Abstrakte Kunst

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Frank Stella – Memantra (2005)

Abstrakte Kunst ist eine Sammelbezeichnung für nach 1900 in Erscheinung tretende Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts. Sie verwendet die bildnerischen Gestaltungsmittel teils – wie der Kubismus – vom Gegenstand abstrahierend, teils völlig losgelöst von Natur und realen Gegenständen (gegenstandslose Kunst). Werke der ersteren Kategorie zeigen abstrahierte („verwesentlichte“, auf eine Essenz verdichtete) Gegenstände, Figuren, Räume. Werke der letzteren Kategorie bedienen sich autonom der visuellen, künstlerischen Mittel, ohne jeglichen mimetischen Gegenstandsbezug.[1] In der Verbreitung der Fotografie mit ihrer neuen Qualität der Naturwiedergabe wird eine der Ursachen für das Entstehen der abstrakten Kunst gesehen.

Anfänge und Wegbereiter

Wassily Kandinsky: Aquarell ohne Titel, 1910 oder 1913 entstanden
Hilma af Klint, Chaos, n°2, 1906.

Die ideellen Wurzeln dürften bis ins antike Griechenland zurückreichen. Die philosophische Justierung für die Einordnung und Würdigung der formalen Qualitäten eines Oeuvres ergibt sich demnach schon aus einer Aussage Platons: „Gerade Linien und Kreise sind … nicht nur schön … sondern ewiglich und absolut schön.“ Grundsätzlich wollte Platon damit zum Ausdruck bringen, dass nicht gegenständliche Bilder (z. B. einfache geometrische Formen) eine absolute, nicht veränderliche Schönheit besitzen. Demnach kann ein Werk bloß auf der Grundlage seiner Linien und Farben gewürdigt und wertgeschätzt werden – es ist nicht dazu verpflichtet, ein natürliches Objekt oder eine gegenständliche Szene darzustellen.

Abstrakte Kunst in der Form, wie wir sie heute kennen, ist dahingegen wesentlich jünger und hat ihren Ursprung als Abkehr von der klassischen und traditionellen akademischen Malerei in Europa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert.[2]

Kurz nach 1900 begannen die ersten Maler und Bildhauer sich immer weiter von der Wiedergabe der realen Welt zu entfernen. Bekannt ist Wassily Kandinskys Weg von einer stilisierenden, dem Münchner Jugendstil verpflichteten Malerei über zahlreiche Entwicklungsstufen hin zu abstrakten Kompositionen, die in der reinen Gegenstandslosigkeit organischer und geometrischer Formen münden.[3] Für Künstler wie Kandinsky war nicht mehr die Abbildung der Wirklichkeit entscheidend. Die einzige Wahrheit wollte der russische Künstler im Inneren des Menschen erkennen, und dieses Innere, die Gefühlswelt, sollte sich auf der Leinwand in abstrakten Farben und Formen widerspiegeln. Schon der Kunsthistoriker Wilhelm Worringer hatte 1907 einen Essay über „Abstraktion und Einfühlung“ geschrieben. Darin heißt es: „Die Tendenz zur Abstraktion ist die Folge einer tiefen Verunsicherung des Menschen angesichts der Welt.“[4]

Programmatisch legte Kandinsky mit seiner 1910 verfassten Schrift: Über das Geistige in der Kunst die theoretische Grundlage für die neue Richtung in der Malerei. Ob ihm die Pionierrolle in der Entwicklungsgeschichte zur Abstraktion zukommt, ist indessen strittig. Seinen eigenen Angaben zufolge malte er sein erstes gegenstandsloses Bild im Jahr 1910. Heute geht man aber davon aus, dass Kandinsky dieses Bild vordatiert hat, vermutlich malte er es erst 1913.[5] Der Tscheche František Kupka hatte bereits 1911 begonnen, abstrakte Bilder zu malen.

Als erste Künstlerin, die abstrakte Bilder malte, gilt jedoch nach einem Bericht der Journalistin und Historikerin Julia Voss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im April 2011 Hilma af Klint (1862–1944). Nach einer Serie kleinformatiger Bilder im November 1906 schuf sie ihr erstes großformatiges Bild im Jahr 1907.[6] Weitere Wegbereiter der abstrakten Malerei waren die in Frankreich aktiven Künstler Sonia Delaunay-Terk, Robert Delaunay und Francis Picabia, der Niederländer Piet Mondrian und die in der Schweiz und Frankreich wirkende Sophie Taeuber-Arp.

In der Bildhauerei entstanden die eigentlich gegenstandslosen Werke erst um 1920 von dem ukrainischen Bildhauer Alexander Archipenko, dem russischen Konstruktivisten El Lissitzky und dem englischen Bildhauer Henry Moore.

Theoretische Grenzen und Abgrenzung von gegenstandsloser Kunst

Die Beschreibung von Momenten der Kunst, die sich nicht einem mimetischen Gegenstandsbezug unterwerfen – einer historisch insbesondere für bildende und darstellende Kunst formulierten Norm, die sich wenn überhaupt nur mit erheblichen Einschränkungen auch auf Musik, Architektur und Literatur beziehen lässt –, als Abstraktion ist jedoch nur eine mögliche Perspektive, die auch dem Selbstverständnis verschiedener Strömungen der Kunstgeschichte widerspricht. So grenzten der Suprematismus Kasimir Malewitschs und der Konstruktivismus sich als gegenstandslos explizit von der abstrakten Kunst (etwa Wassily Kandinskys) ab, als illusionismusfreier Schaffung neuer konkreter Wirklichkeit in den Kunstwerken (Suprematismus) bzw. schöpferischer Gestaltung des materiellen Lebens (Konstruktivismus).[7]

Parallele in der Musik

Die Künstler der Abstraktion bewegten sich parallel zur Musik dieser Zeit. Dort wurde mit der dissonanten Freisetzung des Klangwertes der Einzeltöne und der Entfernung von der Melodie etwas Vergleichbares zur Freisetzung des Farbtons vom Gegenstand geschaffen. Die Künstler des Blauen Reiters suchten daher den Schulterschluss mit Komponisten wie Arnold Schönberg, dem Begründer der Zwölftontechnik.

Stilrichtungen

Seit ihren Anfängen hat Abstrakte Kunst in immer neuen Varianten, Stilrichtungen und Zusammenhängen weltweit ihren Platz in der Kunstszene behauptet. Zu ihren wichtigsten Stilrichtungen gehören der Konstruktivismus und Suprematismus, die geometrische Abstraktion, der Abstrakte Expressionismus, das Informel, die Analytische Malerei und die Kunst, die am Bauhaus entstand.

Künstler (Auswahl)

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Wassily Kandinsky: Das Jüngste Gericht/Komposition V, 1911, Privatbesitz
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Robert Delaunay: Simultaneous Contrasts-Sun and Moon, 1912–1913, Öl auf Leinwand, Museum of Modern Art, New York
Datei:SchwarzesQuadrat.jpeg
Kasimir Malewitsch: Schwarzes Quadrat auf weißem Grund, 1915 erstmals ausgestellt, Tretjakow-Galerie, Moskau
Datei:Hölzel-Abstraktion II.jpg
Adolf Hölzel: Abstraktion II, 1915/16. Staatsgalerie Stuttgart
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El Lissitzky: Proun, 1924, M.T. Abraham Center for the Visual Arts
Datei:Piet Mondriaan, 1921 - Composition en rouge, jaune, bleu et noir.jpg
Piet Mondrian: Komposition mit Rot, Gelb, Blau und Schwarz, 1926, Gemeentemuseum Den Haag

Siehe auch

Literatur

  • Susanne Anna (Hrsg.): Die Informellen – von Pollock zu Schumacher. Hatje Cantz, Ostfildern 1999, ISBN 3-89322-689-3.
  • Dietmar Elger: Abstrakte Kunst. Taschen, Köln 2008, ISBN 978-3-8228-5617-8.
  • Peter Haller (Hrsg.): Abstrakte Kunst nach 1948 – Sammlung Serviceplan. Jovis, Berlin 2012, ISBN 978-3-86859-189-7.
  • Barbara Hess/Uta Grosenick (Hrsg.): Abstrakter Expressionismus. Taschen, Köln 2005, ISBN 3-8228-2967-6.
  • Heinrich Lützeler: Abstrakte Malerei, Gütersloh 1961
  • Raphael Rosenberg: Turner, Hugo, Moreau. Entdeckung der Abstraktion. Ausstellungskatalog Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main. Hirmer, München 2007, ISBN 978-3-7774-3755-2.
  • Bettina Ruhrberg, Karl Ruhrberg: Im Zeichen der Abstraktion. Zur westdeutschen Kunst 1945–1960. In: Ferdinand Ullrich (Hrsg.): Kunst des Westens. Deutsche Kunst 1945–1960. (Katalog der Kunstausstellung der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1996). Wienand Verlag, Köln 1996, ISBN 3-87909-489-6.

Weblinks

Commons: Abstrakte Kunst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Nicola Carola Heuwinkel: Entgrenzte Malerei. Art Informel in Deutschland. Kehrer Verlag, Heidelberg/ Berlin 2010, S. 22f.
  2. Joachim Rodriguez: Abstrakte Kunst – Alles über die gegenstandslose Kunstrichtung. In: Kunstplaza. 25. Januar 2020, abgerufen am 24. November 2020.
  3. Das bunte Leben. Wassily Kandinsky im Lenbachhaus. Ausstellungskatalog Städtische Galerie im Lenbachhaus. Köln: DuMont 1995. ISBN 3-7701-3785-X
  4. Gaby Reucher: 150. Geburtstag: Wie Wassily Kandinsky zur abstrakten Kunst kam. In: Deutsche Welle. 4. Dezember 2016, abgerufen am 24. November 2020.
  5. Dietmar Elger: Abstrakte Kunst. Taschen, Köln 2008, S. 28.
  6. Julia Voss: Die Thronstürmerin. In: FAZ. 16. April 2011, Nr. 90, S. 31.
  7. Andrei B. Nakov, Michel Pétris: Avertissement des traducteurs. In: Nikolaj Tarabukin: Le dernier tableau. Éditions Champ Libre, Paris 1972. S. 21–23.