Ronald M. Schernikau

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Ronald M. Schernikau (geboren am 11. Juli 1960 in Magdeburg; gestorben am 20. Oktober 1991 in Berlin) war ein deutscher kommunistischer Schriftsteller.

Leben

Gedenktafel am Haus, Cecilienstraße 241, in Berlin-Hellersdorf
Gedenktafel am Haus, Universitätsstraße 20, in Leipzig
Datei:Grave schernikau.JPG
Grab auf dem Friedhof der St.-Georgen-Parochialgemeinde Berlin, Friedenstraße

Nach der Übersiedlung mit seiner Mutter aus der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland 1966 wuchs Schernikau in Lehrte bei Hannover auf.

Mit 16 trat er der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bei. Noch vor seinem Abitur am Lehrter Gymnasium erschien 1980 die Kleinstadtnovelle im Rotbuch Verlag. Das Buch über schwules Coming-out in einer Kleinstadt wurde ein erster bemerkenswerter Erfolg, die Erstauflage war nach wenigen Tagen vergriffen. Im selben Jahr zog Schernikau nach West-Berlin, wo er zur Sozialistischen Einheitspartei Westberlins (SEW) wechselte und an der FU Germanistik, Philosophie und Psychologie studierte.

Zu seinen Freunden gehörten seither die Autoren Gisela Elsner, Irmtraud Morgner, Ulrich Berkes und Erika Runge. Auf Runges Interviewtechnik bezog er sich in eigenen Arbeiten. In den populären Büchern von Matthias Frings zu männlicher Sexualität, Homosexualität und Aids ist Schernikau mit Beiträgen vertreten. In der Rolle einer Tuntendiva trat er in dem West-Berliner Ensemble „Ladies Neid“ auf.[1] Marianne Rosenberg bat ihn nach den Protesten gegen den Besuch des US-Präsidenten Reagan in West-Berlin um einen Liedtext zum Thema, den er ihr schrieb („Er ist ein Star“).[2]

Von 1986 bis 1989 studierte Schernikau am Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ in Leipzig, wo er als West-Berliner nur mit erheblichen Schwierigkeiten zugelassen wurde.[3] 1988 nahm er an einem Aufbaustudiengang teil. Im Mai 1988 legte er seine Abschlussarbeit die schönheit von uwe. die losung 43 und der spass der imperialisten. darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können. geschweige mittels ihrer literatur vor und veröffentlichte den Essay 1989 in überarbeiteter Form unter dem Kurztitel die tage in l. im Konkret Literatur Verlag.[4] Unter der Regie von Florian Hein wurde das Werk an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch als Theaterstück inszeniert.[5] Ebenfalls 1988 trat er der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei. Dazu bedurfte es einer Bürgschaft, die er von Peter Hacks erhielt.[6]

In diese Zeit fällt der größere Teil des Briefwechsels mit Peter Hacks, zu dem Schernikau bereits von West-Berlin aus Kontakt aufgenommen hatte. Schernikau stellte Hacks darin die Frage, ob er in die DDR übersiedeln solle. Dieser antwortet ihm, dass er, wenn er ein großer Dichter werden wolle, keine andere Wahl habe, als in die DDR zu kommen. Sie allein stelle ihm „auf entsetzliche Weise“ die Fragen des Jahrhunderts.[7] Solle aber sein Talent darin bestehen, „Erfolg zu haben und Menschen zu erfreuen“, dann solle er es sich noch einmal überlegen. Hacks' Antwort an Schernikau ergab sich aus seiner scharfen Kritik an der damaligen Honecker-Politik, die – anders als die Politik zu Zeiten Walter Ulbrichts – den Sozialismus beeinträchtige und gefährde. 1989 beantragte und erhielt Schernikau die Staatsbürgerschaft der DDR und siedelte am 1. September 1989 nach Berlin-Hellersdorf über. In Ost-Berlin war er als Hörspieldramaturg des Henschel-Verlages tätig. Auf dem Kongress des Schriftstellerverbands der DDR vom 1. bis 3. März 1990 hielt er eine Rede, in der er seinen Zuhörern sagte, dass sie noch nichts „von dem Maß an Unterwerfung“ wüssten, „die der Westen jedem einzelnen seiner Bewohner abverlangt“. Die Strategie des Zurückrollens sei aufgegangen. Der Westen habe gesiegt, die Konterrevolution habe gesiegt. Die spätkapitalistische Ökonomie brauche für ihre Fortexistenz keine Rechtfertigung mehr. Schriftsteller würden sich nun wieder „mit den ganz uninteressanten Fragen auseinanderzusetzen haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe?“ Dabei würden sie alleine sein.[8][9]

1991 vollendete er den umfangreichen Montageroman legende. Er konnte erscheinen, nachdem Autoren wie Eberhard Esche, Peter Hacks, Elfriede Jelinek, Sahra Wagenknecht, Wolfgang Kohlhaase, Dietrich Kittner und Hermann L. Gremliza sich privat und öffentlich für die Subskription einer Vorzugsausgabe eingesetzt hatten. In dem Film Banale Tage (1992) hatte er seine einzige Rolle als Darsteller. Vom 1. September 1989 bis zu seinem Tod am 20. Oktober 1991 lebte Schernikau in Berlin-Hellersdorf, Cecilienstraße 241 (ehem. Albert-Norden-Straße). Schernikau starb an AIDS. Er liegt auf dem Friedhof Georgen-Parochial II, Abteilung 52, Reihe 02, Grabstelle 16 begraben.

Seit dem 5. September 2014 erinnert an seinem letzten Wohnhaus in Berlin-Hellersdorf eine Gedenktafel an Schernikau. Die Tafel wurde von der Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ finanziert und montiert. In den letzten Jahren erfuhr Schernikaus Werk eine Renaissance, vor allem im Theater brachten Inszenierungen seiner Texte (u. a. von Bastian Kraft und Moritz Beichl) neue Aufmerksamkeit für den Autor.[10] 2019 erschien im Verbrecher-Verlag eine Neuauflage des voluminösen Romans legende.

Schernikau lebte offen homosexuell und bekannte sich zu seiner kommunistischen Weltanschauung.

Werke

Hier sind nur die separat erschienenen Schriften aufgeführt; Artikel, Gedichte und kleinere Schriften bleiben unberücksichtigt.

  • Kleinstadtnovelle. Rotbuch, Berlin 1980; Neuauflage Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2002.
  • die heftige variante des lockerseins. ein festspiel. Selbstverlag, Berlin 1981.
  • petra. ein märchen. Mit Grafiken von Uliane Borchert, Edition Mariannenpresse, Berlin 1984.
  • die schönheit. Uraufführung Berlin am 4. Dezember 1987.
  • die tage in l. – darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur. Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1989; Neuauflage Konkret Literatur Verlag, Hamburg 2001.
  • das märchen von der blume. Mit Grafiken von Uliane Borchert, Selbstverlag, Berlin 1990.
  • Dann hätten wir noch eine Chance – Briefwechsel mit Peter Hacks; Texte aus dem Nachlaß. Konkret, Hamburg 1992 (Konkret Texte 1).
  • legende. Verlag ddp goldenbogen, Dresden 1999, ISBN 3-932434-09-9. Neuauflage Verbrecher-Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-95732-342-2
  • Königin im Dreck. Texte zur Zeit. (Hrsg.: Thomas Keck), Verbrecher Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-940426-34-5.
  • Irene Binz. Befragung. Rotbuch Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86789-095-3
  • und als der prinz mit dem kutscher tanzte, waren sie so schön, daß der ganze hof in ohnmacht fiel. ein utopischer film. (Hrsg.: Thomas Keck), Verbrecher Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-943167-10-8.

Filmografie

Hördokumentation

  • Johanna Tirnthal und Richard Pfützenreuter: Der kommunistische Autor Ronald M. Schernikau – Die Schönheit. Feature (WDR/ORF) 2021

Literatur

  • Karl-Ludwig Stenger: Introduction to small-town-story. In: New German Critique 23/1981.
  • Tomas Vollhaber: Das Nichts, die Angst, die Erfahrung: Untersuchung zur zeitgenössischen schwulen Literatur. Berlin 1987 (Homosexualität und Literatur 1).
  • Wolfgang Popp: Erinnerung an Ronald M. Schernikau: Aus Anlaß seines Todes. In: Forum Homosexualität und Literatur, H. 14, 1992.
  • Runge, Erika / Ronald M. Schernikau: „… lieben, was es nicht gibt“. Ein Gespräch. In: Forum Homosexualität und Literatur 15 (1992), S. 69–88.
  • Rainer Bohn: „ich muntere auf. das ist alles.“ Das kurze Leben des Dichters Ronald M. Schernikau. In: Ronald M. Schernikau: Dann hätten wir noch eine Chance. Briefwechsel mit Peter Hacks; Texte aus dem Nachlaß. Konkret, Hamburg 1992 (Konkret Texte 1).
  • Dirck Linck: Zum Glück bedeuten die Wörter für jeden etwas anderes. In: Dirck Linck und Jürgen Peters (Hrsg.): Von Dichterfürsten und anderen Poeten. Kleine niedersächsische Literaturgeschichte. Revonnah Verlag, Hannover 1996, ISBN 3-927715-30-1.
  • Karen-Susan Fessel/Axel Schock: Ronald M. Schernikau. In: Out! 600 Lesben, Schwule & Bisexuelle. Berlin 1997.
  • Axel Schock: Ronald M. Schernikau, Kleinstadtnovelle. In: Die Bibliothek von Sodom. Das Buch der schwulen Bücher. Frankfurt am Main 1997.
  • Bernd-Ulrich Hergemöller: Ronald M. Schernikau. In: Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mann-männlicher Sexualität im deutschen Sprachraum. Männerschwarm Verlag, Hamburg 1998.
  • Matthias Frings: Der letzte Kommunist. Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau. Aufbau-Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-351-02669-1.
  • Helen Thein, Helmut Peitsch (Hrsg.): Lieben, was es nicht gibt. Literatur, Pop und Politik bei Ronald M. Schernikau. Verbrecher Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-95732-200-5.

Weblinks

Commons: Ronald M. Schernikau – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. Alle Angaben in diesem Abschnitt, soweit nicht anders angegeben, siehe die HP zu Schernikau: Biografie auf www.schernikau.net; Abruf: 11. November 2014.
  2. Dirk Knipphals, Wo Marianne Rosenberg einen Protestsong bestellte, in: taz, 23. April 2011.
  3. Irene Bazinger: Die DDR war eine komplizierte Geliebte. Collage für einen, der nach drüben ging: „Die Schönheit von Ost-Berlin“ feiert im Deutschen Theater den politischen Ketzer Ronald M. Schernikau. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. November 2014, S. 14.
  4. Kunst weiß alles. (Nicht mehr online verfügbar.) In: jungle-world.com. 10. Oktober 2001, archiviert vom Original am 11. Februar 2017; abgerufen am 9. Februar 2017.
  5. Peer Schmitt: Die Schönheit von Uwe. In: jungewelt.de. 9. Februar 2017, abgerufen am 9. Februar 2017.
  6. Alle Angaben in diesem Abschnitt, soweit nicht anders angegeben, siehe: Martin Brandt, Zweierlei Realismus. Der Briefwechsel zwischen Peter Hacks und Ronals M. Schernikau, in: junge Welt, 20. Oktober 2016, S. 12f.
  7. Philipp Oehmke: Zwischen den Welten. In: Der Spiegel, 2. März 2009 (Online).
  8. Rede Schernikaus auf dem Kongreß der Schriftsteller der DDR.
  9. Alle Angaben in diesem Abschnitt, soweit nicht anders angegeben, siehe: Martin Brandt: Zweierlei Realismus. Der Briefwechsel zwischen Peter Hacks und Ronald M. Schernikau. in: junge Welt, 20. Oktober 2016, S. 12f.
  10. Vgl. Stefan Hochgesand: Der schöne, schwule Kommunist. In: taz.de. 23. März 2015, abgerufen am 26. Dezember 2017.