Anton Semjonowitsch Makarenko

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Anton Semjonowitsch Makarenko

Anton Semjonowitsch Makarenko (russisch Антон Семёнович Макаренко, wiss. Transliteration

Anton Semënovič Makárenko

; * 1. Märzjul. / 13. März 1888greg. in Belopolje, Russisches Kaiserreich; † 1. April 1939 in Golizyno, Sowjetunion) war ein sowjetischer Pädagoge und Schriftsteller. Er gilt als der bedeutendste Pädagoge der Sowjetunion.

Leben

Makarenkos Eltern waren Semjon Grigorjewitsch, ein verbeamteter Eisenbahnarbeiter, und Tatjana Michailowna, eine Soldatentochter adeliger Herkunft.[1] 1904 schloss Makarenko die städtische Schule in Krementschuk mit Auszeichnung ab. Er absolvierte einen einjährigen pädagogischen Kurs und arbeitete ab 1905 als Lehrer für Elementarschulen. Er unterrichtete an der zweiklassigen Eisenbahner-Grundschule in Krjukow russische Sprache, Zeichnen und technisches Zeichnen und ab 1911 an der Schule für Eisenbahnerkinder in Dolinskaja. 1912 bis 1917 studierte Makarenko am pädagogischen Lehrerbildungsinstitut in Poltawa. Von dort kehrte er nach Krjukow zurück, wo er ab 1918 als Schulleiter tätig war.

Leistungen

Im Jahr 1920 beteiligte sich Makarenko an der Neuorganisation der Schulen als Arbeitsschulen im Gouvernement Poltawa. Im November des Jahres begann er – in einem vom eben beendeten Russischen Bürgerkrieg zerstörten und von Hungersnot und marodierenden Banden geplagten Gebiet – mit dem Aufbau eines Arbeitsheims für straffällig gewordene Jugendliche, der späteren Gorki-Kolonie, benannt nach dem russischen Schriftsteller Maxim Gorki. Anstelle einer früheren militärisch geführten Jugendstrafkolonie entstand unter seiner Führung die erste koedukative pädagogische Einrichtung dieser Art in der Sowjetunion. Die ersten Zöglinge waren im Krieg verwaiste, verwahrlost aufgegriffene Kinder – junge Diebe, Bandenmitglieder, Kindersoldaten, Kinderprostituierte. Im Jahr 1927 gründete Makarenko weiterhin die Kolonie F. E. Dserschinski bei Charkiw, aus der später das Werk hervorging, welches bis heute die bekannte Fotoapparat-Marke FED herstellt. Die Kolonie war eine Einrichtung der von Felix Dserschinski gegründeten sowjetischen Geheimpolizei Tscheka und entwickelte sich zur Kaderschmiede für diese.

Ab 1935 war Makarenko stellvertretender Verwaltungsleiter der Arbeitskolonien des NKWD in Kiew und von 1937 bis zu seinem Tod lebte er als freier Schriftsteller in Moskau. Im Jahr 1939 erhielt er den Orden des Roten Banners der Arbeit der Sowjetunion. Im selben Jahr trat er in die KPdSU ein und starb kurz darauf am 1. April 1939 während einer Zugreise.[2] Sein Grab befindet sich auf dem Nowodewitschi-Friedhof in Moskau.

Pädagogisches Wirken

Makarenko wurde vor allem für seine pädagogische Arbeit als Heimpädagoge und Leiter der Gorki-Kolonie von 1920 bis 1928, der Dserschinski-Kommune von 1927 bis 1935 sowie als Autor von Büchern und Artikeln über diese Arbeit bekannt. Der Roman Ein Pädagogisches Poem über die beiden Heime gilt als das Hauptwerk Makarenkos. Der erste Teil wurde 1925 begonnen und 1933 beendet, der zweite 1934 und der dritte 1935 beendet. Später bekam der Roman den Zweittitel Der Weg ins Leben, ursprünglich der Name des ersten abendfüllenden sowjetischen Tonfilms (Der Weg ins Leben, Putjowka w schisn), der 1931 unter Regie von Nikolai Ekk nach einem Drehbuch von Makarenko und mit ehemaligen Zöglingen als Schauspielern in der Dserschinski-Kommune gedreht wurde. Sein Wirken in der Dserschinski-Kommune spiegelt sich im Roman Flaggen auf den Türmen wieder.

Makarenko entwickelte eine Form der Kollektiverziehung mit dem Ziel der Erziehung einer allseitig entwickelten Persönlichkeit zunächst auf der Grundlage der Theorien von Jean-Jacques Rousseau, Johann Heinrich Pestalozzi und anderer humanistischer Denker. Er beabsichtigte eine Erziehung ohne die Gewalt der Prügelstrafe und ohne hierarchische Autorität seitens der Lehrer. Die Erziehung basierte auf einer Einheit von verinnerlichter Disziplin, Selbstverwaltung und nützlicher Arbeit. Die Autorität des Erziehers beruhte auf seiner Achtung vor dem Kind, seiner absoluten Aufrichtigkeit gegenüber den Zöglingen und auf festem Vertrauen in den Menschen. Makarenko war weniger Theoretiker denn Pragmatiker und Realist. Sein Handeln richtete sich vor allem nach der situativen Gegebenheit, der von ihm erfassten Intention seines Gegenübers und dem gesunden Menschenverstand.

Ein wesentlicher Aspekt der Arbeit Makarenkos bestand in der Resozialisierung der verwahrlosten Jugendlichen. In den 1930er Jahren wurde seine Erziehung stark von sozialistischer Pädagogik Stalinscher Vorgaben geprägt. Dem Jugendverband Komsomol kam mit der Zeit eine zentrale Rolle zu. Die Disziplin wurde zusätzlich durch ein hierarchisches System gesichert, in dem der Neuling zunächst keine persönlichen Freiheiten hatte, aber durch ein persönlich für ihn verantwortliches Vollmitglied der Kommune betreut wurde. Jedes Vollmitglied konnte bei Fehlverhalten durch Kollektivbeschluss jederzeit wieder auf den rechtlosen Status des Neuankömmlings zurückgestuft werden. Das eigentliche Sagen in der Kolonie hatte die Komsomol-Gruppe, in der Mitglied zu werden eine besondere Ehre war, die man sich durch Wohlverhalten und besondere Leistungen verdienen musste. Makarenko hielt sich bei den kollektiv gefällten Urteilen zurück und griff nur mäßigend und immer zu Gunsten des Delinquenten ein, wenn es ihm notwendig erschien. Die Jugendlichen bekamen regelmäßigen Schulunterricht, arbeiteten in den Werkstätten und auf dem Feld und bewirtschafteten so selbstständig die Kolonie. Die Erzieher lebten alle in der Kolonie, jedoch in von den Schlafräumen für die Jugendlichen getrennten Zimmern. Sie aßen mit den Jugendlichen dieselbe Kost im gemeinsamen Speisesaal, arbeiteten am Bau der Häuser und in der Wirtschaft mit und gestalteten mit den Jugendlichen gemeinsam die Abende durch Spiele, Lesungen, Theateraufführungen und Gespräche. Makarenkos Erziehungsprinzip lautete: „Ich fordere Dich, weil ich Dich achte“.

Makarenkos Lagererziehungssystem ist dadurch charakterisiert, dass es keine unveräußerlichen Rechte des Einzelnen beim Eintritt in das Erziehungskollektiv kennt und ein Erststatus als Rechtloser vergeben wird. Erst durch konformes Verhalten ist ein hierarchischer Aufstieg und die Erlangung von Rechten innerhalb der Lagergesellschaft möglich. Rechte konnten durch konformes Verhalten erlangt werden, welche aber jederzeit wieder aberkannt werden konnten.

Rezeption im Westen

Bereits seit 1968, während des Kalten Kriegs, befasste sich eine Hochschullehrer-Arbeitsgruppe an der Universität Marburg in der Forschungsstelle für Vergleichende Erziehungswissenschaft mit Fragen der Pädagogik Makarenkos.[3]

Ein Asteroid des äußeren Hauptgürtels (3214) Makarenko wurde nach ihm benannt.[4]

Werke (Auswahl)

Siehe auch

Literatur

Biographisches
  • J. S. Balabanowitsch: Anton Semjonowitsch Makarenko. Ein Abriß seines Lebens und Schaffens. Verlag Neues Leben. Berlin. 1953.
  • Valentin Bejlinson: A. S. Makarenko in Moskau. Die beiden letzten Lebensjahre, in: JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft II/2007.
  • Götz Hillig, Siegfried Weitz (Hrsg.): Makarenko. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1979.
  • Götz Hillig: „Sie konnten zusammen nicht kommen...“ Wie die Brüder Makarenko in den 1930er-Jahren versuchten, ihre erzwungene Trennung zu überwinden, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft III/2008.
  • Franz Hofmann: Anton Semjonowitsch Makarenko, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1980.
  • Manfred Franz: A. S. Makarenko, der Hauspädagoge des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes, und sein Konzept der kommunistischen Kollektiverziehung. In: Mothes et al.(Hg.): Beschädigte Seelen: DDR-Jugend und Staatssicherheit. Ed. Temmen 1996.
  • Isabella Rüttenauer: A. S. Makarenko. Ein Erzieher und Schriftsteller in der Sowjetgesellschaft. Herder, Freiburg im Breisgau 1965.
Zum Werk Makarenkos
  • I. A. Kairow, L. J. Gordin, P. T. Frolow: Ideen Makarenkos in der Schule und Gegenwart, Volk und Wissen, Berlin 1980.
  • Johannes-Martin Kamp: Kinderrepubliken. Geschichte, Praxis und Theorie radikaler Selbstregierung in Kinder- und Jugendheimen. Leske+Budrich, Opladen 1995, ISBN 3-8100-1357-9 Kapitel 20: Makarenko u. a. in Russland und der Ukraine (S. 467–544), online.
  • Götz Hillig: Die Arbeitskommune der OGPU in Bolševo. Genese und pädagogische Konzeption, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft III/2006.
  • Friedemann Lüpke: Pädagogische Provinzen für verwahrloste Kinder und Jugendliche. Eine systematisch vergleichende Studie zu Problemstrukturen des offenen Anfangs der Erziehung. Die Beispiele Stans, Junior Republic und Gorki-Kolonie. Würzburg: Ergon 2004, ISBN 3-89913-350-1.
  • Alexander Bolz, Edgar Günther: Makarenko heute. Volk und Wissen Berlin 1973.
  • Bärbel Henniger: "Die zweite Geburt", Neue Berliner Illustrierte (NBI) 44/83.

Weblinks

Commons: Anton Makarenko – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Carola Kuhlmann: Sozialistische Pädagogik. In: Carola Kuhlmann (Hrsg.): Erziehung und Bildung. Einführung in die Geschichte und Aktualität pädagogischer Theorien. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-531-19387-8, S. 143.
  2. Valentin Bejlinson: A. S. Makarenko in Moskau. Die beiden letzten Lebensjahre, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft II/2007.
  3. Texte des Makarenko-Referats
  4. Lutz D. Schmadel: Dictionary of Minor Planet Names. Fifth Revised and Enlarged Edition. Hrsg.: Lutz D. Schmadel. 5. Auflage. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2003, ISBN 978-3-540-29925-7, S. 186 (englisch, 992 S., link.springer.com [ONLINE; abgerufen am 19. September 2020] Originaltitel: Dictionary of Minor Planet Names. Erstausgabe: Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992): “1978 TZ6. Discovered 1978 Oct. 2 by L. V. Zhuravleva at Nauchnyj.”