Fallschirmjägerkompanien B1 (Kommando)
Die Fallschirmjägerkompanien B1, auch als Kommandokompanien bezeichnet, waren die Anfang der 1990er Jahre aufgestellten Kommandokomponenten bzw. Spezialeinheiten der deutschen Bundeswehr und gleichzeitig der Vorgänger des heutigen Kommando Spezialkräfte (KSK).
Geschichte
In den Jahren 1989/1990 wurde in der Bundeswehr mit der Konzeption und der darauf folgenden Aufstellung je einer Kommandokompanie in den drei Luftlandebrigaden 25 „Schwarzwald“, 26 „Saarland“, 27 „Lippstadt“ begonnen, was ein erstes Umdenken in Richtung militärische Spezialeinsätze in der Bundeswehr war.
1992 konnte jedem der drei deutschen Heereskorps eine Fallschirmjägerkompanie B1 (Kommando) für spezielle Verwendungen in dessen Einsatzbereich bereitgestellt werden. Das Aufgabenfeld entsprach dem vergleichbarer Spezialeinheiten.
Die Kompanien wurden gemäß einer vorgezogenen Organisationsmaßnahme der Heeresstruktur 5 („modifizierte“ Heeresstruktur 4)[1] in den Fallschirmjägerbataillonen des „Typs 2“ aufgestellt. Dort wurden die 5. schweren Fallschirmjägerkompanien bzw. die 5. Luftlandepanzerabwehrkompanien in eine Fallschirmjägerkompanie B1 (Kommando) umgegliedert.
Als im April 1994 elf deutsche Mitarbeiter der Deutschen Welle nach langen Überlegungen der deutschen Bundesregierung von Fallschirmjägern der belgischen Para-Commando-Brigade aus ihrer von Rebellen eingeschlossenen Sendestation nahe der bürgerkriegserschütterten ruandischen Hauptstadt Kigali gerettet und abtransportiert wurden, standen die deutschen Kommandokompanien zwar bereit, durften aber aufgrund politischer Bedenken und angeblich nicht ausreichender Befugnisse nicht operieren.
Nach dieser Krise wurde deutlich, dass Nachsteuerung in diesem Bereich nötig war und die Entwicklung eines Konzeptes zur Aufstellung deutscher Spezialkräfte erfolgen musste, denn bereits in den Jahren zuvor war Deutschland bei ähnlichen Einsätzen auf die Hilfe befreundeter Staaten angewiesen, wie beispielsweise bei Evakuierungen 1990/1991 im Irak, Saudi-Arabien und Israel, 1991 in Kinshasa/Kongo oder auch 1994 im Jemen.
1996 wurden die Kommandokompanien infolge der Umstrukturierung der Bundeswehr aufgelöst. Aus Teilen der Fallschirmjägerkommando- und Fernspähkompanien wuchs das Kommando Spezialkräfte (KSK), welches seit dem 1. April 1996, gleichzeitig mit der Außerdienststellung der LLBrig 25 „Schwarzwald“, in deren ehemaligem Standort in Calw aufgebaut und am 20. September desselben Jahres dann offiziell in Dienst gestellt wurde.
Für die Operation Libelle, eine deutsche Evakuierungsoperation in Albanien Ende März 1997, standen jedoch noch keine ausreichenden Kräfte des KSK zur Verfügung, sodass diese noch von Fallschirmjägern der Luftlandebrigade 26 und Unterstützungskräften des SFOR-Kontingents aus dem deutschen Feldlager Rajlovac unter Führung von Oberst Henning Glawatz ausgeführt werden musste.
Auftrag
Der Auftrag Die Fallschirmjägerkompanie B1 kämpft mit den Kommandos einzeln oder zu mehreren zusammengefasst auf sich gestellt im gesamten Verantwortungs- und Interessengebiet eines Korps und führt Kommandounternehmen gegen Ziele von operativer Bedeutung bedeutete im Einzelnen:
- Direkte Kampfeinsätze. Durchführung von auf sich gestellten Kommandounternehmen im feindlichen Hinterland, dabei Eliminierung von Zielen mit operativer Bedeutung, das Ausschalten von feindlichen Gefechtsständen, Fernmelde- und Versorgungseinrichtungen
- Sabotage an Brücken und anderen Nachschubwegen
- Fernaufklärung
- Zerstören von Flugabwehranlagen und Waffensystemen mit Flächenwirkung
Nach ersten speziellen Ausbildungen der Soldaten in enger Zusammenarbeit mit amerikanischen und britischen Spezialkräften sowie mit der GSG 9 des damaligen Bundesgrenzschutzes, ergab sich eine Erweiterung des Aufgabenprofils für die Kommandokompanien der Bundeswehr. Dieses beinhaltete nun auch:
- Evakuierung und Abtransport deutscher Staatsbürger aus dem Ausland
- Terrorismusbekämpfung
- Geiselbefreiung
- Krisen- und Konfliktmanagement
Organisation
Die Fallschirmjägerkompanien B1 (Kommando) unterschieden sich in ihrer Gliederung wesentlich von den anderen Einheiten. Neben der Kompanieführung und der KFZ-Mat-Gruppe gab es in den etwa 100 Mann starken Kompanien keine Züge als Teileinheiten im herkömmlichen Sinne, sondern sogenannte Kommandos zu je acht Mann, die durch Buchstaben des NATO-Alphabets unterschieden wurden. Jedes der acht Kommandos war in Hinsicht auf Einsatzart, Ausbildung oder Verbringungsart spezialisiert.[2] Das Kommando „A“ („Alpha“) bildete das Freifall-, „Bravo“ das Personenschutz-, „Charlie“ das Gebirgs-, „Echo“ das Scharfschützen- und „Foxtrott“ das amphibische Element usw. Jedem dieser Kommandos stand ein Kommandoführer vor.
Einheiten und Standorte
Die drei Kommandokompanien waren an Standorten in der gesamten Bundesrepublik verteilt:
- Die 5. Kompanie des Fallschirmjägerbataillons 252 in Nagold war der Luftlandebrigade 25 unterstellt.
- Das in Lebach ansässige Fallschirmjägerbataillon 261 bildete mit seiner 5. Kompanie die Kommandokomponente der Luftlandebrigade 26.
- Der Luftlandebrigade 27 war die 5. Kompanie des Fallschirmjägerbataillons 271 in Iserlohn zugehörig. Nach deren Auflösung 1993 war die 5. Kompanie des Fallschirmjägerbataillons 313 in Varel als Teil der Luftlandebrigade 31 zuständig.
Rekrutierung und Ausbildung
Die Fallschirmjägerkompanien B1 (Kommando) erhielten das gewünschte Potential aus den Reihen der Zeitsoldaten und freiwilligen Wehrdienstleistenden, durch eine Selektion in der Allgemeinen und Spezialgrundausbildung (AGA/SGA), was eine für „Spezialkräfte“ ungewöhnliche Variante war. Man muss jedoch bedenken, dass sich der Kommandogedanke in der Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt erst in der Anfangsphase befand. Die Ausbildung war wesentlich härter und fordernder als die vergleichbare Ausbildung in Kompanien der Fallschirmjägertruppe, wodurch sich die gewünschte Auswahl an durchhaltewilligen und charakterstarken Soldaten und somit ein hoher Professionalisierungsgrad dieser Einheiten ergab.
Jeder dieser Soldaten der Kompanien erhielt eine Grundausbildung im Kommandokampf (damals Jagdkampf). Des Weiteren bestand die Pflicht, für länger dienende Soldaten, zur Teilnahme an:
- erweiterter Sanitäts- und Funkausbildung
- Lehrgängen für Fallschirmspringer automatisch und Freifaller (Military Freefall)
- Einzelkämpferlehrgang Teil I und II an der Luftlande- und Lufttransportschule in Altenstadt und Combat Survival Course sowie der Combat Medical Course an der damaligen Internationalen Fernspähschule in Weingarten, sowie äquivalente Lehrgänge bei ausländischen Armeen, wie zum Beispiel das SERE-Training der US-Streitkräfte
- Scharfschützenausbildung
- Waffenausbildung an in- und ausländischen Waffen
- Winterkampf und Kampf in schwierigem Gelände an der Gebirgs- und Winterkampfschule
- „Close Quarter Battle Course“ und andere Schießlehrgänge bei den U.S. Special Forces in Fort Bragg sowie Fort Benning, dem britischen Special Air Service (SAS) in Hereford und der deutschen Grenzschutzgruppe 9 (GSG 9) der Bundespolizei.
sowie andere Lehrgänge, die für normale Soldaten nicht durchgeführt wurden.
Für die Kommandoführer wurde an der Luftlande- und Lufttransportschule in Altenstadt der Lehrgang „Führer im Fallschirmjägerspezialeinsatz“ eingeführt.
Die Kommandokompanien nahmen ebenso an zahlreichen Übungen in nationalem und internationalem Rahmen teil, wie beispielsweise den seit 1962 in Frankreich und Deutschland regelmäßig im zweijährigen Wechsel stattfindenden „Colibri“ - Luftlandeübungen.
Als erste deutsche Einheit verlegte 1993 die 5./261 aus Lebach nach Fort Bragg und anschließend nach Fort Chaffee in die USA, um im Übungs- und Ausbildungszentrum Joint Readiness Training Center (JRTC) gemeinsam mit amerikanischen Fallschirmjägern zu üben. Im Gegenzug verlegten kurze Zeit später Luftlandepioniere des 1. BCT Special Troops Bataillon der 1. Brigade der 82. US-Luftlandedivision für 6 Wochen in die Lebacher Kaserne, um mit Teilen des Fallschirmjägerbataillons 261 zu üben und bei einem gemeinsamen Sprungdienst das deutsche Fallschirmspringerabzeichen zu erwerben.
Ausrüstung
Zur Bewaffnung zählte nicht nur die damalige Standardbewaffnung der Bundeswehr:
- Pistole P1 oder P8
- Maschinenpistole MP2A1 (mit klappbarer Metall-Schulterstütze)
- Gewehr G3A4 (mit einschiebbarer Schulterstütze)
- Scharfschützengewehr G3A3ZF (später auch das G22)
- Maschinengewehr MG3
- Granatpistole GP 40 mm
sondern auch darüber hinaus benötigte Sonderbewaffnung für die zu erledigenden Aufträge:
- Maschinenpistolen MP5A3, MP5SD3, MP5K, HK 53
- Scharfschützengewehre PSG1 und MSG90
- Maschinengewehr HK 21 (G8)
sowie Fremdwaffen aus Staaten des Warschauer Pakts wie z. B. AK-47 und AK-74, Wieger STG 940, Dragunow-Scharfschützengewehr, Skorpion, Makarow und deren Versionen.
Darüber hinaus wurden zahlreiche neue und modifizierte Ausrüstungsgegenstände, unter anderem die heute übliche Flecktarnbekleidung, im Truppenversuch erprobt und die Soldaten hatten einen größeren Spielraum bei der Selbstbeschaffung und Nutzung geeigneter Ausrüstung.
Einsätze (soweit bekannt)
- 12. Mai 1993, Beledweyne/Somalia:
Teile der Kommandokompanie 5./261 aus Lebach sichern das Vorauskommando zur Erkundung der Einsatzbedingungen für die Bundeswehr. Anfang Juni 1993 werden weitere Kräfte der Kompanie als Sicherungskräfte dorthin verlegt.
- Mai bis Juni 1993:
Die Kommandokompanie 5./261 aus Lebach führt die Ausbildung der Hauptkräfte für den Deutschen Unterstützungsverband Somalia auf dem bataillonseigenen Standortübungsplatz Höll durch.[3]
- Juni 1993 bis Dezember 1993, Beledweyne/Somalia:
Teile der Kommandokompanie 5./261 aus Lebach verstärken die 3./261 und stellen zusammen die 2. Sicherungskompanie des 1. Kontingents des Deutschen Unterstützungsverbands Somalia
- Frühjahr 1994, Mogadischu/Somalia:
Bis zum 23. März des Jahres wird nach dem Scheitern der UNOSOM II-Mission bzw. dem Wegfallen der Voraussetzungen für das Operieren des deutschen Truppenkontingentes unter Sicherung durch eigene Kräfte der Fallschirmjägerkommandos aus der Friedensmission herausgelöst und kurzfristig von einem Verband aus Kriegs- und Versorgungsschiffen über See aus dem unsicheren Hafen Mogadischu in den sicheren Hafen Mombasa im benachbarten Kenia transportiert und von dort aus dann nach Deutschland geflogen.
Als elf deutsche Mitarbeiter der Deutschen Welle in ihrer Rundfunkstation nahe der vom Bürgerkrieg erfassten ruandischen Hauptstadt von Rebellen eingeschlossen wurden und das Land nicht mehr verlassen konnten, wurde ein Einsatz von deutschen Kommandos im Rahmen einer Evakuierungsoperation (EvakOp) erwogen. Nach Angaben des Bundespresseamtes wurden entsprechende Überlegungen jedoch abgebrochen als am 16. April bekannt wurde, dass belgische Fallschirmjäger die Deutschen bereits in Sicherheit gebracht hätten. Die Kommandokompanien in Lebach und Varel waren einsatzbereit und alarmiert, in Lebach wurde zusätzlich die 3. Kompanie alarmiert. Die politische Ebene gab aber aufgrund von Bedenken, deutsche Soldaten in solch einen Einsatz zu schicken, und vermeintlich unklarer juristischer Lage kein grünes Licht für das Eingreifen einer deutschen Truppe. Die Gründe für den Einsatz der Belgier sind nach wie vor umstritten. Die Planung des Heeresführungskommandos (HFüKdo) sah zuerst eine Zusammenfassung mehrerer Kommandos und anschließend den Einsatz der Kommandoführer als Kommandosoldaten vor.
- Juli bis Dezember 1995, Seget Donji/Kroatien:
Teile der Kommandokompanie 5./252 aus Nagold werden für die Sicherung der deutschen Truppen im Feldlazarett im Rahmen des UN-Einsatzes eingesetzt.
Siehe auch
Literatur
- 1. Luftlandedivision (Hrsg.), Nachlaß Hempel Bundeswehr-Sozialwerk, Fallschirmjäger – Die Geschichte der 1. Luftlandedivision, BARETT Verlag Solingen, 1994, ISBN 3-924753-59-8.
- Sören Sünkler, "Elite- und Spezialeinheiten Europas", Motorbuch Verlag, 2008, ISBN 978-3-613-02853-1.
- Sören Sünkler, "Spezialverbände der Bundeswehr", Motorbuch Verlag, 2006, ISBN 978-3-613-02592-9.
Einzelnachweise
- ↑ Die Geschichte der Infanterietruppen
- ↑ Die Luftlandebrigade in der Heeresstruktur 5 (1993/94), Schaubild in "Fallschirmjäger, die geschichte der 1. Luftlandedivision"
- ↑ Historischer Kalender Lebach 2015, Lebach Soldaten- und Garnisonsstadt