Öffentlichkeitsgrundsatz

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverfahren ist eine Prozessmaxime, die mit dem Unmittelbarkeitsprinzip und dem Mündlichkeitsgrundsatz zusammenhängt.

Geschichte

Nachdem Strafverfahren schon im Römischen Reich zunächst öffentlich auf den Forum oder dem Marktplatz abgehalten und auch schon bei den Indogermanen durch die sog. Thingmänner, also alle freien Männer des Stammes, abgeurteilt wurden, ging man später dazu über, Zeugenaussagen und Vernehmungen des Angeklagten hinter verschlossenen Türen und in Amtsstuben abzuhalten. Zur Zeit der Französischen Revolution wurden jedoch wieder Rufe nach der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung laut. In Europa waren Cesare Beccaria und Anselm von Feuerbach die bekanntesten Verfechter des Öffentlichkeitsgrundsatzes.

Rechtsgrundlagen

Der Öffentlichkeitsgrundsatz ist zwar kein Verfassungsgrundsatz.[1] Er wird aber als grundlegende Einrichtung des Rechtsstaats gesehen.[2] Der Öffentlichkeitsgrundsatz folgt zudem aus Art. 6 Abs. 1 EMRK[3] und Art. 14 Abs. 1 S. 2 UN-Zivilpakt, die beide in Deutschland unmittelbar anwendbares Recht darstellen und im Rang über den einfachen Gesetzen stehen.[4][5] Art. 6 Abs. 1 EMRK gebietet zudem, dass in bestimmten Gerichtsverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Beginn und Rechtskraft eine öffentliche Verhandlung stattfinden muss.[6][7][8]

Inhalt des Öffentlichkeitsgrundsatzes

Eine Gerichtsverhandlung ist nur dann öffentlich, wenn beliebige Zuhörer, sei es auch nur in sehr begrenzter Zahl, die Möglichkeit des Zutritts haben.[9] Dazu gehört die Information über Zeit und Ort der Verhandlung, regelmäßig durch Aushang im Gericht. Zudem muss der tatsächliche Zutritt zum Verhandlungsraum möglich sein. Das Gericht muss bei zu erwartendem Zuschauerandrang keinen größeren Saal für die Verhandlung wählen, darf aber nicht bewusst enge Räumlichkeiten auswählen, um Zuschauer fernzuhalten.[10] Der Zugang kann im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts begrenzt oder ausgeschlossen werden aus Sicherheitserwägungen (z. B.: Außentermin an einem gefährlichen Ort), oder um eine ungestörte Durchführung des Verfahrens zu ermöglichen.[11] Mit Urteil vom 1. Oktober 2014 hat das Bundesverwaltungsgericht klargestellt, dass der Anspruch der Presse wegen der Zusendung von Urteilsabschriften in Strafverfahren auch einschließt, dass die Namen von Richtern, Schöffen, Staatsanwälten und Strafverteidigern nicht geschwärzt werden dürfen.[12]

Öffentlichkeitsgrundsatz nach GVG

Eine ausdrückliche rechtliche Regelung des Öffentlichkeitsgrundsatzes findet sich in § 169 GVG. Fernseh-, Rundfunk-, Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind demnach zwar dem Grundsatz nach unzulässig, können aber unter den in § 169 GVG im Einzelnen bezeichneten Voraussetzungen zugelassen werden.[13]

Ausschluss der Öffentlichkeit

Unter besonderen Umständen ist die Öffentlichkeit bei Verfahren ausgeschlossen: In schriftlichen Verfahren ist die Öffentlichkeit regelmäßig aus praktischen Gründen ausgeschlossen, da keine öffentliche Akteneinsicht vorgenommen wird. So darf etwa in zivilrechtlichen Verfahren gemäß § 299 ZPO Dritten nur dann ohne Einwilligung der Parteien Einsicht in die Akten gestattet werden, wenn diese ein rechtliches Interesse glaubhaft machen. Bei Jugendstrafverfahren (§ 48 JGG), Familien- und Unterbringungssachen sowie bei Sachen, die die öffentliche Ordnung (Staatsschutzsachen), die Sittlichkeit oder den Geheimnisschutz gefährden könnten, muss bzw. kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

Rechtsfolgen

Wird die Öffentlichkeit zu Unrecht ausgeschlossen, so ist dies ein absoluter Revisionsgrund im Strafverfahren gemäß § 338 Nr. 6 StPO, im Zivilverfahren gemäß § 547 Nr. 5 ZPO und im Verwaltungsprozess gemäß § 138 Nr. 5 VwGO.

Literatur

  • Holger Jäckel: Das Beweisrecht der ZPO. Ein Praxishandbuch für Richter und Rechtsanwälte. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-17-020793-6, S. 62 ff.
  • Edgar J. Wettstein: Der Öffentlichkeitsgrundsatz im Strafprozess (= Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft. NF 269, ZDB-ID 503851-0). Schulthess, Zürich 1966 (Diss., Zürich).
  • Der Öffentlichkeitsgrundsatz und das Vorziehen von Hauptverhandlungen in Bußgeldsachen, Zeitschrift für Schadensrecht, März 2022, Seite 124–128

Weblinks

Einzelnachweise

  1. BVerfG, Beschluss vom 7. März 1963, Az. 2 BvR 629/62, 2 BvR 637/62, BVerfGE 15, 303, 307 - Dreierausschussbeschluss.
  2. BGH, Urteil vom 23. Mai 1956, Az. 6 StR 14/56, Volltext = NJW 1956, 1646.
  3. Robert Tubis: Die Öffentlichkeit des Verfahrens nach Art. 6 I EMRK, NJW 2010, 415.
  4. Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2013, § 169 GVG, Rn. 5.
  5. BVerfG, Beschluss vom 26. März 1987, Az. 2 BvR 589/79, BVerfGE 74, 358 Rn. 39, = NJW 1987, 2427 = MDR 1987, 815 = NStZ 1987, 421 = StV 1987, 325: "Auch Gesetze (…) sind im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, selbst wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag."
  6. EGMR, Urteil vom 5. April 2016, Az. 33060/10, Volltext, in der Sache Blum gegen Österreich = NJW 2017, 2455.
  7. Karpenstein/Mayer: Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK-Kommentar, 2. Auflage 2015, Art. 6 EMRK Rn. 60 ff.
  8. Jens Meyer-Ladewig/Martin Nettesheim/Stefan von Raumer: Europäische Menschenrechtskonvention. Handkommentar. 4. Auflage 2017, Art. 6 EMRK Rn. 170 ff.
  9. BGH, Urteil vom 10. November 1953, Az. 5 StR 445/53, NJW 1954, 281.
  10. Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 169 GVG, Rn. 8.
  11. Diemer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl. 2008, § 169 GVG, Rn. 9, 10.
  12. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2014, Az. 6 C 35/13, Volltext.
  13. Christian Schrader: Nun haben es die Richter in der Hand auf lto.de.