Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch

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Basisdaten
Titel: Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch
Langtitel: Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie
Abkürzung: ABGB
Typ: Bundesgesetz
Geltungsbereich: Republik Österreich
Rechtsmaterie: Zivilrecht
Fundstelle: JGS Nr. 946/1811 in ALEX
Datum des Gesetzes: 1. Juni 1811
Inkrafttretensdatum: 1. Jänner 1812
Letzte Änderung: BGBl. I Nr. 175/2021
Gesetzestext: ABGB i.d.g.F. im RIS
Bitte beachte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung!
Datei:ABGB von 1811 im Heeresgeschichtlichen Museum.jpg
Titelblatt der ABGB-Ausgabe von 1811, ausgestellt im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien

Das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) ist die 1812 in den „deutschen Erbländern“ des Kaisertums Österreich in Kraft getretene und auch heute noch geltende wichtigste Kodifikation des Zivilrechts in Österreich und ist damit auch das älteste gültige Gesetzbuch des deutschen Rechtskreises. Es heißt „allgemein“, weil es für alle Personen in seinem Geltungsbereich, im Gegensatz zum gemeinen Recht, einheitlich und verbindlich gilt. „Bürgerliches Recht“ bedeutet nach § 1 ABGB, dass das ABGB die „Privat-Rechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich“ regelt.

Entwicklung

Die Vorarbeiten zu einer Kodifizierung des österreichischen Zivilrechts begannen bereits Mitte des 18. Jahrhunderts mit dem Codex Theresianus (1766) und dem Josephinischen Gesetzbuch (1786 noch als Teil-ABGB). Eigentlicher Vorläufer des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches war das von Karl Anton von Martini geschaffene Westgalizische Gesetzbuch, welches 1797 in dem kurz zuvor von der Habsburgermonarchie besetzten Westgalizien testweise in Geltung gesetzt wurde und bald als Ostgalizisches Gesetzbuch auch für Ostgalizien kundgemacht wurde.

Franz von Zeiller, ein Schüler Martinis, gilt als Schöpfer dieses Gesetzeswerks. Das ABGB wurde als kaiserliches Patent (Gesetz) am 1. Juni 1811 kundgemacht und trat mit 1. Jänner 1812 in den Deutschen Erbländern der Österreichischen Monarchie mit der Wirkung in Kraft, dass sämtliche Gesetze und Gewohnheitsrechte[1] mit Bezug auf das „allgemeine bürgerliche Recht“ außer Kraft gesetzt wurden. Die Ausdehnung des Geltungsbereiches auf die gesamte Habsburgermonarchie, also insbesondere auch auf Ungarn, blieb Episode (1852–1861). Von 1861 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs galt das ABGB somit in dem als Cisleithanien bezeichneten Teil des österreichisch-ungarischen Monarchie.

Der Zerfall der Monarchie hatte keine sofortigen Auswirkungen auf den Geltungsbereich des ABGB, es bestand in den Nachfolgestaaten zunächst unverändert fort, teilweise wurde das räumliche Geltungsgebiet sogar ausgedehnt, so insbesondere 1922 auf das bis dahin ungarische Burgenland, das in jenem Jahr an die Republik Österreich kam (nicht jedoch auf die Slowakei, wo das ungarische Zivilrecht in Kraft blieb). Erst die Gesetzbücher der sozialistischen Tschechoslowakei (1951) und Polens (1965) beendeten die dortige Geltung des ABGB, sodass es heute nur mehr in der Republik Österreich (sowie im Fürstentum Liechtenstein) gilt; in Kroatien ist es noch heute subsidiäre Rechtsquelle.

Übernommen wurden in das ABGB seiner ursprünglichen Fassung zahlreiche partikularrechtliche Institutionen des heimisch-deutschen Gewohnheitsrechts (vornehmlich Sachen- und Ehegüterrecht) sowie eine Vielzahl römischrechtlicher Institutionen (vor allem Schuld-/Vertragsrecht). In den Text des ABGB wurde in den ersten hundert Jahren danach kaum eingegriffen, erst die drei Teilnovellen zum ABGB von 1914, 1915 und 1916 brachten stärkere Veränderungen in Teilbereichen, auch im Hinblick auf das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1896. Weitgehende Reformen erfolgten dann erst wieder in den siebziger Jahren (besonders im Familienrecht; so wurde dort beispielsweise 1984 die Entmündigung durch das Recht der Sachwalterschaft ersetzt).

Mit 1. Jänner 2017 trat das Erbrechts-Änderungsgesetz 2015[2] in Kraft. Diese Erbrechtsreform brachte zum Teil Änderungen in der Terminologie und mehrere inhaltliche Änderungen mit sich.

Einteilung des ABGB

Die Einteilung folgt dem iustinianischen Institutionensystem. Die österreichische Rechtswissenschaft lehrt das Zivilrecht allerdings nach dem Pandektensystem. Einige Teile des österreichischen Privatrechts sind mittlerweile außerhalb des ABGB in eigenen Gesetzen geregelt, so etwa im Ehegesetz, Mietrechtsgesetz oder Konsumentenschutzgesetz. Dennoch ist das ABGB nach wie vor eine bedeutende Grundlage des Zivilrechtssystems in Österreich und damit neben dem französischen Code civil die zweitälteste in Kraft stehende, von vernunftrechtlichen Gedanken geprägte Zivilrechtskodifikation. Das Gesetz verinnerlichte das Formideal der naturrechtlich-systematischen Kodifikationsidee und hielt sich klar, kurz und prinzipienorientiert.

Im Gegensatz zum achtzehn Jahre zuvor erlassenen preußischen ALR hatte das ABGB die ständischen Unterschiede der Gesellschaft unter den Vorbehalt politischer Gesetze gestellt und aus der Systematik des Gesetzeswerkes ausgeklammert. In dieser Hinsicht bedurfte es später keiner Anpassungen, als sich der Wandel zu einer Gesellschaft gleichberechtigter Bürger im Laufe des 19. Jahrhunderts schließlich vollzog. Die Gesetzessystematik selbst betreffend, unterschied sich das ABGB vom prALR deutlich auch in dem Punkt, dass es keine detaillierten Einzelfallregelungen aufstellte. Die Gesetze waren bewusst abstrakt formuliert, damit der Richter bei seiner Entscheidung rechtlichen Entwicklungsspielraum für die Anpassung an sich wandelnde Gesellschaftsverhältnisse erhält.[3]

Das ABGB gliedert sich dem Institutionensystem entsprechend in zwei Sachteile und einen allgemeinen Teil. Die Unterteilung erfolgt in zwei große Sachgebiete, personae (Familien- und Personenrecht) und res (Sachenrecht, inklusive Erb- und Obligationenrecht). Ein dritter Teil enthält gemeinschaftliche Bestimmungen.

Grundstruktur des ABGB

  • Präambel/Promulgationsklausel
  • Einleitung: Von den bürgerlichen Gesetzen überhaupt (Allgemeiner Teil)
  • Regelungen in drei Teilen:
    1. Teil: Von dem Personenrechte. (Personenrecht, vgl. Allgemeiner Teil; Familienrecht)
      1. Hauptstück: Von den Rechten, welche sich auf persönliche Eigenschaften und Verhältnisse beziehen.
      2. Hauptstück: Von dem Eherechte.
      3. Hauptstück: Rechte zwischen Eltern und Kindern.
      4. Hauptstück: Von der Obsorge einer anderen Person.
      5. Hauptstück: Kindesunterhalt.
      6. Hauptstück: Von der Sachwalterschaft, der sonstigen gesetzlichen Vertretung und der Vorsorgevollmacht.
    2. Teil: Von dem Sachenrechte. (Sachenrecht; Erbrecht; Schuldrecht)
      1. Abteilung: Von den dinglichen Rechten.
        1. Hauptstück: Von dem Besitze.
        2. Hauptstück: Von dem Eigentumsrechte.
        3. Hauptstück: Von der Erwerbung des Eigentums durch Zueignung.
        4. Hauptstück: Von Erwerbung des Eigentums durch Zuwachs.
        5. Hauptstück: Von Erwerbung des Eigentums durch Übergabe.
        6. Hauptstück: Von dem Pfandrechte.
        7. Hauptstück: Von Dienstbarkeiten (Servituten).
        8. Hauptstück: Von Erbrecht allgemein.
        9. Hauptstück: Gewillkürte Erbfolge.
        10. Hauptstück: Von der Ersatz- und Nacherbschaft.
        11. Hauptstück: Vermächtnisse.
        12. Hauptstück: Von der Einschränkung und Aufhebung des letzten Willens.
        13. Hauptstück: Von der gesetzlichen Erbfolge.
        14. Hauptstück: Vom Pflichtteil und der Anrechnung auf den Pflichtteil.
        15. Hauptstück: Erwerb einer Erbschaft.
        16. Hauptstück: Von der Gemeinschaft des Eigentums und anderer dinglichen Rechte.
      2. Abteilung: Von den persönlichen Rechten.
        1. Hauptstück: Von Verträgen und Rechtsgeschäften überhaupt.
        2. Hauptstück: Von Schenkungen.
        3. Hauptstück: Von dem Verwahrungsvertrag.
        4. Hauptstück: Von dem Leihvertrag.
        5. Hauptstück: Von dem Darlehensvertrag.
        6. Hauptstück: Von der Bevollmächtigung und andern Arten der Geschäftsführung.
        7. Hauptstück: Von dem Tauschvertrag.
        8. Hauptstück: Von dem Kaufvertrag.
        9. Hauptstück: Von Bestand- Erbpacht- und Erbzins-Verträgen.
        10. Hauptstück: Von Verträgen über Dienstleistungen
        11. Hauptstück: Von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts
        12. Hauptstück: Von den Ehepakten und dem Anspruch auf Ausstattung
        13. Hauptstück: Von den Glücksverträgen.
        14. Hauptstück: Von dem Rechte des Schadensersatzes und der Genugtuung.
    3. Teil: Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte. (vgl. Allgemeiner Teil)
      1. Hauptstück: Von der Befestigung der Rechte und Verbindlichkeiten.
      2. Hauptstück: Von der Umänderung der Rechte und Verbindlichkeiten.
      3. Hauptstück: Von der Aufhebung der Rechte und Verbindlichkeiten.
      4. Hauptstück: Von der Verjährung und Ersitzung.
      5. Hauptstück: Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen.

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Gesetzestext

Den aktuellen Gesetzestext des ABGB (und das gesamte geltende österreichische Bundesrecht) findet man im Rechtsinformationssystem des Bundes (siehe Weblinks) des Bundeskanzleramtes. Soweit der Text aus der ursprünglichen Fassung stammt, ist er auch nach der damaligen Schreibweise wiedergegeben.

Insbesondere bei den Bestimmungen aus der Urfassung gilt es, den historischen Sprachgebrauch bei der Interpretation zu beachten (z. B. „Genugtuung“ = Schadenersatz).

Kommentaren zum ABGB kommt und kam eine große Bedeutung zu. Den ersten Kommentar zum ABGB schrieb Franz von Zeiller selbst. Des Weiteren sind die Kommentare von Moritz von Stubenrauch, Heinrich Klang, Michael Schwimann und Rummel zu nennen, die zu jeder Zeit großen Einfluss auf die österreichische zivilrechtliche Rechtsprechung hatten.

Ausstrahlung

Das ABGB wurde vielfach rezipiert, so z. B. in Liechtenstein (FL-ABGB), der Türkei (die allerdings unter Atatürk das schweizerische Zivilgesetzbuch und Obligationenrecht übernahm), der Tschechoslowakei, in Serbien, Bosnien, Slowenien, Kroatien und Rumänien.

Literatur

Privatrechtsgeschichte des ABGB

  • Franz Klein-Bruckschwaiger: 150 Jahre österreichisches ABGB. In: Juristenzeitung. (JZ). Bd. 18, Nr. 23/24, 1963, ISSN 0022-6882, S. 739–741.
  • 200 Jahre ABGB (= Jus-Alumni-Magazin. 01/2011, ZDB-ID 2632957-8; PDF; 2,4 MB). LexisNexis, Wien 2011.
  • Andreas Fijal, Winfried Ellerbrock: Das Österreichische ABGB vom 1. Juni 1811 – ein Jubiläum besonderer Art. In: Juristische Schulung. (JuS). Bd. 28, Nr. 7, 1988, ISSN 0022-6939, S. 519–523.
  • Wilhelm Brauneder: Das österreichische ABGB als neuständische Zivilrechtskodifikation. In: Georg Klingenberg, J. Michael Rainer, Herwig Stiegler (Hrsg.): Vestigia Iuris Romani. Festschrift für Gunter Wesener zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1992 (= Grazer rechts- und staatswissenschaftliche Studien. Bd. 49). Leykam, Graz 1992, ISBN 3-7011-8964-1, S. 67–80.
  • Wilhelm Brauneder: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, DieterWerkmüller, Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. HRG. Band 1: Aachen – Geistliche Bank. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Schmidt, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4, Sp. 146–155.
  • Gunter Wesener: Zur Bedeutung des Usus modernus pandectarum für das österreichische ABGB. In: Friedrich Harrer, Heinrich Honsell, Peter Mader (Hrsg.): Gedächtnisschrift für Theo Mayer-Maly. Zum 80. Geburtstag. Springer, Wien u. a. 2011, ISBN 978-3-7091-0000-4, S. 571–592.
  • Theo Mayer-Maly: Die Lebenskraft des ABGB. In: Österreichische Notariats-Zeitung. (NZ). 1986, ISSN 0029-9340, S. 265 ff.
  • Attila Fenyves, Ferdinand Kerschner, Andreas Vonkilch (Hrsg.): 200 Jahre ABGB. Evolution einer Kodifikation. Rückblick – Ausblick – Methode. Verlag Österreich, Wien 2012, ISBN 978-3-7046-5773-2.

Lehrbücher

  • Helmut Koziol, Andreas Kletečka, Rudolf Welser: Grundriss des bürgerlichen Rechts. Band I: Allgemeiner Teil. Sachenrecht, Familienrecht., 14. Auflage, MANZ Verlag Wien, Wien 2014, ISBN 978-3-214-14710-5
  • Rudolf Welser, Brigitta Zöchling-Jud: Grundriss des bürgerlichen Rechts. Band II: Schuldrecht Allgemeiner Teil, Schuldrecht Besonderer Teil, Erbrecht., 14. Auflage, MANZ Verlag Wien, Wien 2015, ISBN 978-3-214-14713-6

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dazu führte § 10 ABGB mittels ausdrücklicher Ausschlussanordnung aus: „Auf Gewohnheiten kann nur in den Fällen, in welchen sich ein Gesetz darauf beruft, Rücksicht genommen werden.“
  2. Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich. Bundeskanzleramt. 30. Juli 2015. Abgerufen am 22. Januar 2019.
  3. Helmut Coing: Europäisches Privatrecht 1800–1914, München 1989. § 3 I. S. 10–12.