Diskussion:Alte Musik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist die aktuelle Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 21. November 2006 um 13:09 Uhr durch imported>Anonym~dewiki(31560) (vandal rev).
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Mehr Verlinkungen auf diese Seite, bitte. Denkfabrikant 23:36, 23. Nov 2003 (CET)

Dann mach doch ;-) Sei mutig! --elian 23:46, 23. Nov 2003 (CET)

So; geht doch voran, gell :-) ? --Qpaly 10:00, 25. Nov 2003 (CET)


Vorschlag: Wortwiederholungen raus nehmen, glätten. Beispiel auch: Lieblingswort "speziell" etc... (Vorstehender nicht signierter Beitrag stammt von 89.50.212.11 (DiskussionBeiträge) Qpaly/Christian () 20:24, 6. Feb 2006 (CET))

Kritik der Repertoirepflege

Auf Wunsch eine Erläuterung: Es geht bei der Pflege von Alter Musik weniger um die Entdeckung des Alten als um eine Kritik an der gegenwärtigen Repertoirepflege. Das war eigentlich schon immer so. Aber heute, da die auf Alte Musik spezialisierten Musiker auch romantische und avantgardistische Musik spielen, ist die Eingrenzung auf das Alte hinfällig und die Kritik an der Repertoirepflege zum Hauptmotiv geworden. --Summ 15:33, 18. Jun 2006 (CEST)

Dein Ansatz des "Vanitasmotives" führt Dich leider ziemlich in die Irre. Hier ein paar Kritikpunkte:
  • Die mitteleuropäische Kunstmusik hat sich im gesamten vergangenen Jahrtausend vor allem durch die Möglichkeit der schriftlichen Fixierung weiterentwickeln können, also dadurch, dass sie nicht vergänglich war.
  • Wo Musik jedoch nicht fixiert wurde und wird, galt und gilt sie auch als nach bestimmten Kenntnissen und Regeln beliebig (re)produzierbar. Die Vergänglichkeit klingender Musik wird überhaupt erst mit dem zunehmenden Bewusstsein für den Gegensatz zum komponierten Werk wahrgenommen.
  • Daher macht z.B. die griechische Antike noch kein großes Aufheben um die Vergänglichkeit der musikalischen Aufführung und weist der Musik einen festen Platz unter den sieben freien Künsten zu, die nach dem heutigen Verständnis eher Wissenschaften sind.
  • Was ist denn die "Botschaft der ständigen Wiedergeburt", und welchem "liturgischen Kontext" soll sie vorbehalten gewesen sein? Wenn damit eine religiöse Botschaft gemeint sein sollte, dann reden wir wohl nicht vom gleichen Kulturkreis (im Christentum glaubt man an die Auferstehung, nicht an die Wiedergeburt). Oder war damit die Wiederholung der Liturgie in jedem Gottesdienst gemeint? Dann ist es missverständlich. Außerdem ist die regelmäßige (nicht "stetige") Wiederholung nicht auf die gottesdienstliche Liturgie beschränkt.
  • Die Aufführung alter Werke hatte in früheren Jahrhunderten durchaus nichts "Gewagtes". Man hat sie bloß nicht für notwendig erachtet, da man der zeitgenössischen Musik den Vorrang gab. Dieses Modernitäts-Syndrom ist bis in unsere Zeit zu beobachten, und nicht nur in der Musik.
  • Popularität war schon immer für manche Menschen ein Gütesiegel.
  • Den Umbruch im 19. Jahrhundert sehe ich darin, dass man begann, den Reiz der eben nicht vergänglichen Werke früherer Zeiten zu spüren - eine typische Gefühlslage der Romantik. Der Begriff "stetige Wiederkehr" trägt hier, gelinde gesagt, nicht zur Klärung bei.
  • "Aufwertung von Verträgen"? Meinst Du vielleicht die Kommerzialisierung der Musik? Ich kann nur raten. Und was hat Rousseau damit zu tun?
  • Wieso beginnt die "moderne Repertoirebildung" (modern?) um 1760?
  • Mendelssohns Bach-Aufführungen standen gerade am Beginn der Herausbildung von so etwas wie einem "Konzert-Repertoire", sie waren Teil davon und nicht Infragestellung. Eine "Ideologie" gab es in dieser Hinsicht damals schon gar nicht, die ist eher Zeichen des Musiklebens des 20. Jahrhunderts.
  • Kann als Musiker nicht bestätigen, dass die Beschäftigung mit Alter Musik nur der Kritik an irgendeiner "Repertoirepflege" dient. An dieser Stelle gerät Dir der Begriff Alte Musik mit dem Begriff Aufführungspraxis durcheinander. Alte Musik ist tatsächlich abgegrenzt gegen ein bestimmtes Repertoire, Aufführungspraxis nicht.
Also meine herzliche Bitte: mach etwas Sinnvolles daraus! --Feijoo 21:52, 18. Jun 2006 (CEST)


Ja, ich antworte gerne, auch so ausführlich, wie du es wünschst.

Bach und Händel wurden ja auf modernen Instrumenten und "romantisch" gespielt bis ins 20. Jahrhundert und zum Teil bis heute. Das soll es auch geben, oder nicht? Wenn man einfach Grenzen macht, wer für welches Repertoire zuständig ist, also gleichsam Recht hat, verliert sich der Sinn der Unterschiede.

Alte Musik hat aus meiner Sicht damit zu tun, dass man die Vorschrift über die Gewohnheit stellt (also z.B. sagt: "In den Noten steht es anders, als ihr es macht"). Diese Konkurrenz zwischen Gewohnheit und Vorschrift ist für mich das Interessante. Es hat etwas damit zu tun, dass die Vorschrift (Noten, Anweisungen, Theorien etc.) selbst gewählt ist, uralt und deshalb harmloser als ein aktueller Befehl, und man damit gegen den Zwang der aktuellen Gewohnheit angehen und sich dabei auf Geschichte berufen kann. Wenn man alte Gewohnheiten wie Verzierungspraxis aus Vorschriften zu erschließen versucht, wird es noch vertrackter. Aber auch hier geht es um die Spannung zwischen Gewohnheit und Vorschrift.

Schrift ist immer etwas eher Frevelhaftes aus mittelalterlicher Sicht, wenn man auch nicht ganz auf sie verzichten kann. Karl der Große schickt keine gnadenlosen Erlasse an seine Untertanen wie die spätrömischen Kaiser, sondern reist herum in seinem Reich und kümmert sich selber. Dazu braucht es keine Schrift. Die Gewohnheit wird seit dem Mittelalter grundsätzlich vom Handeln nach Vorschrift unterschieden, das als Unterdrückung galt. Bis der Sonnenkönig seine Landadeligen an den Hof holte und Gesetze herumschickte, die den Untertanen viel mehr Spielraum ließen als ein Chef vor Ort. Da wurde die Schrift zunehmend attraktiver.

Sicher, in manchen Musikgeschichten werden die liturgischen Aufzeichnungen des Mittelalters als Vorstufe großer Musikwerke dargestellt. Als ständig beachtete Vorschriften stehen sie einzig da im Mittelalter. Aber keine Liturgie ist "Werk". Sie ist keinen Autoren oder andern irdischen Autoritäten geschuldet. Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schriftsteller mussten ihre Vergänglichkeit gegenüber der göttlichen Gnade betonen, die für alles Dauerhafte und Lebendige verantwortlich war und aus allen bedeutenden Schriften oder Bildern sprach, die für sich nichts wert waren. Aus dieser Sicht zeigt die praktische Musik immer nur ein Verklingen, Vergehen, Sterben. Das war ihr "Image" etwa bis zum Französischen Absolutismus. Die Menschenstimme ist bloß ein "flatus vocis", und die Stimme des Musikinstruments bloß noch ein Ersatz für sie. Daher werden Musiknoten und Musikinstrumente wie verdorrende Schnittblumen oder verlöschende Kerzenflammen bis ins 18. Jahrhundert hinein als Vanitasmotive eingesetzt.

Es kann auch mit Respekt zu tun haben, wenn man Musiknoten nicht als Rolle betrachtet, in die jeder Imitator zu jeder Zeit wieder schlüpfen kann, sondern als Erinnerung an ganz bestimmte Musiker, die sie einmal auf unverwechselbare Weise gespielt haben und mittlerweile gestorben sind. Natürlich macht sie das irgendwie trauriger. Melancholie war eine Künstlerkrankheit in der Renaissance. Aber in den 1760er-Jahren kippt es um, sodass die Musiknote kein Zeichen der Vergänglichkeit mehr ist, sondern ein Modell für ewiges Leben. Und man will glauben, dass es Komponisten sind, die das gewährleisten, und nicht mehr der liebe Gott. Glucks Sänger Orfeo kann Euridice 1762 wieder aus dem Totenreich hervorholen, so etwas gab es noch nie zuvor in der Geschichte. Das war schon etwas Gewagtes.

Zu den Gesetzen: Ich meine alle Vorschriften. Wenn man einen Vertrag schließt, gibt man sich eine Vorschrift. Das war einmal etwas Frevelhaftes, weil man glaubte, dass es nur zu Streit führt. Mit Verträgen verkaufte man seine Seele wie Johann Faust. Wenn kaum jemand lesen kann, macht man natürlich auch kaum Verträge. Der Philosoph Rousseau hat 1762 seinen Gesellschaftsvertrag veröffentlicht, eine Art Verfassung. Dass sich Menschen aus freiem Willen so organisieren, ähnlich wie ein Orchester, das aus Noten spielt, war neu und unerhört. Die Französische Revolution ging aus solchen Ideen hervor.

Zwei sachliche Klärungen:

- Warum 1760? Ich gehe einmal davon aus, dass Gluck schon zu den Komponisten des klassisch-romantischen Repertoires gehört und gehörte. Der wurde auch tatsächlich immer mal wieder aufgeführt und nicht zwischendurch vergessen wie J.S. Bach.

- Konzertrepertoire: Das bestand vom 18. bis zum 20. Jahrhundert zum wesentlichen Teil aus Opernarien, deshalb trenne ich hier nicht grundsätzlich.

Aber du kannst den Artikel ja nach Herzenslust selber umgestalten. Also: nur zu! --Summ 01:27, 19. Jun 2006 (CEST)

Summ, meine Güte, Repertoirekenntnisse mal bitte rauskramen: einen Orfeo, der die Euridike aus dem Totenreich herausholen kann, den hat Monteverdi auch schon wunderbarst vertont und seinem Publikum präsentiert! --Luc Ursanne 22:14, 23. Jun 2006 (CEST)

In Monteverdis Orfeo wird dem Tragödienschema gemäß die Katastrophe im 4. Akt belassen, die Apotheose im 5. Akt bekommt etwas Tröstliches. Das kann man als Kompromiss zwischen antiker Tragik und christlichen Vorstellungen deuten. Orfeo verliert Euridice im 4. Akt, weil er sich nicht beherrschen kann. Vom 5. Akt gibt es dann zwei Versionen: Im Librettodruck von 1607 entkommt Orfeo den Bacchantinnen, die ihn im Mythos zerreißen. Aber Euridice bleibt verloren, und die Bacchantinnen triumphieren. Im Partiturdruck von 1609/1615 begegnet Orfeo im 5. Akt dem Apollon als deus ex machina, der ihm die Wiederbegegnung mit Euridice im Himmel verspricht. Das spielt vermutlich nach seinem Tod, also nachdem er von den Bacchantinnen zerrissen wurde. Interessant ist der ausgiebige Gebrauch von Vanitas-Motiven zu Beginn des 5. Akts wie Echo, Narziss, stummes Musikinstrument, Versündigung im Schwur etc. --Summ 01:08, 25. Jun 2006 (CEST)

Merci, jetzt hab' ichs verstanden, was du bei Gluck meintest: im Mythos und bei Monteverdi wird Orpheus dafür abgestraft, dass er sein eigenes Ding macht und der Lust nachgibt, seine Frau vorschnell wiederzusehen und sich über die Regeln der Götter hinwegsetzt. Dann aber - bei Gluck - kommt er halt damit durch. Ist das verfrühter Nietzsche (Götter haben nichts mehr zu sagen)? Du scheinst ja großflächig Theorielinien im Auge zu haben. --Luc Ursanne 17:49, 26. Jun 2006 (CEST)
P.S. Und das scheinst du auch noch im Auge zu haben: aus normativen Quellen lassen sich nicht linear die (Herrschafts-)Praktiken erschließen. Da gab es immer noch eine Menge Eigensinn der Untertanen (oder in dem Kontext hier: des musikalischen Geschmacks, der Aufführungspraxis). Eigentlich "common sense" für Frühneuzeit-Fachleute, die sich mit Verrechtlichung und Verschriftlichung befassen. --Luc Ursanne 21:42, 26. Jun 2006 (CEST)

Ja, es ist aus meiner Sicht recht einfach: Dass man nicht mehr bitte sagen und der Autorität vertrauen soll, sondern selber machen und sehen darf, setzt sich erst allmählich durch: Bewirken statt Beschwören. Wenn man einen Vertrag hat, kann man auf seinem Recht bestehen; dabei sollten nach alteuropäischer Auffassung beide Seiten eigentlich großzügig sein. Das Bestehen auf dem Recht der Schrift ist ein wesentlicher Teil der modernen musikalischen Tradition. --Summ 01:43, 27. Jun 2006 (CEST)

P.S.PS.: Auf dem Land wurden bis weit in das 20. Jh. hinein vertragsähnliche Absprachen oft ohne Schriftform beschlossen: einmal tief in die Augen geblickt, fester Handschlag - man kannte sich und wußte, ob man sich verlassen konnte - und die Sache war besigelt (Hand statt Sigel). Aleatorik in einem intakten Systemganzen? oder wie übersetzt man das jetzt in die musikalische Kunstsprache ;-) --Luc Ursanne 10:16, 27. Jun 2006 (CEST)