Aachener Friedenspreis

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Urkunde des Aachener Friedenspreises 1988 für Jutta Dahl

Aachener Friedenspreis ist der Name sowohl eines 1988 gegründeten Vereins mit Sitz in Aachen als auch einer Auszeichnung dieses Vereins.

Einer der Anlässe für die Gründung war die stark umstrittene Auszeichnung Henry Kissingers mit dem Karlspreis 1987.[1]

46 Personen haben den Verein gegründet. Zweck des Vereins ist die Würdigung von Personen oder Gruppen, die von „unten her“ dazu beigetragen haben, der Verständigung der Völker und der Menschen untereinander zu dienen sowie Feindbilder ab- und Vertrauen aufzubauen. Die Preisverleihung und die Preisträger sind an keine Nation, Religion oder Ideologie gebunden. Der Verein sieht sich als städtische Bürgerinitiative. Von 1988 bis 1997 war Pfarrer Albrecht Bausch Vereinsvorsitzender und prägte die Arbeit des Vereins stark.[2]

Die Preisverleihung findet jährlich im Anschluss an die Demonstration zum Antikriegstag am 1. September als öffentliche Feier in der Aula Carolina statt.

Heute gehören dem Verein ca. 400 Mitglieder an, darunter rund 350 Einzelpersonen, sowie etwa 50 Organisationen. Unter diesen die Stadt Aachen, die DGB-Region NRW Süd-West, die katholischen Organisationen Misereor und Missio (letztere mit ruhender Mitgliedschaft), die in Aachen ihren Hauptsitz haben, der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Aachen, der evangelische Kirchenkreis Aachen, zahlreiche weitere kirchliche Organisationen, der SPD-Unterbezirk, der Kreisvorstand der Grünen und Die Linke in der Städteregion Aachen.[3]

1996 beschloss der von einer Koalition von SPD und Grünen dominierte Rat der Stadt Aachen den Beitritt zum Verein. 1999 trat die Stadt mit den Stimmen der damaligen CDU- und FDP-Mehrheit wieder aus. 2004 beschloss der Rat der Stadt Aachen, nun wieder mit SPD- und Grünen-Mehrheit, einstimmig den Wiedereintritt in den Verein.

Preisträger

Die Satzung des Aachener Friedenspreis e. V. sieht keine Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Preisträgern vor. Das Preisträgerwahlverfahren auf der Mitgliederversammlung des Vereins lässt auch kaum die gezielte Aufteilung in einen Preisträger aus dem Inland und einen aus dem Ausland zu. Falls sich aber eine solche Verteilung ergibt, wird oftmals die Begrifflichkeit nationaler und internationaler Preisträger verwendet.

Jahr Nationale Preisträger Internationale Preisträger
1988

Werner Sanß
Jutta Dahl

1989

Joseph Rossaint

Danuta Brzosko-Mędryk (Polen)[4]

1990

Neusser Medizin-Forschungsteam
Vera Wollenberger

1991

Herbert Kaefer

Women in Black (Israel)

1992

Kerstin und Thomas Meinhardt für die Projektgruppe Rüstungsexport, Idstein

Menschenrechtsinitiative COPADEBA (Lateinamerika)

1993

Netzwerk Friedenssteuer, Günter Lott und Reinhard Egel

Jean Bertrand Aristide (Haiti)

1994

Emmaus-Gemeinschaft in Köln

Kailash Satyarthi und SACCS (Indien)

1995

Ludwig Baumann

Leyla Zana (Türkei)

1996

Connection e. V.

Olisa Agbakoba (Nigeria)

1997

Gemeinschaftshauptschulen Eschweiler-Dürwiß und Aretzstraße – Aachen

Gush Shalom mit Uri Avnery (Israel)

1998

Walter Herrmann und Unterstützer der Kölner Klagemauer

IFCO / Pastors for Peace (Lateinamerika)

1999

Wanderkirchenasyl in Nordrhein-Westfalen

Peace Brigades International

2000

Aktion Noteingang

Reconstruindo a Esperança (Mosambik)

2001

Pro Asyl e. V.

Kazuo Soda (Japan)

2002

Bernhard Nolz

Barbara Lee (USA)

2003

Initiative Ordensleute für den Frieden

Reuven Moskovitz und Nabila Espanioly (Israel)

2004

Eren Keskin (Türkei) und Komitee der Soldatenmütter in Sankt Petersburg (Russland)

2005

Hanne Hiob

Roy Bourgeois (USA)

2006

Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e. V.

2007

Josef Steinbusch, Gründer Kinderzirkus „Pinocchio“ des Aachener Netzwerks

Friedensgemeinde San José de Apartadó (Kolumbien)

2008

Andreas Buro, Förderer der deutschen Friedensbewegung

Machsom Watch, eine israelisch/palästinensische Menschenrechtsgruppe sowie Mitri Raheb (Palästina)

2009

Berliner Compagnie, Alternatives Tourneetheater

Zdravko Marjanović, bosnisch-serbischer Friedensaktivist

2010 Austen Peter Brandt und Phoenix e. V., nachhaltige Verringerung des Rassismus Marco Arana (Peru)
2011 Informationsstelle Militarisierung und Jürgen Grässlin
2012 Borderline europe – menschenrechte ohne grenzen e. v. (Elias Bierdel)[5] Alejandro Cerezo Contreras[6]
2013 Erste „Schulen ohne Bundeswehr“ :
Robert-Blum-Gymnasium (Berlin),
Käthe-Kollwitz-Schule (Offenbach)
Internationale Schule Dohuk, Irak (Kurdengebiet) für ihre Friedensarbeit mit Schülern aller Ethnien und Religionen[7][8]
2014 Lebenslaute Klassische Musik – politische Aktion Code Pink (USA) von Frauen initiierte Graswurzelbewegung für Frieden und soziale Gerechtigkeit
2015 Rakotonirina Mandimbihery Anjaralova, Lumbela Azarias Zacarias und Balorbey Théophilius Oklu (Marokko)
Erzbischof Dieudonné Nzapalainga und Imam Kobine Layam (Zentralafrikanische Republik)
2016 Bürgerinitiative Offene Heide Komitee der Wissenschaftler für den Frieden
2017 Jugendnetzwerk für politische Aktionen (JunepA), Initiative gegen Atomwaffen, Rüstungsexporte und Freihandel sowie für den Klimaschutz[9] No MUOS, Initiative, die seit 2008 die Schließung von Sendeanlagen (MUOS) auf einem US-Militärstützpunkt auf Sizilien fordert[9]
2018 Peng!-Kollektiv aus Berlin Concern Universal Colombia aus Kolumbien, vertreten durch die Geschäftsführerin Siobhan McGee und den Programmleiter Jaime Bernal
2019 Initiativkreis gegen Atomwaffen (Cochem-Zell) und die Kampagne „Büchel ist überall – atomwaffenfrei.jetzt“ Der nominierte Ruslan Kotsaba (Ukraine) hat am 22. Mai 2019 auf die Auszeichnung verzichtet,[10] daher wird die für Juni 2019 geplante Aufhebung der Nominierung obsolet.[11]
2020 Père Antoine Exelmans

Centro Gaspar Garcia de Direitos Humanos (Zentrum für Menschenrechte Gaspar garcia) aus Brasilien[12]

2021 Initiative 19. Februar Hanau und Bildungsinitiative Ferhat Unvar (beide gegründet von Angehörigen der Opfer nach dem Anschlag in Hanau 2020) Women’s Interfaith Council (WIC) aus Kaduna in Nigeria
2022 Holger Rothbauer, Menschenrechtsanwalt, Tübingen Mwatana for Human Rights (Nichtregierungsorganisation) aus Saana, Jemen

Auswahlverfahren

Jedes Mitglied des Aachener Friedenspreis e. V. ist berechtigt, Vorschläge für Preisträger einzureichen. Externe Personen oder Organisationen können ebenfalls Vorschläge einreichen, die jedoch nur behandelt werden, wenn ein Mitglied des Vereins den Vorschlag übernimmt. Über die gesamten eingegangenen Vorschläge stimmt zunächst der Vorstand ab. Die fünf Vorschläge mit dem besten Ergebnis im Vorstand werden, sofern mindestens zwei Drittel des Vorstands den Vorschlag befürworten, der Mitgliederversammlung vorgelegt. Die Mitgliederversammlung wählt aus den fünf Vorschlägen des Vorstands dann zwei aus, die allerdings auch in der Mitgliederversammlung eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigen. Kommt keine Zwei-Drittel-Mehrheit für den Vorschlag mit dem zweitbesten Ergebnis zustande, so wird nur ein Preisträger ausgezeichnet. Dies geschah bisher jedoch nur einmal im Jahr 2006. Eine Unterscheidung zwischen nationalen und internationalen Preisträgern gibt es im Wahlverfahren nicht. Die neuen Preisträger werden jeweils am 8. Mai verkündet.

Probleme mit Preisträgern

Die Kölner Klagemauer und ihr Initiator Walter Herrmann, Preisträger 1998, erklärten 2012 den Austritt aus dem Verein Aachener Friedenspreis. Vorausgegangen war ein Streit innerhalb des Vereins über den Wunsch mehrerer Mitglieder, sich von Herrmann zu distanzieren. In den Aachener Nachrichten schrieb Gerald Eimer dazu, Herrmann habe „antisemitische und israelfeindliche Karikaturen“ an der Kölner Klagemauer ausgehängt.[13] Hermann hatte das Foto einer Demonstrantin, die eine antiisraelische Karikatur hochhält, dort aufgehängt und wurde vom Schauspieler Gerd Buurmann wegen Volksverhetzung angezeigt. Die Ermittlungen gegen Herrmann wurden eingestellt.[14]

Die Hulda-Pankok-Gesamtschule in Düsseldorf lehnte den Preis, der ihr 2013 zuerkannt werden sollte, ab. Man wolle sich nicht „für politische Statements missbrauchen lassen“, die für preiswürdig empfundenen Umstände träfen nicht zu.[7][8]

Am 8. Mai 2019 gab der Vereinsvorstand bekannt, dass der diesjährige Friedenspreis an den westukrainischen Blogger und Aktivisten Ruslan Kotsaba gehen solle. Nach Recherchen des Autorenblogs Salonkolumnisten[15] hatte Kotsaba in einem Video[16] den Holocaust nicht nur verharmlost, sondern den Juden selbst die Schuld daran gegeben. Im Wortlaut (nach einer Übersetzung von Boris Reitschuster):

„Die Juden erinnern sich an diese Periode [gemeint ist der Holocaust] vermutlich mit Trauer, daran, wie sie wie Schafe dahinliefen und zu Tausenden erschossen wurden, obwohl sie nur von ein, zwei Maschinengewehrschützen bewacht wurden, obwohl sie doch mit ihren Körpermassen jeden Konvoi hätten erdrücken können. Aber sie spürten eben, dass sie eine Strafe zu verbüßen haben, dafür, dass sie den Nationalsozialismus heranzüchteten, den Kommunismus heranzüchteten.“

Nachdem zunächst das Vorstandsmitglied des Vereins, Lea Heuser, von einer „Manipulation“ an dem Video gesprochen hatte, gab Kotsaba wenig später zu, diese Äußerungen getätigt zu haben, wobei er behauptete, dass die Äußerungen aus dem Kontext gerissen seien und er sich zudem von dem Inhalt inzwischen distanziere. Der Vereinsvorstand sowie der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Die Linke) hielten die Äußerungen zwar für „völlig inakzebtabel“, wollten jedoch zunächst an der Preisverleihung festhalten.[17] Die Begründung lautete: Kotsaba habe sich von einem Vertreter „fragwürdiger politischer Positionen“ und einem Unterstützer des Euromaidan, der letztendlich zum Krieg in der Ostukraine geführt habe, zu einem „entschlossenen Kriegsgegner und Pazifisten“[18] gewandelt. Diese Aussage, die auf der Facebook-Seite des Vereins stand, löste heftige Kritik unter Anhängern des Euromaidan und Gegnern des ostukrainischen Separatismus aus, weil Hunko damit den Eindruck erweckte, als sei der Antisemitismus ein Merkmal der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung. Die Stellungnahme wurde nach wenigen Stunden wieder gelöscht. Am 10. Mai 2019 gab der Vereinsvorstand bekannt, dass er seine Entscheidung zur Preisvergabe an Kotsaba widerrufe; vorbehaltlich eines Mitgliedervotums[19] zu dem es nicht kam, da Kotsaba am 22. Mai 2019 auf die Auszeichnung verzichtete.[10]

Ein Überblick über den Umgang des Vereins mit problematischen Preisträgern findet sich auf der Seite der Salonkolumnisten.[20]

Weitere Aktionen

Über die Preisverleihungen hinaus wird der Verein im Sinne seiner Mitglieder auch politisch aktiv. So erstattete der Verein im November 2006 – unter Berufung auf das Weißbuch der Bundeswehr – gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung Strafanzeige wegen „Vorbereitung der Bundeswehr zu Angriffskriegen“.[21] Der Verein initiierte damit eine breite Berichterstattung. Die Generalstaatsanwaltschaft lehnte eine Verfolgung der in der Strafanzeige erhobenen Vorwürfe ab.

Der Verein gehört der Kooperation für den Frieden an.[22]

Weblinks

Commons: Aachener Friedenspreis – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. 8. Mai 1988 – 8. Mai 2013. Der Aachener Friedenspreis wird 25 Jahre alt. In: aixpaix.de. 8. Mai 2013, abgerufen am 19. August 2019 (Interview mit Otmar Steinbicker).
  2. MH: Trauer um „Vater“ des Aachener Friedenspreises Albrecht Bausch. In: Aachener Nachrichten. 27. Dezember 2017, abgerufen am 15. Januar 2020 (Nachruf).
  3. Nach Homepage.
  4. „Sie, Frau Dr. Brzosko-Mędryk, zu ehren und Ihnen zu danken schließt zweierlei ein. Zum einen – gerade als junger Deutscher bewegt mich das – die Hochachtung vor Ihrem Schicksal und – verbunden mit tiefer Scham und großer Dankbarkeit dafür – daß Sie uns Deutschen heute wieder die Hand reichen für eine gemeinsame Zukunft. Zum anderen geht es aber auch um das Symbol und das Vorbild Polens gerade für uns als Deutsche. Polen wurde zum Symbol des Leidens…“ (aus der Laudatio von Christian Lawan).
  5. Aachener Friedenspreis geht an „Borderline Europe“. In: welt.de. 8. Mai 2012, abgerufen am 7. September 2018.
  6. Preisträger des Jahres 2012. Alejandro Cerezo Contreras und das Comité Cerez. In: aachener-friedenspreis.de. 2012, abgerufen am 19. August 2019.
  7. a b Katrin Schmiedekampf: Bröckelnde Front. In: Die Zeit. Nr. 26, 20. Juni 2013 (zeit.de [abgerufen am 28. September 2013]).
  8. a b „Schulen ohne Bundeswehr“ erhalten Friedenspreis. In: Welt online. 2. September 2013, abgerufen am 28. September 2013.
  9. a b Aachener Friedenspreis für Jugendnetzwerk und sizilianische Bewegung. In: chrismon.evangelisch.de. 8. Mai 2017, abgerufen am 4. Januar 2021..
  10. a b Ruslan Kotsaba verzichtet auf Auszeichnung mit Aachener Friedenspreis 2019. Aachener Friedenspreis e.V., 22. Mai 2019, abgerufen am 23. Mai 2019.
  11. Vorstandsbeschluss des Aachener Friedenspreis e.V. zu Ruslan Kotsaba. In: aachener-friedenspreis.de, 10. Mai 2019, abgerufen am 10. Mai 2019.
  12. Verleihung des Aachener Friedenspreises 2020. Aachener Friedenspreis e.V, 8. Dezember 2020, abgerufen am 10. Dezember 2020.
  13. Umstrittener Preisträger verlässt den Friedenspreis. In: Aachener Nachrichten. 24. August 2012, abgerufen am 15. April 2014.
  14. Claudia Hauser: Kölner Domplatte. Freispruch für Klagemauer-Initiator. In: Kölner Stadtanzeiger. 12. Februar 2014, abgerufen am 8. Mai 2017.
  15. Von Aachen bis Zyklon B. In: salonkolumnisten.com. 9. Mai 2019, abgerufen am 11. Mai 2019.
  16. Ruslan Kotsaba: Die Russen haben Stalin und Hitler gezüchtet. In: dailymotion. 1. September 2018, abgerufen am 11. Mai 2019.
  17. Eklat beim Aachener Friedenspreis. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 11. Mai 2019, abgerufen am 11. Mai 2019.
  18. Kein Aachener Friedenspreis an Ruslan Kotsaba. In: Deutsche Welle. 10. Mai 2019, abgerufen am 11. Mai 2019.
  19. Vorstandsbeschluss des Aachener Friedenspreis e.V. zu Ruslan Kotsaba. In: Aachener Friedenspreis. 10. Mai 2019, abgerufen am 11. Mai 2019.
  20. Karl-Hermann Leukert: Die Friedensrichter. In: salonkolumnisten.com. 14. Mai 2019, abgerufen am 15. Mai 2019.
  21. Wortlaut Strafanzeige gegen Bundeskanzlerin Merkel und Minister Jung. In: ag-friedensforschung.de, 15. November 2006, abgerufen am 22. März 2018 (PDF; 63 kB).
  22. Kooperation für den Frieden, Mitwirkende. In: koop-frieden.de, abgerufen am 22. März 2018.