Ziran

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Ziran (Chinesisch: 自然; Pinyin: zìrán, Wade-Giles: Tzu-yen, Koreanisch: 자연, Japanisch: 自然 (じ ね ん · し ぜ ん, jinen shizen)) ist ein Schlüsselbegriff des Daoismus, der wörtlich „Selbst-so; so-aus-sich-heraus; von-selbst-so“[1] bedeutet, bzw. in anderen Zusammenhängen „natürlich; spontan; selbstverständlich; freiwillig; sicherlich; zweifellos.“[2] Das chinesische Wort ist eine Zwei-Zeichen-Verbindung zi (自) „Nase; Selbst; von; seit; aufgrund“ und ran (然) „richtig; korrekt; so; ja“, welches Letztere als Suffix benutzt wird um Adjektive oder Adverbien zu bezeichnen (ähnlich wie das englische „-ly“). In der chinesischen Kultur ist die Nase eine verbreitete Metapher für die subjektive Ansicht einer Person.[3]  

Herkunft

Das Wort Ziran kommt im Daodejing vor (Kapitel 17, 23, 25, 51) und bezieht sich auf die Struktur des Dao, die nicht wieder durch etwas anderes bezeichnet werden kann. Ziran ist ein zentraler Begriff des Daoismus, der eng mit der Praxis der Wuwei, „mühelose Aktion“ oder „absichtsloses Handeln“ verknüpft ist.[4] Ziran kann der positiven Seite des Dao zugeordnet werden im Gegensatz zu Wuwei als der negativen Seite des Dao zugehörig. Ziran bezieht sich auf einen Zustand von Einfachheit, „Wie-es-ist-heit“ („So-seiend-heit“)[5], die wichtigste Qualität, die es für einen Daosucher zu erreichen gilt. Um dem Zustand von Ziran näher zu kommen, muss man sich von unnatürlichen Einflüssen separieren und zu einem völlig natürlichen, spontanen Zustand zurückkehren.  

Interpretationen

Ziran wurde, seiner – aufgrund des ihm inhärenten Semreichtums – jeder definitorischen Eruierung widerstrebenden Bedeutungsstruktur entsprechend, im Laufe der Zeit unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten zu interpretieren versucht. Am häufigsten wurde es als ein Muster ausgelegt, dem (gemäß Kapitel 25 des Daodejing) das Dao folgt, daraufhin dem Dao der Himmel, diesem die Erde und schließlich der Mensch. Wangs moderne Übersetzung eliminiert bzw. unterschlägt den – vom Autor des Daodejing möglicherweise bewusst in Kauf genommenen – logischen Bruch, der in der Kollision des letztlich arbiträren „Sich-nach-etwas-(außerhalb seiner selbst)-Richtens“ mit dem naturgemäßeren „Nach-sich-selbst-Richten“ begründet liegt.[6] Wagner hat darauf hingewiesen, dass gerade die offenkundige Darstellung dieses Bruchs in Kapitel 25 des Daodejing „die Aufhebung jeglicher Hierarchie, Kausalität und Sukzession (…) in der Identität“ den wesentlichen Punkt im Ziran-Konzept charakterisiere.[7] Dies könne als Ausprägung mystischer Strukturmuster verstanden werden: Es finde sich in der Darstellung der Abhängigkeiten in Daodejing 25 sowohl „ein Analogon zum ’Mystischen Stufenweg’, dem sukzessiven Übergang in die Absolutsphäre, [als auch] im abrupten Abbrechen (…) ebenjener Sukzession (…) eine Vergegenwärtigung [von] Transkategorialität.“[8]

Existieren durch Ziran

Wing-Chuek Chan bietet eine weitere Übersetzung von Ziran: „Es ist so von sich aus, aus seiner eigenen Eigenschaft.“[9] Darin liegt ein Hinweis auf eine andere daoistische Annahme, nämlich dass die unzähligen Dinge aufgrund der ihnen eigenen Qualitäten existieren und nicht etwa, weil sie geschaffen wären, um einen Zweck zu erfüllen. Das einzige, was ein Ding oder Lebewesen sein muss, um in Übereinstimmung mit Ziran zu existieren, ist völlig natürlich, unaffiziert von künstlichen Einflüssen.   

Weitere Informationen

Ziran und Tianran sind verwandte Konzepte. Tianran bezieht sich auf eine Sache, die durch den Himmel geschaffen ist und die letztlich unberührt von menschlichen Einflüssen ist, und kennzeichnet somit eine Sache, die auch durch Ziran gekennzeichnet ist. Die beiden Begriffe werden manchmal synonym verwendet.[10] Man könnte sagen, eine Person, die Ziran erreicht, nähert sich dem Zustand von Tianran an. Ziran wurde auch buddhistisch als „nicht-substantiell“ oder „ohne Selbstnatur“, also als Synonym der Leerheit interpretiert.[11]  

Literatur

  • Xiaogan Liu: On the concept of naturalness (Tzu-jan) in Lao Tzus Philosophy. In: Journal of Chinese Philosophy 25 (1998), S. 422–446.
  • Hermann-Josef Röllicke: Selbst-Erweisung: Der Ursprung des ziran-Gedankens in der chinesischen Philosophie des 4. und 3. Jhs. v. Chr. Frankfurt/Main (usw.), 1996.
  • Markus Maria Wagner: Ziran und Isticheit: Selbstursprünglichkeit bei Laozi und Meister Eckhart. In: Adelheid Herrmann-Pfandt (Hrsg.): Moderne Religionsgeschichte im Gespräch. Festschrift für Christoph Elsas. Berlin 2010, S. 525–542.
  • Rui Zhu: Lao-zi, Zhuang-zi and the aesthetic judgement. In: Asian Philosophy, 12 (2002), S. 53–63.

Weblinks

  • Markus Maria Wagner: Natürlichkeit und der Nutzen des Nutzlosen in daoistischen Klassikern. PDF-Version, abgerufen am 20. August 2014.
  • Qingjie James Wang: „It-self-so-ing“ and „Other-ing“ in Lao Zi's Concept of Zi Ran. Hong Kong; WebVersion, abgerufen am 20. August 2014.
  • Günter Wohlfart: Ziran – das altchinesische Konzept von Natur-Freiheit und der Westen PDF-Version, abgerufen am 20. August 2014.

Einzelnachweise

  1. „self so; so of its own; so of itself“, s. Edward G. Slingerland: Effortless action: Wu-wei as conceptual metaphor and spiritual ideal in early China. Oxford University Press, Oxford 2003. ISBN 0-19-513899-6, S. 97.
  2. „naturally; natural; spontaneously; freely; in the course of events; of course; doubtlessly“, s. Karyn Lai: Learning from Chinese Philosophies: Ethics of Interdependent And Contextualised Self. Ashgate World Philosophies Series. ISBN 0-7546-3382-9. S. 96
  3. W. A. Callahan: A Linguistic Interpretation of Discourse and Perspective in Daoism. In: Philosophy East and West 39 (1989), S. 171–189.
  4. „Wu-Wei ‚Nicht-Tun’ bedeutet, Dinge in natürlicher Art und Weise tun, nicht die Muster, Rhythmen und Strukturen des Natürlichen zu stören, die eigenen Intentionen nicht der intrinsischen Organisation der Welt überzustülpen.“ Markus Maria Wagner: Natürlichkeit und der Nutzen des Nutzlosen in daoistischen Klassikern, abgerufen am 20. August 2014.
  5. „as-it-isness“, s. C. W. Fu: Lao Tzu's Conception of Tao. In B. Gupta, J. N. Mohanty (Hrsg.): Philosophical Questions East and West. Rowman & Littlefield Publishers, Lanham 2000. S. 46–62.
  6. David L. Hall: On Seeking a Change of Environment: A Quasi-Taoist. Philosophy. In: Philosophy East and West 37 (1987), S. 160–171.
  7. Markus Maria Wagner: Ziran und Isticheit: Selbstursprünglichkeit bei Laozi und Meister Eckhart. In: Adelheid Herrmann-Pfandt (Hrsg.): Moderne Religionsgeschichte im Gespräch. Festschrift für Christoph Elsas. Berlin 2010, S. 525–542.
  8. Markus Maria Wagner: Natürlichkeit und der Nutzen des Nutzlosen in daoistischen Klassikern, abgerufen am 20. August 2014.
  9. „It is so by virtue of its own“ Wang, Qingjie James (25. Januar 2003). „It-self-so-ing“ and „Other-ing“ in Lao Zi's Concept of Zi Ran. Abgerufen am 21. Oktober 2013.
  10. Wing-Chuek Chan: On Heidegger's Interpretation of Aristotle: A Chinese Perspective. In: Journal of Chinese Philosophy 32 (2005), S. 539–557.
  11. Fabrizio Pregadio (Hrsg.): The Encyclopedia of Taoism M-Z Vol 2. Routledge 2008. S. 1302.