ATR 42

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ATR 42
ATR 42-600 in ATR-Werkslackierung
ATR 42-600 in ATR-Werksbemalung
Typ Regionalverkehrsflugzeug
Entwurfsland
Hersteller Avions de Transport Régional
Erstflug 16. August 1984
Indienststellung 1985
Produktionszeit

Seit 1984 in Serienproduktion

Stückzahl 491 (Stand: 15. November 2021)[1]

Die ATR 42 ist das kleinere Modell von zwei Turboprop-Regionalverkehrsflugzeugen des französisch-italienischen Herstellerkonsortiums Avions de Transport Régional. Das größere Modell ATR 72 ist die gestreckte Version der ATR 42.

Geschichte

ATR 42 (I-RIML) der Italy First Airlines
ATR 42 der Air Lithuania

Am 29. Oktober 1981 begann das Entwicklungsprogramm für das erste gemeinsame Produkt der Avions de Transport Régional (ATR). Die ATR 42, deren Prototyp dann am 16. August 1984 seinen Erstflug hatte, war ab September 1985 serienreif und zertifiziert. Die Endmontage und Flugerprobung der zivilen Passagierflugzeugvariante erfolgte in Toulouse, die der militärischen wie auch zivilen Frachtvarianten in Neapel.

Der Flugzeugtyp wird hauptsächlich für den Personentransport auf Kurzstrecken eingesetzt. Die Maschinen können nach Umbau der Zelle als Frachtflugzeug eingesetzt werden.

Air Littoral (Frankreich) war die erste Fluggesellschaft, die am 3. Dezember 1985 das Flugzeug in Dienst stellte. Seit dem Zeitpunkt ist es – mit Ausnahme der Änderung der Propeller – nahezu unverändert im Einsatz.

Die älteren Maschinen (ATR 42-300, ab 1985 und ATR 42-320, ab 1987) haben vierblättrige Propeller. Im Oktober 1995 nahm die verbesserte Version ATR 42-500 den Liniendienst bei der Air Dolomiti auf. Die Verbesserungen (laut Herstellerwebseite) umfassen das Kabineninterieur, ein erhöhtes Startgewicht MTOW, stärkere Motoren und modernere sechsblättrige Propeller. Dadurch werden Reisegeschwindigkeit und Reichweite erhöht sowie der Kerosinverbrauch gesenkt, auch werden die Flugzeuge im Landeanflug oder beim Start merklich leiser.

Im Oktober 2019 gab ATR bekannt, eine STOL-Variante der ATR 42-600 zu produzieren – die ATR 42-600S. Diese benötigt mit 800 Metern eine um 250 Meter kürzere Startbahn, kann dafür aber nur 40 statt 50 Passagiere transportieren. Sie bietet allerdings 50 Sitzplätze, wobei sie vollbesetzt dann 900 Meter benötigt, um zu starten.[2] Diese Variante wurde vor Programmstart 20-mal bestellt. Erstkunden sind Air Tahiti und Elix Aviation.[3]

Bis August 2015 waren 438 Exemplare der ATR 42 ausgeliefert. Mitte des Jahres 2015 betrug die Summe der Auslieferungen der „Familienmitglieder“ ATR 42 und ATR 72 1.202 Stück.[4]

Konstruktion

Durch den Einbau sogenannter Active-Noise-Reduction-Systeme wurde zudem der Propellerlärm im Kabineninneren deutlich reduziert.

Ein Vorteil der Turbopropellermaschinen gegenüber den Regionaljets ist die deutlich kürzere Start- und Landestrecke, die sie für den Einsatz auf kleineren Flughäfen interessant macht. Vergleichbare Werte für Start- und Landestrecke erreichen bei den Regionaljets nur speziell für diesen Zweck entworfene Maschinen, so etwa die BAe-146, auch Jumbolino genannt.

Der Hauptvorteil einer Turbopropmaschine ist der erheblich geringere Kraftstoffverbrauch pro Tonnenkilometer. Zum Zeitpunkt ihres Erscheinens setzte sie hier Maßstäbe – die ATR 42 verbraucht bei voller Auslastung etwa 1,8 Liter Kerosin pro Passagier und 100 km – dies entspricht der Hälfte des Verbrauchs eines modernen Jets.

Im Regionalflugverkehr hat die ATR 42 einen deutlichen Geschwindigkeitsnachteil gegenüber den mit Strahltriebwerken betriebenen Regionaljets. Mit den aktuellen Motoren erreicht die ATR 42 nur Geschwindigkeiten bis 556 km/h. Aktuelle Regionaljets erreichen mit über 700 km/h Geschwindigkeiten, die denen von Mittelstreckenflugzeugen in nichts nachstehen. Verstärkter Einsatz und die Verfügbarkeit unterschiedlicher Regional-Jets (wie der Bombardier CRJ200 oder der Regionaljets von Embraer) stellten die Zukunft von Turboprop-Flugzeugen in Frage. Angesichts steigender Treibstoff-Preise erfuhr der Turboprop-Antrieb im Jahre 2005 allerdings einen gewissen Aufschwung, was zu einer steigenden Nachfrage sowohl bei ATR als auch bei Bombardier (für die DHC-8-Serie) führte.

Die STOL-Variante, die 42-600S, unterscheidet sich durch die Software der Triebwerke, die mehr Leistung (2750 PS statt 2400 PS) beim Start abrufen können, automatische Bremsen, zusätzliche Störklappen und einem größeren Seitrenruder, welches das Handling verbessern soll.[3]

Militärische Versionen

ATR 42 MP Surveyor der Guardia di Finanza
Cockpit einer nigerianischen ATR 42 MP

Von der ATR 42 entwickelte Alenia Aeronautica neben dem militärischen Frachtflugzeug einen militärischen Transporter mit der Bezeichnung ATM 42, der mit einer Heckrampe ausgerüstet ist sowie die SAR 42 als Such- und Rettungsversion auf Basis der ATR 42-400.

Außerdem existiert eine Seeaufklärer-Variante mit der Bezeichnung ATR 42 MP Surveyor. Sie dient als Patrouillenflugzeug und wird vorwiegend von Küstenwachen oder ähnlichen Organisationen eingesetzt.[5] Das Flugzeug ist mit zwei Turboprop-Triebwerken des Typs Pratt & Whitney Canada PW100 ausgestattet. Ein Hilfstriebwerk (APU) ist nicht vorhanden. Der Propeller des rechten Triebwerks kann aber am Boden mit Hilfe einer Bremse (prop brake) fixiert werden. Die beiden Wellen des so genannten Kerntriebwerks laufen mit Leerlaufdrehzahl weiter und liefern Strom sowie Zapfluft für die Klimaanlage und andere Systeme. Beschafft wurden Flugzeuge dieses Typs von der italienischen Guardia Costiera und der Guardia di Finanza, weitere Flugzeuge gingen nach Nigeria (Nigerian Air Force) und Libyen (General Security Agency).[6]

Zivile und militärische Frachtversion

An der ATR 42 wurden durch verschiedene Firmen auch Umbauten zum Frachter ATR-42F vorgenommen. Die bekannteste Version ist ein Bulk Freighter, wobei die gesamte Kabine ausgeräumt und mit vertikalen Netzen in verschiedene Frachträume aufgeteilt wird. Die ATR 42 kann dabei ökonomisch bis zu etwa fünf Tonnen Fracht transportieren. Eine ATR 42-320 als Frachter wird beispielsweise durch ASL Airlines Switzerland (ehemals Farnair) mit Basis in Basel, Schweiz eingesetzt.

Zwischenfälle

Bis einschließlich Dezember 2017 kam es zu 33 Totalschäden. Bei 11 davon wurden 272 Menschen getötet.[7] Beispiele:

  • Am 15. Oktober 1987 stürzte eine ATR 42-300 der italienischen Aero Trasporti Italiani (ATI) (Luftfahrzeugkennzeichen I-ATRH) auf dem Flug vom Flughafen Mailand-Linate nach Köln-Bonn bei Lasnigo ab. Fünfzehn Minuten nach dem Start begann das Flugzeug mit heftigen Rollbewegungen mit Schräglagen von bis zu 135 Grad, wonach es zum Kontrollverlust kam. Die Maschine schlug beim Sturzflug 48 Kilometer nördlich von Mailand am Comer See im Gelände auf, wobei alle 37 Menschen an Bord der Maschine, drei Besatzungsmitglieder und 34 Passagiere, ums Leben kamen. Ausgelöst war der Kontrollverlust durch starke Vereisung.[8]
  • Am 21. August 1994 wurde der Autopilot einer in Agadir gestarteten ATR 42-300 der Royal Air Maroc in einer Flughöhe von 16.000 Fuß ausgeschaltet. Das Flugzeug ging in einen Sturzflug über und zerschellte am Boden. Alle 44 Personen an Bord starben. Die vermutliche Unfallursache war ein Suizid des Flugkapitäns (siehe auch Royal-Air-Maroc-Flug 630).[9]
  • Am 30. Juli 1997 setzte eine ATR 42-500 der Air Littoral (F-GPYE) bei der Landung auf dem Flughafen Florenz deutlich zu spät und zu schnell auf. Sie überrollte das Ende der nur 1030 m kurzen verfügbaren Landestrecke und prallte gegen die Böschung der angrenzenden Autobahn. Einer der Piloten wurde getötet, die anderen 16 Insassen überlebten (siehe auch Air-Littoral-Flug 701).[10]
  • Am 11. Oktober 1999 stahl ein Pilot der Air Botswana eine ATR 42-320 (A2-ABB) und steuerte sie, alleine fliegend, am Flughafen Gaborone absichtlich in zwei leere ATR 42 am Boden, nachdem seine Forderungen nach Gesprächen mit dem Präsidenten von Botswana und weiteren Entscheidungsträgern nicht erfüllt worden waren (siehe auch Air-Botswana-Flugunfall 1999).[11]
  • Am 11. Februar 2010 führten die Piloten einer ATR 42-300 der Trigana Air Service eine Notlandung in einem Reisfeld etwa 30 Kilometer vom indonesischen Sultan Aji Muhamad Sulaiman Airport entfernt durch, nachdem nacheinander beide Triebwerke Leistung verloren hatten. Zwei Passagiere erlitten Beinbrüche.
  • Am 13. September 2010 stürzte eine ATR 42-320 der Conviasa (YV1010) bei einem Inlandsflug in Venezuela bei Ciudad Guayana ab, nachdem der Pilot vorher technische Probleme gemeldet hatte. Von den 51 Menschen an Bord starben 17, 34 wurden teilweise schwer verletzt (siehe auch Conviasa-Flug 2350).[16][17]
  • Am 12. Februar 2014 wurde eine ATR 42-300 der irischen Air Contractors (EI-BYO) auf dem Flughafen Shannon (Irland) irreparabel beschädigt, als ein Sturm mit 58 Knoten (107 km/h), in Böen bis zu 79 Knoten (146 km/h) über den Flugplatz fegte. Personen kamen dabei nicht zu Schaden.[18]
  • Am 16. August 2015 verschwand eine ATR 42-300 der Trigana Air Service (PK-YRN) auf dem Flug von Jayapura nach Oksibil in der indonesischen Provinz Papua vom Radar, da sie in einen Berg geflogen worden war (Controlled flight into terrain). An Bord der Maschine befanden sich 54 Personen, darunter fünf Kinder und fünf Besatzungsmitglieder.[19] Später wurden zwölf Kilometer vom Flugziel entfernt Wrackteile gefunden. Anwohner hatten beobachtet, wie das Flugzeug einen Berg gerammt hatte. Keiner der 54 Insassen überlebte. Der Absturz war somit der bisher schwerste Unfall mit einer ATR 42 (siehe auch Trigana-Air-Service-Flug 267).[20]
  • Am 13. Dezember 2017 stürzte eine ATR 42-300 der West Wind Aviation (C-GWEA) kurz nach dem Start vom kanadischen Fond-du-Lac ab. Den eigentlichen Unfall überlebten alle 22 Passagiere und drei Besatzungsmitglieder, jedoch starb ein Passagier zwei Wochen später an den Folgen des Absturzes. Die Maschine war trotz verbliebenen Eisansatzes vom Anflug nicht enteist worden.[23][24] Am 22. Dezember entzog die kanadische Zivilluftfahrtbehörde der Fluggesellschaft temporär die Betriebserlaubnis (siehe auch West-Wind-Aviation-Flug 280).[25]

Technische Daten

Kabine einer ATR 42-500
ATR 42 der UTair
Kenngröße ATR 42-300 ATR 42-320 ATR 42-500 ATR 42-600 ATR 42-600S
Länge 22,67 m
Spannweite 24,57 m
Höhe 7,59 m
Kabinenbreite 2,57 m
Kabinenhöhe 1,91 m
Reichweite
(mit 48 pax)
1.150 km (630 NM) 1.550 km (840 NM) 1.326 km (726 NM) n.B.
Geschwindigkeit 491 km/h (265 kn) 498 km/h (269 kn) 556 km/h (300 kn)
Max. Startgewicht 16.700 kg 18.600 kg n.B.
Max. Zuladung 4.950 kg 5.450 kg 5.300 kg n.B.
Max. Treibstoffgewicht 4.500 kg n.B.
Max. Sitzplätze 50
Triebwerke (2 ×) Turboprop Pratt & Whitney Canada
PW120 mit 1.470 kW (2.000 PS)
Turboprop Pratt & Whitney Canada
PW121 mit 1.544 kW (2.100 PS)
Turboprop Pratt & Whitney Canada
PW127E gedrosselt von 2.051 kW auf 1.764 kW (2.400 PS)
Turboprop Pratt & Whitney Canada
PW127M mit 1.764 kW (2.400 PS)
Propeller (2 ×) 4-Blatt Hamilton Standard 6-Blatt Hamilton Standard
Indienststellung 1985 1987 1995 2007 vsl. ab 2022
Besonderheit Keine STOL-Variante

Siehe auch

Weblinks

Commons: ATR 42 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Aircraft. Zitat: „ATR 42: 491 frames.“ Auf RZJets.net, abgerufen am 15. November 2021.
  2. ATR will mit neuem Modell durchstarten. In: aeroTELEGRAPH. 20. Juni 2019, abgerufen am 21. Juni 2020 (Schweizer Hochdeutsch).
  3. a b Patrick Zwerger: Regional-Turboprop für kurze Runways: ATR launcht STOL-Variante der ATR 42-600. 9. Oktober 2019, abgerufen am 21. Juni 2020.
  4. Regional figures in all corners of the globe. atraircraft.com. Abgerufen am 11. Juli 2015.
  5. ATR 42 MP Surveyor (Memento vom 20. Juli 2008 im Internet Archive)
  6. ATR 42 MP Bestellungen
  7. Unfallstatistik Aérospatiale/Aeritalia ATR-42. Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 12. November 2017.
  8. Flugunfalldaten und -bericht ATR42 I-ATRH im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 15. Januar 2022.
  9. Flugunfalldaten und -bericht ATR 42 CN-CDT im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 2. August 2022.
  10. Flugunfalldaten und -bericht der ATR-42 F-GPYE im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 11. April 2015.
  11. Flugunfalldaten und -bericht ATR 42 A2-ABB, Gaborone im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 12. August 2018.
  12. Flugunfalldaten und -bericht im Aviation Safety Network (englisch)
  13. Flugunfalldaten und -bericht ATR 42 PT-MTS im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 25. Februar 2019.
  14. Flugunfalldaten und -bericht von Flug ATR-42-300 YV1449 Mérida-A Carnevalli Airport (MRD) im Aviation Safety Network (englisch)
  15. Crash During Approach to Landing Empire Airlines Flight 8284, Avions de Transport Régional, Aerospatiale Alenia ATR 42‐320, N902FX, Lubbock, Texas, January 27, 2009. (PDF; 1,32 MB) NTSB, archiviert vom Original am 17. Oktober 2011; abgerufen am 20. Dezember 2014 (englisch).
  16. Venezuelan plane crash death toll rise to 17. xinhuanet.com. 15. September 2010. Archiviert vom Original am 6. November 2012. Abgerufen am 26. Januar 2014.
  17. Flugunfalldaten und -bericht von Flug ATR-42-320 YV1010 Puerto Ordaz Airport (PZO) im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 2. März 2021.
  18. Flugunfalldaten und -bericht ATR 42 EI-BYO im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 28. Juni 2022.
  19. Flugunfalldaten und -bericht ATR-42 PK-YRN im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 22. Januar 2019.
  20. Suchteams finden Wrackteile. tagesschau.de, 17. August 2015, archiviert vom Original am 19. August 2015; abgerufen am 17. August 2015.
  21. Pakistan International Airlines-Flugzeug abgestürzt. In: faz.net. Abgerufen am 7. Dezember 2016.
  22. Crash: PIA AT42 near Havelian on Dec 7th 2016, engine failure. In: Aviation Herald. Abgerufen am 7. Dezember 2016.
  23. Accident: West Wind AT42 at Fond-du-Lac on Dec 13th 2017, impacted terrain shortly after takeoff. In: Aviation Herald. 14. Dezember 2017, abgerufen am 14. Dezember 2017 (englisch).
  24. Flugunfalldaten und -bericht ATR-42 C-GWEA im Aviation Safety Network (englisch), abgerufen am 22. Januar 2019.
  25. Passagier verstirbt zwei Wochen nach West-Wind-Absturz. In: aero.de. 28. Dezember 2017, abgerufen am 28. Dezember 2017.