Zehn kleine Negerlein

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Datei:TenLittleInjuns1868.png
Ten Little Injuns von 1868
Datei:Frank Green TLN 1869.jpg
The Ten Little Niggers von Frank J. Green von 1869

Zehn kleine Negerlein ist ein Lied in Form eines Zählreims, das in seinen zahlreichen Varianten in der Regel zehn Strophen enthält, in denen jeweils ein „Negerlein“ stirbt oder verschwindet. Es basiert auf dem US-amerikanischen Lied Ten Little Injuns aus dem Jahr 1868.

Da der Begriff „Neger“ ungefähr seit den 1980er Jahren als abwertend und rassistisch empfunden wird, steht der Zählreim seither den Konventionen von politischer Korrektheit entgegen.[1]

Geschichtlich stand am Anfang die Liedform, gefolgt von Kinderbüchern und später von abgeleiteten Liedern. Den Text des Zählreims gibt es in zahlreichen Versionen, die nicht immer von „Negerlein“ handeln. Zudem gibt es auch Variationen des Endes: In manchen sind am Schluss alle zehn verschwunden, in anderen sind sie, in der Regel durch Heirat, wieder vollzählig.

Geschichte

Das Lied Zehn kleine Negerlein geht auf das US-amerikanische Lied Ten Little Injuns von Septimus Winner (1827–1902) aus dem Jahr 1868 zurück. Das Wort Injuns ist eine Verballhornung des englischen Worts Indians für Indianer, von denen das Lied ursprünglich handelte.

Beide Lieder wurden ab 1868 bzw. 1869 in Form von Kinderbüchern auf den Markt gebracht. Die ältesten deutschen Ausgaben erschienen erst eine Generation später ab 1885. Durch das zeitliche Zusammenfallen mit der Berliner Kongokonferenz um die Aufteilung Afrikas werden die kleinen Negerlein oft mit dem deutschen Kolonialismus in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht.

Schon 1869 wurde es, möglicherweise von Frank J. Green, zu Ten Little Niggers umgereimt. Diese Fassung wurde zum Standardrepertoire der US-amerikanischen Blackface-Minstrel-Shows, in denen Weiße mit dunkel bemaltem Gesicht Schwarze nachspielten. Eine bekannte Blackface-Gruppe der Zeit, die Christy’s Minstrels, brachten die Ten Little Niggers nach Großbritannien, von wo sie europaweite Verbreitung fanden. Auch im Song Sweet Black Angel (1972) der englischen Band The Rolling Stones ist das Lied rezipiert („Ten little niggers sittin’ on wall […]“).

Bekannt wurde das Lied als Grundlage für den Roman Und dann gab’s keines mehr von Agatha Christie.

Texte

Der Text der ersten englischen Version von Septimus Winner (1868) ist unter dem Titel Ten Little Injuns bekannt. Hier ist die bekanntere Version von Frank Green (1869) dokumentiert.

Erste deutsche Version von F. H. Benary (1885)

Zehn kleine Negerknaben schlachteten ein Schwein;
Einer stach sich selber tot, da blieben nur noch neun.

Neun kleine Negerknaben, die gingen auf die Jagd;
Einer schoss den andern tot, da waren’s nur noch acht.

Acht kleine Negerknaben, die gingen und stahlen Rüben;
Den einen schlug der Bauer tot, da blieben nur noch sieben.

Sieben kleine Negerknaben begegnen einer Hex’;
Einen zaubert sie gleich weg, da blieben nur noch sechs.

Sechs kleine Negerknaben gehn ohne Schuh und Strümpf;
Einer erkältet sich zu Tod, da blieben nur noch fünf.

Fünf kleine Negerknaben, die tranken bayrisch’ Bier;
Der eine trank, bis dass er barst, da waren’s nur noch vier.

Vier kleine Negerknaben, die kochten einen Brei;
Der eine fiel zum Kessel rein, da blieben nur noch drei.

Drei kleine Negerknaben spazierten am Bau vorbei;
Ein Stein fiel einem auf den Kopf – da blieben nur noch zwei.

Zwei kleine Negerknaben, die wuschen am Nil sich reine;
Den einen fraß ein Krokodil – da blieb nur noch der eine.

Ein kleiner Negerknabe nahm sich ’ne Mama;
Zehn kleine Negerknaben sind bald wieder da.

Version von Frank Green

Ten little Niggers going out to dine,
One choked his little self and then there were nine.

Nine little Niggers staying up too late,
One overslept himself and then there were eight.

One little, two little, three little, four little, five little Niggers,
Six little, seven little, eight little, nine little, ten little Niggers.

Eight little Niggers going into Devon.
One said he’d stay here and then there were seven.

Seven little Niggers chopping up sticks,
One chopped himself in half and then there were six.

Six little Niggers playing round a hive,
One bumble-bee stung one and then there were five.

Five little Niggers going in for law,
One got in Chancery and then there were four.

Four little Niggers going out to sea,
A red herring swallowed one and then there were three.

Three little Niggers visiting the Zoo,
A big bear hugged one and then there were two.

Two little Niggers playing in the sun,
One got shrivelled up and then there was one.

One little Nigger living all alone,
He got married and then there were none.

Melodie

Die im Deutschen häufig verwendete Melodie weicht deutlich von Ten Little Injuns ab:[2]

Die Version von LilyPond konnte nicht ermittelt werden:

sh: /usr/bin/lilypond: No such file or directory

Rezeption

Kinderbücher

[[Hilfe:Cache|Fehler beim Thumbnail-Erstellen]]:
Das Lied als Erziehungshilfe: „Ohne Schuh’ und Strümpf’ ergibt Erkältung“

Zehn kleine Negerlein ist ein Kinderbilderbuch, das sich über mehr als 100 Jahre weltweit ausbreitete; es erschien in mindestens 345 Editionen in 16 Ländern; nach der Zahl der Editionen am stärksten verbreitet in GB (104), Deutschland (96), USA (54), Niederlande (50), Österreich (13), Schweden (8), Schweiz (6), Australien (4), Frankreich (3), Neuseeland, Kanada, Palästina, Dänemark, Island, CSR, China (je 1). In Deutschland handelt es sich um das verbreitetste jemals gedruckte Kinderbuch.[3]

Datei:Gareis - Die 12 Negerlein Umschlag.jpg
Es gab auch Reime mit 12 (Fritz Gareis, 1910)

Nur einige der ältesten deutschen Fassungen zwischen 1890 und 1920 weisen 12 Szenen auf; dies geschah in Anlehnung an die Münchener Bilderbogen und die Fliegenden Blätter. Eine undatierte Darstellung von vermutlich 1890 aus dem Robrahn-Verlag Magdeburg wurde als Bilderbogen mit drei Reihen und je Reihe vier Szenen gestaltet, um ein rechteckiges Format zu gewährleisten. In den 1960er Jahren erschienen neben den zehn auch sechs, fünf und vier kleine Negerlein.

Lieder (Auswahl)

Verhältnis zum jiddischen Lied Tsen Brider

Ein jiddisches Volkslied von 1901 aus Sankt Petersburg behandelt die Tsen Brider (Zehn Brüder), die beim Handel mit zehn verschiedenen Waren nacheinander umkommen, weil sie – wie erst in der letzten Strophe offenbart wird – zu wenig zu essen haben. Die Melodie von Tsen Brider weicht von der Melodie zu Zehn kleine Negerlein ab. Sie ist melancholisch und der Refrain fehlt. Weiterhin konnten keine Verbindungen zwischen den Liedern nachgewiesen werden, weshalb ein direkter Zusammenhang als „möglich, aber unwahrscheinlich“ gilt.[5] Die Tsen Brider wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von einer ganzen Reihe deutscher Liedermacher neu bearbeitet und aufgeführt.[5]

Literatur

Literatur

  • Vera Ferra-Mikura: Die zehn kleinen Negerlein. 1958
  • James Krüss: Zehn kleine Negerlein. Eine musikalische Reise durch die Welt und das Einmaleins. 1963
  • Thomas Freitag: Fällt ein Negerlein vom Dach herab. Das ganze Elend im Kinderlied. Regia Verlag, 2009, ISBN 978-3-939656-84-5

Fachbücher, Aufsätze

  • Wulf Schmidt-Wulffen: Die „Zehn kleinen Negerlein“. Zur Geschichte der Rassendiskriminierung im Kinderbuch. LIT-Verlag, Münster 2010, ISBN 978-3-643-10892-0 (englisch: Wulf Schmidt-Wulffen: ‘Ten Little Niggers’ and ‘Zehn kleine Negerlein’. Racism in a Globalised Children’s Book: A German Point of View. LIT-Verlag, Zürich 2012)
  • Juliane Kaune, Insa Hagemann: Der Professor und die „Negerlein“. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 24. Februar 2014, S. 11

Siehe auch

Weblinks

Commons: Zehn kleine Negerlein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Von Negerküssen und Mohrenköpfen. Abgerufen am 29. Mai 2022 (österreichisches Deutsch).
  2. Dorothee Kreusch-Jacob: Ravensburger Lieder-Spielbuch für Kinder: über 70 Lieder und Verse zum singen und spielen. Otto Maier, Ravensburg 1978, ISBN 3-473-37409-1.
  3. Wulf Schmidt-Wulffen: Die „Zehn kleinen Negerlein“. Zur Geschichte der Rassendiskriminierung im Kinderbuch. LIT-Verlag, Münster 2010.
  4. Time To Time - 10 Kleine Negerlein. Abgerufen am 6. September 2020.
  5. a b Wolfgang Martin Stroh: „Tsen brider sajen mir gewesen“ – Der besondere Humor jiddischer Musik und dessen Erscheinungsformen in Deutschland. In: Ares Rolf, Ulrich Tadday (Hrsg.): Martin Geck. Festschrift zum 65. Geburtstag. Klangfarben Musikverlag, Dortmund 2001, ISBN 3-932676-07-6, S. 371–392.