Winnetous Erben

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Deckelbild der Sascha-Schneider-Ausgabe von Winnetou IV aus dem Jahr 1910

Winnetous Erben ist der heute vom Karl-May-Verlag verwendete Titel für den ursprünglich Winnetou. 4. Band (kurz: Winnetou IV) genannten letzten vollendeten Roman Karl Mays. Es war dies gleichzeitig der letzte Band der „Gesammelten Reiseerzählungen“. In diesem Roman verarbeitete der Schriftsteller die Eindrücke seiner Amerikareise von 1908.

Entstehungsgeschichte

Der Roman erschien 1909/1910 in den Unterhaltungsbeilagen „Lueginsland“ der Augsburger Postzeitung. Gleichzeitig wurde das Manuskript in der Buchdruckerei Krais in Stuttgart gesetzt. May hat den Druck der Buchausgabe laufend kontrolliert, weil er gerade bei diesem Werk eine exakte Umsetzung des Manuskripttextes einforderte. Siebzehn Jahre nach Abschluss der ursprünglichen Winnetou-Trilogie erschien dann dieser vierte Teil und war zugleich eine Art Schlussstrich unter die gesamten Abenteuer Old Shatterhands in Nordamerika. Der Karl-May-Verlag änderte 1914 den Titel, weil der ursprüngliche die Leser eine Abenteuergeschichte im alten Stil des Autors erwarten ließ.[1]

Inhalt

Der inzwischen über 60-jährige Old Shatterhand bekommt daheim in seiner Villa in Radebeul mehrere Briefe, unter anderem von den Söhnen Old Surehands und Apanatschkas. In ihnen wird er über den bevorstehenden Bau eines Winnetou-Denkmals informiert und dazu eingeladen. Um sich die Sache anzuschauen und gegebenenfalls zu verhindern, macht er sich mit seiner zweiten Frau Klara, dem „Herzle“, auf.

Auf ihrer Reise durch den kaum noch „wilden“ Westen (das „Herzle“ darf in einem mitgebrachten Zelt schlafen) werden sie von einem guten Freund und ehemaligen Westmann Max „Maksch“ Pappermann begleitet. Unterwegs treffen sie auf den „Jungen Adler“ und die beiden Söhne Santers, die ihn zu Beginn des Romans bereits in Deutschland aufsuchten. Dabei findet Old Shatterhand das eigentliche Testament Winnetous, indem er tiefer in dem Loch gräbt, das er bereits in Winnetou III gegraben hat und wo er die „Schatzkarte“ fand, die schließlich von Santer zerstört wurde. Old Shatterhand gelingt es schließlich, die Anhänger Winnetous von der Oberflächlichkeit und Unehrlichkeit des Denkmals zu überzeugen, dessen Fertigstellung scheitert. Im Nachwort wird aber ein Denkmal in New York City angekündigt, „als ein Sinnbild dafür, daß das Volk Amerikas trotz aller der roten Rasse zugefügten Ungerechtigkeiten die edlen Eigenschaften der Ureinwohner Amerikas vollauf würdigt“.[2]

Des Weiteren versöhnt sich Old Shatterhand mit vielen seiner alten Feinde (z. B. Tatellah Satah). Alles in allem ist der Roman viel verklärter als seine Vorgänger. Das Motiv „Friede und Versöhnung“ steht im Vordergrund. Es ist von einem „Clan Winnetou“ die Rede, dessen Mitglieder den Namen eines von ihnen zu beschützenden unter einem zwölfstrahligen, gelben Stern auf der Brust tragen. In der Entstehungsgeschichte dieses Clans wird auch von Marah Durimeh gesprochen, einer alten, katholischen und ziemlich geheimnisvollen Königin, die eigentlich nur in den Orient-Erzählungen von Karl May vorkommt.[3] Den amerikanischen Ureinwohnern ist sie als Königin Marimeh bekannt. Ihre Kenntnis wird auf die ehemalige Landbrücke zwischen Asien und Nordamerika zurückgeführt, über die vor Jahrtausenden Boten aus dem Reich Dschinnistan gekommen seien.[4]

Textbearbeitungen

Ein Team von Hausautoren des Karl-May-Verlages, geleitet vom Verlagsmitbegründer Euchar Albrecht Schmid und von Franz Kandolf, erarbeitete bis 1935 eine Umgestaltung des Textes. Neben Stilglättungen griffen sie aus Unkenntnis stark in die Symbolik des Werkes ein. So wurde Max Pappermann, von der May-Forschung später als Alter Ego Mays entschlüsselt, in die „Verkehrten Toasts“, Dick Hammerdull und Pitt Holbers umgewandelt. Außerdem beantworteten sie einige noch offene Fragen, wie zum Beispiel Tante Droll und Sam Hawkens ums Leben kamen. Erst 1960 wurde in einer Rückbearbeitung durch Hans Wollschläger der ursprüngliche Text wiederhergestellt.[1][5] Die Änderungen von Otto Eicke[6] im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie wurden dabei ebenfalls eliminiert.

Beurteilung

„In Winnetou IV wirkt es ein wenig so, als müssten den langen, mühsamen Weg der Menschheitsgeschichte allein die Männer gehen. Die Frauen – Personifikationen der Güte, die sie sind – scheinen irgendwie schon lange auf dem rechten Pfad des Edelmenschentums angekommen zu sein, wenn sie ihn denn je verlassen haben. Das weibliche Prinzip ist immer einfach da und wartet darauf, bis das männliche endlich seine ,pubertären Irrwege‘ fertig gegangen ist. Schließlich begegnen uns in Winnetou IV vielerlei Typen der Männlichkeit: der greise Patriarch Tangua und die übrigen tyrannischen Althäuptlinge; die ins kapitalistische System abgedrifteten (Ex)Heroen und erfolgreichen Unternehmer Old Surehand und Apanatschka; ihre fehlgeleiteten Künstlersöhne[7], die einem vereinfachten, pseudo-heldischen Männlichkeitsideal anhängen; der verweichlichte, von den Weißen korrumpierte Halb-Sioux mit dem sprechenden Namen ‚Mädchen’[8]; die arroganten Akademiker, die Winnetou ein falsches Denkmal errichten wollen[9]; die beiden Söhne des Mörders Santer, die das tödliche väterliche Erbe der Gier mit sich tragen[10]; und die ,neuen‘, geläuterten Männer von dem alten Medizinmann Tatellah-Satah[11] über Old Shatterhand bis hin zu Junger Adler[12], der nicht mehr mit Waffen, sondern mit Wissen kämpft. Im Gegensatz zu dieser ,männlichen Vielheit‘ existiert in Winnetou IV, wenn man genau hinsieht, eigentlich nur eine Art von Frau: Egal, ob Kolma Puschi, Kakho-Oto[13], Mutter[14] und Tochter Aschta[15] oder sogar Shatterhands Herzle – sie alle sind Reinkarnationen von Nscho-tschi, ‚die stets Erbarmen war’. Die einzelnen Frauengestalten sind lediglich unterschiedlich weit auf dem Weg zur Edelmenschin fortgeschritten, aber die liebende Güte verkörpern sie alle.

Am eindringlichsten wird diese weibliche Konstanz durch das Mutter-Tochter-Paar der beiden Aschtas symbolisiert. Die jüngere ,Güte‘ trägt nicht nur denselben Namen wie ihre Mutter, sondern sie ist ihr genaues Ebenbild, sowohl äußerlich als auch vom Charakter her. Sie begeht sogar genau die gleichen (sakralen) Handlungen wie die Mutter, als würde sich in ihrer Gestalt die Zeit in einem mythischen Zyklus immer und immer wiederholen. Das ‚Ewig-Weibliche‘, wie es sich in den Aschtas manifestiert, ist ewig gleich und ewig gut. Alle männlichen Bemühungen um Läuterung dagegen müssen erst in dem ‚vollendeten neuen Mann‘ münden, bevor die Utopie Gestalt annehmen kann. Dieser neue Mann ist Junger Adler, der Schüler der Medizinmänner Tatellah-Satah und Wakon[16] (Vater der jüngeren Aschta), der Verwandte Winnetous und Reisegefährte Old Shatterhands. Seine Liebesbeziehung mit Aschta, der Tochter, versinnbildlicht seine Vervollkommnung durch die Vereinigung mit dem weiblichen Prinzip und gleichzeitig den wahren Beginn der Utopie.“

Katharina Maier: Winnetous Erbinnen, 2012[17]

Trivia

Mit dem Crazy Horse Memorial existiert tatsächlich ein unvollendetes und ebenfalls umstrittenes Denkmalprojekt zu Ehren eines indianischen Anführers.

Werkausgabe

  • Karl May: Winnetous Erben. Band 33, Gesammelte Reiseerzählungen, Karl-May-Verlag, Bamberg 1960.

Literatur

  • Siegfried Augustin: Die frühen Mitarbeiter des Karl-May-Verlages. In: Lothar und Bernhard Schmid (Hrsg.): Der geschliffene Diamant. Die Gesammelten Werke Karl Mays. Karl-May-Verlag, Bamberg/Radebeul 2003, ISBN 3-7802-0160-7, S. 307–340.
  • Wolfgang Hermesmeier, Stefan Schmatz: Entstehung und Ausbau der Gesammelten Werke. Eine Erfolgsgeschichte seit 100 Jahren, in: Der geschliffene Diamant, Karl-May-Verlag, Bamberg/Radebeul 2003, ISBN 3-7802-0160-7, S. 341–486, bes. S. 390 f.
  • Peter Hofmann: Der Streit um das wahre Bild. Karl Mays „Winnetou IV“ als Idolatriediskurs, in: Jb-KMG 2017, S. 249–278.
  • Christoph F. Lorenz: Von der Juweleninsel zum Mount Winnetou. Anmerkungen zu drei Textbearbeitungen. In: Der geschliffene Diamant, Karl-May-Verlag Bamberg/Radebeul 2003, S. 209–262, bes. S. 240 ff.
  • Katharina Maier: Winnetous Erbinnen, in: dies.: Nscho-tschi und ihre Schwestern. Frauengestalten im Werk Karl Mays, Bamberg/Radebeul: Karl-May-Verlag 2012, S. 194–204.
  • Hartmut Vollmer: Marah Durimeh oder Die Rückkehr zur „großen Mutter“, in: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): Karl May, München: edition text + kritik 1987, S. 158–190, bes. S. 186.
  • Hermann Wohlgschaft: Die „größte Macht der Erde“. Das ‚ewig Weibliche‘ in den Spätwerken Karl Mays, in: Jb-KMG 2006, S. 267–307 (Onlinefassung).
  • Dieter Sudhoff: Karl Mays "Winnetou IV". Studien zur Thematik und Struktur. Ubstadt: Karolus (Materialien zur Karl-May-Forschung 6) 1981. (Onlinefassung)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Wolfgang Hermesmeier, Stefan Schmatz: Entstehung und Ausbau der Gesammelten Werke ..., 2003, S. 390 f.
  2. Karl May: Winnetous Erben. Bamberg: Karl-May-Verlag, ISBN 3-7802-0533-5, S. 318.
  3. Hartmut Vollmer, Marah Durimeh ..., 1987, S. 186.
  4. Karl May: Winnetous Erben. Bamberg: Karl-May-Verlag, ISBN 3-7802-0533-5, S. 142.
  5. Christoph F. Lorenz: Von der Juweleninsel zum Mount Winnetou ..., 2003, S. 240–259.
  6. Siegfried Augustin: Die frühen Mitarbeiter des Karl-May-Verlages ..., 2003, S. 332.
  7. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Young_Surehand; http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Young_Apanatschka
  8. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Antonius_Paper
  9. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Mount_Winnetou
  10. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Hariman_Enters; http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Sebulon_Enters
  11. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Tatellah-Satah
  12. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Junger_Adler
  13. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Kakho-oto
  14. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Aschta_die_Ältere
  15. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Aschta_die_Jüngere
  16. http://www.karl-may-wiki.de/index.php/Wakon
  17. Katharina Maier: Winnetous Erbinnen ..., 2012, S. 199.