Losradsatz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 25. Februar 2021 um 13:51 Uhr durch imported>Falk2(191155) (→‎Schweiz: zehn Jahre).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Umspurbarer Losradsatz eines Talgo-6-Wagens
Drehgestell einer Waldbahnlokomotive nach dem Patent von Gilbert.[1] Auf der ersten Achse ist das Differentialgetriebe zu erkennen.

Als Losradsatz oder Losradpaar wird bei Schienenfahrzeugen die Kombination zweier einzeln drehbarer Räder zusammen mit der nicht mitdrehenden Radsatzwelle oder Achsbrücke bezeichnet.

Technische Eigenschaften

Im Gegensatz zu starren Radsätzen können sich die beiden Radscheiben unabhängig voneinander drehen, wobei sich kein Sinuslauf ergibt. Dies führt einerseits zu einer größeren Laufruhe in der Geraden, andererseits kann aber abhängig von der Äquivalenten Konizität die Zentrierung innerhalb des Gleises verloren gehen und die Räder stellen sich in den Kurven nicht selbst radial ein. Dieser Effekt wird unterstützt durch das Trägheitsmoment des sich drehenden Rades,[2] sodass die Spurkränze ohne weitere Maßnahmen häufiger anlaufen. Um einen zu großen Anlaufwinkel im Gleisbogen zu vermeiden, werden die Radsätze angelenkt. Dies kann durch passive Systeme wie zum Beispiel durch mechanisch von dem Winkel zwischen zwei Wagenkastenteilen durch Stangen auf die Radbrücken übertragene Kräfte oder aber über aktive Systeme erfolgen. Aktive Systeme benutzen elektronisch gesteuerte Aktoren, um Kräfte auf die Radbrücken auszuüben oder die Losradsätze in Kurven zu einer Starrachse zu verbinden.[3] Anstelle von Aktoren kann auch der Antrieb zur Lenkung von Losradsätzen verwendet werden.[2]

Anwendungen

Losradsätze werden heute vor allem bei Straßenbahnen eingesetzt, wo die fehlende Achswelle einen tiefer liegenden Fußboden erlaubt. Für den Hochgeschwindigkeitsverkehr sind Losradsätze wegen der größeren Laufruhe in der Geraden interessant. Außerdem lassen sich mit Losradsätzen auf Grund der fehlenden Achswelle relativ einfach umspurbare Fahrwerke bauen.

Bei den Gliederzügen und Hochgeschwindigkeitszügen von Talgo werden Losradsätze verwendet, wobei die Losräder in einem Achsportal an einem Wagenende gelagert sind. Neben dem Vorteil des fehlenden Sinuslaufs beim Hochgeschwindigkeitsverkehr, eignet sich die Bauart vorzüglich für den Bau von umspurbaren Fahrwerken, weil die einzelnen Räder auf getrennten Stummelachsen sitzen, die samt den Lagern querverschiebbar ausgeführt werden können.

In den 1890er-Jahren wurden in den USA einige Waldbahnlokomotiven mit Losradsatz-Drehgestellen nach einem von George D. Gilbert eingereichte Patent[1] ausgeführt. Der Antrieb der Räder erfolgte wie beim Automobil über ein Differentialgetriebe und längs unter dem Fahrzeug verlaufenden Antriebswellen. Man erhoffte sich durch diese Bauart einen besseren Bogenlauf, unterschätzte aber den Zugkraftverlust bei durchdrehenden Rädern, wie er von Automobilen mit offenen Differentialgetrieben bekannt ist.[4]

Schweiz

Um 1935 baute die SLM das Duplex-Drehgestell mit vier Losradpaaren, das speziell für Schnellfahrversuche gebaut wurde. Die Losräder hatten zylindrische Laufflächen und waren mit einer Neigung von 1:20 in das Drehgestell eingebaut. Die Bauweise des Drehgestells sollte den Sinuslauf unterbinden.

Die 1938 gebauten Blauen Pfeile der BLS hatten als Mitteldrehgestell zwei in einem Rahmen gefasste KERF.

In den späten 1940er und frühen 1950er Jahren setzten SNCF und SBB Trieb- und Reisezugwagen mit luftbereiften Losraddrehgestellen ein. Die Drehgestelle stammten von Carel Fouché & Cie in Paris und verwendeten von Michelin entwickelte Räder mit Luftreifen. Die SBB beschafften je einen Probewagen in Aluminium- und Stahlleichtbauweise mit fünfachsigen Drehgestellen. Bei beiden Bahnen waren die Fahrzeuge mit diesen Drehgestellen ungefähr zehn Jahre in Betrieb. Nach dem Aufbrauchen der Reifenvorräte erhielten die Wagen gewöhnliche Drehgestelle. Die Fahrzeuge mussten für diese Technik extrem leicht gebaut sein, die Achslast blieb auf 2,5 Tonnen beschränkt.[5][6][7]

Losrad-Fahrwerke

Es gibt folgende Varianten von Losradfahrwerken:

  • Einzelrad-Einzelfahrwerk (Abgek.: EEF), ein Losradsatz mit einer Radbrücke, welche am Wagenkasten befestigt wird
  • Kurvengesteuertes Einzel-Radsatz-Fahrwerk (Abgek.: KERF), ein Losradsatz mit einer Radbrücke, welche am Wagenkasten befestigt wird und sich radial einstellen kann
  • Einzelrad-Doppelfahrwerk (Abgek.: EDF), zwei linke Räder und zwei rechte Räder sind je zu einem Radblock zusammengefasst, die zu einem Drehgestell verbunden werden

Fahrzeuge mit Losrädern

  • Talgo-Züge. Die Ansteuerung der Laufwerksportale erfolgt durch ein Gestänge abhängig vom Winkel zwischen den Wagenkästen
  • Cobra-Tram. Die Ansteuerung der Laufwerksportale erfolgt durch ein Gestänge abhängig vom Winkel zwischen den Wagenkästen, zusätzlich werden die Radbrücken durch das vom Antrieb aufgebrachte Drehmoment radial eingestellt.
  • Pneuwagen der SBB und Train sur pneus der SNCF mit Luftreifenfahrwerken
  • Blaue Pfeile der BLS mit zwei KERF als Laufdrehgestell
  • Duewag Einzelrad-Doppelfahrwerk System Fredrich. Drehgestell, das bis 500 km/h lauftechnisch erprobt wurde[8][9]
  • Climax-Lokomotiven und nach dem Patent von Gilbert gabaute Waldbahnlokomotiven der Dunkirk Engineering Company im Bundesstaat New York.

Literatur

  • Torsten Dellmann, Basem Abdelfattah: Vergleich der dynamischen Eigenschaften von Radsatz und Losradpaar Ein theoretischer Beitrag zu einer fast vergessenen Technik. In: ZEV Rail. Band 136, Nr. 10, 2012, S. 380–390.
  • Winfried Reinhardt: Öffentlicher Personennahverkehr: Technik - Rechts- und Betriebswirtschaftliche Grundlagen. 1. Auflage. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-8348-1268-1, S. 209–210 (Einzelrad-Einzelfahrwerk in der Google-Buchsuche).

Einzelnachweise

  1. a b Patent US393896: Proppeling gear for tram cars. Angemeldet am 10. Februar 1888, veröffentlicht am 4. Dezember 1888, Erfinder: George D.Gilbert.
  2. a b Neil Cooney: British group develops autonomous wheel control system. In: International Railway Journal. Band 60, Nr. 2, Februar 2020, S. 41–43.
  3. S. Dronka: Schienenfahrzeuge mit aktiven Komponenten. (PDF; 641 kB) (Nicht mehr online verfügbar.) TU Dresden, archiviert vom Original am 29. Oktober 2013; abgerufen am 5. Mai 2013.
  4. Ed Vasser: History Of The Climax Locomotive. Climax Development. In: Climax Locomotives. Abgerufen am 11. März 2018 (englisch).
  5. R. Guignard: Les voitures des CFF montées sur pneumatiques «Michelin», Teil 1. In: Schweizerische Bauzeitung. Band 69, Nr. 12, 24. März 1951, S. 157–162, doi:10.5169/seals-58831.
  6. R. Guignard: Les voitures des CFF montées sur pneumatiques «Michelin», Teil 2. In: Schweizerische Bauzeitung. Band 69, Nr. 14, 31. März 1951, S. 171–174, doi:10.5169/seals-58833.
  7. R. Guignard: Les voitures des CFF montées sur pneumatiques «Michelin», Teil 3. In: Schweizerische Bauzeitung. Band 69, Nr. 14, 7. April 1951, S. 183–187, doi:10.5169/seals-58836.
  8. Düwag Einzelrad-Doppelfahrwerk System Frederich. if Product Award, abgerufen am 5. Mai 2013.
  9. DÜWAG Drehgestell. Abgerufen am 5. Mai 2013.

Weblinks

  • A. Brinkmann, T. Kasprzyk: Innovative „Rad-Sätze“ für moderne NiederflurSchienenfahrzeuge. In: ZEVrail, Glasers Annalen Heft 131, 2007, S. 211–223. Präsentation über Straßenbahn-Radsätze mit Beispielen von Losradsätzen (Online abrufbar bei 37. Schienenfahrzeugtagung (2007): Download der Vorträge)