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Martin Sellner (* 8. Jänner 1989 in Wien) ist ein österreichischer Aktivist und zugleich Anführer der Identitären Bewegung in Österreich. Er verbreitet seine Positionen primär in Internet-Foren (Twitter, Facebook, Instagram) und als Video-Blogger.
Leben
Sellner wuchs zusammen mit seinem jüngeren Bruder Thomas (* 1991) – Obmann der Identitären in Niederösterreich – in Baden bei Wien auf. In seiner Jugend sympathisierte er mit dem rechtsradikalen Lager um Gottfried Küssel,[1] behauptet aber, sich von der Neonazi-Ideologie explizit losgesagt zu haben („Ich war damals in einer überschwänglichen pubertären Phase“).[2]
Seit 2008 studiert Sellner Philosophie (bislang mit dem B.A. abgeschlossen) und Jus an der Universität Wien, hat das Studium aufgrund seiner publizistischen Aktivitäten jedoch unterbrochen. Seine „patriotische Gesinnung“ will er wie Martin Lichtmesz und Alexander Markovics (* 1991) theoretisch verankern und durch Bezüge auf historische Heimat-idealisierende Persönlichkeiten untermauern (darunter Prinz Eugen, Hugo von Hofmannsthal und Martin Heidegger). Die Absicht einer theoretischen Fundierung der IB setzt er primär in politische Aktivitäten um. Andererseits hat er die von Renaud Camus geprägte Parole „Der große Austausch“ aufgegriffen.[3] Rechtsextremismus-Experten sehen in der Kampagne Der Große Austausch eine Modifizierung der von den sogenannten „Unsterblichen“ initiierten Volkstod-Kampagne.[4][5][6][7][8]
Sellner zählt seit 2015 zu den Autoren des Online-Portals Sezession im Netz der Zeitschrift Sezession des neurechten „Instituts für Staatspolitik“. Er pflegt enge Kontakte nach Deutschland und besucht in Schnellroda regelmäßig das Rittergut von Götz Kubitschek. Er vertritt folgende Auffassung: „Wer unsere Texte liest und unsere Aktionen sieht, der merkt, dass wir uns inhaltlich und weltanschaulich von den Rechtsextremen abgrenzen. Wir bekennen uns zur Demokratie.“[9]
Martin Sellner als Organisator und Redner
Die Aktionen Sellners sind zu einem Gutteil dem Phänomen der Kommunikationsguerilla zuzurechnen. Er war einer der Hauptakteure derjenigen Identitären, die im Jänner und Februar 2013 gegen das Kirchenasyl[10] der Asylbewerber in der Wiener Votivkirche demonstrierten.[11]
Bei den seit 2014 jährlich stattfinden Demonstrationen der Identitären in Wien, so am 17. Mai 2014,[12] am 6. Juni 2015[13] und am 11. Juni 2016[14][15][16] spielte Martin Sellner jeweils eine führende Rolle.
Am 15. November 2015 organisierte Sellner unter der Parole No Way – you will not make europe your home eine Demonstration in Spielfeld in der Steiermark, einem österreichischen Grenzort zu Slowenien. Dies rief eine Gegendemonstration antifaschistischer Initiativen hervor.[17][18][19]
Im April 2016 nahm er an einer Demonstration während der Aufführung der Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek durch Flüchtlinge im AudiMax der Universität Wien teil.[20] Mediale Aufmerksamkeit erlangte er zusammen mit anderen Identitären mit der Entrollung des Transparents Heuchler auf dem Dach des Burgtheaters. Die Nationalratspräsidentin Doris Bures und der Wiener Bürgermeister Michael Häupl hatten aufgrund der Störaktion in der Jelinek-Aufführung die Darsteller eingeladen, ihre Aufführung im Wiener Rathaus oder Burgtheater zu wiederholen.[21] Sellner und Markovics waren auch an der Nachstellung von "Hinrichtungsvideos" durch die [Islamischer Staat (Organisation)|[ISIS]] am Stephansplatz und in der Mariahilfer Straße beteiligt, bei der sie das Gewaltpotential des Islamismus anprangern wollten.
Sellner trat am 6. Februar und 23. Mai 2016 als Redner bei Pegida-Kundgebungen in Dresden in Erscheinung.
Am 28. Mai 2016 sprach er – in französischer Sprache, eingeladen von Aktivisten aus Versailles – bei einer Demonstration On est chez nous bei der Generation Identitaire.[22]
Am 17. Juni 2016 nahm er am zentralen Aufmarsch der deutschen Identitären Bewegung mit Bezug auf den 17. Juni 1953 in Berlin teil.[23] Hier war er einer der Hauptakteure und Hauptredner.[24][25]
Beobachtung durch den deutschen Verfassungsschutz
Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, warnte in einem am 31. Mai 2016 in der Rheinischen Post erschienen Interview,[26] vor der Identitären Bewegung und gab deren Beobachtung bekannt, was in weiteren Zeitungen zu kurzen Vorabmeldungen führte.[27][28] Am 12. August 2016 folgte eine eigene Pressekonferenz des Verfassungsschutzes, die ein größeres Echo auslöste. Sellner reagierte darauf mit einer Erwiderung in Videoformat, mit dem Titel „Verfassungsschutz beobachtet Identitäre – mir egal“, das er am 12. August über seinen Youtube-Kanal verbreitete. Darin sprach er sich neuerlich für expliziten, aber gewaltfreien Widerstand aus. Das Video wurde daraufhin am 13. August vom rassistischen Portal Politically incorrect weiteren Kreisen empfohlen. Sellner selbst verlinkte unter seiner Videobotschaft den Spiegel Online-Artikel vom 12. August, der die Beobachtung thematisierte.[29] Am 13. August erschien dann auf Spiegel online ein weiterer Artikel über die Identitäre Bewegung, in dem Martin Sellner zitiert wurde.[30]
Wegen seiner Aktionen gegen die Islamisierung wurde Sellner gerichtlich vorgeladen.[31]
Medienberichterstattung
Martin Sellner als Anführer der Identitären Bewegung Österreichs wurde im Kontext der Berichterstattung mehrfach porträtiert.[32][33]
In mehreren Medienbeiträgen wurde Martin Sellner erwähnt und zitiert, so am 11. Mai 2016 in Die Presse: "Verpackt sind ihre Anliegen in moderne Sprache, verbreitet wird die Ideologie via Social Media. Dass IBÖ-Obmann Martin Sellner als Kopf hinter der Neo-Nazi-Seite alpen-donau.info vermutet und ihm wiederholt vorgeworfen wird, zum näheren Umfeld des verurteilten Neo-Nazis Gottfried Küssel gehört zu haben, ist kaum vorstellbar, wenn man ihn sieht. „Ich war damals in einer überschwänglichen Phase“, sagte Sellner einmal zu seiner Vergangenheit. Dass die Geschichte der Akteure sowie politisches Programm nicht zur äußeren Erscheinung passen, macht die Gruppe für Beobachter schwer einordenbar. „Es ist bei den Demos furchtbar, die schauen alle gleich aus, und man weiß nicht, wer jetzt wo hingehört, wenn sie aufeinander losgehen“, sagt ein Polizist."[34] und am 8. August 2016 im NDR-Kulturjournal.[35] Lennart Herberhold konstatierte: „Einer der Köpfe der "Identitären Bewegung" ist Österreicher. Er heißt Martin Sellner und liest gerne Hugo von Hofmannsthal. Wenn er bei Pegida auftritt und über Asylpolitik redet, ist es weniger lyrisch. „Mein Traum ist, dass Angela Merkel in Schimpf und Schande, unter Buh-Rufen, das Parlament verlassen muss“, sagte er im Februar 2016 in Dresden.“ In einem am 12. August im Rolling Stone veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Identitäre Bewegung“ wird jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet[36] heißt es dann: „Sellner ist ein jovialer, etwas eitler Kumpeltyp, der die Kamera liebt. Auch dem Rolling Stone gab er bereitwillig Auskunft. „Kennst du den Song von Tocotronic ‚Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein‘?“, begann er grinsend das Skype-Gespräch.“ Patrick Gensing schrieb in seinem selbigentags veröffentlichten Beitrag: „Bei dem Kulturkampf von rechts spielt auch die Zeitschrift Compact als Scharnier zwischen verschiedenen Gruppen offenkundig eine wichtige Rolle. So treten bei Compact-Konferenzen sowohl AfD-Politiker als auch neurechte Strategen auf, das Magazin verbreitet auf seiner Internet-Seite zudem Beiträge von „Identitären“. Der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner schrieb dort zuletzt davon, dass die Bundespräsidentenwahl eine Chance sei, dass sich „im liberalen Multikulti-Westeuropa ein Volk 'freiwählt'“. Für ihn als „identitärer Aktivist und Meta-Politiker“ sei diese Wahl „ein Indikator für die Lage der patriotischen Aktivkräfte im Land“. Sie seien „so stark wie nie.“[37]
Schriften
- Martin Sellner/Walter Spatz: Gelassen in den Widerstand. Ein Gespräch über Heidegger (Reihe Kaplaken, Bd. 47); Verlag Antaios, Schnellroda 2015, ISBN 978-3-944422-47-3
- Martin Sellner: Der große Austausch im "Tagebuch" von Andreas Unterberger
- Sellner als Autor in der Zeitschrift Sezession
Weblinks
- Valentin Schwarz, Junge Rechte mit intellektuellem Anspruch. Ausgehend von den Unis agitieren die Identitären gegen Zuwanderung und Multikulturalismus – DerStandard.at, 7. Mai 2014.
- Andreas Wetz, Identitäre Bewegung: Rechts oder rechtsextrem? – Die Presse, 23. Mai 2014.
- Anna Thalhammer: Identitäre Außen links innen rechts? – Die Presse, 11. Mai 2016.
- Martin Sellner: Europa wacht auf der Widerstand gegen den „Großen Austausch“ im Privat-TV-Interview bei Michael Friedrich Vogt.
- Aktionsvideo der Antifaschistischen Aktion gegen die Identitären
- Dahamist: Martin Sellner: "Pubertäres Bubi?"
- ↑ Meredith Haaf, Unser Blut, unser Boden, unser Blog – Neon, September 2014.
- ↑ Mitten im Achten. Unter einem Dach mit Deutschnationalen und Rechtsextremen
- ↑ Camus’ politische Schriften thematisieren vor allem die „schleichende kulturelle Umwandlung Frankreichs aufgrund der massiven Immigration anderer Kulturvölker“. Er glaubt, dass Frankreich vor einem Identitäts- und Kulturverlust („déculturation“) steht und bezeichnete dies als Le grand remplacement.[1] Für die österreichischen Identitären wie Sellner wurde dieser Slogan zu einem Schlagwort und fehlt inzwischen in keiner Debatte über die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik (Autorenporträt Renaud Camus).
- ↑ Monitoring: Wie "patriotische" Facebook-Seiten Hass verbreiten Netz gegen Nazis 28. Mai 2015.
- ↑ Wie das Netzwerk der Neuen Rechten radikales Denken in die Gesellschaft trägt Liane Bednarz, 30. Mai 2016, in der Huffington Post.
- ↑ Selbstjustiz im Namen des Volkes: Vigilantistischer Terrorismus Matthias Quent 10. Juli 2016, Website der Bundeszentrale für politische Bildung.
- ↑ „Wir sind die erste Reihe des patriotischen Widerstands“ – Die „Identitäre Bewegung“ Apabiz 20. Juni 2016.
- ↑ »Wer sich auf die Bewegung einlässt, gewinnt ein Schicksal« Vera Henßler, 18. Juli 2016, Apabiz-Monitor 74.
- ↑ Benjamin Reuter, Identitäre Bewegung: Das lächelnde Gesicht der Neuen Rechten
- ↑ "Der Kardinal und der Blutrausch" Kardinal Christoph Schönborn stellt Kirchenasyl in Frage.
- ↑ Sellner wird hier als "Martin S." erwähnt.
- ↑ "Identitäre" marschieren durch Wien, Festnahmen und Verletzte von Colette M.Schmidt Der Standard 17. Mai 2014
- ↑ Vice: Die Identitären in Wien – das Video, Die Identitären im Herzen Europas, Der Identitären-Aufmarsch in Wien – Der Foto-Bericht 6. Juni 2015 Fotos Kurt Prinz und David Prokop
- ↑ Identitären-Demo und drei Protestmärsche am Samstag in Wien Der Standard 8. Juni 2016
- ↑ Unser Bericht vom Identitären-Aufmarsch und den Gegendemos in Wien Vice 11. Juni 2016
- ↑ Pfefferspray und Blockaden: Fotos von der Demo der rechtsextremen Identitären Vice 11. Juni 2016 Fotos David Prokop und Anja Melcher
- ↑ Links gegen Rechts heute.at, 15. November 2015.
- ↑ Spielfeld: Polizei löst Demo auf, Zahl der Flüchtlinge steigt wieder Der Standard, 15. November 2015.
- ↑ Spielfeld: Chaos-Tage in den Weinbergen Kurier 16. November 2015.
- ↑ Gespräch mit Identitären Experte Julian Bruns
- ↑ Transparent am Burgtheater am 27. April 2016
- ↑ Rede bei der Demo: "On est chez nous" – "Wir sind hier zu Hause" der Generation Identitaire in Paris.
- ↑ Aufmarsch der völkisch-nationalistischen "Identitären Bewegung" (IB) in Berlin
- ↑ Identitären-Aufmarsch floppt in Berlin Störungsmelder 21. Juni 2016.
- ↑ Rechtsextreme Identitäre in BerlinAlter Hass in neuer Verpackung von Volkan Agar, TAZ, 17. Juni 2016.
- ↑ Verfassungsschutz beobachtet rechte "Identitäre Bewegung" Rheinische Post 31. Mai 2016
- ↑ Verfassungsschutz beobachtet Identitäre Bewegung Die Zeit 30. Mai 2016.
- ↑ "Identitäre Bewegung" im Verfassungsschutz-Visier Die Welt 30. Mai 2016.
- ↑ "Identitäre Bewegung": Verfassungsschützer beobachten rechtsextreme Gruppe Der Spiegel, 12. August 2016.
- ↑ Sellner schrieb demnach: 'Mitglieder bejubeln Boxkämpfer, die trotz "Nasenbruch und blauem Auge weiterkämpfen" in einem Onlinebeitrag für die rechte Zeitschrift Sezession."Identitäre Bewegung": Die rechten Likes-Fänger Spiegel online, 13. August 2016.
- ↑ "Identitäre Bewegung" - jung und ziemlich rechts | Kulturjournal | NDR
- ↑ Benjamin Reuter, Identitäre Bewegung: Das lächelnde Gesicht der Neuen Rechten – The Huffington Post, 16. Mai 2016.
- ↑ Werner Reisinger, Jung, hip, rechtsextrem. Die "Identitäre Bewegung" ist auf dem Vormarsch. Ein Porträt – Wiener Zeitung 10. Juni 2016.
- ↑ Identitäre: Außen links, innen rechts, Die Presse 11. Mai 2016
- ↑ Die "Identitäre Bewegung": Jung und rechts von Lennart Herberhold 8. August 2016 im NDR-Kulturjournal.
- ↑ „Identitäre Bewegung“ wird jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet Rolling Stone, 12. August 2016.
- ↑ Gensing: "Identitäre"-Bewegung in Europa Très chic, très hip, très rechtsradikal in Tagesschau.de, 12. August 2016.