gar verändern zu wollen. Sie waren also nicht aktiv an der kollektiven Konstruktion von Wissen beteiligt. Auf diese Weise blieb das Wissen statisch, es gingen wertvolle Ressourcen verloren. Noch vor 10 Jahren war der Denkprozess aller Beteiligten stets durch Kommunikationshemmnisse eingeengt. Selbst Forscher, die gerne interagierten, mussten sich mit der Langsamkeit der Kommunikationsmittel abfinden. Der kollektive Denkprozess, sofern man davon sprechen kann, war extrem langsam, der einzelne Forscher musste auf Impulse warten, bevor er an einem Problem weiterarbeiten konnte. Wenn man die Interaktion von Forschern mit der Interaktion von Neuronen im Gehirn als Metapher benutzt, so war diese Interaktion von der Menge, der Vernetztheit und der Geschwindigkeit her mit der Interaktion im Gehirn eines Bandwurms vergleichbar. Selbst das Denken des Einzelnen wurde verlangsamt, weil er auf neue Impulse seiner Kollegen warten musste.

Neue Kommunikationsmittel leiten Paradigmenwechsel ein

Seit der Verbreitung des Internets hat eine exponentielle Vermehrung der Vernetztheit, der Geschwindigkeit und der Neuronenpopulation stattgefunden. Allerdings musste eine Architektur gefunden werden, bei der die Energien der Neuronen und ihrer Interaktionen auf ein Ziel hin fokussiert werden konnte, nämlich auf die Konstruktion von Wissen, wie es auch die Aufgabe des Gehirns im Organismus ist.

Die Wikipedia bietet Struktur für intensive kollektive Reflexion

Die Wikipedia, die die Beteiligung aller intellektuellen Ressourcen in der Welt ermöglicht, bietet diese Architektur an. Allerdings müssen die Neuronen diese Gehirnachitektur auch erkennen und nutzen können. Der Paradigmenwechsel vom alten Wissenschaftssystem zum neuen besteht darin, dass die als Wissen präsentierten Artikel nicht den Status unantastbarer Wahrheit beanspruchen, wie es im alten Wissenschftsbetrieb war, sondern ganz im Gegenteil: da die Autoren Laien sind, fühlen sich die Benutzer aufgefordert, an den Texten kritisch mitzuarbeiten, weil sie den Autoren nicht von Anfang an einen Wissensvorsprung zubilligen. Erst durch die wissenschaftliche Gleichstellung aller Benutzer wird ermöglicht, dass vorhandenes Wissen - auch Laienwissen - in die Enzyklopädie eingebracht wird. Schließlich bewirkt die Tatsache, dass die einzelnen Teilnehmer an der gemeinsamen Wissenskonstruktion beteiligt sind, eine Wachheit im Alltag, eine selektive Aufmerksamkeit für Wissen in der realen Welt, die andere Menschen nicht in diesem Maße aufbringen, weil ihnen der Absatz für diese Denkleistungen fehlt. Diese neue Form der Wissenskonstruktion leitet den Übergang zu einer Wissensgesellschaft ein, die diesen Namen wirklich verdient.

Konsequenzen

Wenn es so ist, so gibt es zwei Ebenen, auf denen die Qualität des Wikipediagehirns optimiert werden kann:

  • Die Architektur des Wikipediagehirns

Das Wikipediainstrument als solches ist bereits sehr leistungsfähig. Die Möglichkeit, zu jeder Ebene stets eine Metaebene zu schaffen, entspricht der Struktur des Gehirns, bei dem Metaschichten aus Neuronenkonstellationen stets aufeinandergelegt werden können. Ferner sorgen Wikietiketten und sonstige Verhaltenscodizes dafür, dass die einzelnen Neuronen in ihren Interaktionen flüssig bleiben und der Interaktionsfluss nicht allzuoft durch Störungen gehemmt wird.

  • Die Qualität der einzelnen Neuronen (Benutzer)

Die Benutzer könnten die Machtelite von morgen bilden. Die aktive Teilnahme an der gemeinsamen Wissenskonstruktion im Rahmen der Wikipedia könnte zu folgenden Verhaltensänderungen führen:

a) Das Kommunikations- und Interaktionsverhalten wird optimiert, weil Verhaltensregeln herrschen, die für die Kommunikation dienlich sind. Freundlichkeit, Empathie, Solidarität sichern einen raschen, befriedigenden Kommunikationsfluss. Allerdings scheint es, dass die Wikipedianer gegenwärtig noch an diesem Punkt arbeiten (müssen). Das könnte daran liegen, dass sie zu wenig Zeit in die theoretische Reflexion investieren und auf diese Weise die Chancen, die in der Wikipedia für die Entwicklung der Wissenschaft - und für die Entwicklung der Wikipedianer selbst - stecken, nicht erkennen (siehe "Ein tolles Instrument von Idioten beherrscht?" Benutzer Diskussion:Elian)
b) Die "Intelligenz" der Benutzer, verstanden als Menge und Vernetzung von Wissen und Denkgeschwindigkeit, könnte exponentiell wachsen, denn im Gegensatz zur realen Welt, wo das Denken permanent unterbrochen wird, kann im Rahmen der Wikipedia kontinuierlich kollektiv nachgedacht werden. Allerdings scheint es, dass im Augenblick der "Cortex" als Instanz, die die kollektive Reflexion organisiert und ihr ein Ziel gibt, noch nicht stark genug ausgebildet ist (siehe a)).
c) Da alle Benutzer über ähnliche Erfahrungen und Verhaltensweisen auf Grund ihres "Wikipedialebens" verfügen, reduziert sich der Explikationsbedarf, was die Geschwindigkeit des kollektiven Denkens fördert. Das merkt man am besten, wenn man mit "Internetverweigerern" in der realen Welt spricht. Hier wird man stets aufgehalten durch Einwände, die keine Relevanz besitzen, wie das Problem des Informationsmülls oder der Spamflut. Auch wenn diese Fragen legitim sind, wer im Rahmen der Wikipedia arbeitet, kennt die Lösungen und möchte zügig zur Diskussion echter Weltprobleme überleiten.
d) Schließlich lernen die aktiven Wikipediabenutzer - insbesondere die Administratoren - wie man große Mengen von Informationen zügig verarbeitet.

Ähnliche Strukturen in der realen Welt

Die digitale Revolution diente nicht der ersten Explosion der realen Öffentlichen Meinung. Sieht man auf die vergleichbare Explosion zwischen 1750 und 1850 in Europa, so hat auch sie den Wunsch nach einem ‚allumfassenden‘, zusammenwachsenden enzyklopädischen Werk erzeugt - den dann ab 1818 in Deutschland die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste (der „Ersch und Gruber“) zu erfüllen unternahm. Als Printmedium diesem Anspruch nicht gewachsen, wurde sie 1889 mit dem Band 167 abgebrochen. Man kann sagen, Wikipedia sei der „Ersch und Gruber“ des 21. Jahrhunderts. Bedenkt man, wie wenige geistige Unternehmen ununterbrochen auch nur seit der Antike real bis heute [2009] fortgeführt worden sind (einige Religionen, wenige Staaten, keine Firmen), so wird ohne Zweifel auch die Wikipedia eines Tages erlöschen.

Im Rahmen der Methode Lernen durch Lehren wird seit 1980 ein Lehr- und Lernmodell erprobt, das ähnliche Merkmale aufweist wie die Wikipedia als Wissenskonstruktionsgebilde. Hier unterrichten sich die Schüler gegenseitig, so dass der Stoff, wie in der Wikipedia, nicht von unantastbaren Experten, sondern von Laien präsentiert wird. Auch hier wird das eingeführte Wissen von den Abnehmern in Frage gestellt und modifiziert, in der Hoffnung, dass das zu einem Zeitpunkt optimale Wissen im Rahmen der kollektiven Reflexion daraus entstehe.

Die Wikipedia als Organisation

Das Instrument Wikipedia wird von Menschen betrieben. Diese Menschen haben sich als bewusstes Ziel vorgenommen, eine Enzyklopädie zu erstellen. Sie verlangen für ihre erheblichen Leistungen keine materielle Vergütung. Insofern handelt es sich hier um ein Unternehmen, das von "idealistischen" Zielen geleitet wird. Die an der kollektiven Konstruktion von Wissen beteiligten Menschen bekommen ideelle Belohnungen (sozialer Anschluss, Anerkennung, Erhöhung des Selbstwertgefühls, usw.)

Defizite in der Theorierebildung führen zu Inadäquatheiten

In ihrer Mehrheit lehnen die Wikipediaakteure allzu vertiefte theoretische Reflexionen ab. Dies kann zu Inadäquatheiten führen. Insbesondere ist es denkbar, dass durch Mangel an theoretischer Reflexion nicht alle Möglichkeiten der Wikipedia ausgeschöpft werden.

I. Wikipedia und Wissenskonstruktion

1. Wissen entsteht dann, wenn Informationen sortiert, gewichtet, hierarchisiert werden. Die in der Wikipedia geleistete Arbeit ist also Wissensproduktion. Hypothese: Diese Einsicht hat noch keine Mehrheit unter Wikipedianern gefunden. Hier ein Beleg: Zahnstein (siehe Wikipedia Diskussion:Wikipedistik/Hypothesen: "Zum einen wird in der WP kein neues Wissen geschaffen, sondern nur vorhandenes zusammengefasst"

Dazu: Zusammenfassen und Ordnen von Wissensbausteinen ist "Neues Wissen" schaffen.

2. Jeder Mensch verfügt über Wissen, nicht nur Experten. Die Chancen, die Wikipedia bietet, ist dass das bisher unveröffentlichte Laienwissen für die Allgemeinheit erschlossen wird. Dieses Wissen reichert das stets von Versteinerung bedrohte "Expertenwissen" an und dynamisiert es. Hypothese: Diese Einsicht hat noch keine Mehrheit unter Wikipedianern gefunden. Hier ein Beleg (Zahnstein): "Wenn Hinz und Kunz ihre Texte umschreiben können, dann verflüchtigt sich das Expertentum."

Dazu: Breites Wissen kann nur entstehen, wenn Hinz und Kunz ihr unveröffentliches Wissen einbringen. Da sind Experten tendenziell ein Hindernis auf dem Weg zur gemeinsamen Wissensproduktion, weil sie allein durch ihren Status Interventionen von "Laien" erschweren.

3. Die traditionelle Form der Wissenschaft behindert eine effektive Nutzung der intellektuellen Ressourcen aller. Forscher und Wissenschaftler werden mit administrativen Aufgaben eingedeckt (darunter gehört auch der Zwang, über alles und überall zu publizieren). Neue Formen der kollektiven Wissenskonstruktion sind erforderlich. Die Wikipedia bietet diese Chance. Hypothese: Diese Einsicht hat noch keine Mehrheit unter Wikipedianern gefunden. Hier ein Beleg (Zahnstein): "Als Wissensschaftler ist man in Institutionen eingespannt, die gewisse Vorgaben machen (z.B. Zwang zum Publizieren, Gelder einwerben, Beamtenrecht, etc. )"

Dazu: Gerade diese Zwänge behindern Wissenschaft, gerade deshalb ist eine "Revolution" notwendig und Wikipedia wäre ein Instrument dazu.

II. Selbstorganisation

Nimmt man den Organismus als Metapher für ein sich selbst halbwegs organisierendes System, und vor allem innherhalb des Organismus das Nervensystem, so stellt man fest, dass, um die Selbstorganisation zu koordinieren, eine ordnende Instanz unabdingbar ist. So ist der Cortex (vereinfachend) zuständig für die Gesamtorganisation, insbesondere für die Entwicklung längerfristiger Ziele. Hypothese: Diese Einsicht hat noch keine Mehrheit unter Wikipedianern gefunden. Hier ein Beleg (Zahnstein): "Und bei der Frage der Optimierung, habe ich eine gewise Unsicherheit, ob ein selbstorganisierter Prozeß überhaupt optimierbar ist? Oder genauer: Wie optimiert sich so ein Prozeß selber?"

III.Reflexion über die eigene Motivation

Natürlich sperren sich Menschen, zumal Leute, die an der Hochschule arbeiten und daran gewöhnt sind, permanent zu "differenzieren", gegen "Vereinfachungen". Das hat den großen Nachteil, dass sie dadurch oft handlungsunfähig werden. Vor gut 60 Jahren hat Abraham Maslow eine Beschreibung menschlicher Grundbedürfnisse und Motivationen aufgestellt, die sehr brauchbar ist und heute noch - mit recht - als Referenz in allen Sozialwissenschaften benutzt wird (mit leichten Modifikationen - z.B. heute geht man nicht mehr von einer Bedürfnishierarchie aus). Hypothese: Diese Einsicht hat noch keine Mehrheit unter Wikipedianern gefunden. Hier ein Beleg (Saperaud): "Ich muss staunen, mehr nicht? Sabbernde Hunde und das wars? Diese These ist dünnes Eis und nur sinnvoll wenn man sie zerpflückt. Es gibt bei der WP Idealisten, Selbstdarsteller, Hobbyschreiber, Gelegenheitsschreiber, Selbstdarsteller, Rechtschreibfanatiker, Hausfauen, Wissenschaftler ...... es gibt so gut wie alles, nur lebende Untote und Ausserirdische sind mir bei der Wikipedia noch nicht begegnet."

Dazu: Nun lassen sich alle in diesem Beitrag beschriebenen Motivationen als Unterkategorien der Maslowschen Pyramide einordnen und somit "operationalisieren". Insbsondere der Begriff "Idealisten" ist sehr verführerisch, weil er positive Eigenschaften unterstellt und zu verhängnisvollen "Selbstidealisierungen" führt. Wenn man betrachtet, wie das tatsächliche Verhalten der Wikipedianer realisiert wird, sieht man, dass es keinen Anlass zur Selbstidealisierung gibt. Selbstidealisierende begründen gerne das positive Selbstbild durch den unterstellten altruistischen Charakter ihres Handelns. Inadäquat ist diese "falsche" Selbsttheorie deshalb, weil sie resistent gegen Kritik von außen macht und die Bereitschaft zur Verhaltensänderung schwächt. Besonders offensichtlich ist dieser Widerspruch wenn man die überraschende verbale Aggressivität mancher Wikipedia-Idealisten beobachtet. Es würde genügen, wenn man als Motiv für das eigene Wikipedia-Handeln (nach Maslow) folgende Bedürfnisse nennen würde: sozialer Anschluss, soziale Anerkennung, Bedürfnis nach Transzendenz (=etwas Sinnvolles tun). Das erspart einem die Selbstidealisierung.

IV. Fazit: Widerspruch zwischen Wikipedia als Instrument und unbewusster Theorie der User

In ihrer Mehrheit geben die Autoren der Wikipedia als Ziel ihrer Aktivitäten an, "nur eine Enzyklopädie, sonst nichts" aufbauen zu wollen. Eine vertiefte Reflexion über alle Implikationen dieses Prozesses wollen sie nicht angehen. Das führt zu Inadäquatheiten: die von den Betreibern aufgestellten Prinzipien orientieren sich im Wesentlichen an den Vorstellungen, die Enzyklopädien aus dem 19. und 20. Jahrhundert prägten (z.B. "Ausgewogenheit der Artikel"). Für die Erstellung einer auf Wikipedia-Technik aufbauende Enzyklopädie müssten aber ganz andere Prinzipien aufgestellt werden, die ein Ausschöpfen der neuen Möglichkeiten nicht nur erlaubt, sondern sogar fördert. Beispielsweise sollte die Exzellenz eines Artikels nicht nur nach Bebilderung, Aufbau und Stil bewertet werden, sondern auch nach dem Grad der Vernetzung mit anderen Artikeln, nach der Menge der Leute, die sich an der Erstellung beteiligt haben, nach der Menge und Qualität der Übersetzungen in andere Sprachen, nach der Menge der Zugriffe, nach der Präsentation des Artikels nach außen (Verweise in Web-Homepages auf den Wikipedia-Artikel) usw. Dies wiederum würde die Autoren anregen, die Vernetzungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen und einen Paradigmenwechsel auch im Denken der Benutzer einleiten. Wie es im Augenblick betrieben wird, könnte der Eindruck entstehen, dass Menschen aus dem 19.Jahrhundert mit großem Engagement und Können ein Instrument betreiben und pflegen, das für das 21.Jahrhundert konzipiert wurde. (Wohlgemerkt: das ist nur eine Hypothese).

WP-Administration als Feudalsystem?

Man muss zwischen der Wikipedia als Instrument zur kollektiven Wissenskonstruktion und der Wikipedia als Organisation unterscheiden. Die Wikipedia als Instrument funktioniert eher wie ein Gehirn. Die WP als Organisation zeigt dagegen Ähnlichkeiten mit dem Feudalsystem (nicht negativ gemeint). Das Feudalsystem entwickelte sich, als die zentrale Gewalt, die durch mächtige Herrscher ausgeübt war, zu zerfallen begann. Die zentralistische Verwaltungsstruktur wurde schrittweise ersetzt durch ein System von dezentralisierten Vertrauensbeziehungen und Abhängigkeitsverhältnissen.

Wie im Feudalsystem beruht die Arbeitsbeziehung der Administratoren auf Vertrauen

Im Feudalsystem beruhte die Kohäsion der Akteure auf Vertrauen (Truewe). Das war nur möglich in einem System, in dem die Akteure sich gegenseitig kannten, die Zahl also überschaubar war. Die WP-Administratoren bilden eine überschaubare Gruppe (150), wo das Vertrauenssystem noch funktionieren kann (sichtbar an den Vertrauenskundgebungen in den einzelnen Benutzerseiten). Im Sinne der Feudalstruktur kann beispielsweise gedeutet werden, dass interessante Diskussionen nicht auf einem "Marktplatz" geführt werden (beispielsweise in Wikipedia:Fragen zu Wikipedia), sondern in den Seiten von besonders prominenten Administratoren (auch wenn sie selbst gar nicht dabei sind). So kann es passieren, dass tagelang Benutzer sich auf der Seite von Benutzer:Elian austauschen, ohne dass sie selbst interveniert. Das erinnert an das Territorium eines Burgherrn, der Leute aus dem Umfeld in seiner Burg unter seinem Schutz aufnimmt, ohne selbst vielleicht in der Burg zu sein. Ähnliches geschieht, wenn Benutzer angegriffen werden: sie bitten um Hilfe bei Mächtigeren, also bei Administratoren. Das Hilfebegehren jedoch wird nach Interessenlage behandelt. Noch einmal: dies soll die Stuktur nicht verspotten oder kritisieren, sondern nur historisch tradierte Strukturmerkmale verdeutlichen. Eine weitere Plattform für Informations- und Meinungsaustausch bilden die Stammtische. Das System funktioniert ganz gut, allerdings nur solange die Akteure von der Menge her überschaubar bleiben. Ab einer bestimmten Größe funktioniert das System der Treue nicht mehr und die Beziehungen müssen verrechtlicht werden. Welche Lösung die WP zur Bewältigung des Problems der Unüberschaubarkeit finden wird, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall muss ein Ausgleich zwischen Integration (Gesamtsystem und dessen Verwaltung) und Differenzierung (kleinere, autonomere Einheiten) gefunden werden.

Einzelne, ungeklärte Entscheidungsfelder

Offenheit bringt mehr Vor- als Nachteile

These: Ein mögliches Defizit der Wikipedia wird durch die anonyme Mitarbeit ausgelöst. Während ein Anmeldezwang und die Angabe des Realnamens die Hemmschwelle heben könnte, die Wikipedia für Falschinformationen zu missbrauchen, können in der Wikipedia all diejenigen mitarbeiten, die Geschichte fälschen, Artikel sabotieren oder populärwissenschaftliche Meinungen als gesicherte Tatsachen integrieren möchten. Der fehlende wissenschaftliche Stil, stets Quellen anzugeben, tut sein Übriges. Oft vermögen nur echte Fachleute, die Fehler überhaupt als solche zu erkennen. Besonders schwer wiegt dieses Defizit, weil die Wikipedia im Web eine einmalige, quasimonopolistische Stellung einnimmt.

Gegenthese: Das Einmalige an der Wikipedia ist, dass die Offenheit des Systems Menschen anregt, ein Wissen einzubringen, dass sie sonst nicht veröffentlichen würden (hidden knowledge). Jede Anmeldungspflicht würde allein durch den Aufwand Leute davon abschrecken, ihr Wissen einzubringen. Die traditionnelle Wissenschaft krankt ja daran, dass der Zwang, jede auch noch so banale Behauptung zu belegen, den Gedankenaustausch sehr verlangsamt. Ich nehme lieber ein paar Fehlinformationen in Kauf (schließlich kann ich selbst diese Informationen noch einmal prüfen), als Leute durch bürokratische Hürden davon abzuhalten, ihr Wissen schnell der Öffentlichkeit zu "schenken".
Man kann die Hoffnung hegen, dass durch massive Anwerbung von Menschen, die ernsthaft an der gemeinsamen Konstruktion von Wissen interessiert sind, eine Eindämmung des Vandalismus stattfinden wird.
Zur Optimierung der Kommunikation innerhalb der Wikipedia würde mehr Offenheit (beispielsweise Veröffentlichung von Fotos in den Benutzerseiten) einen Plus darstellen. Als Korrelat dazu wäre eine Art Zerotoleranzregel für aggressives Verhalten einzuführen.

Geschwindigkeit kann kontraproduktiv sein

1. Geschwindigkeit bei Löschaktionen

Damit die Wikipedia wirklich funktioniert (Gehirnmodell: Geschwindigkeit und Vernetzung) müssen die Interventionen sehr rasch geschehen (so wie auch im Nervensystem die Interaktionen zwischen den Neuronen mit hoher Geschwindigkeit erfolgen). Gerade bei Löschaktivitäten besteht allerdings die Gefahr, dass wertvolle Inhalte vom Löscher gar nicht erkannt oder falsch verstanden und prompt gelöscht werden. Hier stehen sich zwei Prinzipien gegenüber: das Gebot der Geschwindigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Gebot, sich Zeit zu lassen, um Inhalte, die nicht sofort einzuordnen sind, nach ihrer Qualität zu prüfen. Hypothese: die Qualität der Wikipedia würde sich erhöhen, wenn die Wikipedianer den tendenziellen Widerspruch zwischen Geschwindigkeit und Gründlichkeit erkennen und angehen würden.

2. Wenig Nachhaltigkeit

Wikipedianer huschen von einem Thema zum anderen, von einem Gesprächspartner zum anderen und verfahren absolut unlinear. Das ist im Prinzip sinnvoll, denn auch das Gehirn funktioniert nicht linear. Es werden Informationen überall gepickt und erst im nachhinein in Kohärenz gebracht. Der Nachteil ist allerdings, dass wenig Aktionen konsequent durchgeführt werden können. Hat ein Benutzer einen Gesprächspartner für drei Interaktionen gewonnen und möchte dann auf dieser (noch dünnen) Basis eine Aktion aufbauen, so steht der Partner nach kurzer Zeit gar nicht mehr zur Verfügung, befasst sich mit ganz anderen Themen und gibt keine Antwort mehr. Betrachtet man, wie beispielsweise Elian mühsam an ihrem Artikel über die "Wikipedia" arbeitet und immer wieder durch unproduktive Aktionen behindert wird (z.B. "Kofferwortdiskussion"), so sieht man, wie nachhaltige Arbeit behindert wird. Hier sei Benutzer:Hans Bug zitiert:"(...)das Internet ist ein flüchtiges Medium, das nur "auf Zeit" gebaut ist, das nie auf die Ewigkeit baut). -- Hans Bug Neue Selbstgespräche 08:49, 25. Mär 2005 (CET)". Als Hypothese könnte formuliert werden: Durch mehr zielbezogene Nachhaltigkeit in den Beziehungen ist die Qualität der Wikipedia zu erhöhen. Hier ist ein Modell zu empfehlen, bei dem eine kurzfristige Verpflichtung zwischen Benutzern (Miniprojekt) zur Erstellung eines Artikels eingegangen wird.

Bürokratisierung anthropologisch bedingt

Wenn man davon ausgeht, dass das Bedürfnis nach Kontrolle aus phylogenetischen Gründen das alles überragende Handlungsmotiv ist, dann tendiert jeder Mensch - auch der Wikipedianer - seinen Lebensbereich unter Kontrolle zu bringen. Die Kontrollhandlungen entwickeln eine Dynamik, die nur dann zu regulieren ist, wenn man sich dieser Dynamik bewusst ist. Bezogen auf die Wikipedia bedeutet es, dass die Benutzer die größtmögliche Offenheit anstreben (soviele Menschen wie möglich müssen am Aufbau der Enzyklopädie wirken), aber aufgrund ihres Bedürfnisses nach Kontrolle (Komplexitätsreduktion, Raum überschaubar halten) Verfahren entwickeln, die im Widerspruch zum Ziel stehen. Das ist nicht typisch für die Wikipedia, sondern typisch für jede soziale Gruppe, insbesondere für Verwaltungen (Aktenzeichen, Beamtensprache usw.). Hier ein Beispiel: Liste der Abkürzungen (Netzjargon). Diese für Insider leicht zu beherrschenden Regeln und die entsprechende Sprache sind für Außenstehenden immer schwerer zu durchschauen. Hypothese: bezogen auf die Verhinderung eines Bürokratisierungsprozesses in der Wikipedia besteht ein Bedarf an vertiefter Reflexion über mögliche Widersprüche zwischen Zielen und Verfahren.

Starke Identifikation der Hauptautoren mit Artikeln steht im Widerspruch zur Offenheit

Zwangsläufig entsteht, wenn die Hauptautoren viel Wissen und Zeit in "ihre" Artikel investieren, eine starke Identifikation mit der eigenen Arbeit an diesen Artikeln. Jede Modifikation von außen wird - je nach Qualität - als Unterstützung oder als Angriff empfunden, mit den entsprechenden emotionalen Reaktionen. Einen bereits bestehenden Artikel wesentlich zu verändern, verlangt von den Neu-Dazukommenden viel Wissen und Energie, vor allem wenn sie nicht nur Details, sondern zentrale Aspekte verändern wollen. Das könnte zu einer gewissen Erstarrung der Artikel führen. Dies erklärt auch warum die meisten WP-Autoren lieber eigene Artikel verfassen als dass sie an schon bestehenden, mit Lücken behafteten Einträgen mitarbeiten würden.

Fortsetzung

Diese theoriebildenden Quasimonologe (zwei kleine Interventionen von RainerNase) werden auf Wikipedia:Wikipedistik/Theoriebildung fortgesetzt.

Weblink

Anmerkungen

  1. mit einem kleinen Beitrag von €pa zu 8.1.5